Dies ist der Text einer Rede, die ich Rahmen des Deutschunterrichts vor meinem Kurs gehalten habe.

Wozu studieren?

Liebe Freunde,
wir alle bereiten uns auf das Abitur vor und ich denke die meisten von uns werden später einmal studieren. Aber wieso studiert man eigentlich? Weil die Eltern das so wollen? Um viel Geld verdienen zu können? Oder einfach weil es einen interessiert?
Friedrich Schiller, der deutsche Dichter der vor genau 200 Jahren gestorben ist, kann uns bei der Beantwortung dieser Fragen vielleicht helfen.

Am 26. Mai 1789 hielt er seine Antrittsrede der Professur für Geschichte an der Universität Jena mit dem Titel "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?". Die Universalgeschichte ist für uns als Naturwissenschaftler vielleicht nicht sehr interessant, aber Schillers Überlegungen zu den Gründen eines Studiums können auch heute für uns durchaus noch aktuell sein.
Schiller unterscheidet in seiner Rede zwischen "Brotgelehrten" und "philosophischen Köpfen" und fordert seine Studenten auf, auf keinen Fall Brotgelehrte zu werden. Wie ist das heutzutage? Gibt es noch genauso wie damals Brotgelehrte und philosophische Geister? Gibt es überhaupt noch die Möglichkeit sich zu entscheiden?

Der Brotgelehrte bei Schiller erfüllt nur die Bedingungen unter denen er zu seinem Amt fähig ist und wendet seinen ganzen Fleiß dazu auf, den Forderungen seines Herrn zu entsprechen. Müssen Wissenschaftler, die heutzutage für die Industrie arbeiten, nicht ähnlich denken? Erforscht wird schließlich nur was Profit bringt, was der Herr Wirtschaft gebrauchen kann. Jede bedeutende Neuerung erschreckt den Brotgelehrten, denn eine Neuerung zerbricht sein altes System, welches er sich so mühsam aufgebaut hat. Sie zwingt ihn umzudenken und Fehler zuzugeben. Und wer Fehler eingesteht, riskiert seinen Job zu verlieren.
Auch will der Brotgelehrte, so Schiller, vor allem seine kleinliche Ruhmsucht befriedigen. Je weniger seine Erkenntnisse an sich ihn befriedigen, desto mehr sucht er Belohnung von außen. Brotgelehrte halten untereinander eine kleinliche Konkurrenz aufrecht, in der jeder versucht sein Wissen besser zu verkaufen als der Anderer. Aber hat ein Wissenschaftler heutzutage noch eine andere Chance? In einer Welt, die auf Konkurrenz basiert?

Der philosophische Geist hingegen strebt die Vollendung seines Wissens zu einem harmonischen Ganzen an. Er nimmt jede neue Erkenntnis in sein System auf und wenn Zweifel am System aufkommen, ist er der Erste, der es über den Haufen wirft und besser wieder aufbaut. Sein Gegenstand und sein Fleiß selbst sind ihm genügend Reiz und Belohnung, er braucht keine Bestätigung von außen. Philosophische Köpfe arbeiten zusammen, nicht gegeneinander. Was einer erkannt hat, können alle nutzen. Denn das Ziel eines solchen philosophischen Geistes ist es, das Wissen aller zu erweitern und zu vervollkommnen, nicht mit seinem eigenen, kleinen Wissensschatz zu glänzen. Aber ist dieses Ziel heute noch realistisch?

Zu Schillers Zeiten wurden Menschen zu Brotgelehrten, weil der absolutistische Staat keine selbstständig denkenden Menschen wollte. Die meisten Studenten wollten Beamte werden und dazu sind eigene Meinungen nur hinderlich. Schiller macht klar, dass er keine zukünftigen Brotgelehrten unterrichten wird; er verlangt von seinen Studenten die Wissenschaft der Wissenschaft wegen zu betreiben, nicht um Anerkennung, Ruhm oder eine sichere Beamtenstelle zu erhalten.
In heutiger Zeit gibt es vor allem in den Naturwissenschaften viele Brotgelehrte. Aber kann man es ihnen übel nehmen? Wir alle müssen später einmal Geld verdienen, einen Job kriegen. Wie viele studieren hauptsächlich um einen gutbezahlten Job in der Industrie bekommen zu können? Sobald Studiengebühren eingeführt werden, wird der Zwang möglichst schnell nach dem Studium möglichst viel Geld zu verdienen noch größer werden. Wer wird es sich dann noch leisten können, an der Vervollkommnung seines eigenen Wissens zu arbeiten, wenn man damit doch keinen Profit machen kann?
Während des Studiums und der ersten Arbeitsstelle verlernen es viele schnell, Verantwortung zu übernehmen. Denn wer nie Verantwortung für etwas übernimmt, kann schließlich auch nie die Schuld bekommen, wenn etwas nicht funktioniert.
Schon das Kurssystem will gute Noten sehen, eigene Interessen sind nur im Weg. Ich beschäftige mich trotzdem mit ihnen, auf Kosten mancher Hausaufgaben und dem ein oder anderen Punkt. Wer Zeit in außerschulische Dinge investieren will, muss sich Zeit freikämpfen, muss Hausaufgaben vernachlässigen und schlechtere Noten in Kauf nehmen.

Alles drängt uns dazu, unsere eigenen Interessen und den Spaß an der Wissenschaft zu verdrängen und uns anzupassen. Ich mache niemandem Vorwürfe, der dies getan hat. Es ist wirtschaftlich sinnvoll neue Erkenntnisse verdeckt und von der Konkurrenz versteckt zu halten, nie Verantwortung zu übernehmen und den Chefs zu schmeicheln.
Aber ich werde das nicht tun. Ich habe Freude an der Physik, ich liebe es mir über physikalische Probleme den Kopf zu zerbrechen und mit anderen darüber zu diskutieren. Das wunderbare Gefühl, wenn ich einen Sachverhalt verstanden oder eine Lösung selbst gefunden habe, bedeutet mir viel mehr als eine gute Note oder ein Preis bei einer Olympiade. Habt ihr nicht alle schon einmal dieses Hochgefühl erlebt, wenn sich nach stundenlanger, harter geistiger Arbeit ein Problem auf einmal auflöst? Ich will das nicht aufgeben. Ich werde Physik studieren, weil ich begeistert bin von der Physik, nicht weil ich mir einen gutbezahlten Job als Physikerin erhoffe. Ich würde auch Philosophie studieren, wenn mich nicht Physik viel mehr begeistern würde, auch wenn es so gut wie unmöglich scheint als Philosophin einen Job zu bekommen.

Es ist vielleicht nicht einfach, sich in dieser Welt durchzusetzen und den Spaß an der Wissenschaft zu behalten; aber es ist möglich. Wir haben die Wahl, ob wir die Wissenschaft nur noch zum Broterwerb betreiben oder ob wir uns trotz aller Probleme und Schwierigkeiten den Wissensdurst und die Freude an neuem Wissen nicht nehmen lassen. Schillers Rede kann uns helfen wahrzunehmen, dass diese Wahl überhaupt existiert, und uns bewusst zu entscheiden: für den einen Weg oder den anderen.


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