Sozialpolitische Folgen

Wenn man bedenkt, daß die Wirtschaft eigentlich ein Mittel für die Bedürfnisbefriedigung der menschlichen Gesellschaft ist, muß eigentlich eine Analyse darüber, wie gut ihr das gelingt, im Mittelpunkt stehen.

Wenn man den Thesen Glauben schenkt, daß die Märkte "übersättigt" sind, könnte man damit ganz zufrieden sein. Die gesellschaftliche Gesamtbilanz sollte dabei aber nicht übersehen, daß Märkte nur den "Bedarf" ausdrücken, der nach Definition nur die "zahlungskräftige Nachfrage" berücksichtigt.

Abgesehen von Globalanalysen mit dieser oder jener Sichtweise und Genauigkeit ist auch danach zu fragen, was sich im Arbeits- und Erwerbslosigkeitsleben selbst angesichts neuester Veränderungen qualitativ verändert.

Die andere Seite der
Cyber-Ökonomie

 

 

 

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Im Zeitalter der Massenproduktion an Fließbändern waren die Arbeiter austauschbare "Anhängsel" an der Maschine. Die tayloristische Arbeitsteilung beruhte auf maximaler Einfachheit und Monotonie der einzelnen Arbeitsschritte und erreichte damit Produktivitätsfortschritte. Die massenhaft hergestellten Produkte überschwemmten dann die Märkte, die sich durch höhere Einkommen für breite Bevölkerungsschichten gerade entwickelten.

In Japan jedoch bestand nur ein kleiner Binnenmarkt. Hier war deshalb zuerst eine Differenzierung des Produktangebots notwendig. Zusätzlich wirkte sich hier zuerst aus, daß sich die Rechte für die Arbeiter erhöht hatten und ein anderer Umgang mit den Arbeitskräften notwendig wurde (Womack u.a., S. 54f.). Auch in Italien hatte die Arbeiterbewegung einen überaus großen Einfluß auf die Art und Weise, zu produzieren (Negri u.a.). In Japan hatten die starken Gewerkschaften seit 1946 Übereinkünfte über lebenslange Festanstellungen mit steigenden Löhnen durchgesetzt. Dadurch wurden die Arbeitskräfte zu fixen Kosten und MUSSTEN deshalb lebenslang profitabel genutzt werden. Deshalb erwies sich Qualifizierung und die Verbesserung von Fähigkeiten als notwendig (Womack u.a., S. 61).

Was lange Zeit eine japanische Besonderheit gewesen war, bekam im Zeitalter der Lean production in der ganzen Welt einen Einfluß. Da man nun auch in den neuen Arbeitsorganisationsstrukturen (mit Kaizen usw.) selbst auf das Engagement der Arbeiter angewiesen war, begann man auch hier teilweise die Lohnkosten als fixe Kosten zu betrachten und eine stabile und kontinuierliche Beschäftigung anzustreben (Womack u.a, S. 261).

Durch die kooperativ organisierte Arbeit erweiterten sich die Handlungs- und Qualifizierungsspielräume (Oehlke, S. 42). Die Arbeit wird dadurch zum großen Teil interessanter, abwechslungsreicher, sinnerfüllter. Trotzdem hat diese neue schöne Arbeitswelt aber ihre Schattenseiten.

Aus dem Unternehmerlager wird deutlich signalisiert:

"Eines ist Gruppenarbeit jedenfalls nicht: eine unternehmerische Sozialtat. Um es klar zu sagen: Gruppenarbeit heißt, daß weniger Menschen die gleiche Arbeit verrichten." (Hess 1992)

Die Zeitsouveränität geht im Zusammenhang mit knappen Vorgaben wieder verloren. Es entsteht eine "integrierte ganzheitliche Leistungsabschöpfung mit hohem Dauerstreß" (Oehlke, S. 43). Autonomie wird an gegenseitige Kontrolle geknüpft. Eine "kreative Anspannung" wird verlangt, die keine "Poren" für kleine Ausruhphasen mehr erlaubt. Für die im Rahmen der Umstrukturierung/Outsourcing formell selbständig werdenden Betriebsteile verschlechtern sich regelmäßig die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Befristete Arbeitsverträge und Leiharbeit nehmen zu, neue Differenzierungen und Spaltungen, sowie regionale Ungleichheiten entstehen. Die weltweiten ökonomischen Verdrängungsprozesse führen zu sozialen und wirtschaftlichen Differenzierungsprozessen, Integrationen erfolgen autoritär (ökonomischen "Sachzwängen" folgend) parallell zu gleichzeitiger sozialen Abspaltungen ("ökonomischer Rassismus" entsteht).

Auch die schöne neue Wissensgesellschaft ist eine gespaltene. Als "Wissensarbeiter" werden nur 20% der Beschäftigten mehr verdienen, als die restlichen 80% der Bevölkerung zusammen verdienen (Rifkin, S. 140). Da gleichzeitig nun auch in den ehemaligen "Sozialstaaten" die Sozial- und Rentenversicherungen immer mehr privatisiert werden, werden 80% der Menschen hier ihr Niveau drastisch gesenkt bekommen - und auch noch die Schuld individuell zugesprochen bekommen. Dies hat heute schon drastlich zu bemerkende Folgen, auch wenn nicht in jedem Einzelfall Ursache und Wirkung zuzuordnen ist. Seit ich folgenden Absatz in mein Buch (Schlemm 1999) aufnahm, haben sich die Meldungen über brutale Morde in den Medien verfielfacht:

"Die destabilisierenden Wirkungen - verbunden mit offenbaren Macht- und Interessenunterschieden werden soziale, politische, ethnische und religiöse Kämpfe noch weiter aufleben lassen. H. Sana befürchtet nicht unberechtigt für die kommende Sozialgeschichte gar eine "permanente Nacht der langen Messer" (Sana, S. 252)." (Schlemm 1999, S. 118).

Die "E-Lance-Wirtschaft", die das amerikanische MIT beschreibt, rechnet nur noch mit den von ihnen gebrauchten "freischaffenden Auftragnehmer in temporären Arbeitsverhältnissen" und gibt jede weitere Verantwortung ab. Die freiwillig sich selbst organisierende Linux-Gemeinde dient hier sogar als Vorbild für die Gesamtwirtschaft.

Abgesehen von der High-Tech-Wirtschaft ergeben sich auch Veränderungen bei denen, die bisher noch relativ unbehelligt von den Segnungen der un-sozialen Marktwirtschaft geblieben waren.

"Weltweit nehmen gerade diejenigen Arbeitsformen zu, bei denen Reproduktionsarbeiten gar nicht mehr bezahlt werden (kostenlos arbeitende Frauen und Kinder). Oder es werden durch Kreditvergaben durch Weltbankprogramme oder Entwicklungshelfer immer mehr Menschen von der Agroindustrie abhängig und zu unbezahlter Arbeit erpreßbar gemacht" (Schlemm, S. 117). In den kapitalistischen "Aufschwungländern" wie in Südostasien und in Südamerika dominiert die "militärisch organisierte Arbeit in Kasernen der sogenannten Weltmarktfabriken und freien Produktionszonen", in denen die 12- bis 20jährigen Frauen i.a. 12 bis 15 Stunden täglich ohne Pause im Tropenklima eingezäunt und militärisch bewacht unsere billigen Klamotten nähen (Werlhof 1991, S. 115).

So sehr die japanischen Firmen früher soziale Sicherungen gewährleisteten - jetzt sind sie die ersten, die sie - vor allem außerhalb ihres Landes - außer Kraft setzen. Sie stoßen inzwischen in Amerika auf gewerkschaftlichen Widerstand bei der Umsetzung des Toyotismus, weil frühere Arbeitsbeziehungen, welche die gewerkschaftliche Macht ausmachen, außer Kraft gesetzt werden. Bisherige Schutzrechte der Arbeitskräfte vor unternehmerischer Willkür werden durch Team Work zerstört, das frühere Streikrecht gegen Produktionsstandards wird beseitigt (Scherrer, Greven). Ein extrem hohes Arbeitstempo im Hitzewellesommer 1988 bei Mazda war kennzeichnend für die unmenschlichen Arbeitsbedingungen.

Manchmal wird gemeint, der Kapitalismus sei damit wieder in eine ungezähmte Phase des "Manchester-Kapitalismus" zurückgefallen. Seitdem hat sich aber noch mehr verändert. Wenn es damals auch darauf ankam, seine Arbeitskraft verkaufen zu können, so war man danach zwar leistungspflichtig - aber was der Unternehmer dann mit den Arbeitsprodukten gemacht hat, durfte und brauchte einen nichts anzugehen. Heute dagegen ist man selbst dafür verantwortlich, daß es sich gut verkauft.

"Die alte unmittelbare Befehlgewalt, die dem Kapitalisten qua Verfügung über die Produktionsmittel zukam, wird ersetzt durch den unmittelbaren Marktdruck, der direkt auf die Produktionsgruppen und Individuen weitergeleitet wird" (Meretz). Das heißt: "Der eigentliche Kern des Neuen ist darin zu sehen, daß "ich als Beschäftigter" nicht mehr nur wie bisher für den "Gebrauchswert-Aspekt", sondern auch für den "Verwertungs-Aspekt" meiner Arbeit zuständig bin" (Glißmann).

Genau darin bestehen heutzutage die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt.

Literatur (mit externem Link):
Glißmann, W., (Betriebsrat bei IBM Düsseldorf), Die neue Selbständigkeit der Arbeit und Mechanismen sozialer Ausgrenzung, in: Herkommer, S., (Hrsg.), Soziale Ausgrenzungen, Gesichter des neuen Kapitalismus, Hamburg 1999
Hess, W., Die Teams gegen Japan. In: bild der wissenschaft 11/1992, S. 80-83
Meretz, S., Produktivkraftentwicklung und Subjektivität. Vom eindimensionalen Menschen zur unbeschränkt entfalteten Individualität, in Internet: http://www.kritische-informatik.de/pksubjl.htm (1999)
Negri, T., Autonomie und Separatismus. Netzwerke der Produktion und die Bedeutung des Territoriums im italienischen Nordosten, in: Negri, T., Lazzarato, M., Virno, P., Umherschweifende Produzenten, Berlin 1998
Oehlke, P., Zum halbierten Paradigmenwechsel neuer Unternehmenskonzepte, in: WECHSELWIRKUNG, Nr. 62, 1993, S. 40-44
Rifkin, J., Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt am Main 1997
Sana, H., Die Zivilisation frißt ihre Kinder. Die abendländische Weltherrschaft und ihre Folgen, Hamburg 1997
Scherrer, C., Greven, T., Für zu schlank befunden. Gewerkschaftliche Erfahrungen mit japanischen Produktionsmethoden in Nordamerika, in: WSI Mitteilungen 2/1993, S. 87-97
Schlemm, A., Daß nichts bleibt, wie es ist... Band 2: Möglichkeiten menschlicher Zukünfte, Münster 1999
Werlhof, C.v., Was haben die Hühner mit dem Dollar zu tun? München 1991
Womack, P., J., Jones, D., T., Roos, D., Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technolgy, Frankfurt/ New York 1994

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© Annette Schlemm 1999