Das Spiel des Lebens

Spiele bereiten die Spielenden auf das Leben vor. Das beginnt beim trolligen Herumtollen der kleinen Tierkinder und endet noch lange nicht beim Gesellschaftsspiel der Erwachsenen. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich spiele letzere nicht gern.

Die Gesellschaftsspiele in meiner Kindheit beruhten eigentlich nur auf Geduld und Würfelglück. Wenn ich mir Tricks erdacht hatte, erwiesen sie sich als dem Zufall immer unterlegen. Das ermüdete und ich gab es auf.

Später entstanden Spiele, bei denen gewitztes strategisches Denken zum Gewinnen gehörte. Mit "Monopoly" oder später "Siedler" konnte man sich wirklich ganze Abende lang als Gestalter von Welten fühlen. Damals hatte ich schon keine Zeit mehr dafür und ich beobachtete die Spielenden mißtrauisch, weil ich mich fragte, warum sie sich nicht mit genau demselben Engagement in die wirklichen Welt einmischten. Nun ja, sie hatten dafür halt nicht die richtigen Spielgelder. Deshalb muß das Spiel die Wirklichkeit ersetzen. Manche versuchen es heute im Börsengeschäft weiter zu führen, merken aber kaum, daß sich die Regeln inzwischen geändert haben.

Überhaupt: die Regeln.

Ein Spiel gibt Regeln vor. Innerhalb der Regeln gewinnt dann einer gegen andere. Was ist das für eine Welt, die da abgebildet wird? Unsere reale Welt.

Ich mußte über Spiele wieder nachdenken, als unser Kind in das entsprechende Alter kam. Die Computerknallereien kamen uns sowieso nicht ins Haus. Aber mir begannen auch die Regeln der üblichen Würfelspiele immer mehr zu mißfallen. Wir erzogen unser Kind nicht zur Ellbogenmentalität - im Spiel jedoch sollte sie die anderen besiegen und sich darüber freuen. Sehr pädagogisch! Wir gingen auf die Suche nach Spielen, die nicht selbstverständlich voraussetzen, daß der Gewinn von einem Spieler durch das Verlieren anderer ausgeglichen wird. Wir suchten nach Win-Win-Spielen und wurden nur sehr, sehr selten fündig. In "Sophies Welt" können alle Mitspieler für eine besonders schöne Beantwortung von Fragen zusätzliche Punkte vergeben. Das schwächt ihre eigene Position punktmäßig - sie honorieren damit aber das gemeinsame positive Erlebnis der Erkenntnis.

Mitten im Spiel beobachtete ich jedoch noch etwas Erstaunliches: Die Spielregeln sind ja inzwischen oft so kompliziert geworden, daß die Hälfte der Spielzeit beim Lesen und Interpretieren der Regeln draufgeht. Praktisch wird das oft abgekürzt, indem sich die Spielerinnen und Spieler schnell selber einigen, wie sie die entsprechende Stelle spielen wollen. Dies ist meiner Meinung nach etwas ganz Grundlegendes: Regeln nicht mehr starr hinnehmen, wenigstens einen Interpretationsspielraum ausnutzen und sogar selbst ausweiten.

Wenn Spiele die Spielenden auf die Welt vorbereiten, sollten wir noch weiter gehen: Tiere können die Welt nur so annehmen, wie sie ist und sich maximal darin einrichten. Menschen dagegen können die Regeln ihres Zusammenlebens selbst bestimmen. Sie werden jedoch durch die Regeln, die früher - bewußt oder unbewußt - geschaffen wurden, behindert. Eine Eingewöhnung in die Einhaltung der jeweils vorausgesetzten Regeln durch das Spiel macht sie jedoch noch mehr zu in ihrer sozialen Kreativität Behinderten. Wirklich menschlich sind Spiele nur dann, wenn die Regeln durch die Akteure gesetzt und verändert werden können. Wirklich menschlich ist eine Welt nur dann, wenn ihre Strukturen genau dies ermöglichen.

Mail zum Thema "Spielen" von Benni (18.01.01):

Spielen hat - wie alle kulturellen Tätigkeiten - eben solche und solche Effekte. Natürlich gibt es in unserer Welt auch einen disziplinierenden Effekt. Für mich hat immer das Gegenteil im Vordergrund gestanden. Ich setz mir meine Regeln selber, wenn eine nicht mehr taugt, wird sie halt geändert. Nirgendwo geht das so einfach wie im Spiel.

Spielen - wenn man es mit "echten Spielern" tut - ist immer eine Form von freier Kooperation. Da bleiben durch einen einfachen Deffinitionsakt für einen kleinen Zeitraum viele Herrschaftsformen einfach mal ausgesperrt.

Und selbst wenn man die Regeln als unveränderlich betrachtet (was zugegeben viele tun), kann man sie auch immer noch als eine Form von Naturgesetzten betrachten in deren Rahmen dann verhandelt wird. Das geht dann aber nicht mehr mit allen Spielen, sondern eben nur mit Verhandlungsspielen. Wobei man viele Spiele zu solchen machen kann.

Kennst Du von Schiller "Über die ästhetische Erziehung des Menschen"? Ist zwar natürlich alles fürchterlich bürgerlich-liberal verquast, aber trotzdem geht es da um ähnliche Fragen, die wir uns hier stellen. Schiller war ein grosser Spielfan.

Es gibt übrigens auch Spiele, die sich explizit damit befassen, die Regeln des Spiels zu ändern - vielleicht wären die ja was für Dich. Das erste war "Nomic" von Peter Suber. Douglas Hofstädter hat mal eine Kolumne drüber geschrieben, die in seinem "Metamagikum" steht.
Im Netz findest Du Dutzende von Varianten davon. Meine Nomic-Erfahrungen laufen aber immer auf was gruselig juristisch-bürokratisches heraus.

Und was die komplizierten Regeln angeht: Dicke Regelbücher lassen sich von Leuten die das Spiel schon kennen und etwas Erfahrung im Regelerklären haben oft in 5 Minuten darlegen.

siehe auch:

Erziehung als ernstes Spiel - Vexierspielpädagogik (kostenloser Download)

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