Cyber- und Wissensökonomie
statt Kapitalismus?

Es gibt neuartige Tendenzen in der Wirtschaft und Gesellschaft. Die Annahme, daß daraus quasi automatisch eine "New Economy" (Kelly) / Cyber- und Wissensökonomie (Schmidt) entsteht, wird hier jedoch kritisiert. Nach dieser Kritik ist der Blick frei für jene Tendenzen, die tatsächlich Ansatzpunkte und Keime für eine andere Art zu wirtschaften und zu leben werden können.

Im folgenden werden die Hauptargumente kurz zusammengefaßt:

Tendenz und damit verbundene Annahme

Kritik

Ansatzpunkt

 

Die Ablösung der Industriegesellschaft durch die Informations- und Wissensgesellschaft ist gleichzeitig das Ende des Kapitalismus.

Die Eigenständigkeit und Dominanz der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten wird nicht beachtet (schon die neuen Begriffe Intellektuelles oder Human-"Kapital" machen die Unterordnung deutlich.)

Es wird offensichtlich, daß eine reine Technisierung nicht mehr weiterhilft; die Produktivkraftentwicklung bezieht ihre neuen Impulse offensichtlich nur noch aus der besseren Nutzung der menschlichen, lebendigen Arbeit

 

-> Das Verwertungserfordernis des Kapitals (als Grundbedingung kapitalistischer Wirtschaft) gerät in einen innerhalb des ökonomischen Systems unauflösbaren Widerspruch zu den gleichzeitig notwendigerweise geförderten Selbstentfaltungsbedürfnissen der Menschen (s. "Menschen im Zentrum")

Das "Human"-Kapital gewinnt an Bedeutung, der "4. Produktionsfaktor Wissen" wird wesentlich für wirtschaftliches Wachstum.

Der Mensch wird auf geistige Fähigkeiten reduziert, und diese noch auf jene, die technisch imitierbar sind.

Die Technisierung des Technisierbaren schafft Freiräume für das wirklich Menschlich-Kreative; das, was die technische Funktionalität und wirtschaftlichen Produktivitätserfordernissen überschreitet...
Allerdings ist diese Art Technisierung zwar notwendige, aber längst keine hinreichende Bedingung für die Abschaffung des Kapitalismus

Immaterielle Werte (Anerkennung, Prominenz, Aufmerksamkeit) lösen die (gesättigten) materiellen Werte (Geld, Autos....) ab.

Dies war bei den materiell "Reichen" schon immer so und verleugnet, daß z.Z. eher mehr und mehr Menschen auf der Welt verelenden.

Die Erinnerung dieser Rolle nichtmaterieller Bedürfnisse ist aus ökologischen Gründen wichtig.

Um Mißverständnisse zu vermeiden, sind Begriffsklärungen notwendig.

1. Information, Wissen und Cyberspace

" Information ist nichts Festes und Fertiges, sondern der Neuigkeitswert, den wir aus Reizen ziehen.... Der Neuigkeitswert bedeutungsloser Muster heißt syntaktische Information. Der Neuigkeitswert von Mustern, die sich auf etwas anderes beziehen, heißt semantische beziehungsweise pragmatische Information. Ökonomisch von Belang ist nur semantische und - vor allem - pragmatische Information. Der ökonomische Wert von Information hängt von der Befriedigung ab, die das Verständnis stiftet, und von den Handlungsmöglichkeiten, die es aufschließt" (Franck).

Wissen ist jedes Ergebnis von Erkenntnisprozessen und damit eine spezielle Form von Informationen. Er bezieht die praktische Anwendung der Daten und Informationen ein. Wissen ist nichts, was man "hat", sondern es ist selbst ein Prozeß.

Siehe auch: Begriffserklärungen

Der Cyberspace als Raum digitaler Informationen stellt einen neuen Handlungsraum dar, der aus technischen und sozialen Strukturen erwächst, aber eine eigene "Logik" entwickelt und selbst vielfältig in die technische und soziale Sphäre einwirkt. In der üblichen Verwendungsweise dieses Begriffs werden Menschen hier nur in ihrer Funktion als informationsverarbeitende Organismen integriert - alles wesentlich Menschliche ist hier ausgeschlossen. (Üblicherweise wird das "Menschsein" in diesem Kontext auf die geistigen Fähigkeiten reduziert - und diese auch noch entsprechend den neuronalen Schemata betrachtet, die selbst aus Computer-Metaphern stammen.)

2. Gesellschaftliche Veränderungen

2.1. Kultur und Technik

Es gibt tatsächlich revolutionäre Veränderungen. Es war z.B. früher ausschlaggebend, daß ab dem 16. Jahrhundert menschliche und tierische Energieaufwendung durch den Einsatz von Wasser- und Windkraft mehr und mehr ersetzt wurde. Auch der Einsatz von Elektroenergie drei Jahrhunderte später brachte einen weiteren Sprung in der Produktivität der menschlichen Arbeit. Jetzt sind wir dabei, auch die informationsverarbeitenden Prozesse vom menschlichen Kopf und der Geschwindigkeitsbegrenzung ihrer bisherigen Übertragung über stoffliche Prozesse und Algorithmen zu befreien. Viele wirtschaftliche Prozesse geschehen jetzt nicht mehr im Bereich der stofflichen Umformungs- oder energetischer Umwandlungsprozesse, sondern im immateriellen "Cyberspace" der Informationsübertragung. Während Stoffumwandlung und Energieabgabe nie als speziell menschliche Fähigkeiten angesehen wurden, scheint die Technisierung der Informationsverarbeitung spezifisch menschliche Fähigkeiten zumindest zu imitieren.

Siehe auch: Neue Produktionsmittel

2.2. "Neue Ökonomie"

Ökonomie des Immateriellen - Ökonomie der Aufmerksamkeit

Wieder einmal wird ausgerufen, daß die Informationsgesellschaft die Industriegesellschaft ablöst und daß damit auch gleich die kapitalistische Ökonomie sich auflöst.

"Die anbrechende Aufmerksamkeitsökonomie unterscheidet sich tiefgreifend von jeder früheren Ökonomie. Sie funktioniert ohne jede Form des Geldes und ohne Markt oder von etwas, das diesem gleicht. Sie setzt eine völlig andere Lebensweise als die auf Routinen begründete industrielle Existenz mit ihren Dichotomien zwischen Arbeitsstätte und Heim, Arbeit und Spiel und Produktion und Konsum voraus. Was jetzt zählt, ist die Suche nach sowie das Erhalten und Schenken von Aufmerksamkeit. ...Die Aufmerksamkeitsökonomie ist deswegen grundsätzlich mit der uns vertrauteren Ökonomie inkompatibel, und sie kann nur auf Kosten der letzteren wachsen. Wir leben folglich in der Zeit eines großen Übergangs zu einer ganz neuen, nahezu alles umfassenden ökonomischen Ordnung" (Goldhaber 1998a).

Es ist richtig: die industrielle Produktionsweise ist am Ende ihrer historischen Fortschrittskraft. Es kommt sogar hinzu, daß die Steigerung lediglich materieller Bedürfnisbefriedigung ökologisch ins Desaster führt. Es war aber schon immer so, daß die materiell Befriedigten sich leichten Herzens nach immateriellen Werten strecken konnten und schon immer ein Streben nach Prominenz und Anerkennung, deren ersten Voraussetzung die Aufmerksamkeit ist, mindestens gleichermaßen wie "profane" Geldinteressen die Triebkraft sozialen Handelns waren.

Die von Goldhaber analysierten Erscheinungen deuten neue gesellschaftliche Tendenzen an: "Der Cyberspace wird der "Raum" sein, zu dem hin sich die neue Ökonomie am stärksten bewegt, aber die in diesem Prozeß gewonnene Stärke wird irgendwann auch zurückschwappen, um den Rest des Lebens zu beherrschen" (Goldhaber 1998a).

Die Folgerung, aus der Existenz und dem Wachstum des Cyberspace folge quasi automatisch eine "neue Ökonomie" ist jedoch zu einfach. Die Argumentation unterliegt einigen Kurzschlüssen:

Zuerst wird konstatiert, daß der Cyberspace wächst. Aus der einfachen Tatsache, daß die stofflich-energetischen Güter nicht im Cyberspace reisen können, wird geschlossen, daß ihre Bedeutung sinkt.

Gleichzeitig wird die These vertreten, daß die materielle Motivation für wirtschaftliche Aktivität sinkt, weil die Bedarfe gesättigt sind. Nur noch immaterielle Reize, wie der Drang nach Aufmerksamkeit könne als Triebkraft wirken.

Annahme

?

Aus der wachsenden Rolle des Cyberspace auf einen gleichzeitigen Rückgang der Bedeutung materieller Güter geschlossen.

Ersetzen Informationen stofflich-energetische Produkte? Bisher nicht, sondern der Umsatz von Stoff und Energie wird nur beschleunigt: zusätzlich zu Bildschirmkonferenzen reisen alle Global Players mehr - mit Hilfe von computergestützter Navigation. Ebenso wird das Herumschieben der Teilprodukte in der "globalen Fertigungsfabrik" durch die IuK-Techniken nur vermehrt.

 

Übersättigung mit materiellen Gütern führt zur Dominanz von nichtmateriellen Werten als Motivation. Als knapper Wert gilt hier die Aufmerksamkeit.

Dies ist - wie eh und je - lediglich bei einem Teil der globalen Wirtschaftsteilnehmer gegeben. Für diesen "oben schwimmenden Teil" war schon immer Anerkennung ein wichtiges Motiv.

 

Aufmerksamkeitsökonomie herrscht im Cyberspace.

Gerade diese nichtkommerziellen Bereiche werden im Web zurück auf eine (allerdings große) Spielwiese zurückgedrängt. Die Bereitstellung der "Spielwiese" folgt eindeutig kommerziellen Erwartungen.

 

Neue Klassen: Stars und Fans (Goldhaber 1998b)

Übersieht die grundlegenden sozialen Bruchlinien der Gesellschaft - im globalen Maßstab wie auch in den "reichen" Gesellschaften.

Im Prinzip wird mit dieser Schlußfolgerungskette Ursache und Wirkung verwechselt. Der Cyberspace wächst ja nicht deswegen, weil wir materiell übersättigt wären und sich unsere Wünsche in Richtung immaterieller Werte geändert hätten. Er wächst, weil die Wirtschaft trotz gesättigter Märkte (nicht etwa weltweit befriedigter Bedürfnisse!) verzweifelt nun auch die neuen Möglichkeiten der IuK-Technik benutzt, um weiter Profite machen zu können.

Das Konzept der "Ökonomie der Aufmerksamkeit" wirkt so lediglich als Ideologie derer, die sich in den Nischen des Reichtums festsetzen können, ohne die kapitalistische Grundlage der Reichtumsproduktion umzuwerfen.

"Auch der Glaube, daß der Kapitalismus von sich aus genügend materiellen Wohlstand für alle schaffen könne, so daß "viele Programmierer in einer nicht mehr unter den Bedingungen der Knappheit stehenden Kultur des Schenkens leben" und so zu einer anderen Produktionsweise übergehen können, ist wohl ein wenig naiv. Derzeit scheint der Kapitalismus eher weltweit die Kluft zwischen Reichen und Armen zu vergrößern, wobei die Angehörigen der Hackerkultur ein Teil der Elite der virtuellen Klasse sind - oder dies werden wollen" (Rötzer 1998).

"Aus den Erfahrungen des Wissensaustausches durch die Kultur des Gebens entstand und entsteht auch die Hoffnung, daß sich aus dieser Gegenkultur zum privatwirtschaftlichen, auf Profit orientierten und das "geistige Eigentum" als Ware sichernden Kapitalismus so etwas wie eine Noosphäre (Teilhard de Chardin), eine kollektive Intelligenz oder gar ein globales Gehirn herausbilden könnte " (Rötzer 1998).

Gerade ein Vertreter dieses Konzepts, E. Raymond "verwendet zwar den Begriff der Noosphäre, versteht aber letztlich darunter nur einen von den meisten Schranken befreiten Markt, auf dem Gruppen gelegentlich kooperieren, um besser aus egoistischen Motiven heraus eine Nische zu besetzen und Konkurrenten zu besiegen"(Rötzer 1998).

"Die vielbeschworene Kooperation wäre dann letztlich nur ein Trick, die Zeit und Kompetenz von Menschen einzufangen, um als deren Führer einen größeren Erfolg zu erzielen, als man dies alleine oder mit einer der in der Wirtschaft üblichen mehr oder weniger hierarchischen Organisationsformen geschafft hätte." (Rötzer 1998) Und damit man sich dabei auch noch moralisch so richtig wohlfühlt als Wohltäter der Menschheit und neuer Fortschrittsträger, versucht man sich selbst einzureden, daß sich auf Grundlage des (nicht hinterfragten) Überflusses eine Ökonomie des Schenkens etablieren könne.

A.P. Schmidt sieht und entwickelt erste Ansätze einer Schenkungs-Wissens-Börse im Web-Projekt "Lampsacus". Bisher ist dort nur eine Liste kommerziell erhältlicher Bücher zu entdecken. Eigentlich verspricht er damit eine "Erde-Mond-Uni" als "neuartige Heimat für Netzbenutzer, wobei jeder seine spezifischen Wissensbedürfnisse befriedigen kann" (Schmidt 1998, S. 523). Diese ist jedoch bereits mit dem World Wide Web gegeben (und auch nur, soweit es kostengünstig zu nutzen ist) - wozu noch eine "Extraschachtel" in diesem Netz? ...

 

Perhaps the digital citizen is not so special after all, but simply a relatively well educated, relatively affluent, middle-aged, middle-class American.
The Economist vom 21.11.97

 

"Spenden, wie sie reiche Menschen geben, sind zwar ein Geschenk und motiviert möglicherweise vom Versuch, darüber soziale Anerkennung zu erwerben, aber sie übergeben kaum jemals jenes Eigentum oder jene Produktionsmittel, die den materiellen Reichtum erzeugt haben" (Rötzer 1998).

Etwas anders sieht das dort aus, wo die Produktionsmittel selbst auf neue Weise erzeugt und verwendet werden.

Siehe: Oekonux-Projekt

Cyberökonomie

Der Einsatz von IuK-Technologien revolutioniert die "normale" Wirtschaftstätigkeit. Dabei werden Stoff- und Energietransformationen vom Informationsfluß "getriggert". In synergetischen komplexen Systemen bestimmt jeweils die flexibelste Größe den Gesamtprozeß und dies ist gegenüber Stoff und Energie die Information. Hier setzt nach den Begriffen von Schmidt die "Cyberökonomie" an. Gemeint sind solche Formen wie elektronische Märkte.

Daraus ergibt sich, daß "jetzt, in der Informationsgesellschaft, ...der größte Teil der Wertschöpfung von Menschen erwirtschaftet (wird), die mit Informationen umgehen" (Händeler).

"Der ökonomische Wert von Information hängt von der Befriedigung ab, die das Verständnis stiftet, und von den Handlungsmöglichkeiten, die es aufschließt."..." Die Aktivität des Verstehens kostet Zeit und Energie. Diese Zeit und Energie sind nicht vermehrbar."..." Nicht die Information, sondern diese Ressourcen sind der Schlüssel zum Verständnis der Informationsökonomie" (Franck).

"Die Informationsgesellschaft ist diejenige Gesellschaft, in der die Techniken zur Steigerung des Wirkungsgrads geistiger Energie wichtiger geworden sind als diejenigen zur Steigerung des Wirkungsgrads physischer Energie" (Franck).

Innerhalb dieser Form der "Informatisierung" bleibt die Ökonomie an die industrielle Produktion gebunden. Auch die Finanzmärkte haben eine Funktion bei der Internationalisierung und Gobalisierung der Produktion.

In dieser Sphäre allerdings wächst die Bedeutung des WISSENS über die Geldströme. Dieses Wissen wird mindestens genauso wichtig wie der Besitz des Geldes/Kapitals. Schmidt erwartet, daß sich hier neue leistungsorientierte Bewertungsmaßstäbe für das Geld entwickeln und der Zins an Bedeutung verlieren wird. Tatsächlich jedoch verselbständigen sich die spekulativen Renditeerwartungen immer mehr.

Eine Veränderung gibt es auch bei der Einschätzung des Wertes eines Unternehmens. Dieses ist nicht mehr an Bilanzen des Einzelunternehmens gebunden, sondern besteht als "Wert des Netzwerks, im Rahmen dessen das Unternehmen Produkte und Dienstleistungen hervorbringt" (Schmidt 1998, S. 520).

 

Substitutionsökonomie

Im elektronischen Raum, dem "Cyberspace" können Modellwelten simuliert werden. Diese Simulationen können Entscheidungen erleichtern.
Simulationen bilden dabei eine eigene Realität: "Gegenüber dem Wort Simulation bevorzuge ich das Wort Substitution. Meiner Ansicht nach substituieren neue Technologien die Realität durch eine virtuelle. Und das ist nicht bloß eine Übergangsphase, sondern eine definitive Veränderung. Wir gelangen in eine Welt, in der es nicht eine, sondern zwei Realitäten gibt" (Virilio). Die zweite, oft als mediale Realität analysierte hat durchaus reale Wirkungen auf die Welt. Was medial inszeniert ist, prägt Weltbilder und beeinflußt das Handeln oft stärker als wissenschaftliche Erkenntnisse.
Eine andere wichtige neue Möglichkeit ist folgende:
Die Simulation/Substitution in der "Substitutionsökonomie" (bei Schmidt "Wissens-Ökonomie" genannt) ermöglicht im Gegensatz zur o.g. Cyber-Ökonomie reversible, d.h. auch anti-dissipatische Prozesse - die den dissipativen zumindest entgegenwirken können. "Simulationen begünstigen eine neue Wirtschaftsform, die anders als bisherige Wirtschaftsformen nicht auf Dissipation durch physische Produkte, sondern auf Anti-Dissipation durch virtuelle Dienstleistungen setzt" (Schmidt 1998, S. 517).

Mit dem Konzept der Cyber-und Wissensökonomie werden auch Hoffnungen verbunden, daß kostenloses Wissen für alle realisiert wird und in einer telematischen Gesellschaft (Schmidt 1998, S. 66f.) Herrschaftswissen mehr und mehr an Bedeutung verliert. Die gleichberechtigte Vernetzung aller Marktteilnehmer soll auch der Monopolisierung und Konzentration des Kapitals in den Händen weniger entgegenwirken (ebd., S. 511).

Letztlich soll eine "reversible, auf Wissen basierende Ökonomie" entstehen. Die Reversibilität ist wichtig, denn alle bisherigen ökonomischen Prozesse sind irreversibel, dissipativ und damit unökologisch. Eine Ökonomie des Wissens dagegen wäre eine wirkliche Kreislaufwirtschaft.

(aus der Zeitschrift "Vordenker")

"Die dissipativen Entwicklungen der Produktionswirtschaft können somit durch die anti-dissipativen, Transaktionskosten-reduzierenden Aktivitäten der Cyber-Ökonomie neutralisiert werden." ...

"Je mehr die Vernetzung ... voranschreitet, d.h. je mehr antidissipative Rückkopplungen entstehen, desto mehr wächst eine Gegenmacht zum heutigen Kapitalismus heran." (Schmidt 1998, S. 517).

Hier zeigt sich, daß abstrakte Begriffe aus der Systemtheorie wenig aussagekräftig zu realen gesellschaftliche Prozesse sind. Welche anti-dissipativen Rückkopplungen konkret den dissipativen Mächte des realen Kapitalismus entgegenwirken könnten, bleibt unbestimmt. Zu einer hier eventuell gemeinten "Ökonomie der Aufmerksamkeit" wurde oben schon Passendes zusammengetragen.

Auch ist die Annahme der Simulierbarkeit der sozialen Welt prinzipiell kritisch zu hinterfragen (vgl. "Sozionik").

Wer sich nur auf der gedanklichen Ebene bewegt, auf der sich die faszinierende Technik emporschraubt, und die "Niederungen" der wirklichen Ursache für sozialen Klüfte und ökologischen Gefahren ignoriert, wird feststellen müssen:

"And suddenly people will remember that we are still living in the material world and that natural resources matter" (Krugman).

Schmidt sieht die Gefahr einer einseitigen Cyber-Orientierung selbst: "Deshalb ist eine Wissensökonomie nur dann demokratisch, wenn diese ein Pendant im physischen besitzt." (S. 525).

Das gleiche Problem hat das Konzept der "New Economy". Besonders im Internet selbst, vorwiegend dem Magazin "Wired", wurde das Konzept von K.Kelly über die "Neuen Regeln" gepusht, denen entsprechend die anwachsende technische Vernetzung zu einer neuen Ökonomie führen werde.

Gegen die Hoffnung, daß technische Infrastruktur die Welt durch ihr Vorhandensein verändert, stellt Krugmann lapidar fest, daß sich im Internet bald herausstellen wird: "Most people have nothing to say to each other!"

In dem Modell "New Economy" direkt von Technik auf das Soziale geschlossen, ohne die Eigenständigkeit ökonomischer Gesetzmäßigkeiten zu beachten. Der Guru dieser New Economy, K. Kelly, kann deshalb bestenfalls "Technocommunist" (Ullmann) genannt werden.

Gegen die These der "Neuen digitalen Ökonomie" argumentiert u.a. Varian, daß sich zwar die Technologien ändern, jedoch die ökonomischen Gesetze unverändert bleiben. Zwar macht es einen großen Unterschied, daß die Profitspanne bei Softwareprodukten viel größer als beispielsweise bei Autos ist, aber der Umgang mit den Gütern auf dem Markt entspricht klassischen ökonomischen Strategien..

Die andere Seite der
Cyber-Ökonomie

 

 

 

"Guten Tag,
liebe freie Mitarbeiter des Riffraff-Konzerns in aller Welt.
Wir haben heute eine kleine Software-Entwicklung zu vergeben. Bitte unterbreiten Sie online Ihr Niedrigstangebot...

Die Hoffnung - oder sollte man sagen: Illusion? - bezüglich der antikapitalistischen Wirkung der Cyber- oder Wissensökonomie ist noch nicht durch Tatsachen zu schlagen: "Die virtuellen Unternehmen haben ihre eigentliche Dynamik noch gar nicht entfaltet, da die Cyberökonomie momentan als Subsystem des physischen Wirtschaftssystems wirkt und sich noch nicht emanzipiert hat" (Schmidt 1998, S. 520).

Gerade die Geschichte des Mediums, das die frohe Botschaft der New Economie am enthusiastischsten in die Welt rief - WIRED -, läßt tiefe Zweifel am Realismus dieses Konzepts aufkommen. Schon 1996 mißlingen die versuchten Börsengänge. "Der Rest ist Geschichte. Wired´s TV-Sender MSNBC floppt. Am 8. Mai wird das Wired Magazin verkauft und im Oktober folgt Wired Digital. Wired Digital geht für 83 Millionen Dollar in Aktienkapital an Lycos" (Stein).

In der Mailinglist Oekonux sieht S. Merten (am 26.9.99) die Ursache der mittlerweile abflauenden Erwartungen an das Internet darin, daß es keine neuen verkaufbaren Produkte erzeugt und damit keine wirklich neuen Märkte erschließt: "Das Internet scheint nicht in der Lage zu sein, etwas eigenständiges Neues hervorzubringen, daß sich profitabel vermarkten läßt."

P. Krugmann vergleicht nicht ohne Anlaß 1998, welche der Voraussagen des Futurologen H. Kahn von 1967 für das Jahr 2000 realisiert wurden: " In short, looking back at the future makes it pretty clear that technology has made less, not more, progress than expected." Die Ursache für die Fehlprognosen sieht er in der einseitigen Ableitung der Zukunft aus technologischen Erwartungen.

"The raw power of computers has advanced at a stunning speed, but has this advance translated into a comparable improvement in their usefulness?" (Krugman)

Manchmal werden auch schon nichttechnische Faktoren berücksichtigt. Man überlegt beispielsweise, wie und aus welchen Gründen ein von ihm erwarteten günstigen Übergang in eine Wissens-Ökonomie erfolgen könnte:

"Das monetäre System hat in der jetzigen Form keinerlei Überlebenschance... Bricht nun eine oder zwei der Leitwährungen zusammen, erleben wir eine monströse weltweite Vernichtung von Kapital. Was bleibt dabei übrig? Der Mensch. Und der wird beginnen, eine neue Ökonomie der Tugend, eine Wirtschaft der Versorgung, Kreativität und Weiterentwicklung zu installieren" (Schwarzmann). Die Industrie und Verwaltung wird in dieser Zukunftsvision von Robotern und Computern erledigt - das Streben nach Kapital ist beendet, weil die Menschen mit ihrer eigenen persönlichen Weiterentwicklung beschäftigt sind...

Darin steckt ja ein wahrer Kern, nämlich der, daß tatsächlich die menschliche Arbeit die einzigste Quelle von Mehrwert und der nützlichen Umgestaltung der Welt ist. Aber die Hoffnung darauf, daß die technische Vernetzung quasi automatisch eine Umorientierung der Wirtschaftwelt erzeugen würde, muß als Illusion abgelegt werden.

Gerade aus den 12 berühmten Kelly´schen Gesetzen ergibt sich, daß die "Network-Economy" dazu führt, daß einige wenige durch die Netzdynamik ihre Macht konzentrieren und stärken können. Daß die "virtuelle Klasse" durchaus ideologische Gründe hat, ihre Rolle hervorzuheben und in möglichst positiver Weise als Fortschrittsfaktor zu "verkaufen" hat durchaus reale Hintergründe, die u.a. die englischen Soziologen Barbrook und Cameron untersuchten. Unter dem Namen "kalifornische Ideologie" erreicht dieses Konzept Berühmtheit, aber auch Kritik als "widersprüchliche Mischung aus technologischem Determinismus und liberalem Individualismus zur hybriden Orthodoxie des Informationszeitalters" (Barbrook, Cameron).

Bei der Diskussion der realen Veränderungen sind mindestens zwei zusätzliche Ebenen sinnvoll: a) die reale Umsetzung neuer Produktionskonzepte in der Wirtschaft (im Punkt 3.); und b) weitere soziale, ökonomische und politische Umwälzungen, die nicht auf die IuK-Technisierung reduzierbar sind (in 5.).

3. Wissens-Management in Unternehmen

3.1. Im einzelnen Unternehmen

Von Wissen sprach man bisher nur in Bezug auf menschliche Individuen. Inzwischen wird auch ein überindividuelles "organisationales Wissen" in den Operationsformen/dem Regelsystem sozialer Systeme (wie Organisationen) gesehen, das u.a. in den: Leitlinien, Arbeitsprozeß-Beschreibungen, Routinen, Traditionen, spezialisierten Datenbanken, Produkt- und Projektwissen sowie Merkmale der spezifischen Kultur der Organisation beinhalten (Willke).

"Wissensmanagement beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Ressource "Wissen" in Organisationen. Es befaßt sich mit jenem Teil der Lernprozesse, die als gestaltbar angesehen werden." (Forum für Organisationales Lernen und Wissensmanagement)

Wissen ist nichts Statisches. Es zu managen, bedeutet nicht, endlich starre Organisationsformen für das bisher nicht Erfaßte zu finden, sondern im Gegenteil: Raum für das Erzeugen von Neuem, von Innovation zu geben. Stetiges Dazulernen ("Lernende Organisation") und vor allem Selbst-Erfinden (Innovation) ist das Ziel, dem Wissensmanagement untergeordnet ist.

Siehe: Wissensmanagement

3.2. In der Unternehmenskooperation

Zur Verbesserung ihrer Stellung in der von Konkurrenz geprägten Marktwirtschaft gehen immer mehr Unternehmen zu Netzwerkstrategien über. Dabei bilden sie u.U. sog. "Virtuelle Unternehmen". Grundlage dafür sind die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, denn sie ermöglichen dezentral-vernetzte Unternehmensprozesse.

Siehe: Virtuelle Unternehmen

4. Der Kern des Ganzen: Mehrwertschöpfung durch die noch arbeitenden Menschen

"Die entscheidenden Standortfaktoren - Motivation, Kreativität, angstfreie Zusammenarbeit - sind psychosoziale Eigenschaften, etwas Immaterielles in einer zunehmend immateriellen Wirtschaft" (Händeler).

Menschen sind nicht lediglich austauschbare, durch Technik ersetzbare "Faktoren" des Produktionsprozesses, sondern "die einzig schöpferische Produktivkraft" (Fuchs-Kittowski).

Die wachsende Rolle dieses "subjektiven Faktors" zeigt sich auch im Versuch, einen weltweit einsetzbaren Standard IAS 38 zum Thema "Immaterielle Vermögenswerte" ("Intangible Assets") zu entwickeln.

Das bedeutet für die arbeitenden Menschen: "Die alte unmittelbare Befehlgewalt, die dem Kapitalisten qua Verfügung über die Produktionsmittel zukam, wird ersetzt durch den unmittelbaren Marktdruck, der direkt auf die Produktionsgruppen und Individuen weitergeleitet wird" (Meretz).

Siehe: Menschen im Zentrum

 

5. Neue produktive und kreative Kräfte

 

Schnelle und effektive Information und Kommunikation ist die wesentliche Wechselwirkung, die die Wirtschaft heute vorantreibt. Stoffliche und energetische Prozesse werden von ihnen gelenkt.

Wichtig ist, daß sie nicht lediglich veraltete Organisationsstrukturen "verschnellern" sollen, sondern ihr Potential zur Neustrukturierung aller Prozeßsstrukturen genutzt wird (vgl. Hammer, Champy, S. 112ff.). IuK ermöglichen die Koordination neuartig vernetzter Produktionsstrukturen (unternehmensintern wie auch zwischen wechselwirkendenUnternehmen, z.B. in "Virtuellen Unternehmen") Sie werden u.a. konkret wirksam in den modernen Produktions-Planungs- und Steuerungssystemen (PPS). Eine besondere Rolle spielen die schon erwähnten IuK-Techniken, die dezentralen PPS-Systeme in Verbindung mit neuen flexiblen Produktionsmitteln.

 

Ansätze einer möglichen neuen Ökonomie ergeben sich gerade in Kernbereichen der Produktivkraftentwicklung. Die im Anschluß an die Konferenz "Wizards of OS" (Open Source Ökonomie) für die Freie Softwareentwicklung (u.a. in der Mailinglist OEKONUX) diskutierten Fragen nähern sich der Problematik ganz konkret. Hier wird u.a. gefragt:

  • Kann GNU/Linux als Prototyp für eine nicht auf Tausch basierende Ökonomie gelten?
  • Kann der Kapitalismus eine Gnu/Linux-Ökonomie integrieren?

Siehe: Neue Produktionsmittel

Es zeigt sich, daß das Neue selbst ein komplexes Geflecht aus ökonomischen, wirtschaftlichen, sozialen und technischen Komponenten ist und nicht lediglich aus dem Vorhandensein des Internets abzuleiten ist. Dadurch sind eindimensionale Trendabschätzungen ("Wenn Internet, dann Network-Economy") nicht adäquat.

 

Literatur (mit externen Links):
Barbrook, R., Cameron, A., Die kalifornische Ideologie, in: Internet: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1007/2.html
Franck, G., Jenseits von Geld und Information. Zur Ökonomie der Aufmerksamkeit. 09.11.1998, in:
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/auf/6313/1.html
Fuchs-Kittowski, F. u. K., Einsatz von Telekooperationssystemen für kreativ-lernende Organisationen einer zukünftigen Wirtschaft, in: Referateband zum 3. Beckmannkolloquium am 04. und 05. Juni in der Hansestadt Wismar, Wismar 1999
Goldhaber, M., Die Aufmerksamkeitsökonomie und das Netz, in:
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/eco/6195/2.html (1998a)
Goldhaber, M., im Interview mit F. Rötzer, Die Ökonomie der Aufmerksamkeit wird alles verändern, in:
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2293/1.html (1998b)
Händeler, E., Neue wirtschaftliche Spielregeln der Informationsgesellschaft,
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/eco/6270/1.html (01.09.98)
Hammer, M., Champy, J., Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen, Frankfurt/ New York 1994
Hess, W., Die Teams gegen Japan. In: bild der wissenschaft 11/1992, S. 80-83
Krugmann, P., Why most economists' predictionsare wrong, in: The Red Herring magazine June 1998 in:
http://www.herring.com/mag/issue55/economics.html
Meretz, S., Produktivkraftentwicklung und Subjektivität. Vom eindimensionalen Menschen zur unbeschränkt entfalteten Individualität. In Internet:
http://www.kritische-informatik.de/pksubjl.htm (1999)
Raymond, E., Die Kathedrale und der Basar (übers.v. L. Müller), in:
http://www.linux-magazin.de/ausgabe.1997.08/Basar/basar.html (mehr von Raymond)
Rötzer, F., Hacker und Aufmerksamkeitsökonomie, 17.11.1998, in: Internet:
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/wos/6439/1.html
Schmidt, A., P., ENDO-Management. Nichtlineare Lenkung komplexer Systeme und Interfaces, Bern-Stuttgart-Wien, 1998
Schwarzmann, O., W., Prognosen, Institut für Zukunftskonditionierung. In: Vordenker, Ausgabe 02/1998
Stein, A., Wired in den Medien, in:
http://viadrina.euv-frankfurt-o.de/~sk/wired/echo_the.html
Ullmann, E., Technocommunist. In: Rewired, zit. in: Wired in den Medien, in:
http://viadrina.euv-frankfurt-o.de/~sk/wired/echo.html
Varian, H., "The idea is to tune your product to the consumer", an Interview with Hal Varian
http://www.zum-thema.com/archiv/Varian1.html (1999) "zum Thema:" Nr. 28, 30.4.1999
Virilio, P., Medien und Cyberspace, in: lettre international 38, 1995

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