Zukunftsentwürfe


Die Realität zittert in Spannung zwischen einem Zustand, in dem die Destruktivität seine Konstruktivität immer mehr übersteigt - und möglichen regressiven oder progressiven Alternativen.


Wesentliche Bedingungen, welche über den Zeitpunkt des notwendigen Qualitätsumschlags und über die sich durchsetzenden Alternativen bestimmen, werden gerade erst und in Zukunft noch erzeugt.


Es gibt keine eindeutig objektiv vorgegebene neue Entwicklungsstufe der Gesellschaft. Auch die dialektische Theorie kann keine Sicherheit auf ein besseres Leben begründen. "... sie kann kein Heilmittel bieten. Sie kann nicht positiv sein." (263)


Zu den Bedingungen der Zukunft gehören unsere Entwürfe und unsere Macht, diese durchzusetzen.


Die in Zukunftswerkstätten entstehenden Utopien, die in den Szenario-Werkstätten diskutierten Visionen und Leitbilder sind keine Hirngespinste, sondern entspringen realen "Tendenzen in Theorie und Praxis, die in einer gegebenen Gesellschaft über das etablierte Universum von Sprechen und Handeln in Richtung auf seine geschichtlichen Alternativen (realen Möglichkeiten) "hinausschießen". (13)


Die transzendenten Entwürfe müssen, um wirkungsmächtig werden zu können, mit realen Möglichkeiten übereinstimmen, und sollten auch die Aussicht bieten, die produktiven Errungenschaften der Zivilisation zu erhalten und zu verbessern, und ihre Verwirklichung sollte eine größere Chance für die freie Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und Anlagen bieten. (232)


Die geschichtliche Negation des Gegebenen ist nicht rational aus diesem ableitbar. An den Stellen des qualitativen Sprungs ist die "bestimmte Negation" eher eine "bestimmte Wahl" (Marcuse) und bezeichnet den "Einbruch der Freiheit in die historische Notwendigkeit" (233).

(Womit Marcuse bereits 1964 die heute unabweisbar gewordene Frage nach der Präzisierung der Dialektik bereits vorwegnahm. Heute verweisen die Erkenntnisse der Selbstorganisationskonzepte zusätzlich auf die Notwendigkeit dieser Ergänzungen.)


Determiniert sind nach Marcuse lediglich:

  1. die spezifischen Widersprüche,
  2. die materiellen und geistigen Ressourcen sowie
  3. das Ausmaß an theoretischer und praktischer Freiheit, das mit dem System verträglich ist.

"Diese Bedingungen lassen alternative Möglichkeiten offen, die verfügbaren Ressourcen zu entwickeln und nutzbar zu machen, alternative Möglichkeiten, "sich zu ernähren" und die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur zu organisieren." (233/234)


"Keine der gegebenen Alternativen ist von sich aus bestimmte Negation, wofern und solange sie nicht bewußt ergriffen wird." (235)


"... die mögliche Aufhebung dieser Notwendigkeit hängt ab von einem neuen Einbruch der Freiheit - nicht irgendeiner Freiheit, sondern der von Menschen, welche die gegebene Notwendigkeit als unerträgliche Qual und als unnötig begreifen." (234)


Wie die bisher "verwalteten Individuen" dazu kommen, kann nicht theoretisch vorherbestimmt, sondern nur praktisch gelebt werden.



(alle Seitenzahlen in: Marcuse, H., Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. München 1998)

 

siehe auch:



linear weiterlesen ODER zur Übersicht

 

[Homepage] [Gliederung]






- Diese Seite ist Bestandteil von "Annettes Philosophenstübchen" © 1998 - http://www.thur.de/philo/entwurf.htm -