Gelesen:

Joachim Bauer:
Prinzip Menschlichkeit.
Warum wir von Natur aus kooperieren.

München: Heyne Verlag, 2008.

Methodisches Vorwort

Ich habe mir angewöhnt, zu Fragen des menschlichen Zusammenlebens nicht die Biologie zu konsultieren, denn dies wäre ein methodischer Fehler. Menschliches Leben wird wesentlich durch gesellschaftliche Verhältnisse bestimmt, die durch die Biologie grundsätzlich nicht zu erfassen sind, weil sie nicht ihr Gegenstand sind. (Und wenn sie zu ihrem Thema gemacht werden, so hat sie nicht die angemessenen Begriffe und Methoden dafür, sondern überträgt biologische Erkenntnisse unberechtigt auf eine andere Ebene). [1]

Trotzdem sind Erkenntnisse aus der Biologie auch wichtig für ein tieferes Eindringen in die Zusammenhänge unserer biologischen Grundlagen und unserer Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse.

Leider werden aus der Biologie heraus oft Aussagen über Menschen gemacht, die vor allem darauf hinzielen, dass Menschen als biologische Lebewesen genauso aggressiv um ihr Überleben kämpfen müssten wie alle lebenden Organismen. Dieser These vom Kampf und der Aggression wird dann im günstigsten Falle eine entgegen gesetzte Interpretation der Biologie entgegen gesetzt [2], die aber wiederum methodisch falsch ist, weil aus der Biologie allein nichts für die Menschen abzuleiten ist, weil ihr Wesen durch die Gesellschaftlichkeit bestimmt wird.

Einen neuen Zugang zur Einbeziehung der Biologie in gesellschaftspolitische Fragen hat Joachim Bauer entwickelt. Auch er entgeht dem Biologismus nicht völlig, weil mangels eines klaren gesellschaftstheoretischen Konzepts die Übergänge zu den gesellschaftlichen Verhältnissen ungenügend ausgearbeitet sind. Trotzdem ist die Zusammenstellung neuerer Erkenntnisse aus der Biologie, vor allem der Forschung zu Genen und der Neurophysiologie, wichtig, denn bei aller Besonderheit des gesellschaftlichen Seins der Menschen sind sie doch auch biologische Wesen und ihre Gesellschaftlichkeit hat – seit Menschen sich als biologische Art von den anderen Arten separiert haben – sich auch in ihre Gene und in ihre Biologie „eingeschrieben“. [3]

Unter Berücksichtigung dieser methodischen Ausgangslage können wir uns nun dem Inhalt des Buches zuwenden.

Gegen Darwinismus und Soziobiologie

Der „rote Faden“ des Textes ist die Auseinandersetzung mit zwei Konzepten, die mit anscheinend wissenschaftlichen Argumenten Aussagen über das Wesen des Menschseins machen. Das ist zuerst der Darwinismus, sofern er über die Abstammungslehre hinaus behauptet, dass das Leben durch einen fortwährenden Überlebenskampf gekennzeichnet sei. Diese Denkweise „beruht auf der unzulässigen Übertragung eines ökonomischen, auf Konkurrenzkampf und Profitstreben basierenden Denkens auf die belebte Natur“ (Bauer PM, S. 125). Aus diesem Konzept wurde, vor allem in der Zeit zwischen 1870 und 1930, die Haltung: „Der Einzelne ist nichts – die Art ist alles“ abgeleitet, was vor allem in Deutschland [4] aufgegriffen und im Kontext mit politischen und ökonomischen Entwicklungen zu einer verhängnisvollen und verbrecherischen Politik führte. [5] Heute ist dieser Bezug auf die Art eher unpassend – dem neoliberalen Individualismus kommt eine neuere biologistische Theorie zupass: die Soziobiologie. In ihr behaupten vor allem Autoren, die nie über Gene geforscht haben [6], dass Gene die Hauptakteure des biologischen Geschehens und der Evolution seien, die sich Organismen lediglich als „Überlebensmaschinen“ gebaut hätten. Auch dies entspricht eher unserer gesellschaftlichen Praxis als den Grundlagen der Biologie. Wie Bauer schreibt, „interpretiert auch die Soziobiologie die belebte Natur quasi als ein marktradikales System von Wirtschaftsunternehmen.“ (PM, S. 144)

Joachim Bauer kritisiert diese Konzepte nun nicht lediglich ideologiekritisch, sondern entzieht ihnen die Legitimation, als wissenschaftlich korrekt gehalten werden zu wollen.

Was die Biologie wirklich sagt

1. Gene und ihre Regulationen

Alle Erkenntnisse über die Gene führen im Unterschied zu den Behauptungen der Soziobiologen zur Aussage: „Gene sind nicht egoistisch, sondern funktionieren als biologische Kooperatoren und Kommunikatoren.“ (Bauer PM, S. 8). Die soziobiologische Vorstellung vom „egoistischen Gen“ ist aus fachlicher Sicht völlig falsch, denn alle Entwicklungsschritte und Basisprozesse des Lebens beruhen vor allem auf zusammenwirkenden, „kooperativen“ Wechselbeziehungen. So die DNA –Verdopplung (PM, S. 131; 141) und die Funktionsweise der Zelle (ebd.).

Bauer verwendet dabei eine Metapher: So wie niemals das Klavier alleine sein Spiel bestimmt, so brauchen die Gene zum Funktionieren ihre „Pianisten“, sprich verschiedene Biomoleküle, und die Funktion des Dirigenten nimmt der Gesamtorganismus ein, „der – in Abstimmung mit der ihn umgebenden Welt – eine große Zahl von Signalstoffen herstellt, die von außen auf das Gen und seine Mitspieler einwirken.“ (ebd.: 136)

Wie das biologische „An- und Abschalten“ der Gene funktioniert (Epigenetik), war vor allem Gegenstand des Buches „Das Gedächtnis des Körpers“ (GK).

Eine Zusammenfassung einiger Wirkungsrichtungen, die Bauer im Einzelnen beschreibt, gibt die folgende Darstellung:

Am wichtigsten sind dabei wohl die Genregulationen [7]. Jedem Gen sind „Genschalter/Promoter-Enhancer“ [8] vorgeschaltet, an die sich von außen kommende Signalstoffe (Transkriptionsfaktoren) anlagern können (GK, S. 21, vgl. auch PM, S. 160ff.). Das „Anschalten“ entspricht einem verstärkten Ablesen des Gens und einer verstärkten Produktion des entsprechenden Proteins. Als „Genregulation“ wird nun die Aktivierung bzw. Deaktivierung der Genaktivität durch von außen kommende Signale bezeichnet (GK, S. 23). Sie begründet die Fähigkeit des Körpers, die Aktivität seiner Gene an die momentane Situation bzw. an die jeweiligen Umweltbedingungen anzupassen (ebd.; vgl. auch PM, S. 166 f.).

Über solche Genregulationen gelangen Einflüsse z.B. der Lebensweise und des sozialen Milieus in die biologische Konstitution des Individuums. Deshalb gilt:

„Gene führen – anders, als dies weithin erzählt und geglaubt wird – kein autistisches Eigenleben, sondern kommunizieren mit der Außenwelt, auf deren Signale hin sie sich fortlaufend mit Veränderungen ihrer Aktivität einstellen.“ (PM, S. 68)
Ein Beispiel ist der Stress [9]. Stress aktiviert durch die Aktivität eines Transkriptionsfaktors und einige weitere Zwischenschritte das Hormon CRH, wodurch das Hormon Cortisol verstärkt ausgeschüttet wird, das das Immunsystem blockieren kann und dadurch für eine Infektanfälligkeit sorgt. (GK, S. 31).

Da zwischenmenschliche Beziehungen ein wichtiger Faktor zur Verminderung von Stress darstellen, gilt: „Wir selbst wirken durch die Gestaltung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen entscheidend daran mit, was sich biologisch in uns abspielt.“ (GK, S. 11)

2. Neuronale Motivationsstrukturen

Auch Forschungen im Bereich der Neurobiologie bestätigen, dass ein Mensch ein Wesen ist, „dessen zentrale Motivation auf Zuwendung und gelingende mitmenschliche Beziehungen gerichtet ist“ (Bauer, S. 9). Es gibt biologische Motivationssysteme, die vor allem als „Belohnungssysteme“ funktionieren. Das sind vor allem die Botenstoffe (nach Bauer PM, S. 30 ff., 42, 49)

  • Dopamin: erzeugt ein Gefühl des Wohlbefindens und führt zu einem Zustand der Konzentration und Handlungsbereitschaft als Basis; es wird auch erzeugt durch Nikotin-, Alkohol oder Kokaingebrauch;
  • endogene Opioide, z.B. Endorphine: haben positive Effekte auf das Ich-Gefühl, die emotionale Gestimmtheit und die Lebensfreude; entsprechen der Wirkung von Opium oder Heroin; da sie durch menschliche Zuwendung ausgeschüttet werden, können diese quasi als Medikament dienen und erklären z.B. auch Placeboeffekte (S. 58 ff.)
  • Oxytozin: führt vor allem zu einem stärkeren Zusammenhalt zwischen Familienmitgliedern in Form von starker Bindung und Vertrauen (über die Basismotivation durch Dopamin hinaus).
Die Wirkungsweise dieser Botenstoffe macht deutlich, dass das „natürliche Ziel der Motivationssysteme“ darin liegt „soziale Gemeinschaft und gelingende Beziehungen mit anderen Individuen“ zu erreichen (Bauer PM, S. 36). Das heißt auch, dass sie abschalten, wenn soziale Zuwendung fehlt. [10] Soziale Umstände wirken so – vermittelt über die Psyche – auf die biologisch-neuronalen Systeme ein! [11]

Wie überall, nennt Bauer für die hier auch nur kurz zusammenfassbaren Erkenntnisse jeweils die wichtigsten Untersuchungen samt Quellenangaben. Er berührt Fragen der fehlenden Motivation (Depression), wie auch von Suchterkrankungen und kommt zum Schluss:

„Die stärkste und beste Droge für den Menschen ist der andere Mensch.“ (Bauer PM, S. 54)
Beziehungen und Kooperationen

  Gerald Hüther kommt aufgrund neurobiologischer Forschungen ebenfalls zu dem Schluss, dass gute menschliche Bindungen für das menschliche Leben notwendig sind. Er begründet das damit, dass das menschliche Gehirn wegen seiner ausgeprägten Plastizität einen besonderen Halt braucht, der über das Tierische hinausgeht. Es kann sonst zu viel schief gehen – das Gehirn erwartet quasi die Wechselwirkung in menschlicher Umsorgung. Nachweislich verändern beispielsweise psychotherapeutische Beziehungen auch ganz konkret die Gehirnstruktur.

Entgegen den Vorstellungen von Darwinismus und Soziobiologie sind nicht der Kampf und die Aggression die Grundlage der Existenz und Entwicklung des Lebendigen, sondern Zusammenwirken und kooperative Beziehungen. „Zum einen sind die Motivationssysteme des Gehirns in entscheidender Weise auf Kooperation und Zuwendung ausgerichtet und stellen unter andauernder sozialer Isolation ihren Dienst ein. Zweitens führen schwere Störungen oder Verluste maßgeblicher zwischenmenschlicher Beziehungen zu einer Mobilmachung biologischer Stresssysteme.“ (PM, S. 71)

Interessant sind folgende Voraussetzungen für eine Beziehung oder ein kooperatives Projekt (PM, S. 192 ff.):

  1. Sehen und Gesehenwerden: Es ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, als Individuum und Subjekt anerkannt zu sein. Für eine gelingende Beziehung ist es notwendig, dem Anderen diese Anerkennung zu geben, sich selbst aber auch mit seiner unverwechselbaren Identität offen zu zeigen.
  2. gemeinsame Aufmerksamkeit auf ein Drittes: „Sich dem zuzuwenden, wofür sich eine andere Person interessiert, ist die einfachste Form der Anteilnahme und hat ein erhebliches Potenzial, Verbindung herzustellen.“ (ebd., S. 193).
  3. emotionale Resonanz: Hier kommt es darauf an, sich in die Stimmungen des anderen einzuschwingen oder andere mit der eigenen Stimmung „anzustecken“. Das erfordert ein hohes Maß an Achtsamkeit.
  4. gemeinsames Handeln: Gemeinsame Aktionen haben ein besonders hohes Maß, Gemeinsamkeit zu stiften.
  5. wechselseitiges Verstehen von Motiven und Absichten.

Zum Verhältnis von Kooperation und Aggression gibt es mehrere grundlegende Untersuchungen. Eine ist die Spieltheorie. Als wichtiges Beispiel gilt das sog. „Gefangenendilemma“: Dabei haben zwei Menschen die Wahl zwischen Kooperation oder dem Übervorteilen des Anderen, wobei die Ergebnisse jeweils davon abhängen, wie der andere – ohne das beide von ihren Entscheidungen wissen oder darüber verhandeln können – entscheidet. Diese Situation lässt sich auch für viele Spielzüge im Computer nachspielen und verschiedenste Strategien können durchprobiert werden. Dies probierte Robert Axelrod [12] 1981, indem er verschiedene, ihm vorgeschlagene Strategien gegeneinander antreten ließ. Das Ergebnis ist: „Kooperation erweist sich als die optimale Strategie, aber nur, wenn sie mit der Fähigkeit und Bereitschaft verbunden war, im Falle einer Nichtkooperation des Partners Gleiches mit Gleichem zu vergelten.“ (PM, S. 181). Daraus ergibt sich die Erfolgsstrategie (PM, S. 184):

  1. Sei freundlich (sei primär und als Erster bereit zu kooperieren)
  2. Schlage bei Unfreundlichkeit zurück (reagiere auf den Versuch, dich zu übervorteilen)
  3. Sei nicht nachtragend (versuche es, nachdem du zurückgeschlagen hast, erneut mit Kooperation).

Auch in konkreten Experimenten zeigte sich, dass 76%, also mehr als drei Viertel aller Menschen, ein primär kooperatives Vorgehen bevorzugen (PM, S. 189)

Aggressionen im Dienst der Kooperation

Sicherlich wird niemand anzweifeln, dass es auch Aggressionen gibt. Im Unterschied zur bisher oft vertretenen Meinung, dass die Kooperation dem aggressiven Kampf ums Dasein lediglich untergeordnet sei, verficht Joachim Bauer die Ansicht, dass Aggressionen im Dienste der sozialen Beziehung stehen und deren Verteidigung dienen (PM, S. 75 ff.).

 
Untersuchungen zeigen, dass gerade jene Personen aggressiv reagieren, denen entweder eine Bindung fehlt oder die mit der Bedrohung der Beziehung konfrontiert wurden (ebd.). Dazu passt die Redeweise „If you can’t john them, beat them.“ [13]

Eine gefährdete Beziehung verursacht Schmerz und eine der möglichen Reaktionsweisen auf Schmerz ist die Aggression, die vor allem dann einsetzt, wenn keine anderen Möglichkeiten der Bewältigung gefunden werden.

An Tieren wurde nachgewiesen, dass die Bereitschaft, mit Gewalt zu reagieren, nicht angeboren ist, sondern besonders im frühen Lebensstadium durch Einflüsse des Umweltmilieus erzeugt wird. Man vertauschte dabei Junge von Affen so, dass Junge von gewalttätigen oder fürsorglichen Müttern jeweils zu Müttern der anderen Gruppe gebracht wurden und sich zeigte, dass der Einfluss der Mutter nach der Geburt deutlich war (Junge bei gewalttätigen Müttern waren selbst auch gewalttätiger, bzw. fürsorglich untergebrachte Junge waren später selbst fürsorglicher), während kein Einfluss der biologischen Mutter nachzuweisen war. (PM, S. 84) Es gilt deshalb auch für kooperatives oder aggressives Verhalten: „Wenn es um Verhalten geht, haben biographische Erfahrungen – vor allem solche in der Lernphase des Lebens – offensichtlich eine stärkere Wirkung als die genetische Abstammung.“ (ebd.: S. 85).

Dabei „steht Aggression immer im Dienst des Strebens nach Anerkennung, Beziehung, Kooperation und sozialer Zugehörigkeit“ (PM, S. 85). Joachim Bauer unterscheidet 5 Formen von Entstehungszusammenhängen für Aggression:

  1. Aggressionen können dadurch verursacht sein, dass die Beziehung nach außen verteidigt wird. „Beziehungen, die von den Beteiligten nicht nach außen verteidigt werden, haben eine schlechte Prognose.“ (ebd.: 86)
  2. Der Kampf um Liebe und Anerkennung, beispielsweise unter Geschwistern, kann aggressiv erfolgen
  3. Innerhalb von Beziehungen können Aggressionen dadurch entstehen, dass in der Beziehung Dysbalancen entstehen, die die Beziehung insgesamt gefährden. Es geht dann vor allem um die Balance der gegenseitigen Anerkennung der Identitäten der Beteiligten, die sich ja im Laufe der Zeit auch ändert, wodurch sich Verschiebungen und Ängste ergeben können. Die aggressive Reaktion bezieht sich auch hier auf die Gefährdung der Beziehung und Anerkennung. (ebd., S. 87)
  4. Gemeinschaftlich ausgeübte Aggressionen, gemeinsam durchgestandene Kämpfe führen zu einer Befriedigung durch Bestätigung der Gemeinschaft. Nicht umsonst wird die Erfahrung der „Kampf- und Kriegskameradschaft“ oft hoch bewertet. Es wurde untersucht, dass spätere Terroristen vor allem durch die Einbindung in das Gruppenerlebnis angezogen werden (ebd., S. 88).
  5. Eine wichtige Quelle für Gewalt ist die selbst erlebte Gewalt, vor allem im Kindesalter. Das betrifft schwere Verwahrlosungen oder auch traumatisierende massive Gewalt.

Zusammenfassend heißt dass: „Wo und wann immer Aggression zu beobachten ist, lässt sie sich mindestens einer der genannten fünf Varianten zuordnen. Aggression steht – ob direkt oder indirekt – immer in funktionalem Zusammenhang mit dem Grundbedürfnis des Menschen nach Beziehung und ist diesem Bedürfnis unter- oder nachgeordnet.“ (ebd., S. 89)

Zusammenfassung

Vom Joachim Bauers Buch „Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern.“ war ich mehr neurobiologisch-medizinisches Fachwissen gewohnt. Im Buch „Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren“ verweist Bauer eher kursorisch auf dieselben wissenschaftlichen Ergebnisse, aber nicht so stringent. Die Argumentationslinie ist durch den Ausgangspunkt, der Kritik an Darwinismus und Soziobiologie, etwas zerflattert. Die kulturpolitischen Schlussfolgerungen sind auch nur kurze Denkanstöße, eine Einbindung in eine gute Gesellschaftstheorie fehlt völlig.

Trotzdem liefert das Buch – unter Beachtung der zu Beginn genannten methodischen Hinweise – wichtige Erkenntnisse über die biologischen Grundlagen unseres Befindens und Verhaltens. Die Kenntnis über die Mechanismen, über die soziale Bedingungen, psychische Faktoren und das Verhalten Einfluss auf die bisher meist isoliert gesehenen biochemischen Prozesse nehmen, kann uns helfen, ein gelingendes Leben zu gestalten und gesellschaftlich notwendige Veränderungen vorzunehmen.

Endnoten:
 
[1] Ein Autor, der in seiner Arbeit oft biologistisch (d.h. die menschlichen Fragestellungen auf die Biologie zu reduzieren) vorgeht, betont in seinen methodischen Arbeiten durchaus, dass eine unmittelbare Übertragung zwischen den Ebenen nicht möglich ist: "Es ist völlig müßig, in den einzelnen, unabhängig funktionierenden Untersystemen oder in niedrigen Organismen nach jenen Systemeigenschaften zu suchen, die erst auf höherer Integrationsebene in Existenz treten" (Konrad Lorenz: Die Rückseite des Spiegels: Lernen und Erkennen in der Tierwelt, München / Zürich: Piper, 1973, S. 65) (zu Konrad Lorenz siehe auch: Annette Schlemm: Weltanschauliche Grundlagen der Evolutionären Erkenntnistheorie. Eine vergleichende und interpretierende Studie. 1992. Internet: http://www.thur.de/philo/as121.htm.)

[2] Historisch ist vor allem die Schrift „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ von Peter A. Kropotkin aus dem Jahre 1902 bekannt geworden (Peter A. Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. - Frankfurt a.M. - Berlin - Wien: Ullstein Verlag, 1975.)

[3] "Der Mensch wird durch einen derartigen Kumulationsprozeß genomischer Information zum einzigen Lebewesen, das aufgrund seiner >artspezifischen< biologischen Entwicklungspotenzen zur gesellschaftlichen Lebensgewinnung fähig ist." (Klaus Holzkamp: Grundlegung der Psychologie. Frankfurt am Main, New York: Campus. 1985, S. 179) Siehe dazu auch Annette Schlemm: Jeder Mensch ist natürlich gesellschaftlich. 2001. Internet: http://wwwt.thur.de/philo/kp/naturmensch.htm.

[4] Darwin schrieb: „Die Unterstützung, die ich aus Deutschland erhalte, ist mein Hauptgrund zu hoffen, dass sich unsere Sicht am Ende durchsetzen wird.“ (zitiert in Bauer PM, S. 109)

[5] Mehr zu dieser Interpretation des Darwinismus siehe Bauer PM, S. 103 ff..

[6] vor allem: Richard Dawkins: Das egoistische Gen. Rowohlt Taschenbuch Verlag 1996, erstmalig erschienen 1976.

[7] Andere wichtige Prozesse, über die die Umweltfaktoren sich in die Biologie „einschreiben“, beschreibt beispielsweise auch Gerald Hüther (Gerald Hüther: Brainwash. a.a.O.).

[8] Promoter: direkt vor dem beeinflussten Gen; Enhancer: an anderer Stelle (manchmal sogar innerhalb des Gens) (GK, S. 236)

[9] Damit ist natürlich nicht der kurzeitig sinnvolle, sogenannte Eustress gemeint, der eher als kurzzeitige positive Herausforderung wirkt, sondern der lang anhaltende und negativ erfahrene sog. Distress oder auch kurzzeitige starke Traumata.

[10] Dass zwischenmenschliche Zuwendung biologisch wichtiger ist als Nahrung, zeigt Bauer daran, dass dauerhafte soziale Isolation den Willen zur Nahrungsaufnahme erlahmen lässt (Bauer PM, S. 39). Es ließ sich auch nachweisen, dass Vernachlässigung im frühen Kindesalter zu echten neurobiologischen Veränderungen führt (S. 55), wobei die auch hormonell turbulente Zeit der Pubertät es ermöglicht, solche Veränderungen wiederum zu verändern – aber nur, wenn entsprechende positive Umwelteinflüsse vorliegen. (Bauer PM, S. 92, 173)

[11] Der Effekt, dass Umwelterfahrungen sich auf die Aktivität der Gene und damit auf die Ausbildung von Strukturen im Gehirn auswirken, wird auch im Begriff „Social Brain“ erfasst (Bauer PM, S. 54)

[12] Mir liegt vor die Ausgabe Robert Axelrod: Die Evolution der Kooperation. München: R. Oldenbourg, 1992.

[13] Dt.: Wenn Du dich nicht an der Gemeinschaft beteiligen kannst,. dann schlage sie.

Literatur:

  • Bauer, Joachim (GK): Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. München: Piper Verlag. 2008
  • Bauer, Joachim (PM): Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. München: Heyne Verlag. 2008.
  • Hüther, Gerald: Brainwash. Einführung in die Neurobiologie für Therapeuten und Pädagogen. Vortrag auf DVD.

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