Neuartige Produktionsmittel

Der Ausgangspunkt der Produktivitätssteigerung bleibt weiter der arbeitende Mensch. Er entwickelt dazu stets neuartige technische Mittel.

Drei typische Etappen lassen sich (nach Womack u.a.) unterscheiden:

Handwerkliche Produktion

Massenproduktion

("Fordismus")

Schlanke Produktion

("Toyotismus")

 

Neuerungen in der Fertigung:

Paßgenaue Austauschbarkeit der Bauteile und Einfachheit ihres Zusammenbaus ® Maßarbeit (seit 1903), Fließband ab 1913

® kombiniert handwerkliche mit Massenfertigung

Ausgangspunkt: schneller Werkzeugwechsel (Pressen von Karosserieteilen)

 

<produktivitäts- und
effektivitätsoptimiert>

<wertschöpfungsoptimiert>

  • Hochqualifizierte Arbeiter
  • Einfaches, aber flexibles Werkzeug (Allzweckwerkzeugmaschinen)
  • Einzelherstellung nach Kundenwunsch
  • Extrem dezentrale Organisation
  • Spezialisierte Fachleute (Ind. Engineers) und un- und angelernte Arbeiter
    (austauschbare Arbeitskräfte)
  • Teure Spezialmaschinen
  • Standardprodukte in großen Mengen
  • Mit Puffern, extreme Arbeitsteilung, vertikale Integration (alle Zulieferarbeit selber machen)
  • Zentraler Entwurf/Konstr. , dezentrale Montage
  • Leitung direkt zentral (Ford) oder nach Zahlen (bei GM)
  • Teams vielseitig ausgebildeter Arbeitskräfte (Motivation erforderlich) ® Unternehmen als Gemeinschaft
  • Hochflexible, zunehmend automatisierte Maschinen
  • Große Produktmenge in enormer Vielfalt
  • Einbeziehung der Zulieferer in F/E (Lieferanten entwickeln selbst entsprechend vorgegebenen Leistungsspezifikation)
  • Die Aufmerksamkeit konzentriert sich in diesem Zusammenhang heute meist auf die modernen

    Informations- und Kommunikationsmittel.

    Schnelle und effektive Information und Kommunikation ist die wesentliche Wechselwirkung, die die Wirtschaft heute vorantreibt. Stoffliche und energetische Prozesse werden von ihnen gelenkt. Wegen der viel höheren Transportgeschwindigkeit der Information und Kommunikation können diese schnelleren Prozesse die langsameren stofflichen und energetischen "triggern".
    Gleichzeitig ermöglichen sie, daß vorher linear verbundene (stofflich-energetische) Prozeßketten entflochten und auf informationellem Weg neu integriert werden können. Während die Aufmerksamkeit bisher fast nur der Telekommunikation zuteil wird, hat in der Produktion die Telekooperation eine mindestens ebenso große Bedeutung (Application Sharing etc., vgl. Fuchs-Kittowski). Bisher waren die verschiedenen Teilprozesse durch die "technische Anwendung der Mechanik, Chemie" verbunden. "Ein System der Maschinerie, beruhe es nun auf bloßer Kooperation gleichartiger Arbeitsmaschinen, ... oder einer Kombination verschiedenartiger, ... bildet an und für sich einen großen Automaten, sobald es von einem sich selbst bewegendem ersten Motor getrieben wird." So beschrieb der kenntnisreiche Karl Marx in seinem "Kapital"-Kapitel "Maschinerie und große Industrie" das Wesen dieser Produktionsform. Der Mensch wurde hier nicht nur zu einem Anhängsel der Maschine, sondern seine Arbeitsgänge wurden immer mehr ebenfalls automatenhaft und mehr und mehr wissenschaftlich "begründet" optimiert ("taylorisiert").

    Heute ist diese Produktionsform zu unflexibel.
    "Wurde zu Zeiten der fordistischen Automation versucht, möglichst umfassend algorithmisches Produktionswissen in den Maschinen zu vergegenständlichen - was bedeutete, den Produktionsprozeß "von Anfang bis Ende" festzulegen - so besteht in der postfordistischen Ära die Aufgabe, Variabilität und Flexibilität selbst als Bestandteil des Produktionsablaufs zu implementieren" (Meretz).

    Das ist eine der Hauptaufgaben neuen IuK-Technologien.
    Informations- und Datensysteme werden neu strukturiert, indem Daten und Funktionen getrennt werden, die Prozeßsteuerung und -kontrolle von den Anwendungssystemen getrennt wird und die Teilnehmer in den Netzwerken das Management selbst übernehmen (Becker).

    Gerade die den Produktionsprozeß wesentlich bestimmenden Faktoren sind inzwischen informationelle, nicht mehr stofflich-energetische. Dadurch bekommen Tätigkeiten wie das Programmieren und der Umgang mit Software eine neue Rolle. Die Art und Weise, wie LINUX entstand (in einem vernetzten, sich selbst organisierenden Team im Internet), soll mittlerweile nach einer MIT-Studie auch auf möglichst viele "freischaffende Auftragnehmer in temporären Arbeitsverhältnissen" übertragen werden. Ob die LINUX-Entwicklung und ihr ökonomischer Status (LINUX selbst ist keine verkaufbare Ware) vielleicht sogar die kapitalistischen Verhältnisse sprengen kann, wird z.Z. intensiv diskutiert (siehe Oekonux-Mailinglist).

    IuK sind jedoch nur Mittel zum o.g. Zweck. Wichtig ist, daß sie nicht lediglich veraltete Organisationsstrukturen "verschnellern" sollen, sondern ihr Potential zur Neustrukturierung aller Prozeßsstrukturen genutzt wird (vgl. Hammer, Champy, S. 112ff.). IuK ermöglichen die Koordination neuartig vernetzter Produktionsstrukturen (unternehmensintern wie auch zwischen wechselwirkenden Unternehmen, z.B. in "Virtuellen Unternehmen") Sie werden u.a. konkret wirksam in den

    modernen Produktions-Planungs- und Steuerungssystemen (PPS).

    Die neuen Produktionsformen bedeuten vor allem organisatorische Veränderungen. Produktionseinheiten werden vorwiegend nach dem Gruppenprinzip neu integriert. Ähnliche Arbeitsobjekte bezüglich Bearbeitungsvorgängen und technologischen Reihenfolgen werden zusammengefaßt; für jede Ablauffamilie wird ein Fertigungssegment gebildet und innerhalb dieser Fertigungssysteme erfolgt eine Selbst-Regelung (vgl. Zäpfel). In der Produktionsorganisation selbst wird die Funktionsorientierung von der Prozeßorientierung abgelöst, was neuartige Koordinierungen benötigt.

    Kostengünstig und flexibel sind hier beispielsweise die:

    • Plattformstrategie (Plattform bestimmt bis zu 60% der Gesamtkosten);
    • Modulstrategie (Module: verbaupunktorientierte Baugruppen, die aus funktionaler, logistischer und produktionstechnischer Sicht sinnvolle Einheiten darstellen" (Weißner);
    • Mehrfunktionalität (Mehrwirksamkeit der integrierten Produktionstechnik, z.B. Verfahrenskombinationen, Hybridverfahren und Mehrfervahrensmaschinen) (Koch).

    Die Produktion erfolgt in immer öfter entsprechend der Gruppentechnologie mit den Prinzipien: Teilefamilie, Komplettbearbeitung, Gruppenarbeit und autonome Fertigungsinseln.

     

    Eine besondere Rolle spielen die schon erwähnten IuK-Techniken, die dezentralen PPS-Systeme in Verbindung mit neuen flexiblen Produktionsmitteln.

    In der gesamten

    Fertigungstechnik

    sind auf diesen Grundlagen neuartige Produktionsformen zu erwarten:

    • lernfähige Prüfsysteme
    • adaptive Steuerungs- und Regelungssysteme
    • Qualitätsinformationssysteme
    • Autonome selbstoptimierende Transportsysteme
    • Systeme für die Überwachung und Fehlerdiagnose

    Es entstehen die Voraussetzungen für eine automatisierte Kleinstserienfertigung (Scholz-Reiter, Müller, S. 108).

     

    Einordnung flexibler und konventioneller Fertigungsanlagen (Scholz-Reiter, Müller, S.92)

    Auf dieser Grundlage erweitert sich die Selbst-Organisation der produktiven Einheiten.

    Varianten eines dezentralen Produktionscontrolling (Reiß, S. 126)

    Die Vision der Zukunft ist nicht mehr die menschenleere Fabrik (CIM), sondern ein Intelligent Manufacturing System (IMS), wie es vom japanischen Ministerium für Internationalen Handel und Industrie gefördert wird. Dabei entstehen autonome, verteilte Systeme einschließlich intelligenter, selbstorganisierender und sich selbst wartende Systeme (Löser).

    Dadurch werden die Voraussetzungen für eine "Kundenindividuelle Massenproduktion" geschaffen.

    Literatur (mit externem Link):
    Becker, J., Informationstechnische Entwicklungen, In: Corsten, H., Gössinger, R., S. 57-86
    Corsten, H., Gössinger, R., (Hrsg.), Dezentrale Produktionsplanungs- und steuerungs-Systeme, Stuttgart, Berlin, Köln 1998
    Fuchs-Kittowski, F. u. K., Einsatz von Telekooperationssystemen für kreativ-lernende Organisationen einer zukünftigen Wirtschaft, in: Referateband zum 3. Beckmannkolloquium am 04. und 05. Juni in der Hansestadt Wismar, Wismar 1999
    Hammer, M., Champy, J., Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen, Frankfurt/ New York 1994
    Koch, R., Integrierte Produktionstechnik - Modularität, Mehrfunktionalität, Mobilität, in: Dresdner Produktionstechnik Kolloquium DPK ´99
    Löser, R., Informationstechnologien - Voraussetzung für ein intelligentes Unternehmen, in: Beratergruppe Neuwaldegg (Hrsg.), Intelligente Unternehmen - Herausforderung Wissensmanagement, Wien 1995, S. 109-122
    Marx, K., Das Kapital, Band 1, Berlin 1988, S. 401
    Meretz, S. (1999a), Die doppelte algorithmische Revolution des Kapitalismus - oder: Von der Anarchie des Marktes zur selbstgeplanten Wirtschaft. Internet:
    http://www.kritische-informatik.de/algorev.htm
    Reiß, M., Organisatorische Entwicklungen, In: Corsten, H., Gössinger, R., S. 109-141
    Scholz-Reiter, B., Müller, S., Fertigungstechnische Entwicklungen, In: Corsten, H., Gössinger, R., S. 87-110
    Womack, P., J., Jones, D., T., Roos, D., Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technolgy, Frankfurt/ New York 1994
    Weißner, Vernetzte Produktentstehungsprozesse, in: Dresdner Produktionstechnik Kolloquium DPK ´99
    Zäpfel, Grundlagen und Möglichkeiten der Gestaltung dezentraler PPS-Systeme, In: Corsten, H., Gössinger, R., ,S. 13-53


    Nachtrag:
    Meretz, St., Schlemm, A.: Zwischen Selbstverwertung und Selbstentfaltung
    Zum neuen Charakter dezentral-vernetzter Produktionsweisen
      Die Vision:

    ...Dies war die Art und Weise, wie die Wirtschaft funktionierte.
    Es war nicht schwieriger, ein Flugzeug zu bauen,
    als einen halben Liter Benzin herzustellen.
    Moleküle, die sich bewegen, sich an ihrem Platz einordnen.
    Einfach nur Dinge...

    (I.McDonald: Kirinja, S.270)


    Exponat der EXPO 2000 mit
    atomar-molekularer Produktion
      Die Realität:

    Was früher mit einer Fräs- oder Bohrmaschine Schritt für Schritt handgesteuert gemacht werden mußte, erledigt die Maschine heute alleine. Ich kann daneben sitzen und lesen...(natürlich SF)


    Arbeitsplatz an einer kleinen CNC-Maschine im Jahr 2002
    Eine andere Produktionswelt ist möglich!

    Rapid Producing

    Wiki-Diskussion dazu

    Selbstorganisations-Management

    Computer im Kapitalismus (aus der Mailinglist Oekonux)

    Mögliche Zukünfte - Konkrete Utopien

    Homepage der Autorin


     
    © Annette Schlemm 1999