Arthur Koestler:
Ein Mann springt in die Tiefe.

Europaverlag Wien, München, Zürich, 1981
In dem Buch liegt noch die Zeitungsseite , durch die ich auf dieses Buch aufmerksam geworden war. Arthur Koestlers 100. Geburtstag war der Anlass für einen Rückblick auf sein Leben und sein Werk. Koestler war Kommunist gewesen und schreib später so, dass man ihn auch für einen Anti-Kommunisten hielt. Hans-Dieter Schütt findet für diese Wandlung folgende Worte: Aus emphatischer Fixierung auf eine weltumspannende politische Idee wurde bei ihm die sehr persönliche Energie eines entschlossenen individuellen Freiheitswillens. In geradezu eisigem Feuer der Selbstanklage, mit apokalyptischem Temperament, hat er seine Warnungen formuliert: Wer sich in einer Ideologie auflöst, der arbeitet einer seelischen Selbstaufgabe zu, die - möglicherweise - in Handlangertum und willfähriger Vollstreckermentalität endet. Im Buch "Ein Mann springt in die Tiefe" springt der Protagonist zweimal: einmal ganz zu Beginn und einmal ganz am Ende des Buches. Dazwischen liegt ein langes Warten und quälende Entscheidungen. Der erste Sprung beendet seine Flucht nach Widerstandskampf und Gefangennahme. Er ist endlich frei.... in einem Ort, in dem die meisten Menschen nur auf weitere Reisemöglichkeiten warten und an dem sich viele treffen, die früher gemeinsam oder gegeneinander agierten. Zeit auch für Peter, endlich einmal zu verschnaufen, zurück zu blicken, sich neu zu orientieren.

Der Klappentext verspricht eine "Psychologie des Revolutionärs, ... Konflikte und Zusammenhänge von Individuum und Ideologie, Einzelschicksal und Geschichte". Ich will es kurz machen und den Roman nicht noch einmal schreiben: Peter wird krank und er kann nur gesunden, wenn er sich erinnert, erinnert an Momente seines Lebens, die er längst verdrängt hat. Eigentlich ist Peter ein Held; er hatte auch als Intellektueller am gefährlichen Flugblattverteilen teilgenommen, er war gefoltert worden und hatte nichts verraten. Auf dem Krankenbett, in einer neutralen, fast unwirklichen Umgebung brechen alte Erinnerungen hervor, z.B. an das Kaninchen, das er vor dem Geschlachtetwerden beschützen wollte, das er über einem Kinderspiel aber ein einziges Mal - an dem Tag, an dem es als Braten auf dem Tisch landete - vergaß. Diese Schuldgefühle! ...

Er legt sich nun auch Rechenschaft darüber ab, dass sein Heldentum bei der Folter eigentlich kein Sieg seines überlegenen Willens war, sondern dass sich in der Beziehung zum Folterer seine Beziehung zum Vater wiederholte und auch seine Verstocktheit daher rührte. "Ich weiß nur, daß er ein harter Mann war, daß ich Angst vor ihm hatte und doch immer trotzte." Das wirklich Erschreckende war außerdem, dass er dem, was der Folterer ihm vorhielt, zustimmen musste. Die revolutionäre Bewegung war auf Sand gebaut, der Folterer kannte sogar die theoretischen Widersprüche, die in der Bewegung selbst nicht diskutiert werden durften, genau so gut wie Peter, und er hatte bereits die Hälfte der Namen der am Widerstand Beteiligten. Es hätte letztlich kaum einen Unterschied gemacht, wenn Peter aufgegeben hätte. Aber er konnte "seinen Vater" nicht siegen lassen...

Die Grundbotschaft, die nun in Koestlers Buch immer mehr durchscheint, ist die psychoanalytische Annahme, die Ursachen des Verhaltens des Erwachsenen lägen in seiner Kindheit. Warum wird einer Revolutionär? Weil er sich allen Vaterbildern entgegen stellen muss? Das wichtigere Motiv der Abarbeitung einer wirklichen oder eingebildeten Schuld wurde mit dem Kaninchen schon gestreift, letztlich war das Kaninchen aber auch nur eine Ablenkung, die das Wesentliche verbarg: Peter war als Kind schuld gewesen am Tod seines kleinen Bruders - und er hatte es gewollt. Natürlich darf man dies nicht wissen, natürlich muss man dies vor sich selbst und aller Welt verbergen, natürlich will man es unbewusst trotzdem irgendwie wieder gut machen....

Als Peter endlich bis in diese Untiefen seiner verdrängten Psyche vorgedrungen ist, wird er wieder gesund. Er kennt die psychischen Verstrickungen, die ihn bisher getrieben haben, die ihm bisher die wirklich freie Entscheidung verstellt haben. Jetzt erst kann er seinen weiteren Weg wirklich frei wählen und gehen.

Insofern war die notwendige Aufarbeitung des Verdrängten in Peters Leben eine Metapher für die Notwendigkeit der sicher ebenso quälenden Fragestellung an die Revolutionäre des 20. Jahrhunderts, die Arthur Koestler an anderer Stelle so beschrieb: Unsere Prinzipien waren alle richtig, aber unsere Resultate waren alle falsch. Unser Wollen war hart und rein, die Menschen sollten uns lieben. Aber sie hassen uns. Wir brachten die Wahrheit, und sie klang in unserem Mund wie die Lüge. Wir bringen die Freiheit, und sie sieht in unseren Händen wie die Peitsche aus. Wir verkünden die wunderbare Zukunft, und unsere Verkündigung klingt wie fades Gestotter und rohes Gebell.... Warum nur?

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