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Betty Friedan: Der Weiblichkeitswahn oder die Selbstbefreiung der Frau

Reinbek: Rohwolt 1996, (Orig. 1963)

Betty Friedan war eine der Begründerinnen der amerikanischen Frauenbewegung. In diesem Buch schildert sie, wie sie die spezielle "Frauenproblematik" in den 50er Jahren wahrnahm. Dabei unterscheidet sich die Situation in den USA einerseits grundsätzlich von jener in der Bundesrepublik oder gar der DDR – andererseits werden einige Paralellen doch recht deutlich. Eine Wertung darüber möchte ich nicht vornehmen, sondern die Hauptinhalte des Buches vorstellen:

Betty Friedan erkannte die Frauen nicht nur als von außen (den Männern) unterdrückt, sondern wunderte sich vor allem darüber, wieso die Frauen sich selbst allzu freiwillig auf das Frau-Sein einschränken ließen. Die Ursache dafür nannte sie den Weiblichkeitswahn als "Name für das, was immer es war, das uns davon abhielt, unsere Rechte wahrzunehmen, das Schuldgefühle bei uns hervorrief bei allem, was wir nicht als Frau unseres Mannes, nicht als Mutter unserer Kinder taten, sondern als eigenständige Personen" (S. 9).

Noch ca. 1940 verkörperten in den USA die Heldinnen von Kurzgeschichten und Romanen einen neuen Frauentypus: unternehmungslustige, attraktive berufstätige Frauen, die liebten und von Männern geliebt wurden (S. 34). Aber ab 1949 geschah eine Rückkehr zum alten Leitbild der Nur-Hausfrau (S 35). Propagiert wurde nun der Weiblichkeitswahn: "Der Weiblichkeitswahn besagt, daß der höchste Wert und die einzige Verpflichtung für Frauen die Erfüllung ihrer Weiblichkeit sei." (S. 37)

Als Ursachen für diesen Wandel nennt sie:

  • neue Mitarbeiter in Zeitschriften: Männer, die während des Krieges von einem gemütlichen häuslichen Leben geträumt hatten (S. 43) (weiter dazu S. 125ff.)
  • Absatzsteigerung (S. 140) Umwandlung des Identitätsmangels und der Ziellosigkeit in Kaufkraft (S. 141) "Immer wieder analysierten diese Berichte scharfsinnig die Bedürfnisse und sogar die geheimen Frustrationen der amerikanischen Hausfrau; und jedesmal, wenn diese Bedürfnisse richtig manipuliert wurden, gelang es, die Frauen von noch mehr <Dingen> zu bewegen." (S. 147)
    "Der Kauf von Dingen lenkt von jenen Bedürfnissen ab, die durch Heim und Familie nicht wirklich befriedigt werden können..." (S. 148)

Die neuen Medienleitbildern bestanden in einer Welt aus Schlafzimmer, Küche, Sex, Kindern und dem schönen Heim (S. 32). Ein Zeitschriftenredakteur meinte: "Unsere Leserinnen sind hauptberuflich Hausfrauen. An den Tagesfragen des öffentlichen Lebens sind sie nicht interessiert. Sie erwärmen sich weder für Innen- noch für Außenpolitik. Nur ihre Familie, ihr Heim und die Erziehung ihrer Kinder sind ihnen wichtig...." (S. 33)

Diese kommerziellen und medialen Interessen führten dazu, dass die meisten Frauen in den 50er Jahren ernsthaft dem Traumbild der Vorort-Hausfrauen verfallen waren (S. 19). "Ein Jahrhundert früher hatten die Frauen um die höhere Bildung gekämpft. Jetzt besuchten die Mädchen ein College, um sich einen Mann zu angeln." (S. 18)

Dass sich die jungen Frauen freiwillig diesen Leitbildern unterwarfen, hing laut Betty Friedan auch mit dem Fehlen persönlicher Leitbilder zusammen:

  • "Hatten sie sich früher für Geologie oder Dichtkunst interessiert, so waren sie jetzt nur daran interessiert, <beliebt> zu sein; die Jungen sollten sie mögen, und darum beschlossen sie, wie alle anderen Mädchen zu sein." (S. 54)
  • "Ich kannte, als ich jung war, keine Frau, die ihren Verstand gebrauchte, ihre eigene Rolle in der Welt spielte und dennoch liebte und Kinder hatte." (S. 54)
  • Collegebildung nur noch als Durchgangsstadium in Richtung Ehe verstanden (107)
  • sexusgeleitete Bildung: "Eine mir bekannte Pädagogin läßt sogar Mütter im Unterricht zu Wort kommen, die früher gearbeitet haben, damit sie den Studentinnen berichten, mit welch schlechtem Gewissen sie ihre Kinder allein ließen." (S. 116)
    • Erziehung befördert nicht das Ich, sondern fördert sexuelle Funktion
    • intellektuelle Frauen werden vermännlicht.

Unter diesen Einflüssen begannen die meisten Mädchen, ihre eigene Entwicklung zu stoppen, ehe sie zur Identität gelangen, und spielen statt dessen die weibliche Rolle" (S. 119)

  • "Indem der Weiblichkeitswahn es den Mädchen ermöglicht, sich der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und den realen Verpflichtungen in Schule und Welt durch das Versprechen wunderbarer Erfüllung durch die Ehe zu entziehen, bremst er ihre Entwicklung, noch ehe sie eine persönliche Identität erreichen und daher unvermeidlich noch ein sehr schwaches Ich haben." (S. 187)

Letztlich wurden die Frauen damit aber nicht glücklich. In den 50er und 60er Jahren entstand ein zuerst ein "Problem ohne Namen", das auch das "Hausfrauensyndrom" genannt wurde:

  • "Ich fühle mich irgendwie leer... unvollständig... Mir kommt es vor, als ob ich gar nicht da wäre..." (S. 21) "Meine Tage sind ausgefüllt, aber langweilig... Stumpfsinnig" (S. 26)
  • "Das Problem ist, daß ich immer die Mammi der Kinder oder die Frau des Pfarrers bin und niemals ich selbst." (S. 26)
  • "Mittags bin ich reif für die Gummizelle. Sehr wenig von dem, was ich tue, ist wirklich notwendig oder wichtig." (S. 26)
  • ... ich glaubte, mit mir würde etwas nicht stimmen, wenn ich beim Bohnern des Küchenbodens keinen Orgasmus hatte. (S. 7)
  • "Aber wenn der menschliche Organismums einen angeborenen Drang hat, zu wachsen, sich auszudehnen und das zu werden, was er zu werden vermag, dann ist es nicht überraschend, daß Frauen bei dem Versuch, sich einer Rolle anzupassen, die dieses Wachstum nicht zuläßt, physisch und psychisch krank werden." (S. 189)
  • Mutterschaftspsychosen nahmen von 1950-1960 enorm zu, jede dritte junge Mutter litt an Depressionen oder psychotischen Zusammenbrüchen (S. 190)

Diese Leiden stellte Betty Friedan in einen Zusammenhang, der verdeutlicht, dass auch Frauen ihre menschlichen Bedürfnisse nicht ewig unterdrücken können. "Im Gegensatz zu einem Baum oder Stein kann ein Mensch auf Grund seiner eigenen Entscheidung sein eigenes Sein einbüßen." (zit. S. 205). Es ist aber das Kennzeichen des Menschen: "die Fähigkeit, die Gegenwart zu transzendieren und im Lichte des Möglichen zu handeln dank der geheimnisvollen Fähigkeit, die Zukunft zu gestalten" (S. 204). "Gerade diese einzigartige menschliche Fähigkeit, die Gegenwart zu transzendieren und Ziele im Leben zu verfolgen, die sich an die Zukunft erstrecken, nicht auf Gnade und Barmherzigkeit der Welt angewiesen zu sein, sondern für diese Welt etwas aufzubauen und zu ersinnen, kennzeichnet den Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Verhalten oder zwischen Mensch und Maschine." (S. 204)

Amerikanische Hausfrauen sind "im Namen der Weiblichkeit [...] der Entscheidung ausgewichen, die ihnen ein persönliches Ziel, ein Gefühl ihres eigenen Seins gegeben hätte." (S. 205) Erst ein gesundes Maß an Eigenliebe kann auch Verbundenheit mit anderen Menschen speisen. "Professor Maslow stellte fest, daß eine Frau, je größer ihre Dominanz oder je stärker ihr Ich war, um so weniger ichbezogen war und sich um so mehr um andere Menschen und um die Probleme der Welt kümmerte. Andererseits waren die mehr konventionellen und weniger dominierenden Frauen hauptsächlich mit sich und ihrer eigenen Minderwertigkeit beschäftigt." (S. 210)

Auch in der Liebe erreichen Frauen niemals sexuelle Erfüllung und den Höhepunkt menschlicher Liebe, solange sie nicht zu voller geistiger Kraft als Menschen heranwachsen (S. 209). Das Motiv wirklich glücklicher Liebe ist nicht das Bedürfnis, einen eigenen Mangel wettzumachen, sondern "diese Liebe war ein wirkliches <Geschenk>, eine Art <spontane Bewunderung>" (S. 214) "Die Transzendenz des eigenen Ich im sexuellen Organismus wie im schöpferischen Erlebnis kann nur ein Mensch erreichen, der selbst vollständig ist, der seine eigene Identität verwirklicht hat." (S. 214)

Auch Lohnarbeit alleine kann nicht zu einer eigenen Identität verhelfen. Identitätskrisen können so nicht bewältigt werden. "Manche überwinden diese Krise nie, denn bloßes Herumpusseln oder das Stechen einer Kontrolluhr verleihen keine Identität; man erlangt sie auch nicht, wenn man bloß Geld verdient, nach Vorschrift arbeitet oder sich einen gesicherten Posten als Parteifunktionär sucht. Das in einer als <Lohntütenposten> bezeichneten Arbeit seine Identität nicht mehr findet, setzt voraus, daß die Identität des Menschen aus eigener schöpferischer Arbeit hervorgeht, die der Allgemeinheit zugute kommt." (S. 221)

Auch wenn die Hausfrauen anscheinend mehr für ihre Kinder tun können, so wirken sie sich auf die Entwicklung der Kinder eher negativ aus. Die Persönlichkeit der Kinder kann sich durch Überbetreuung nicht frei entfalten, sie wird absorbiert (S. 135). Durch das "Drillen" auf Reinlichkeit und Perfektion sind sie kaum mehr zu eigener Leistung und selbständigem Handeln fähig. Es entsteht Passivität, Verweichlichung und Gelangweiltheit bei Kindern (S. 182); kein starkes, ausgeglichenes Ich entwickelt sich, sondern eine vage, amorphe, außengeleitete Persönlichkeit (S. 183). Das hatte beispielsweise tragische Auswirkungen auf das Verhalten von gefangenen amerikanischen GIs im Koreakrieg: sie waren vorwiegend gleichgültig, inaktiv, apathisch, unselbständig, infantil, ca. 38 % der Gefangenen starben (S. 185).

Auch die Hausarbeit kann das vertane Leben einer Hausfrau nicht völlig rechtfertigen:

"Die Zeit, die eine Frau benötigt, um die Hausarbeit zu erledigen, schwankt je nach den Anforderungen einer anderen Tätigkeit, die ihr am Herzen liegt." (S. 157) Und: trotz neuer arbeitssparender Geräte verbringt eine moderne amerikanische Hausfrau mehr Zeit mit Hausarbeit als ihre Großmutter (S. 157)

In einem beigefügten Kommentar beschreibt Arianna Giachi die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Für 70% aller Bundesbürger war es (wahrscheinlich 1963, bei der ersten Auflage des Buches) nicht normal, wenn Frauen einen Beruf hätten. Und auch in der BRD sei es so, dass eine Frau ihr Ansehen in der Gesellschaft nur selten durch berufliche Leistung, aber immer durch Heirat gewinnen könne (S. 250).

In einem Epilog beschrieb Betty Friedan dann noch, wie dieses Buch zur Frauenbewegung führte:

Sie bekam persönlich in ihrem Wohnumfeld Probleme, als das Buch veröffentlicht war. "Aber jetzt, da ich mich wie eine regelrechte Schriftstellerin aufführte und sogar im Fernsehen interviewt wurde, war die Sünde allzu öffentlich und konnte mir nicht verziehen werden. Frauen in anderen Vororten schrieben mir Briefe, als ob ich Johanna von Orleans wäre, aber praktisch mußte ich aus meinem von Wegerich überwucherten Vorgarten fliehen, um nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden." (S. 266) Sie erkannte, dass es nicht möglich ist, sich allein einen neuen Lebensstil zu schaffen.

  • Es war einfacher für mich, die Frauenbewegung ins Leben zu rufen, die nötig war, um die Gesellschaft zu verändern, als mein persönliches Leben zu ändern." (S. 267)

Noch einige Zahlen:

  • 1956 USA: Nur eine von dreihundert Frauen, die begabt genug gewesen wären, um zum Dr. phil. zu promovieren, promovierte wirklich; bei den Männern ist das Verhältnis 1:30. (S. 285)
  • 1962: Während in der Sowjetunion 70% aller Ärzte sind, sind es in Amerika nur 5 %. (S. 286)
  • 40 % der College-Studentinnen gegen sich Männern gegenüber als "Dummchen" aus (S. 286)
  • 1957, Frankreich: Verheiratete Frauen mit außerhäuslicher Berufsarbeit verwenden wöchentlich 30 Stunden weniger auf die Hausarbeit als Voll-Hausfrauen.... Die berufstätige Mutter arbeitete als, trotz Haushalt und Kindern, täglich nur 1 Stunde länger als eine Nur-Hausfrau. (S. 288)

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