Herbert Hörz

Bemerkungen zu
A. Schlemm "Vom Umgang mit dem Gesetzesbegriff in Wissenschaft und Politik der DDR"

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abschnittsweise kommentiert werden.

Es handelt sich um ein interessantes und umfangreiches Material, das weiter bearbeitet werden sollte, um die vielen darin enthaltenen Fragen teilweise zu beantworten. Mit meinen Bemerkungen will auf bestimmte Defizite verweisen und anregen, weiter darüber zu arbeiten und zu diskutieren.

1. Notwendigkeit der Analyse

Die Analyse philosophischer Debatten in der DDR mit Auswirkungen auf Wissenschaft und Politik ist aus mehreren Gründen erforderlich. Erstens ist die Ignoranz von Bewertern der wirklichen Diskussionen und die Unwissenheit über Argumente, Strömungen und Inhalte erschreckend, mit der manche Philosophen aus der alten BRD über die Indoktrination in der DDR durch marxistische Philosophie urteilen. Selbst manche von denen, die meinen, zu argumentieren, nutzen propagandistische Materialien oder Lehrbücher, ohne Ergebnisse aus der Fachliteratur heranzuziehen und deren Argumente zu prüfen. Zweitens kann man die geistig-kulturelle Auseinandersetzung um die marxistische Philosophie nicht durch einfache Beschimpfung beenden. Solche Fesstellungen, wie die, der Marxismus sei Voodoo, von ihm bleibe nur Asche, zeugen von geringer Sachkenntnis und vom Unverständnis für die Resultate und Bedingungen konkret-historischer Debatten. Drittens ist die marxistische Theorie nicht durch die Realisierung des Modells eines "realen Sozialismus", selbst wenn sie entsprechend der Theorie erfolgt wäre, was nachweislich nicht der Fall war, erledigt, denn jede Theorie hat mehr Potenzen als ein Modell erfassen kann. Viertens wird mehr über die Kaderphilosophen der DDR spekuliert als inhaltliche Kritik betrieben, die schwerer ist, als die Oberfläche für den Inhalt zu nehmen und sich die Mühe der Argumentation zu ersparen. Fünftens kann man das geistige Leben der DDR nicht verstehen, wenn man die inneren Auseinandersetzungen nicht untersucht. Heuristischer Wert wird damit von vornherein abgesprochen.

Interessant wäre es auch, die internationale Rezeption der DDR-Gesetzesdiskussion zu untersuchen, was jedoch in einer Arbeit zu weit führen würde. Als Beispiel nenne ich eine Debatte, an der ich beteiligt war. Auf einer Tagung zum kritischen Rationalismus von Popper 1989 befaßte sich mein Referat mit kritischen Anmerkungen aus marxistischer Sicht dazu. (Herbert Hörz, Die philosophischen Positionen von Popper in marxistischer Sicht, in: Norbert Leser, Josef Seifert, Klaus Plitzner (Hrsg.), Die Gedankenwelt Sir Karl Poppers, Heidelberg 1991, S. 131 - 159) Dabei ging es auch um die statistische Gesetzeskonzeption, die ich gegen Poppers Ablehnung der Gesetze richtete. Darüber hatte ich 1968 auf dem Weltkongress für Philosophie in Wien eine persönliche Debatte mit ihm, die nun, ohne ihn weiterzuführen war. Statt Argumenten verwies er damals auf seine "Logik der Forschung", was unter Anwesenden Unmut auslöste, da er nicht argumentierte, sondern nur postulierte. Heute würde manche dieses Verhalten nur Marxisten zusprechen, so als ob es keinen Dogmatismus in anderen philosophischen Richtungen geben könnte. Interessant war auf der Popper-Tagung eine immer wieder in der rezeption des Marxismus festzustellende Tendenz, wie sie in den Fragen von Hans Albert zu meinen Ausführungen zum Ausdruck kam. Es wurde deutlich, daß er einen einheitlichen Marxismus kritisierte, indem er mir Positionen unterstellte, die sich aus den von mir benutzten Zitaten von Marxisten ergaben. Das wird heute in der Kritik des Marxismus fast zum methodischen Prinzip. Man achtet nicht auf Differenzierungen, nimmt Argumente nicht ernst, sondern unterstellt einen monolithen marxistischen Block, der die Philosophen zu Erfüllungsgehilfen der Dogmatik degradiert.

Albert betonte mir gegenüber, Popper benutze die Wahrheit als regulative Idee, lehne allgemeine Gesetze nicht ab und fasse die Wissenschaft als soziales Phänomen, doch lasse sich künftiges Wissen nicht vorhersagen. Das hatte ich mit der statistischen Konzeption ebenfalls betont. Ich verwies außerdem auf innertheoretische Wahrheitskriterien und auf die Praxis in ihrer Relativität bei der Wahrheitsfindung, auf die Struktur statistischer Gesetze, die nur eine Variante im marxistischen Denken ist und lehnte historische Prophetie ab, betonte jedoch die motivierende und mobilisierende Rolle von Visionen, Idealen und Leitbildern. (ebd., S. 160ff.) Der Philosoph Rocco Buttiglione schloß mit der Hypothese, "daß vielleicht die Philosophie von Hörz, um die eigenen tiefen Einsichten frei entwickeln zu können, den Boden des Marxismus verlassen muß." (ebd., S. 170) Meine Antwort darauf war, ich zitiere sie, weil sie für mich prinzipielle Bedeutung hat: "Konsequenter Marxismus schließt die kritische Wertung und Würdigung der Leistungen von Marx und der Marxisten, aber auch anderer Denker, als heuristischen Ausgangspunkt eigener Überlegungen ein. Zwingen Methodologie und Vision von Marx durch neue Erkenntnisse und soziale Erfahrungen zur Kritik an einseitigen und falschen Auffassungen von Marx u. a., dann ist es marxistisch, Überholtes aufzugeben. Entscheidend ist deshalb nicht die Position, sondern das auf wissenschaftlichen Einsichten und sozialen Erfahrungen aufbauende Argument im Meinungsstreit zwischen Marxisten untereinander und mit Nichtmarxisten." (ebd., S. 171)

Ich wünschte mir eine sachlich-konstruktive Debatte der Gesetzesdiskussion in der DDR als solide Aufarbeitung des historischen Materials und als heuristischer Hinweis zu aktuellen Problemstellungen und -lösungen. Deshalb gilt mein Dank auch A. Schlemm für die Wahl des Themas und die Anregung zum weiteren Nachdenken über die Geschichte der Philosophie in der DDR und ihre mögliche weitere Wirkung.

2. Entwicklung der statistischen Gesetzeskonzeption

Da ich direkt in die Auseinandersetzungen um die marxistische Theorie des objektiven Gesetzes einbezogen war, möchte ich auf einige Aspekte verweisen, die m.E. wichtig sind. Sie werden sich vor allem auf meine Arbeiten beziehen und eine dadurch bedingte subjektive Sicht aufweisen. Dabei habe ich mehrmals versucht, eine Analyse dieser Forschungsrichtung zu geben. So kann an Texten beurteilt werden, ob meine Einschätzungen der Situation angemessen waren oder nicht. Ich möchte dazu nur einige Arbeiten nennen, die sich in der Diskussion befanden und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Wertungen erfuhren. Das betrifft die 1962 erstmals erschienene Arbeit "Der dialektische Determinismus in Natur und Gesellschaft", die mehrmals überarbeitet und erweitert wurde und in der 4. erweiterten Auflage von 1971 den Kern der von mir vertretenen statistischen Gesetzeskonzeption in ziemlich ausgereifter Form enthielt. Zuerst wurde sie als dogmatisch von einigen engeren Fachkollegen verteufelt, dann wurde mir vorgehalten, ich würde die Entwicklung nicht genügend berücksichtigen. Eine von mir entwickelte Theorie des Zusammenhangs sei doch undialektisch. Wie mir Kollegen aus anderen Fachrichtungen bestätigten, ich nenne nur den Musikwissenschaftlker Georg Knepler und den Historiker Ernst Engelberg, empfanden sie meine Ausführung als Befreiung aus dogmatischer Enge. Die verschiedenen Auflagen bestätigten auch öffentliches Interesse.

1968 hielt ich vor der DAW den Vortrag "Ergebnisse und Aufgaben einer marxistischen Theorie des objektiven Gesetzes" (SB AdW d. DDR Klasse für Phil...., Jg. 1968, Nr.7), in dem ich Aufgaben formulierte, bei deren Lösung ich mich mit meinen Arbeiten beteiligte. Dazu gehört das 1980 im Akademie-Verlag erschienene Buch "Zufall. Eine philosophische Untersuchung", das leider keine Neuauflage mehr erfuhr, obwohl mehrmals von Lesern gefordert, da mir der Institutsdirektor erklärte, eine zweite Auflage meines Buches würde das Papier in Anspruch nehmen, das für ein anderes Buch aus dem Institut vorgesehen war. Ich wollte die Publikation anderer Bücher jedoch keinesfalls verhindern. Im Zufallsbuch war die statistische Gesetzeskonzeption ausführlich dargelegt und begründet. Sie mußte nun auf Entwicklungsprozesse speziell angewandt werden, was 1983 mit dem Buch "Philosophische Entwicklungstheorie" geschah. In der AdW sprach ich 1975 zu "Dialektisch-materialistische Entwicklungstheorie und die Struktur von Entwicklungsgesetzen" (SB AdW der DDR, 10G (1975) Mit Hinweis auf den Vortrag von 1968 betonte ich, dass es sich um die Erfüllung dort genannter Aufgaben handele.

Mein Bestreben war es nun, die statistische Gesetzeskonzeption auf verschiedenste Gebiete anzuwenden, um ihre Brauchbarkeit zu testen. Die Resonanz unter den Fachphilosophen, die Wissenschaftsphilosophen sind davon ausgenommen, war gering. Mehr Interesse zeigten Naturwissenschaftler, jedoch auch manche Ökonomen und Historiker, während in der Politik und Propaganda meist die alten Formeln von der Objektivität der Gesetze, von ihrem Duirchsetzen hinter dem Rücken usw. wiederholt wurden. Rechtswissenschaftler waren vor allem an der Definition der Kausalität interessiert. Bei der offiziellen Vermittlung des Marxismus-Leninismus fehlten weiter, bis auf wenige Ausnahmen der aus unserer Richtung hervorgegangenen Lehrkräfte, Hinweise auf Möglichkeitsfelder, statistische Gesetze, den wesentlichen Zufall, auf die Organisation von Zufällen, auf die Kritik der Automatismen usw. In vielen Kolloqien mit Naturwissenschaftlern, in der Forschungsgruppe von Wolfgang Küttler und bei Rechtswissenschaftlern diskutierten wir mein Zufallsbuch. Eine allgemeine Diskussionsatmosphäre, in der neue Fragen und Probleme besprochen wurden, gab es jedoch nicht.

3. Verhältnis von Philosophie und Politik

Die Einschätzung von A. Schlemm, dass die Politik in der Gesetzesproblematik hinter den Erkenntnissen zurückblieb und zurückbleiben mußte, ist m.E. berechtigt. Zweifel an der Legitimation der Herrschaftsschicht in der Sowjetunion und in der DDR wurden als Angriff auf die Macht, als bürgerliche Ideologie und als revisionistisch denunziert. In diesem Sinne hätte das Denken über Möglichkeitsfelder verstanden werden können. Deshalb wehrten sich die Apologetiker unter den Philosophen gegenüber den Aufklärern meist durch Ignoranz oder Abqualifizierung solcher Standpunkte, wie der statistischen Gesetzeskonzeption. Es konnte ja, nach der Meinung mancher einflussreicher Dogmatiker, gegenüber den Arbeiten der Klassiker nichts Neues mehr geben.

Ich versuchte mit den Arbeiten zu philosophischen Hypothesen (Philosophiekongreß 1964) zu zeigen, dass man Grundprinzipien der marxistischen Philosophie aus der Diskussion nehmen kann, indem man sie als nicht verhandelbare Aussagen eines philosophischen Systems, etwa im Sinne von Axiomen betrachtet, dann jedoch über die Präzisierungen philosophischer Aussagen und die philosophischen Hypothesen diskutieren kann, ohne die Frage nach Revisionismus oder bürgerlicher Ideologie zu stellen, sondern die nach dem Meinungsstreit im Marxismus. Selbstverständlich standen damit die Grundprinzipien auch zur Diskussion, da sie stets der Präzisierung bedurften. Nur in ihrer allgemeinen und damit nicht beweis- und widerlegbaren Form blieben sie Grundprinzipien.

Ich war stets der Meinung, dass die marxistische Philosophie sich zwar durch einige Grundaussagen von anderen Philosophien unterschied, jedoch aufgefordert sei, neue Einsichten aufzunehmen und selbst an ihrer Entwicklung zu arbeiten. Es war für mich undialektisch, die marxistische Philosophie aus der Entwicklung des Denkens auszuschließen und sie zu einem System fertiger Antworten zu machen, die nur noch zu untermauern sind.

Dem entgegen standen solche Auffassungen, wie die des Herausgebers der Reihe "Kritik der bürgerlichen Ideologie" Manfred Buhr, der in seinem in 100 Heften der Reihe abgedruckten Vorwort den ideologischen Klassenkampf als unabdingbaren Bestandteil der welthistorischen Mission der Arbeiterklasse betonte und dazu immer das Leninzitat heranzog, dass die Herabminderung der sozialistischen Ideologie eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie sei. Das musste so wirken, als ob es nur eine Wahrheit geben könne und Meinungsstreit nicht möglich sei. Diese Rahmenbedingung der philosophischen Auseinandersetzung ist mit zu beachten.

Meine präzise Fassung der Gesetze als allgemein-notwendig, d.h. reproduzierbar und wesentlich, d.h. den Charakter der Erscheinung bestimmend, ist eine Zusammenfassung der gängigen Formulierungen von den wesentlichen, inneren usw. Zusammenhängen, die oft sehr unspezifisch und nicht definiert gebraucht wurden. Diese Definition rechnete ich zu den Grundprinzipien, die selbstverständlich auch verhandelbar waren, vor allem wenn man von einem anderen philosophischen System ausging. Davon unterschied ich die Einsicht in der statistischen Gesetzeskonzeption, nach der mit bestimmter Wahrscheinlichkeit zufällige Verwirklichungen von Möglichkeiten aus dem Möglichkeitsfeld erfolgen, was zu einer Differenzierung der Zufälle führt. Das faßte ich als präzisierte philosophische Aussage gegenüber Hegel und Engels, die den Zufall als Erscheinungsform der Gesetze sahen, ohne den Zufall weiter zu untersuchen. Die grundlegende Rolle statistischer Gesetze gegenüber den dynamischen, etwa in der Physik, bezeichnete ich als eine philosophische Hypothese, die auf konkreten Gebieten erst noch zu bestätigen ist. Mit der Ausarbeitung der Konzeption wurde jedoch immer deutlicher, dass nicht zwei Gesetzestypen existieren, sondern die innere struktur der Gesetze und der Gesetzmäßigkeiten als einem System von Gesetzen den dynamischen, den statistischen und den probablistischen Aspekt in sich enthält.

Diese statistische Gesetzeskonzeption erschien manchen zu kompliziert. Politik fordert oft einfache Schemata, die propagandistisch gut zu vermarkten sind. Das ging mit dieser Konzeption nicht. Deshalb fanden manche aus der Zunft der Philosophen und der Politiker Haken, an denen sie ihre Kritik aufhängten. Gängig war die Bemerkung zur Konzeption, sie gelte zwar für die Natruwissenschaften, jedoch nicht für Gesellschaftswissenschaften und die Politik. Theoretisch wurde auch die damit verbundene Subjekt-Objekt-Dialektik als nicht vereinbar mit der Grundfrage der Philosophie angegriffen. Außerdem forderten einige, den dialektischen Widerspruch explizit einzuführen usw. Manche waren der Auffassung, das System des Marxismus würde mit dieser Konzeption problematisiert, was der Macht schade. Das setzte sich jedoch nicht durch, da meine Arbeiten mehr den philosophischen Problemen der Naturwissenschaften zugeschrieben wurden.

Es gibt Ende der sechziger Jahre eine Arbeit von D. Kaletta aus dem Erlanger Institut, er hatte mehrere Aussprachen mit mir, in der gezeigt wird, dass die statistische Gesetzeskonzeption eigentlich machterhaltender wegen ihrer Flexibilität wirken könnte als die in anderen theoretischen Ansätzen begründeten Automatismen.

Die zwiespältige Aufnahme der statistischen Gesetzeskonzeption hatte sicher nicht nur politische Gründe. Im Beitrag "Wissenschaftstypen und Gesellschaftsformationen" gehe ich auf die Differenz zwischen Gesellschafts- und Wissenschaftsphilosophie in der DDR und die Gründe ein, die eine Debatte moderner Gesetzesauffassung verhinderte. (Sitzungsberichte der Leibniz-Soz. Bd. 37, Jg.2000, Heft2)

4. Zur Struktur der statistischen Gesetze

Kernpunkt der statistischen Gesetzeskonzeption war die Frage nach der inneren Struktur der objektiven Gesetze in allen Lebensbereichen. Sie wurde vorher nicht gestellt, schien mir jedoch der entscheidende Punkt der Auseinandersetzungen um die Rolle des Zufalls zu sein, wie sie zwar in der Physik durch die Quantentheorie herausgefordert wurde, jedoch darüber hinaus nach meiner Auffassung prinzipielle Bedeutung für die Philosophie hatte. Mir scheint deshalb, dass die Diskussion um die Rolle des Zufalls weiter untersucht werden muss. Ich erinnere mich an Gespräche mit dem Technikwissenschaftler Werner Lange, der Mitglied des Präsidiums der AdW war und vorher Erfahrungen im Staatsapparat in führenden Positionen sammelte. Er hatte meistens mein Zufallsbuch bei sich und verwies in vielen Diskussionen über Prognosen darauf. Mir gegenüber betonte er immer wieder, wie bedauerlich er es fände, dass diese Erkenntnisse bei der Planung einfach nicht berücksichtigt würden.

Leider wurden auch andere Ansätze oft nur intern zustimmend diskutiert. So betonte Herbert Steininger als Prorektor an der Humboldt-Universität die Bedeutung meiner Arbeit (DZfPH 1968, Heft 3) "Die Rolle statistischer Gesetze in den Gesellschaftswissenschaften und ihre Bedeutung für die Prognose", es war die Zeit des von Ulbricht initiierten Prognoserummels, für die Gesetzesdiskussion. Als ein Arbeitskreis zur Diskussion um die Gesetzesproblematik in der Gesellschaftswissenschaft von ihm u.a. an der Humboldt-Universität eingerichtet wurden, nahmen daran vom Akademieinstitut vor allem Peter Ruben und Camilla Warnke teil. Ich wurde nie eingeladen. Meine Gesetzesauffassung spielte dort kaum eine Rolle. Diskussionen darum hätten jedoch m. E. das philosophische Niveau der Debatten heben können. Die kritischen Auseinandersetzungen mit der statistischen Gesetzeskonzeption, wie sie dort manchmal geführt wurden, waren meist primitiv, ohne Argumente und es lohnte sich nicht, sich mit ihnen zu befassen. Der Kreis an der Humboldt-Universität war also an einer sachlichen Diskussion, so mein Eindruck, nicht interessiert.

Überhaupt wurden Ergebnisse philosophischer Arbeit in der DDR kaum zur Kenntnis genommen. Eher befasste man sich mit Konzeptionen westlicher Denker, die manchmal hinter dem zurückblieben, was im Lande erarbeitet wurde. Man verkündete mehr Thesen und Probleme als Argumente und Lösungen. Dadurch musste für Außenstehende oft der Eindruck von Sterilität und Dogmatismus entstehen. Das können gegenwärtige Kritiker der DDR-Philosophie sicher zwar berechtigt artikulieren. Das enthebt sie jedoch keineswegs der Chronisten- und Historikerpflicht einer soliden und argumentativen Beschäftigung mit der Gesetzesproblematik, über die auch heute noch gestritten wird, wenn es etwa um den Status der Naturgesetze, um die Beziehungen von Gesetzen in Natur und Gesellschaft usw. geht.

Es ist sicher richtig in die Debatte die Rolle des subjektiven Faktors einzubeziehen. In mehreren Arbeit, so auch im Akademievortrag von 1968 habe ich die Frage gestellt, wie sich subjektives Handeln auf gesetzmäßige Prozesse auswirkt. Als Antwort fand ich verschiedene Aspekte der Differenzierung und Modifizierung von Gesetzen. Das wurde von mir später wieder aufgegriffen. So hätte die Arbeit "Objektive gesellschaftliche Gesetze und Subjekt-Objekt-Dialektik" (DZfPh Jg 1974, Heft 10) zur Diskussion über die Rolle des subjektiven Faktors führen können. Daran bestand jedoch kein gesteigertes Interesse, auch nicht in der Gruppe an der Humboldt-Universität, die weiter ihren oberflächlichen Kram abspulte.

Die erwähnte Problematik umfassenderer Gesetze, die Natur- und Gesellschaftsgesetze einbeziehen, ist für die weitere Diskussion wichtig und keineswegs als erledigt zu betrachten. Auch da sind theoretische Ansätze nicht weiter verfolgt worden. So enthielten Betrachtungen zu allgemeinen Entwicklungsgesetzen in der philosophischen Entwicklungstheorie wichtige Hinweise zum Herangehen an das Problem, noch nicht zur Lösung. Da wäre noch manche Hürde zu nehmen gewesen. Eine davonwar die vorherrschende Auffassung eines flachen Evolutionismus, den ich 1985 auf einer der von mir mit organisierten (Hauptträger war das Boltzmann-Institut für Wissenschaftsforschung Graz mit seinem Direktor Johann Götschl unter Beteiligung des Instituts für Wissenschaft und Gesellschaft in Erlangen mit seinem Direktor Clemens Burrichter) Kolloquien europäischer Wissenschaftsforscher aus Ost und West in Deutschlandsberg (Österreich) kritisierte. (später erschienen unter dem Titel "Natur und Geschichte. Zur Kritik des flachen Evolutionismus" in: Lothar Berthold (Hrsg.), Zur Archtektonik der Vernunft, Berlin 1990, S. 278ff.) Wer dem flachen Evolutionsmus anhängt, kann die Problematik allgemeiner Entwicklungsgesetze nicht erfassen, denn die Einheit von Stagnationen, Regressionen und Fortschritt in der Entwicklung wird nicht beachtet. So war eine theoretische Rahmenbedingung der Gesetzesdiskussion der Streit um die Zyklizität der Entwicklung. Hinzu kommt, dass die Menschheit sich auf dem Weg befindet, sich aus einer Katastrophengemeinschaft zu einer Verantwortungsgemeinschaft zur humanen Lösung globaler Probleme zu entwickeln (Herbert Hörz, Selbstorganisation sozialer Systeme, Münster 1994). Das ist jedoch eine praktische Voraussetzung für die theoretische Analyse allgemeiner Entwicklungsgesetze der Menschheit. In der DDR hätte die von Christian Zak genannte Problematik unter zwei Aspekten weiter diskutiert werden können, was jedoch nicht geschah: Einerseits war die Geschichte des Übergangs von der Spontaneität zur Bewußtheit zu thematisieren und andererseits die Frage nach den grundlegenden Gesetzen der Entwicklung zu stellen. Dann wäre man auf das Problem der Zyklizitäten und der Möglichkeitsfelder gestoßen. Dem Beitrag zur Wissenschaftsentwicklung gleich, hätten Gesellschaftsphilosophen die statistische Gesetzeskonzeption für die allgemeine Geschichte erarbeiten können. Man lebte jedoch in der DDR als Gesellschaftstheoretiker und Philosoph meist ruhiger, wenn man nur Probleme formulierte, denn das machte Eindruck, statt Ergebnisse zur Diskussion zu stellen, die zu heftigen Auseinandersetzungen führen konnten.

Meine Anwendungen der statistischen Gesetzeskonzeption auf strafrechtliche Probleme in den sechziger Jahren könnten ebenfalls betrachtet werden, da es dort zu umfangreichen Diskussionen kam, an denen auch Richter beteiligt waren. Es war ein Unterschied, ob nach der Kausalitätsauffassung von Hörz oder nach einer mechanistischen Auffassung geurteilt wurde.

Nach dem 8. Parteitag 1971 kam noch ein weiterer Aspekt hinzu. Es ging um die Rolle von Entscheidungen (DZfPH 1972, Heft 3). Das war bisher kaum thematisiert worden. Auch darüber wurde nur intern unter manchen Kollegen diskutiert, indem man mich für die Problemsicht lobte, das Thema jedoch nicht weiter verfolgte. Dafür sprach ich dann in Deutschlandsberg über humane Entscheidungen und warf das Problem der Entscheidungen für Reanimationen 1987 in der medizinischen Zeitung humanitas auf.

Anfang der 80er Jahre wurde dann die statistische Gesetzeskonzeption von mir, wie schon betont, auf Gesetze der Wissenschaftsentwicklung angewandt, worüber immer wieder externalistisch oder internalistisch international diskutiert wurde. Darüber sprach ich auch in Deutschlandsberg. Zusammengefasst sind diese Studien dann in "Wissenschaft als Prozeß" (Berlin 1988). Das Buch begründet eine dialektische Theorie zyklischer Entwicklung der Wissenschaft im Sinne der Ausdehnung der statistischen Gesetzeskonzeption auf langfristige historische Prozesse, die eigentlich von Historikern nach meinem Zufallsbuch auch für die politische Geschichte hätte erfolgen können. Vielleicht gab es jedoch Denkbarrieren auf Grund der angeführten politischen Rahmenbedingungen.

Mitte der 80 er Jahre ging es dann wiederum um eine wichtige Seite der Konzeption, um die Rolle des Risikos, die mich schon länger beschäftigte. Das Risiko ist nur in der statistischen Gesetzeskonzeption so zu erfassen, das brauchbare Handlungsanleitung ensteht. Ich koppelte es zugleich an die Verantwortung. Das ist eine Fortsetzung der Diskussion um humane Entscheidungen mit Risiko, die auch in der Ökologie eine wesentliche Rolle spielen. Der Artikel "Risiko und Verantwortung" (DZfPh Jg. 1988, Heft 10) wurde interessiert zur Kenntnis genommen, wie mir viele Leser bestätigten, jedoch keine Grundlage für eine umfassende Diskussion. Dazu noch ein Detail: Ich hatte 1978 auf der gemeinsamen Konferenz des MHF und der AdW über naturwissenschaftliche Grundlagenforschung zu risikovollen Entscheidungen und der Absicherung des Risikos bei Fehlschlägen geprochen, da wohl kaum zu selbständigen Entscheidungen motiviert werden kann, wenn bei ungewissem Ausgang ein Schuldiger gesucht wird. Der Rektor der TH Ilmenau G. Linnemann verkehrte mein Anliegen ins Gegenteil, wenn er meinte: "Ich unterstütze das sehr, was Prof. Hörz gesagt hat, jedoch in dem Sinne: Wenn wir mutig kombinieren und nicht zu falsch denken, müssen wir doch absichern, daß das Risiko nicht so weit geht, daß aus der Sache überhaupt nichts wird." (Zur Wirksamkeit der naturwissenschaftlich-technischen Grundlagenforschung für die Entwicklung der Wissenschaftsdisziplinen und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, Diskussionsbeiträge, Teil II, AdW der DDR, Wissenschaftl. Inform.zentrum, Berlin 1978, S. 161)

5. Spontaneität und Bewußtheit

Das angeführte Verhältnis von Spontaneität und Bewußtheit könnte noch ausführlicher in seiner Subjekt-Objekt-Dialektik untersucht werden, denn es ist für die Gesetzesproblematik sehr wichtig. Es ist jedoch, was früher kaum geschah, differenziert für Individuen, soziale Gruppen und sozial relevante Bewegungen zu betrachten. Angeregt durch Hermann Scheler gab es Ende der 60er Jahre interessante Diskussionen dazu, da die bewußte Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung offiziell betont wurde. Der Erkenntnisweg sollte nach Meinung der Politik jedoch so bestimmt werden: Analyse, Prognose, Erkenntnis der objektiven Erfordernisse, Beschluß, Durchführung. Nicht berücksichtigt wurde die reale Spontaneität sozial relevanter Bewegungen, die nicht geplant werden kann. Das gilt auch für andere wesentliche zufällige Ereignisse, wie Naturkatastrophen, Witterungsverhältnisse, strenge oder milde Winter, die kaum zu prognostizieren waren und sind. Statt sich des Problems der Risiken und der notwendigen Reserven, der möglichen GAUs usw., bewußt zu werden, verdrängte man in Theorie und Politik die Problematik. Das müsste noch einmal genauer untersucht werden, spielt jedoch für die Gesetzesproblematik vor allem als Randbedingung eine Rolle.

6. Gesetz und Widerspruch

Das Verhältnis von Gesetz und dialektischem Widerspruch wurde von machen Kritikern als Killerphrase gegen die statistische Gesetzeskonzeption genutzt. So wurde in internen Diskussionen mir und den Mitarbeitern meines Bereich vorgeworfen, keine konsequenten Leninisten zu sein. Man wollte uns als Positivisten abqualifizieren, da wir die Philosophie als Konkretion nicht betrieben und mehr der Abstraktion verfallen seien. Philosophie habe jedoch die Theorie der dialektischen Widersprüche zu konkretisieren. Dagegen hatten wir nichts, wollten jedoch die kritische Analyse neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ebenfalls als Bestandteil der Philosophie durchgeführt wissen. Zum dialektischen Widerspruch habe ich immer wieder darauf verwiesen, dass die in der Konstituierung der Möglichkeitsfelder wirkenden gegensätzlichen Faktoren Ausdruck der Existenz dialektischer Widersprüche sind, die genauer untersucht werden müssen und nicht nur postuliert werden dürfen. Das gilt auch für die subjektiven Bedingungen bei der Realisierung von Möglichkeiten, die sich als Resultante eines dialektisch widersprüchlichen Kräfteparallelogramms erweisen.

Im Zufallsbuch S. 122 wird auf die dialektisch-widersprüchliche Einheit der Möglichkeiten im Möglichkeitsfeld verwiesen und damit das Verhältnis von Gesetz und Widerspruch dargelegt. Das gilt auch für andere Arbeiten. Man wollte das nicht zur Kenntnis nehmen, da dann der Wert der Killerphrase sank. Das Niveau der philosophischen Arbeit in der DDR war eben, wie sich auch daran zeigt, sehr differenziert.

7. Die Zukunft ist offen

Meine Arbeiten zur Entwicklungstheorie und zur Selbstorganisation führten mich zu der mit Argumenten untermauerten Einsicht in die Offenheit der Zukunft. Ich stellte einerseits fest, dass die Zukunft auf der Grundlage unvollständigen Wissens durch Einsicht in die relativen Ziele des Geschehens gestaltbar ist, jedoch andererseits kein Entwicklungsautomatismus existiert. Das fasste ich 1988 in meinem Vortrag vor der AdW d. DDR unter den Prinzipien der Zielorientierung, der Zukunftsgestaltung und der Humanität zusammen. (Herbert Hörz: Menschliches Verhalten als Selbstorganisation. in: Das Wesen des Menschen. Probleme der Forschung. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. 3 G 1989, Berlin 1989. S. 37 - 62.) Dabei kritisierte ich scharf die der Selbstorganisation der Menschen im Sinne der Demokratie entgegenstehenden Demotivationsfaktoren.

Die statistische Gesetzeskonzeption ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zugleich die theoretische Begründung für die Existenz der Entscheidungsfreiheit für Individuen berücksichtigt, die für mich wichtig war und ist. In meinem Buch "Selbstorganisation sozialer Systeme", Münster 1994, S. 302f. schrieb ich zur Bedeutung philosophischer Thesen für das praktische Verhalten am Beispiel der statistischen Gesetzeskonzeption und der Auffassung von der zyklischen Entwicklung: " Die Wirklichkeit muß erst die Relevanz der Gedanken bestätigen, damit man sie darlegt, obwohl sie gegen die eigenen Hoffnungen gerichtet sind. So zeigt sich jetzt die Zyklizität des sozialen Geschehens in der immer noch vor sich gehenden Transformation der Staatsdiktatur des Frühsozialismus in die Kapitaldiktatur mit ihren demokratischen Kontroll- und Regelmechanismen. Diese Konsequenz einer dialektischen Zyklentheorie war lange Zeit von vielen Theoretikern verdrängt worden, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Trotz aller Indizien für die Existenz der Großzyklen von etwa 35 Jahren im sozialen Geschehen, in denen soziale Systeme sich aufbauen, stabilisieren und dann wieder instabil werden, orientierte ich mich auf die Kleinzyklen der 7 - 8 Jahre, die für Reformen im System von Bedeutung sind. Damit wurde, nicht nur von mir, theoretisch der Zeitraum verpaßt, in dem die vorhandene Reformunfähigkeit in den Kleinzyklen, die notwendige und herangereifte Änderungen der Strukturen im sozialen System nicht zuließ, zur Instabilität des Systems im Großzyklus überhaupt umschlug. In ihr zeigte sich die Relevanz der von mir begründeten philosophischen Entwicklungstheorie, in der ich die Existenz von Möglichkeitsfeldern nicht nur darstellte, sondern betonte, daß Möglichkeiten, die eigentlich wegen einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung auf Grund der bisher analysierten Bedingungen theoretisch unwahrscheinlich sind, durch besondere Umstände erzwungen, bedingt zufällig sich realisieren. Die Wirklichkeit hat nun die Theorie wieder eingeholt."

Schließen möchte ich meine Bemerkungen mit einem Zitat aus dem gleichen Buch, das den Zusammenhang zwischen theoretischen Diskusionen und eigenem Verhalten in der DDR herstellt. "Um als Philosoph die Chance charakterisieren zu können, human zu leben und Freiheitsgewinn zu erreichen, sind persönliche Haltungen wichtig. Sie ergeben sich aus meiner Beschäftigung mit philosophischen Fragen der Wissenschaftsentwicklung, aber auch mit Grundfragen der Philosophie und dem Verhältnis von wissenschaftlich-technischem Fortschritt und Humanismus. Meine umfangreichen Erfahrungen mit öffentlichen und internen wissenschaftspolitischen und philosophischen Diskussionen sind wichtige Grundlagen für theoretische Reflexionen. Ich war in Strukturen eingebunden, erfuhr ideologische Disziplinierung und hielt die Widersprüche aus. Da ich Freiheit propagierte und Humanität forderte, muß ich reflexiv mein Verhalten in Auseinandersetzung mit anderen Kollegen, mit Freunden und Gegnern meiner Auffassungen in Betracht ziehen. Wo ich versuchte, Schaden zu begrenzen, erheben manche Kritiker Vorwürfe opportunistischen Verhaltens. Die klare Darlegung meiner Meinung in der DDR könnte zur Unterdrückung anderer Positionen erklärt werden. Manchmal gewinne ich den Eindruck, die Delegierung von Verantwortung an andere in der kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit ist auch ein Alibi für die, die wenig oder nichts getan haben, um Fehler aufzudecken und antihumane Maßnahmen zu verhindern.

Freiheitsgewinn ist eben nicht nur ein Feld des theoretischen Diskurses, sondern auch der praktischen Gestaltung des Lebens. In der philosophischen Auseinandersetzung vermengt sich das. Ich habe immer die eigenen Erfahrungen, darunter auch den praktischen Test theoretischer Konzeptionen, als Grundlage meines Philosophierens angesehen. Meine Meinung war und ist, Philosophie kann das, was bestimmte Philosophen können. Sie wirken als Provokateure und Initiatoren des Denkens, aber nur, wenn sie selbst theoretisch-reflexiv mit ihren empirischen Erfahrungen umgehen." (Ebenda, S. 308)

Ich hoffe, dass die in der DDR geführte Diskussion um Gesetze weitere Anregungen für gegenwärtige Auseinandersetzungen bietet, die nicht selten in ihrem philosophischen Gehalt hinter dem zurückbleiben, was in der DDR geleistet wurde.



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Diese Bemerkungen beziehen sich auf den Text:
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Weitere Bemerkungen von Frank Richter
 
siehe auch: Meine Erfahrungen mit der DDR-Philosophie
und Gesellschaftswissenschaft in der DDR



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