Zinsknechtschaft oder kapitalistische Produktionsweise?

 

OHNE GELD BIST
DU BALD TOT,
MIT ABER NOCH
KEINESFALLS
LEBENDIG

(A.Gödde)

Geld "an sich" - nicht der Kern des Problems

Solange Menschen von ihren Lebens- und Produktionsgrundlagen getrennt werden, sind sie erpreßbar und müssen sich den Zielen der Besitzer von Lebens- und Produktionsgrundlagen unterwerfen. Es geht nicht nur um Verteilungsfragen oder Verrechnungsfragen - sondern die Grundlagen der Produktion überhaupt sind zu kritisieren und in Frage zu stellen.

"In der Zirkulationsebene wird nur verwirklicht, was in der Produktion schon entschieden war." (Hardwig).

Marx betonte z.B., daß bei dem "Arbeitsgeld" bei Owen keine Warenproduktion mehr vorausgesetzt war, sondern unmittelbar gesellschaftliche Arbeit. Es hat demnach keinen Sinn, bei noch vorausgesetzter Warenproduktion "ihre notwendigen Bedingungen durch Geldpfuschereien umgehn zu wollen." (Marx, MEW 23, S. 110)

 

Das wird auch deutlich an den Tauschringen, die nie in der Lage sind, die Hauptbedürfnisse der beteiligten Menschen so weit zu befriedigen, daß sie sich von der Erpressung zur Lohnarbeit frei machen könnten. Versuche, die Tauschringe so weit auszudehnen, wurden regelmäßig staatlich unterbunden (Wörgl, aktuelle Besteuerungsdiskussion) und es besteht kein Grund zu Optimismus, daß sich die Kapitalbesitzer ihre erpreßbaren "doppelt freien Lohnarbeiter" einfach so "selbständig machen" (außerhalb ihres Systems!) ließen.

Zumindest in den hochindustrialisierten Ländern liegen auch nicht derartig viele Produktionsmittel brach, daß ihre Nutzung ausreichen würde, die hier lebenden Menschen außerhalb der kapitalistischen Wirtschaft selbst zu versorgen. In den osteuropäischen Ländern gäbe es eher eine Chance, die (noch) nicht kapitalistisch verwerteten Lebens- und Produktionsmittel wieder in die eigenen Hände zu nehmen - in der traditionellen "Dritten Welt" muß der Kampf dagegen geführt werden, daß immer mehr ihrer Potentiale in die Hand der multinationalen Konzerne gelangen (Gemeindeland, biotischer Reichtum/Saatgut/.... ).

Kleine Schritte, wie Tauschringe und Zentren für "Neue Arbeit" zur Wiederrückgewinnung der eigenen Reproduktion sind wichtige Schritte - vor allem als Lernfelder - werden aber nicht ausreichen!

Oft wird mit den Tauschringen die Hoffnung verbunden, "sich vom Geld unabhängig" zu machen und dadurch zu einem Fortschritt zu kommen. Allerdings ist nicht das "Geld an sich" etwas Schlechtes, dessen Abschaffung eine Verbesserung hervorbringen könnte, sondern seine Funktion ist differenziert zu sehen. Gegenüber der reinen Tauschwirtschaft ermöglicht es eine produktive Ausweitung der Tauschbeziehungen über die Grenzen der (in sich geldlos tauschenden) Gemeinwesen und über qualitativ sehr unterschiedliche Arbeitszweige hinaus. Hier hat es als Zirkulationsmittel eine eindeutig produktive Wirkung.

Die Abschaffung des Geldes OHNE Veränderung der Produktionsweise (Verbleiben in Warenproduktion) würde zu einem Zurückfallen führen - nur eine andere Art der gesellschaftlichen Arbeit (nicht mehr private Produzenten, die Waren für den Markt herstellen, wobei gesellschaftliche Kohärenz erst über Markt hergestellt wird; sondern historisch neuartige unmittelbar vergesellschaftete Arbeit).

"Das Geld weggestrichen, würde man also entweder auf eine niedrigere Stufe der Produktion zurückgeworfen (der der... Tauschhandel entspricht) oder man würde zu einer höhren fortgehn, worin der Tauschwert nicht mehr die erste Bestimmung der Ware, weil die allgemeine Arbeit, deren Repräsentant er ist, nicht mehr als nur zur Gemeinschaftlichkeit vermittelte Privatarbeit erschiene." (MEW 42, S. 142)

2. Zinsen

Wenn nach den Ursachen für die derzeitige Misere der Wirtschaft und der Lebensbedingungen auf der Erde gefragt wird, stellt sich schnell heraus, daß Ziele unsere Wirtschaft bestimmten, die sich von realen Bedürfnissen gelöst haben. Die Wirtschaft ist auch kein Kreislauf, wie es die VWL-Lehrbücher zu vermitteln versuchen, sondern eine Gewinn/Profit/Mehrwert/Zins-Erzeugungsmaschine. Jeder Unternehmer "unternimmt" nur etwas, wenn sein eingesetztes Kapital ihm MEHR zurückbringt als es selbst wert war. Dies unterscheidet den Kapitalismus von den früheren Wirtschaftsordnungen, in denen Geld- und Warenflüsse lediglich vermittelnden Charakter trugen.

Dieses "MEHR" äußert sich am offensichtlichsten im Zins (ist aber nicht darauf zu reduzieren, siehe 4.!!!):

Jeden Tag wachsen allein durch den Zins die Geldvermögen in der BRD um 900 Milliarden DM (Creutz). Ist das lediglich eine buchungstechnische Erhöhung der Zahlenwerte? Nein, auch diesen Gewinnen stehen Minusbuchungen an anderer Stelle gegenüber: "Allein der Bund muß in diesem Jahr bereits ein Viertel seiner Einnahmen für den Zinsendienst aufbringen, weit mehr als für die vielgeschmähten Militärausgaben." (ebenda, S. 52)

Wenn diese Zinsen wenigstens noch dem reale Wirtschaftswachstum entsprechen würden, wäre die Sache verständlicher (nur nicht, warum die Wachstumsergebnisse einseitig dem Kapital als Erzeuger zugerechnet werden und nicht den anderen Produktions"faktoren"). Aber inzwischen wächst das Geldvermögen schneller als die Wirtschaftsleistung, so daß sich bei der Aufteilung des gesellschaftlichen Reichtums eine zusätzliche Ungerechtigkeit ergibt, da die Geldvermögen rascher anwachsen als Arbeitseinkommen. Noch einmal zusätzlich müssen die Arbeitenden ein Viertel Jahr lang nur für den Gegenwert der von ihnen mitfinanzierten Zinsen (in den gekauften Produkten, ca. 70% der jeweiligen Miete etc.) arbeiten! (vgl. auch Kennedy)

Alle Analysen und Kritiken dieser Zinswirtschaft sind absolut berechtigt. Viele Tauschring-Aktivitäten beziehen sich explizit auf diese Kritiken und versuchen Alternativen zu entwickeln (durch geld- und zinslose "Stundenzettel" als Leistungsvermittlungsnachweise).

Ich möchte jedoch betonen, daß es nicht ausreichen würde, lediglich per Gesetz den Zins abzuschaffen (oder ans Wirtschaftswachstum zu koppeln). Diese Zinsgeschichte berührt immer noch nur die Oberfläche der wesentlichen Triebkräfte der kapitalistischen Wirtschaft und fügt den grundsätzlichen Widersprüchen nur zusätzliche hinzu - und ihre Beseitigung kann die wesentliche Widersprüchlichkeit des Kapitalismus nicht auflösen.

Es wird geäußert, daß Problem bestehe darin, daß sich die Zinsbildung nicht den Kräften von Angebot und Nachfrage unterwirft (Creutz, S. 53) und suggeriert, daß ein Unterwerfen der Zinsen das Problem schon löse. Aber das Problem steckt tiefer in der Wirtschaftsweise, die sich auf "anonyme Märkte" selbst und ein Abhängigkeit der Überlebensfähigkeit von Menschen vom "Lohn-Arbeitsmarkt" gründet

"Da muß aber etwas vorgefallen sein, was möglich macht, daß einzelne Geldbesitzer über so viel Geld verfügen, daß sie irgendjemanden erpressen können. Würden die Mitglieder einer imaginären Gesellschaft alle über Produktionsmittel verfügen, die sie in die Lage versetzen, alle ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, könnten die Geldbesitzer lange ihr Geld horten, es wäre niemand zu erpressen." (Hardwig).

 

Geld kann in verschiedenen Formen mit wesentlich unterschiedlichen Inhalten auftreten (nach Marx, MEW 23, S. 164ff.):

Geld als Geld

Geld als Kapital

einfache Warenzirkulation

Zirkulation des Geldes als Kapital

Zirkulationsform: W - G - W

Zirkulationsform: G - W - G´

Geld vermittelt (nur)

Ware vermittelt (nur)

Ziel: andere Ware kaufen - Endzweck: Gebrauchswert /Konsumtion

Ziel: Rückfluß des Geldes - treibendes Motiv und Endzweck: Tauschwert

qualitativer Unterschied der Waren wesentlich: Gebrauch der Waren

nur quantitativer Unterschied G und G´mit

G´= G + D G wesentlich

Ökonomik bei Aristoteles (MEW 23S. 167)

Chrematistik bei Aristoteles: Kunst, Geld zu machen

Daß aus eigentlich nur vermittelndem Geld historisch Kapital geworden ist, weist Marx entwicklungsgeschichtlich und logisch (-dialektisch) nach - in der heutigen Entwickungsstufe wäre es verhängnisvoll, lediglich "Geld" als Problem zu betrachten und nicht ihre aktuelle Form - auch wenn dann die Gesellschaftsbezeichnung "Kapitalismus" wieder aufgewertet wird, die in Dogmatismusverdacht geraten ist. "Wert-Vergesellschaftung" und "Kapitalismus" sind dabei fast synonym, kennzeichnen aber strukturelle Grundlagen der Gesellschaftsordnung, nicht bloß Zirkulationsformen.

4. Mehrwert

Daß die reale Wirtschaft dem Kreislauf Geld - Ware(n) - Geld + "Gewinn" folgt (und nicht wie in der einfachen Warenproduktion: Ware - Geld - Ware), macht die Ware zum (qualitativ eigentlich unwichtigen) lediglich vermittelnden Glied - der wirkliche (Selbst-)Zweck des Wirtschaftens besteht entgegen den Lehrbuchmeinungen nicht mehr in der Bedürfnisbefriedigung, sondern auch die Bedarfsbefriedigung geschieht nur zum Zweck der Geldvermehrung. Ab diesem Moment ist das Geld qualitativ etwas anderes als in der einfachen Warenproduktion und sollte deshalb exakt auch mit seinem jetzigen Begriff "Kapital" angesprochen werden.

Der Mehrwert selbst kann aber nicht dem Austausch entspringen.

  1. Sollte der Mehrwert daraus entstehen, daß einer Dinge weggibt, die ihm weniger wert sind als dem anderen und dies gegenseitig - so ist dagegen zu sagen, daß hier Gebrauchswert und Tauschwert verwechselt werden. Der Gebrauchswert muß zwar gegeben sein, damit überhaupt getauscht wird, die Größe des Wertes hat damit aber nichts zu tun (Tauschwert als Verhältnis gegenüber der gesellschaftlich notwendigen Durchschnittsarbeit für entsprechende Ware).
  2. Verkäufe über oder unter dem Warenwert würden insgesamt die Wertmengen verändern, aber keine einseitigen Gewinne erklären. (MEW 23, S. 173-181).

Der Mehrwert entsteht aus der wunderbaren Eigenschaft einer einzigen Ware, die den Gebrauchswert hat mehr Wert erzeugen zu können, als sie zu ihrer Reproduktion braucht: der Arbeitskraft (MEW 23, S. 181f.)

Ein Mensch wird aber mit seiner Arbeitskraft nur dann (kapitalistischen) Mehrwert erzeugen, wenn er erstens seine Arbeitskraft verkaufen kann (wenn er persönlich frei ist) und wenn er sie verkaufen muß (weil er sonst nicht an Lebensmittel herankommt; er muß also auch noch "frei" sein von Lebensmitteln und eigenen Produktionsmitteln). Hier haben wir die oben schon genannte Voraussetzung der Erpreßbarkeit, die kapitalistischem Mehrwert erst ermöglicht und die strukturelle Ursache für alle darauf aufbauenden Zins-Miseren ist.

Dadurch ist das Ganze auch nicht nur ein Problem von "Sachen" , sondern ist und bleibt ein Gesellschaftsverhältnis, auch wenn den "sachlichen Verhältnissen" hier eine Subjektrolle zufällt und die Menschen (in ihren ökonomischen Rollen/Masken) ihren Mächten entfremdet gegenüberstehen.

Die Abhängigkeit des Zinses von der Mehrwertaneignung muß sich nun nicht in einem proportionalen Verhältnis bewegen. Durch die Widersprüche zwischen Leihkapitalisten und anwendenem Kapitalisten macht den Zinsfuß zu einem Ergebnis ihres Konkurrenzkampfes. Derzeitig sind die Machtverhältnisse eindeutig zu Gunsten der Leihkapitalisten verschoben, so daß diese ihre Interessen auch gegen die anwenden Unternehmer durchsetzen können (Zinsen abgekoppelt von Produktionswachstum). Hier zeigt sich auch, daß die Quelle der Wertsteigerung eben nicht nur vergangene und gegenwärtige ausgebeutete Lohnarbeit ist, sondern sogar die Option auf zukünftige Aneignung unbezahlter Arbeit, sowie Naturvernutzung, weltweite Aneignung von Allmende und "Ödland", und andere Ausbeutungsformen (z.B. in den sog. "Freien Produktionsformen") etc. unabhängig vom Produktionswachstum dazu beitragen. Diese Quellen des Profits werden verschwiegen, wenn dem jetzigen Börsenboom NUR spekulative Hintergründe unterstellt werden!!!

Ganz verrückt wird es dann, wenn nicht vorhandenes Kapital, sondern Schulden verzinst werden - wie die Staatsschulden. Das nennt zwar auch Marx "fiktiv" - aber es wirkt durchaus real auf die betroffenen Menschen ein (soziale Sparmaßnahmen, nicht genügend reproduzierte Infrastruktur etc.). Das sind die Optionen auf zukünftige Arbeit.

 

5. Reduktion auf Zins und Geld

Der Kampf gegen die Macht des Zinses ist recht anschaulich vermittelbar. Jedoch reicht er nicht aus:

"Solange die Operationen gegen das Geld als solches gerichtet sind, ist es bloß ein Angriff auf Konsequenzen, deren Ursachen bestehn bleiben." (Marx, MEW 42, S. 166).

Problematisch wird die Beschränkung auf das Zinsproblem dann, wenn dadurch die Produktionsweise und Profit aus anderen Quellen verschwiegen oder gar gerechtfertigt werden. Die "alternativen" Freilandmodelle von Silvio Gesell befürworten z.B. die weitere Abhängigkeit der Arbeiter "nach den Gesetzen des Wettbewerbs" (Dem Tüchtigsten das meiste, Auslese als Ziel ausdrücklich festgeschreiben), die Verpachtung des "freien Landes" an den Meistbietenden, soviel er bebauen kann - wobei "Arbeitsscheue, Bummler, Sonnenbrüder und Zigeuner" - also auch die bisherigen Nutzer(innen) von "Ödland" im Rahmen ihrer Substistenzreproduktion in der dritten Welt - keinen Anspruch haben. Deutlich wird das in der Angst, daß "die Neger eines Tages die Oberhand gewinnen" (Gesell, S. 63) könnten. Auch die Überbetonung des Gegensatzes zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital heiligt das angeblich schaffende und setzt nur das "raffende" einer Verfolgung (z.B. rassistischer, weil dies den Juden zugesprochen wird) aus.

Zumindest problematisch ist es auch, daß bei dem Schwundgeldexperiment in Wörgl zwar die Bargeldbestände der einfachen Menschen "verschwanden" - aber natürlich die Bankguthaben und Sachwerte als Kapital nicht berührt wurden! (Bierl, S. 10).

Altvater, E., Mahnkopf, B., Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik der Weltgesellschaft, Münster 1997

Bierl, P., Der rechte Rand der Anarchie - Silvio Gesell und das Knochengeld, in: Ökolinx 13, Jan/Feb 1994, S. 5-12
Creutz, H., Die Kassen sind leer - wo ist das Geld geblieben?, in: WECHSELWIRKNG April ´98, S. 51-55
Gesell, S., Die natürliche Wirtschaftsordnung, Lütjenburg 1991
Goedde, A., Aphorismen: in: Internet http://www.asfh-berlin.de/~goedde/aphor.htm
Hardwig, T., Diskussionsbeitrag zum Artikel "Auswege aus der Krise" von M. Kennedy, in: Rundbrief TAK AÖ
Kennedy, M., Ausweg aus der Krise, Vortrag auf dem Kommuneseminar der TAK AÖ am 22.10.1989 im Lebensgarten Steyerberg
Lemmnitz, A., Karl Marx über das zinstragende Kapital, in: offensiv 9/95, S. 32-39
Marx, K., Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie. Erster Band, in: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Band 23, Berlin 1988
Marx, K., Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, in: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Band 42, Berlin 1983
Schmitt, K., Proudhon oder Marx, Sonderdruck 1988, S. 2-5

 


Quelle


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