2.5. Die revolutionären Potenzen der Informationsgesellschaft

Internet

Das Internet ist geradezu ein Parademuster, wie Anarchie - d.h. Ordnung ohne Herrschaft - funktionieren kann (Borsook). Es wird oft betont, daß die technischen Strukturen des Internet durch ihre militärische Wurzel und dem Bedürfnis der nicht zentralen Angreifbarkeit bestimmt werden. Noch wichtiger allerdings wurde die weitere akademische Nutzung, die dem Internet "offene Standards" aufprägte.

Obwohl man hier durch die Kommerzialisierung seit den 90er Jahren Abstriche machen muß, bleiben die Erfahrungen mit den grundlegenden Prinzipien des Internet extrem wichtig:

  • Wesentlich ist die Offenheit und freie Zugänglichkeit der Standards. Die Internet Engineering Task Force (IETF) bringt als organisatorische Basis der Internet-Weiterentwicklung lediglich Kompetenzen zusammen, garantiert aber gleichzeitig die Macht "der Basis", das heißt der Anwender. Technisch gesichert wird dies über das Internet Protocol, eine Unabhängigkeit von der konkreten Netzumgebung und das Paketvermittlungsprinzip (Dierkes, Hofmann, Marz).
  • Die Richtlinien des Umgangs miteinander im Netz, die Netiquette, beruhen nur auf sozialem Druck, haben keine Möglichkeit, administrativ eingreifend zu wirken. Es stellt sich heraus, daß sie solange funktionieren, wie Gemeinschaften existieren, bei denen moralische Sanktionen einen Effekt haben - die Kommerzialisierung wirkt dem leider massiv entgegen (Djordjevic)

Es wird eingeschätzt: "In Abwesenheit von zentralen Steuerungsinstanzen hat sich eine Vielfalt von Formen einer dezentralen Handlungskoordination herausgebildet. "Informierter Konsens" oder, allgemeiner formuliert, "informierte Handlung" wäre dabei als ein erstes Regulierungsmuster zu nennen" (Hoffmann 1997a). Die Kommunikation wird dabei von der Anwenderseite, d.h. "von unten" her dezentral strukturiert.

Das Internet gibt uns ein Beispiel, wie herrschaftsfreie Zustände möglich sind. Es besteht ja durchaus nicht aus einer absoluten Un-Ordnung, sondern schuf sich seine eigenen Steuerungselemente. Deren "Sanktionsgewalt ist lokal begrenzt und beschränkt sich in der Regel auf Ermahnungen und Appelle an die Eigenverantwortlichkeit, mit unterstützt durch Gruppendruck anderer Netzteilnehmer. Im ärgsten Fall besteht eine Sanktion in einer Verbannung der Malefikanten aus dem Netz." (Hoffmann 1997b)

"Schufen die zentralistisch strukturieren Telefongesellschaften zentralistische und proprietäre Technikkonfigurationen, die einen einzigen Anbieter, eben die nationale Telefongesellschaft, und eine einzige Anwendungsform, das Telefonieren, vorsahen, reflektiert die Technik des Internet eine dezentrale Organisationsform, die multiple Nutzungsweisen unterstützt" (Dierkes, Hofmann, Marz). Sie unterstützt sie - führt aber nicht automatisch dazu.

Open Source Software

Freiheit statt Kommerzialisierung - durch GPL-Lizenz

1984, also vor nicht allzu langer Zeit, begann etwas völlig Neues. In diesem Jahr wurde der bis dahin frei zugängliche Source Code des weitverbreiteten Betriebssystems UNIX unter ein Copyright gestellt. Dies geschah im Zusammenhang mit dem Rückzug der staatlichen Förderung und dem Einzug der privatkapitalistischen Kommerzialisierung in den Softwarebereich. Diese Okkupation machte Bill Gates zum Milliardär - stieß aber von Anfang an auch auf Gegenkräfte. Richard Stallman gründete das GNU-Projekt, in dem eine neue Software entwickelt wurde, die vor der Kommerzialisierung geschützt wurde. GNU heißt "GNU Is Not Unix". Der Schutz vor Kommerzialisierung erfolgte durch eine GNU General Public License (GPL), die im Gegensatz zum Copyright auch "Copyleft" genannt wird. Diese spezielle Lizenz umfaßt folgende Punkte:

  • das Recht zur freien Benutzung des Programms
  • das Recht, Kopien des Programms zu erstellen und zu verbreiten,
  • das Recht, das Programm zu modifizieren,
  • das Recht, modifizerte Versionen zu verteilen.

Das bedeutet gleichzeitig:

  • dass der Quelltext jederzeit frei verfügbar sein und bleiben muß,
  • dass die Lizenz eines GPL-Programms nicht geändert werden darf und
  • dass ein GPL-Programm nicht Teil nicht-freier Software werden darf (Meretz 2000b).

Das "Freie" an dieser Software ist nicht, daß sie wie "Freibier" kostenlos wäre (die Distributionen können durchaus kostenpflichtig sein), sondern daß der Quelltext (Source) nicht privatisiert, d.h. kommerzialisiert werden kann.

LINUX-Produktionsweise - fast wie auf einem Basar

Die Produktionsweise der GNU-Software funktionierte erst noch in üblicher Weise - also zentralistisch gesteuert und "wie der Bau einer Kathedrale" organisiert. Viele Jahre gelang es jedoch nicht, den wichtigen Kernel für das GNU-System zu entwickeln.

Das änderte sich erst, als Linus Torvalds 1991 dieses Vorgehen radikal änderte. Torvalds weigerte sich, wie bisher in einem kleinen eingeschworenen Team "die Kontrolle behalten" zu wollen - sondern stellte einfach seine Zwischenergebnisse beim Programmieren öffentlich ins Internet und forderte zur Fehlersuche und Mitarbeit auf. Manche fürchteten, die Koordination dieser Arbeitsweise würde so schwer werden wie "Katzen hüten". Es zeigte sich aber bald, daß diese Organisationsform der internetbasierten selbstorganisierten Kooperation die Leistungsfähigkeit der früheren starren "Kathedralen-"Organisation weit übertrifft. Eher "wie auf einem Basar" (Raymond) werden Informationen geteilt, mit Innovationen angereichert, weiter verteilt usw.

"Maintainer, einzelne Personen oder Gruppen, übernehmen die Verantwortung für die Koordination eines Projektes. Projektmitglieder steigen ein und wieder aus, entwickeln und debuggen Code und diskutieren die Entwicklungsrichtung. Es gibt keine Vorgaben, wie etwas zu laufen hat, und folglich gibt es auch verschiedene Regeln und Vorgehensweisen in den freien Softwareprojekten. Dennoch finden alle selbstorganisiert ihre Form, die Form, die ihren selbst gesetzten Zielen angemessen ist... Ausgangspunkt sind die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen - das ist bedeutsam, wenn man freie und kommerzielle Softwareprojekte vergleicht." (Meretz 2000b).

Es zeigt sich, daß diese, aus eigenen Bedürfnissen, der Fähigkeit zur individuellen Selbstentfaltung und kooperativen Selbstorganisation gespeiste Produktionsweise um ein vielfaches befriedigender, aber auch effektiver ist und zu qualitativ besseren Produkten führt.

Dies bezieht sich vorerst natürlich "nur" auf die Softwareszene - im Bereich der Produktion von Hardware im weitesten Sinne, also materieller Güterproduktion ergeben sich noch zusätzliche Hürden, die mit den Eigentumsverhältnissen an materiellen Produktionsgrundlagen und -mitteln zu tun haben.

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... auf dem Weg aus der Wert-Vergesellschaftung heraus