Gelesen:
Ronald D. Laing: Phänomenologie der Erfahrung.

Frankfurt am Main: edition suhrkamp 1969:
Über uns ganz allgemein:

"Wir sind potentiell Menschen, aber leben in der Entfremdung, und das ist kein natürlicher Status." (S. 10)

"Was wir >normal< nennen, ist ein Produkt von Verdrängung, Verleugnung, Isolierung, Projektion, Introjektion und anderen destruktiver Aktion gegen die Erfahrung." (S. 21)

"Die >normal< entfremdete Person hält man für gesund, weil sie mehr oder weniger wie jedermann handelt. Formen der Entfremdung außerhalb der geltenden Entfremdungsnorm werden von der >normalen< Mehrheit mit dem Etikett >wider-< oder >wahnsinnig< versehen." (S. 22)

"Entweder unser zwischenmenschliches Verhalten ist nicht begreifbar; dann sind wir einfach die passiven Vehikel unmenschlicher Prozesse, deren Ende dunkel ist und die gegenwärtig außerhalb unserer Kontrolle stehen. Oder unser eigenes Verhalten gegenüber anderen ist Funktion unserer eigenen Erfahrung und unserer eigenen Intentionen, wie weit wir ihnen auch entfremdet sind. Im zweiten Fall müssen wir letzte Verantwortung übernehmen für das, was wir aus dem machen, woraus wir gemacht sind." (S. 22f.)

"H.S. Sullivan pflegte jungen Psychiatern zu sagen, wenn sie bei ihm antraten: >>Bitte denken Sie daran, daß beim gegenwärtigen Zustand unserer Gesellschaft der Patient recht hat und Sie falsch liegen." (S. 99)

"Von einem idealen Aussichtspunkt auf der Erde aus beobachten wir eine Formation Flugzeuge in der Luft. Eine Maschine schert aus der Formation aus. Die ganze Formation aber kann auf falschem Kurs liegen. Die >>aus der Formation<< ausgescherte Maschine kann aus der Sicht der Formation abnormal, falsch oder >>verrückt<< fliegen. Doch die Formation selbst kann vom Standpunkt des idealen Beobachters aus falsch oder verrückt fliegen. Die aus der Formation ausgescherte Maschine kann auch mehr oder weniger aus der Formation vom Kurs abgekommen sein....
Wenn die Formation selbst vom Kurs abgekommen ist, muß, wer wirklich >>Kurs halten<< will, die Formation verlassen." (S. 107/108)

"Soziale Anpassung an eine funktionsgestörte Gesellschaft kann aber sehr gefährlichsein. Der perfekt angepaßte Bomberpilot stellt eine größere Bedrohung der Menschheit dar als der Schizophrene in der Anstalt mit dem Wahn, die Bombe sei ihn ihm." (S. 109)


Was wir über andere wissen können:

"Wir können das Verhalten anderer Menschen, aber nicht ihre Erfahrung sehen." (S. 11)

"Aufgabe der Sozialphänomenologie ist es, meine Erfahrung vom Verhalten des anderen in Beziehung zu setzen zur Erfahrung des anderen von meinem Verhalten." (S. 11)

"Aber schon Kierkegaard stellte fest, daß man nie Bewußtsein finden wird, wenn man im Mikroskop Gehirnzellen oder irgend etwas sonst betrachtet. Ebensowenig wird man je Personen finden, wenn man Personen untersucht, als ob sie lediglich Objekte wären." (S. 17f.)

"Man kann zahreiche Verhaltenseinheiten zusammenfassen und sie statistisch als Bevölkerung ausgeben, in nichts unterschieden von der Vielheit eines Systems nicht-menschlicher Objekte. Aber dann untersucht man nicht Personen." (S. 19)

"Personen unterscheiden sich dadurch von Dingen, daß sie die Welt erfahren, während Dinge sich in der Welt verhalten." (S. 55)


Psychotherapie:

"Psychotherapie besteht im Abtragen all dessen, was zwischen uns steht - der Stützen, Masken, Rollen, Lügen, Widerstände, Ängste, Projektionen und Introjektionen..." (S. 39)

Theorien kann man danach beurteilen, wieviel Wert sie auf Erfahrung und auf Verhalten legen und inwieweit sie die Beziehung zwischen Erfahrung und Verhalten artikulieren können." (S. 43)

"Warum tendieren fast alle Theorien über Entpersonalisierung, Reifikation, Isolierung und Verleugnung dazu, selbst die Symptome aufzuweisen, die sie zu beschreiben versuchen?" (S. 45)

Verhaltenstherapie: "Gedacht und gehandelt wird nur im Hinblick auf den anderen ohne Bezug auf das Selbst des Therapeuten oder des Patienten; nur das Verhalten spielt eine Rolle, nicht die Erfahrung, und Objekte sind wichtiger als Personen. Verhaltenstherapie ist also unvermeidlich eine Technik der Nicht-Begegnung, der Manipulation und Kontrolle." (S. 46)

"Jede Technik, die sich mit dem anderen ohne sein Selbst befaßt, mit Verhalten unter Ausschluß der Erfahrung, mit Beziehung unter Vernachlässigung der in Beziehung stehenden Personen, mit Individuen unter Ausschluß ihrer Bezieungen und vor allem mit zu ändernden Objekten statt mit zu akzeptierenden Personen - jede Technik dieser Art verewigt einfach die Krankheit, die sie zu kurieren vorgibt." (S. 46)

"Wie kommt es, daß jemand, der in die Reolle des Patienten gesteckt wird, zumeinst als Nicht-Agierender, als nichtverantwortliches Objekt gilt, entsprechend behandelt wird und selbst sogar dahin kommt, sich in diesem Licht zu sehen?...
Sieht man eine Person nicht außerhalb, sondern innerhalb ihres Kontextes, kann... ganz unverständlich scheinendes Verhalten ganz normalen menschlichen Sinn haben..." (S. 1000)

"Der >Eingelieferte<, etikettiert als Patient und >Schizophrener<, wird vons einem existentiellen und legalen Vollstatus als verantwortlich handelnder Mensch degradiert. Er kann sich nicht länger selbst definieren..." (S. 110)

"Wir achten den Reisenden, den Forscher, den Bergsteiger, den Raumfahrer. Für meine Begriffe ist es weitaus sinnvoller und außerdem dringender erforderlich, den inneren Raum und die innere Zeit des Bewußtseins zu erforschen. Vielleicht ist das eines der wenigen Dinge, die in unserem historischen Kontext noch Sinn haben." (S. 116)

"Anstelle von >Heilanstalten<, einer Art von Reparaturwerkstätten für menschliche Zusammenbrüche, brauchen wir Orte, an denen weitergereiste und also vielelicht verlorenere Leute als Psychiater und andere Gesunde ihren Weg finden können, weiter hinein in den inneren Raum und wieder zurück.
Anstelle des Degradierungszeremeoniells aus psychiatrischer Untersuchung, Diagnose und Prognose brauchen wir für die dazu Bereiten (in psychiatrischer Terminologie oft jene,die auf dem Weg in einen schizophrenen Zusammenbruch sind) ein Initiationszeremoniell,;durch dieses sollen sie bei voller sozialer Zustimmung und Unterstützung in den inneren Raum und die innere Zeitr geleitet werden von Leuten, die bereits dort gewesen und zurückgekehrt sind. In der Psychiatrie würde das heißen: Ex-Patienten helfen zukünftigen Patienten, verrückt zu werden." (S. 116/117)


Über Schizophrenie:

Schizophrenie: "erfolgreicher Versuch, sich nicht der sozialen Pseudo-Realität anzupassen" (S. 59)

"Wenn ich den Terminus >Schizophrenie< benutze, meine ich damit nicht irgendeinen Zustand mehr geistiger als physischer Art oder eien Krankheit wie Pneumonie, sondern ein Etikett, mit dem etliche Leute andere Leute unter bestimmten sozialen Umständen versehen." (S. 93)

"Unserer Meinung nach stellen... ohne Ausnahme Erfahrung und Verhalten, wenn sie als schizophren gelten, eine spezielle Strategie dar, die jemand erfindet, um eine unerträgliche Situation ertragen zu können." (S. 104)

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