PLÜNDERUNGSÖKONOMIE UND WELTPOLIZEI

Robert Kurz

 

Wie es scheint, wird die Welt immer mehr von "Schurkenstaaten" bevölkert, die von der demokratischen Staatengemeinschaft aus humanitären Gründen zerbombt werden müssen. Aber woher kommen sie eigentlich, all die durchdrehenden Diktatoren, die dem demokratischen Weltkonsens so übel ins Handwerk pfuschen? Die Dämonisierung des Milosevic Regimes folgt einer Logik, die den sozialökonomischen Hintergrund der jugoslawischen Krise völlig ausblendet, um den entscheidenden Anteil der westlichen Weltordnung an der humanitären Katastrophe zu verdrängen. Dabei hatte Jugoslawien vom Westen noch viel Beifall erhalten, als es in den 70er und 80er Jahren unter dem Eindruck zunehmender Schwäche des staatlich gesteuerten "Betriebssozialismus" auf einen strammen Kurs marktwirtschaftlicher Reformen ging; das Land wurde sogar in den vornehmen Club der OECD aufgenommen.

Aber diese Politik endete mit einem völligen Desaster, weil ihr vom Weltmarkt die Luft abgedreht wurde: Der Kapitalstock konnte mangels Geldkapital nicht auf die Erfordernisse der 3. industriellen Revolution hochgerüstet werden, bei steigenden Importen von Kapitalgütern verfielen die eigenen Exportpreise, die Außenverschuldung explodierte. So wurde Jugoslawien ironischerweise ein früher Modellfall für das Scheitern der marktwirtschaftlichen Transformation ehemals staatskapitalistischer Länder. Inzwischen steht fest, daß die sogenannten Reformen nach westlicher Anleitung in ganz Osteuropa (Rußland eingeschlossen) an die Wand gefahren sind.

Spätestens der Kollaps der asiatischen Tigerländer und anderer kapitalistischer Musterschüler in den "emerging markets" hätte deutlich machen müssen, daß wir es hier nicht bloß mit einem Obsoletwerden staatssozialistischer Strukturen, sondern mit einer viel allgemeineren Krise des globalen Produktions , Kredit und Währungssystems zu tun haben. Nach demselben Muster wie in Jugoslawien kollabieren reihenweise ganze Nationalökonomien und Weltregionen. Westlicher Kapitalismus und Weltmarkt sind nicht die Lösung, sondern das Problem. Das System der modernen Warenproduktion und die darauf aufbauende Lebensweise stehen zur Disposition. Diese Weltkrise, die längst auch an seiner eigenen Substanz nagt, wird vom Westen aber nach wie vor ideologisch verzerrt wahrgenommen. Mit ungeheurer Ignoranz drängt er einer immer neuen Armutsschüben ausgesetzten Weltmehrheit die "freie" Konkurrenzwirtschaft als alleinseligmachende Religion auf.

Weil die kapitalistische Weltherrschaft jede sozialökonomische Alternative verweigert, kommt es in den Zusammenbruchsregionen zu einer irrationalen "Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln". Im Kampf um die Ausschlachtung der Modernisierungsruinen werden ethnische und religiöse Kampf Identitäten konstruiert, um die "anderen" von den verbliebenen marktwirtschaftlichen Futtertrögen wegzubeißen. Eine Form dieser ethnischen Krisenkonkurrenz ist der Separatismus. Auch in dieser Hinsicht wurde Jugoslawien zum Modellfall. Mit westlicher (vor allem deutscher) Hilfe spalteten sich Slowenien und Kroatien ab, um die auf ihrem Gebiet konzentrierten industriellen Ressourcen als Pfand für den Eintritt in die EU zu kassieren und die südlichen Teilrepubliken mit dem größten Bevölkerungsanteil, vor allem Serbien, ihrem Schicksal zu überlassen. Das erzeugte eine ungeheure Verbitterung, die von Milosevic mühelos serbo nationalistisch aufgeladen werden konnte.

Wo der marktwirtschaftliche Ruin nur noch verbrannte Erde zurückläßt, verwildert das Massenbewußtsein. Die ethnische Schein Identität ist oft nur noch der Vorwand für die Bildung von irregulären bewaffneten Banden, die als eine Art "Geschäftsunternehmen" der um sich greifenden Plünderungsökonomie fungieren. Nicht nur im Kosovo ist es ein wesentliches Motiv sowohl der serbischen Milizen als auch der albanischen UCK, ihre ehemaligen Nachbarn zu berauben bis auf die Unterhose. Überall in der Welt fallen die Menschen, die sich im Kampf ums nackte Überleben gegenseitig aus der Welt hinausdefinieren, mit blutigen Gemetzeln übereinander her. Auch in Indonesien, soeben noch gehätscheltes Wunderkind der kapitalistischen Globalisierung, laufen inzwischen in die Armut zurückgetriebene Menschen mit den aufgespießten Köpfen ihrer Nachbarn herum; ganz zu schweigen von Ruanda und den vielen anderen Bürgerkriegsregionen, die sich ausbreiten wie eine Seuche.

Die kapitalistischen Zentren reagieren auf diese katastrophalen Wirkungen ihrer wunderbaren Weltmarktwirtschaft selber mit irrationaler Gewalt. Aber es ist nicht mehr der alte nationale Imperialismus, dessen eigenwillige Definition von Humanität das menschliche Denkvermögen auf die Probe stellt. Geostrategische Hinterländer werden sinnlos und zum bloßen Kostenfaktor, wenn angesichts globaler Überkapazitäten und immer neuer Produktivitätssprünge weder die Menschen als Arbeitstiere noch der Großteil der materiellen Ressourcen mehr rentabel verwendbar sind. Nur noch punktuelle Präsenz in den global verstreuten Produktivitäts und Kaufkraft Inseln ist die Option. Die Verlierermassen werden nicht mehr gebraucht, sollen aber trotzdem in der marktwirtschaftlichen Form ausweglos festgenagelt bleiben.

Diese ungeheure, unlebbare Zumutung löst Panik und blinden Haß aus, wird also zum Sicherheitsrisiko. Die kapitalistische Welträson mutiert zur Weltpolizei mit dem Auftrag zum totalen Friedenseinsatz gegen die von ihr selbst gerufenen Gespenster. Aber die Zwangsabrüstung der verselbständigten Militärapparate in den Modernisierungsruinen und die Kontrolle der verwilderten Banden droht zu einem Kostenfaktor anzuschwellen, der die strapazierten Staatskassen der NATO Weltherrschaft überfordert. Es zeugt von aufkommender Panik des Westens selbst, daß seine olivgrünen Pazifisten im Kampfanzug immer bedenkenloser Völkerrecht und Genfer Konvention brechen.

Aus: Neues Deutschland (Anfang April 1999)

 

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