Umfassende Bereiche: Dialektik


 
Allgemein ist nicht allgemein

Mal ganz allgemein gesprochen: Wenn wir etwas erkennen, gehen wir von etwas konkretem Einzelnen aus und versuchen es in etwas Allgemeineres einzuordnen. Die "Verallgemeinerung" scheint eine typische Erkenntnismethode zu sein.

Im Ernst: nur sehr, sehr allgemein betrachtet ist das die ganze Weisheit des Erkennens. In Wirklichkeit ist alles viel komplizierter. Komplizierter, aber trotzdem durchschaubar.

I. Uns begegnet die Wirklichkeit tatsächlich erst einmal als Ansammlung einzelner Dinge. Wir können sie mit unseren Sinnen wahrnehmen. Unser Verstand ermöglicht Vergleiche und erkennt dann Gemeinsamkeiten.
= der Einzelne Mensch als isoliertes Selbst

II. Gemeinsame Merkmale einzelner Dinge lassen uns diese Dinge in einer Gruppe einsortieren. Die Merkmale der Gruppe kennzeichnen das Allgemeine.
Solange wir uns auf diese Gemeinsamkeiten konzentrieren, überbetonen wir das Einheitliche und wir abstrahieren von den restlichen Unterschieden im Einzelnen.
Was wir mit diesem Allgemeinen erwischt haben, ist ein abstrakt-Allgemeines. Alle formal-logischen Bestimmungen betonen in diesem Sinne entweder eine Identität oder die Nicht-identität bezüglich der bestimmten Gemeinsamkeit. Ein Drittes gibt es nicht.
        = das Gattungswesen Mensch (Feuerbach)

Damit haben wir das isolierte Einzelne und ein alles vereinheitlichendes, einebnendes Allgemeines. Die Überbetonung des Einzelnen führt zu Empirismus, die alleinige Anerkennung des abstrakten Allgemeinen wird absoluter Rationalismus. Gibt es eine vermittelnde, d.h. weiterführende Betrachtungsweise?

III. "Die Wahrheit ist konkret" sagt Hegel und meint damit, daß alle einzelnen Sachverhalte in Allgemeines eingebunden sind, dies aber in jeweils konkret bestimmten Beziehungen. Die konkreten, bestimmten Beziehungen braucht das Einzelne überhaupt, um seine Wesenszüge zu realisieren. Alle Eigenschaften und Merkmale haben ihre Wurzeln zwar im Ding selbst, sie realisieren sich aber immer in Beziehungen zu äußeren Dingen. Das Ding "beweist diese Eigenschaft nur unter der Bedingung einer entsprechenden Beschaffenheit des andern Dinges, aber sie ist ihm zugleich eigentümlich und seine mit sich identische Grundlage." (Hegel 1986, S. 134).
Damit haben wir einen konkreten allgemeinen Zusammenhang, der als das konkret-Allgemeine das Spezifische des Einzelnen nicht verschwinden läßt, sondern geradezu prägt. Das Einzelne ist gegenüber diesem konkret-Allgemeinen ein Besonderes, erhält seine Spezifik - aufgehoben in einem konkreten Zusammenhangsgefüge, einem Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile.
        = ihr Leben reproduzierende Menschen innerhalb einer bestimmten Gesellschaftsform

IV. Das Besondere geht nicht vollständig im konkret-Allgemeinen auf. Es ist Teil eines Ganzen, enthält aber mehr. Dieser Überschuß an Bestimmungen macht der Hegelschen Logik einige Probleme. Im Hegelschen System geht es verloren. In seiner originären spekulativen Methode jedoch baut Hegel immer wieder Stellen ein, in der in seinem Setzen das Außerlogische, vom real-überschüssigen Sein Herrührende seine Berechtigung verliert. Er interpretiert diese Kontingenz (in der "Phänomelogie") etwas abfällig als Eigenschaft lediglich des natürlichen Seins.

Auch Sahra Wagenknecht, die diese Verhältnisse bei Hegel nachweist, akzeptiert lediglich statistisch erfaßbare zustände im mikrophysikalischen Bereich, während sie im gesellschaftlichen Sein vermutet, daß rein logisch-reflexive Ableitungen ausreichen (Wagenknecht 1997, S. 110). Dem widerspreche ich mit der Annahme, daß in der Evolution die Möglichkeitsfelder eher wachsen als sich einengen (Schlemm 1986, S. 208) .

Daß die Menschen ihre Entwicklung bewußt gestalten sollten, bedeutet nicht, daß sie diese Offenheit ausschalten muß, sondern, daß sie die bewußt Bedingungen für diese kreativen Freiheiten schaffen muß.



  
sinnlich-konkretes/

Einzelnes
abstrakt-

Allgemeines
konkret-

Allgemeines
Überschüssiges

 

 

Hegel, G.W.F.: Wissenschaft der Logik Bd.II, Frankfurt/M. 1986
Marx, K., Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd.13, S. 615ff.
Schlemm, A., Daß nichts bleibt, wie es ist... Philosophie der selbstorganisierten Entwicklung, Band I: Kosmos und Leben, Münster 1996
Wagenknecht, S., Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx oder das Problem einer dialektisch-materialistischen Wissenschaftstheorie, Bonn 1997

 


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