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Die klassische deutsche Philosophie

Seit einigen Tagen gehen mir ganz andere Sachen im Kopf herum als der deutsche Idealismus, denn der reale Alltag hat mich einigermaßen im Griff. Und doch treffen viele begleitende Überlegungen immer wieder ähnliche Grundfragen. Wie frei bin ich eigentlich in der Bestimmung meines Lebensalltags und seines Zieles? Wie kann ich mein Selbstbewußtsein jeden Tag gegen die Welt stellen und doch ganz in ihr geborgen sein? Wie kann ich meinen Weg ohne Ablenkungen verfolgen und doch offen bleiben für andere Menschen?

Seit einigen Monaten hänge ich bei meinen Philosophiestudien an der klassischen deutschen Philosophie fest. Ich habe noch so viel anderes vor und so wenig Zeit... Aber die Fülle an reifem Wissen - oft tief verborgen in nicht festzudefinierenden, sich kreisend bewegenden Worten - die ich hier finde, läßt mich nicht so schnell los. Mir wird auch immer bewußter, wie wenig ich im Vergleich zu diesen Geistesgrößen zu sagen habe... Aber begann nicht Fichte diese Epoche der Philosophie gerade mit dem Ausruf: "Ich bin ICH!".?

Meine Zusammenschau des Herausgelesenen hat aktuelle Bezüge. Um sie aufschreiben zu können, muß ich einzelne Themen gruppieren:


Einen ganz perfekten Hypertext mache ich jetzt nicht daraus, damit die Internetleser nicht ständig auf das Laden der Texte warten müssen. Deshalb beginne ich an einer Stelle und deute nur einige Übergänge, die sich ergeben, an.

A) Die Freiheit

Der Hintergrund des Idealismus seit Fichte ist die Begründung der Möglichkeit von Freiheit in einer notwendigen Zusammenhängen folgenden natürlichen Welt.

"Das System der Freiheit befriedigt,
das entgegengesetzte tötet und vernichtet mein Herz." (Fichte)

Auch Schelling ging von der Freiheit als A und O einer Philosophie aus. Deshalb stellte er an den Anfang seiner Überlegungen das durch nichts außer ich selbst Bedingte: das Un-Bedingte = das durch nichts Begrenzte: das Unendliche und deshalb Absolute.

Schon bei Schelling verändert sich diese Aussage bei der gedanklichen Verfolgung realer und logischer Zusammenhänge. Hier setzt nicht mehr - wie bei Fichte - das absolute Subjekt (Ich) allein alles Objektive (Nicht-ich). Sondern im Mittelpunkt steht die Identität von Subjekt und Objekt. Ihre prozeßhafte (zeiterzeugende) Identität wird von Schelling aber schließlich doch in das außerzeitliche Absolute gelegt. Dieses Absolute umfaßt das Wesen aller zeitlichen Dinge - und nur in der Handlung gemäß diesem (festgelegten, unveränderlichen!) Wesen liegt dann noch Freiheit. Aber wenigstens diese ist zugesichert gegen jegliche Bestimmung von außerhalb.

Hegel wird nun noch mehr nachgesagt, er hätte alle freie Beweglichkeit einem starren System unterworfen. Aber seit ich ihn gelesen habe, kann ich das nicht mehr nachvollziehen. Seine Texte entziehen sich jeglichem "Festbinden" gerade durch die in ihnen ablaufende Bewegung der Begriffe, die erst ganz am Ende zum Stillstand kommt.

Auch bei Schelling konstituiert sich die natürliche Welt aus Akten der Intelligenz, was bei Hegel kurz darauf ähnlich klingt. Auch Schelling denkt dialektisch im Sinne der Synthesebildung aus Widerstreitendem (Expansion und Kontraktion).

Bei Hegel erlangt die Aufeinanderfolge von Begriffen eine größere Stringenz, ist öfter auch sehr konstruiert (im Bezug zur Natur noch viel mehr fehlgehend als der Schematismus bei Schelling).

Hegel jedoch thematisiert eins deutlicher: die Selbstreflexion des Bewußtseins.

Schon bei Schelling deutete sich an, daß in der Erkenntnis eine ursprüngliche Einheit aufgetrennt wird. In der Empfindung trennen sich das Ding und Ich; in der produktiven Anschauung wird dieses Empfinden selbst wieder angeschaut und damit das (empfindende) Subjekt zum Objekt gemacht wird. Es entsteht ein innerer Sinn für sich selbst. Das Selbst setzt sich dem Objekt entgegen und die Individualität entsteht (bis hierher erinnert es stark an des Selbstreferenzkonzept der Autopoiesetheorie).

Und hier tritt der Erkennende aus der "breiartigen" Vermischung von Allem mit Allem - wie sie heutzutage als Meditationsziel oft beschworen wird - endlich heraus:

" Soll eine Intelligenz sein, so muß sie aus jener Synthesis heraustreten können, um sie mit Bewußtsein wieder neu zu erzeugen; indem sie das Individuum gerade von diesem bestimmten Punkt aus anschaut." (Schelling)

HEGEL führte diese Selbstreflexion noch weiter. ADORNO betonte bei seiner Verteidigung Hegels gegen vereinfachende Mißverständnisse:

"Die Hegelsche Selbstreflexion des Subjekts im philosophischen Bewußtsein ist in Wahrheit das dämmernde kritische Bewußtsein der Gesellschaft von sich selber"

Und wer der Kritik die Tür öffnet, öffnet sie der Freiheit gegenüber allen scheinbar für immer und ewig festgelegten "Notwendigkeiten" und "Sachzwängen".

Die Praxisphilosophie wird das zweihundert Jahre alles "neu erfinden".

2. Wissen

Weil ich gerade den Bezug zur Meditation erwähnte, fiel mir ein viel verständlicherer zeitgenössischer Autor ein: Ken Wilber.

Er sieht in der ursprünglichen Einheit (z.B. des Kleinstkindes oder der allerersten Menschen mit ihrer Umwelt) eine "Fusion", noch keine Integration, welche sich erst nach einer ausreichenden Differenzierung bilden kann. Wer sich - an der Trennung in der Differenzierung leidend - zurückwünscht in die Fusion, bleibt nach Wilber im "flatland". Besser wäre der Schritt in die Integration, die eine Transcendence (Überschreitung) und ein Einschließen des Vorherigen (include) verlangt.

Wenn wir dies im Hinterkopf haben, bekommt Hegels "Dreischritt" der Dialektik einen anderen - vielleicht eingängigeren - Hintergrund.

Hegel sieht (mit Spinoza) in jedem Etwas ein Bestimmtes. Alles Bestimmte aber ist zumindest davon bestimmt, daß es ein Anderes nicht ist. Dieses Andere; Nicht-Enthaltene ist also irgendwie schon im Bestimmten mit drin. Alles Bestimmte drängt deshalb zur Überschreitung, Transcendence. Das Etwas und das Andere ist gerade nicht das Selbe. Es ist durch die Bestimmung unterschieden, getrennt. Ich kann das Andere einfach vergessen...und mich in die alte Harmonie (des Nichtdifferenzierten) zurückflüchten. Aber das macht die Welt selber auch nicht. Die Unterscheidungen macht der Verstand.

Er ist der Spezialist für das Unterschiedliche, zu Trennende, als Getrenntes Festzuhaltendes, als Festes zu Definierendes. Manche Wissenschaft bleibt zu manchem Zeiten in diesem Stadium hängen. Der erste Blick auf die Dinge der Welt sieht halt die Unterschiede, hält sie fest.

Aber jetzt kommt's: Hegel verlangt diesen ersten Blick wiederum kritisch zu betrachten. Die erste Reflexion ist zu reflektieren. Das macht die Vernunft. Sie sieht den Unterschied und die Einheit der Dinge. Diese Identität von Identität und Unterschied oder Negation der Negation - so kompliziert sie auch klingt - ist weiter nichts als diese Selbstkritik des Erkennens in der Vernunft (in der realen Entwicklung ist sie das sich verändert habende Etwas, das anders geworden ist, aber wieder Etwas ist.).

Die Synthese ist deshalb nicht - wie oft falsch vereinfacht - die einfache Summe von These und Antithese (was unverständlich bleibt und dann der Dialektik angekreidet wird). Die Synthese beinhaltet gleichermaßen die Einheitlichkeit und die Widersprüchlichkeit der betrachteten Dinge. Viel leichter zu verstehen ist das auch nicht - aber tiefgründiger.

Hegel wird als der rationalste der rationalen Denker betrachtet (schließlich ist bei ihm die Vernunft das Höchste). Deshalb trifft ihn scheinbar die heutzutage moderne Rationalitätskritik besonders stark. Aber dies trifft nur einen falsch verstandenen Hegel. Was Hegel für die Vernunft (im Gegensatz zum Verstand) fordert, ist gerade das, was heute mit der Rationalitätskritik gefordert wird: das Denken in ganzheitlichen Zusammenhängen. Darauf wies schon vor langer Zeit Adorno hin. Hegel erarbeitete demnach - nach Kant, Fichte und Schelling - den ausgearbeitetsten Ausdruck einer sehr modern klingenden Wissenschaftskritik:

  • Hegels Anspruch an die Philosophie ist es, daß sie die "Grenzen nur feststellender, auf die Zurichtung von Materialien abzielender Wissenschaft" (Adorno) überschreitet: "Bei ihm ist die Kritik jenes positivistischen Wissenschaftsbetriebes bereits voll entfaltet, der heute in der ganzen Welt zunehmend als einzig legitime Gestalt von Erkenntnis sich aufspielt."
  • Die Aufklärung (das Selbstbewußtsein) kritisiert sich selbst; es wird das Subjekt in die Erkenntnis hineingenommen.
  • Kritik wird nicht allgemein geübt, sondern erweist sich nur als bestimmte Negation im Konkreten weiterführend.
  • Diese Art Kritik ist bei Hegel genaugenommen nicht nur auf eine Selbstkritik des erkennenden Denkens bezogen, sondern versteht sich ebenso als Interpretation der ständigen Selbstkritik des Wirklichen. "Die Unzulänglichkeit aller isolierten Einzelbestimmungen ist immer zugleich auch die Unzulänglichkeit der partikulären Realität, die von jenen Einzelbestimmungen gefaßt wird." (Adorno)
  • Es wird betont, daß alle Einzelurteile, alle Einzelschlüsse falsch sind; da in jeder Einzelbestimmung sich noch die Differenz von Subjekt und Objekt manifestiert. Erst in der eigenen Korrektur entwickelt sich angemessenere Erkenntnis.
    Hier gilt dasselbe auch wieder für die sich entwickelnde Welt: die nur partikuläre Realität kritisiert und überschreitet sich damit selbst...

    In der Wirklichkeit steckt mehr (an Möglichkeiten), als im reinen Dasein bereits vorhanden ist. Insofern ist das "Wirkliche vernünftig" (Hegel). Damit wird das Vorhandene gerade nicht legitimiert, sondern das einfach Daseiende wird kritisiert und im Entfalten des Wirklichen (das weitere Möglichkeiten enthält) durch ständige Selbstkritik wird der vernünftige Gang der Geschichte gesehen.

Die Kritik des Vereinzelten, Getrennten, Isolierten, die für das New-Age-Denken grundlegend ist; die angeblich so moderne "Hineinnahme des Subjekts" in die Erkenntnis spätestens seit der Debatten um die Quantentheorie und jetzt des Selbstorganisationskonzeptes sind also so neu überhaupt gar nicht.

Das mag alles nur historisches Interesse beanspruchen. Hegel selbst hat dem Unverständnis durch seine komplizierte Sprache ja auch einigen Vorschub geleistet. Eine Rückbesinnung auf ihn wird aber dann unverzichtbar, wenn aus seinem Denken Gedanken zu bergen sind, auf welche die moderneren Denker noch gar nicht gekommen sind, bzw. die sie ungeprüft und unzusammenhängend ablehnen:

Wer die Trennung durch die verstandesmäßige Erkenntnis zurücknehmen will, ohne weiterzugehen, bleibt im "flatland", wie Ken Wilber dazu sagt. Es ist tatsächlich typisch für New-Age und "Zurück-zu-den-ganzheitlichen-Harmonien"- Esoterik, daß sie als Entwicklung nur betrachtet, was zurück zu diesen ir-rationalen geistigen Zuständen führt. Sie bezeichnen das zwar als "höhere" Zustände, was aber nur ein elitärer Ausdruck ist. Sie meinen inhaltlich die undifferenzierte "Fusion" (Wilber), nicht die Integration/Synthese des Ausdifferenzierten.

Das Verhältnis von Fusion, Differenz und Integration ist nicht zu vereinfachen, indem nur das "Ganze" überhöht in den Mittelpunkt gestellt wird. Wie ist denn über das Ganze überhaupt nur sinnvoll zu reden?

3. Die Ganzheit

Wenn man die Debatten der ersten Menschen verfolgt, die als Philosophen bezeichnet wurden, fällt eine Konzentration auf ein Thema auf: Eine der ersten und wichtigsten philosophischen Fragen war die nach dem Verhältnis von Vielen zu dem Einen, von dem Mannigfaltigen zu dem Einheitlichen, von den Teilen zum Ganzen.

Speziell der Begriff des Ganzen ist gar nicht denkbar, ohne daß auch Teile gedacht werden.

Ken Wilber versucht, mit dem Begriff des Holons (den er von Arthur Koestler übernimmt) die Situation zu bezeichnen, daß die gesamte Realität aus Teilen aufgebaut ist, die Ganzheiten bilden, welche wiederum Teile übergreifenderer Ganzheiten sind. Jedes Holon muß dann seine eigene Tätigkeit als Ganzes erhalten und sich als Teil eines Ganzen bewähren.

Auch der Systembegriff kann in dieser Weise verstanden werden. Im Systembegriff nach Herbert Hörz wird bestimmt, daß ein System (als Ganzes) diejenigen Materiebereiche umfaßt, die sich durch gemeinsame wesentliche (auf das qualitative Wesen zielend!) Zusammenhänge - also Gesetzmäßigkeiten - auszeichnen. Jedes System besteht dabei aus Elementen/Komponenten, die selbst Systeme darstellen - und jedes System ist Element/Komponente anderer übergreifender Systeme. System sind dabei qualitativ bestimmt (und nicht nur quantitativ, wie in vielen kybernetischen oder Selbstorganisations-Systemtheorien) und nicht nur auf stoffliche Körper beschränkt, sondern bezeichnen auch Komplexe von Prozessen o.ä.

Diese Zusammenhänge werden im modernen Denken oft einseitig interpretiert. Der Eindruck des Überwiegens von Getrenntem, Isoliertem, Geteilten ruft als Gegenreaktion die Überbetonung des Ganzen, "Heilen", "Harmonischen" hervor.

Die moderne Wissenschaft seit Descartes wird abgelehnt, weil in ihr das Ganze und das Lebendige nicht zu verstehen sei. Die auf diesem Wissen beruhende Praxis der Menschheit (Technik) wird abgelehnt, weil sie erstens theoretisch auf falschen Prämissen beruhe (Vernachlässigung des Ganzen) und zweitens ökologisch für die Menschheit selbstmörderisch (wobei der Menschenselbstmord moralisch meist noch weniger verurteilt wird, als die Veränderung und Zerstörung vorher "unberührter" Natur).

Tatsächlich entwickelte sich die menschliche Praxis in diese zu kritisierenden Richtungen. Warum sich aber welches Denken wann durchsetzt, ist damit nicht beantwortet. Die Quelle der Fehlentwicklungen wird i.a. in falschem Denken gesehen - der Ausweg also auch nur in dieser Richtung gesucht.

Abgesehen von diesem Problem, bei dem ich eine andere Meinung habe, führt jedoch auch der Vorwurf des falschen Denkens nicht zu einer richtigeren Alternative. Einfach nur das Gegenteil des Kritisierten zu machen - also jetzt statt des unterscheidenden (isolierenden, trennenden...) Denkens nur noch in undifferenzierten Ganzheiten zu denken - bringt nicht weiter.

Man muß etwas genauer hinschauen, wenn von den Ganzheiten gesprochen wird. Ich denke, daß man die oben besprochenen Unterschiede von "Fusion" und "Integration" nach Wilber gut verwenden kann. Eine undifferenzierte, breiartige Verwaschung aller Unterschiede führt zurück in die Fusion. Eine neue Integration des Ausdifferenzierten führt zu einer Synthese (Dialektik).

Ken Wilber sieht durchaus die wesentlichste Aufgabe der Menschen darin, geistig neue Stufen des Seins zu erklimmen. Er betont aber, daß der Spirit nicht zurück in die Fusion ("flatland") will, sondern hinauf in höhere Ebenen der Synthese.

Eben erwähnte ich den Spirit. Scheinbar widersprüchlich verwendet Wilber ihn als "Geist", der das Sein durchdringt und zu immer neuen Ebenen führt/drängt. Andererseits ist er auch das letztendliche Ziel aller Entwicklung = das Holon, das alle anderen enthält und selbst in keinem enthalten ist. Hier sind beide Darstellungen noch recht unvermittelt. Ken Wilber braucht diesen Spirit, um eine Quelle für die Entwicklung zu haben. Er hat die Holons, aber damit diese sich bewegen und entwickeln, muß er den Spirit (was nur ein anderer Name für Kreativität ist) zusätzlich als Triebkraft und Ziel der Entwicklung.

Bei Schelling und Hegel taucht dasselbe Prinzip auf.

Das Absolute ist das letzte Ziel aller Bewegung und gleichzeitig das in allem Sein die Bewegung Antreibende.

Wie kann man das sinnvoll denken?

Das Gemeinte erschließt sich nicht einfach.

Bei Schelling ist es das außer aller Zeit vorhandene Absolute, was allen Dingen einbeschrieben ist (als Seele). Das Absolute ist als das einzige Wesen in allen Dingen. Die Dinge selbst haben kein eigenes Wesen. Alle Entwicklung hat als ihr Ziel das Absolute schon immer in sich.

Hegel sieht auch ein Absolutes als Ziel der Entwicklung. Im Fortgang seiner Argumentationen jedoch wird deutlicher herausgearbeitet, daß sich die einzelnen Entwicklungsschritte aus einer jeweils bestimmten Negation des Vorhandenen heraustranszendieren.

Hier zeigen sich die inneren Widersprüche als Triebkräfte der Entwicklung, wobei Hegel verschiedene wesentliche Qualitäten unterscheidet, die im Laufe der Entwicklung von den beteiligten Dingen (nach dem Überschreiten des Maßes) überschritten werden.

Innere Widersprüchlichkeit als innere Triebkraft der Entwicklung und das Absolute , bzw. die Totalität als Ziel sind zur Erklärung der Entwicklung komplementär.

Dies erklärt sich daraus, daß die Teile nur Teile in Bezug auf das Ganze sind und die Widersprüche nur bewegend wirken in einem ganzen Zusammenhang - und das Ganze nur ein Ganzes von Bestandteilen ist und die Totalität/ das Ganze sich nur erhält und entwickelt in der widersprüchlichen Einheit dieser Teile.

Aus diesem Grund gibt es keine Ganzheit, die ewig dieselbe bleiben würde. Ihre innere Widersprüchlichkeit treibt sie in eine sich selbst überschreitende Bewegung. Zurück in die "Fusion" führt kein Weg. Die Differenzierungen müssen aber tatsächlich immer wieder neu integriert werden. Darauf zu verweisen, ist das gute Recht aller Ganzheitlichkeits-Konzepte! Nur ihre aktuelle Tendenz zur Reduktion auf diese Ganzheit, die Verabsolutierung der Harmonien ohne alle Widersprüche wird nicht weiterführen. Die Forderung der Rückkehr in die Fusion stellen sich den Lauf der Dinge eher als Kreislauf vor, bei dem nichts Neues entsteht, sondern sich Eines immer wieder reproduziert. Widersprüche sind dann zu eliminieren und nicht auf neuen Wegen zu lösen; Differenzen werden nur in ihrer zerstörenden Rolle gesehen und nicht als Anlaß, neue Synthesen zu suchen und zu gestalten.

Aber die Welt bewegt sich nicht in Kreisläufen. Irreversible Veränderungen bringen immer Qualitätsänderungen mit sich, die in Entwicklungsprozesse münden.

4. Entwicklung

Um die Entwicklung zu erklären, ist keine zweite Entität neben dem "Holon" wie bei Wilber notwendig. Die Materie ist kreativ, weil sie widersprüchliche Teile im Ganzen zusammenfügt.!

Die Quelle und die irreversible Tendenz der Entwicklung ergibt sich allein aus der Teil-Ganzes-Dialektik, wenn die Widersprüchlichkeit beachtet wird.

Die klassische deutsche Philosophie gab uns die Denkmethode, diese Dialektik in ihrer Bewegung zu erfassen. Wenn wir sie nicht anwenden, ist Entwicklung tatsächlich nicht aus den Eigenschaften der Dinge selbst ableitbar - und da Entwicklung im Kosmos und im Leben aber eigentlich offen sichtbar vorhanden ist, müßte dann ein zusätzlicher Trieb oder ein zusätzliches Ziel eingeführt werden. Das ist meistens der Hintergrund, wenn die Notwendigkeit eines Geistes /Spirits o.ä. begründet wird. Die innere Dialektik der Dinge wird nicht durchschaut - also erklärt man sich's mit einem zusätzlichen Faktor. Früher war das dann die Entelechie oder die Lebenskraft.... heutzutage denkt man abstrakter, allgemeiner - da reicht dann der allgemeine Geist-Begriff in welcher Sprache auch immer.

5. Zurück zum Alltag

Was nützt mir das nun alles?

Ich stehe immer mal wieder vor der Entscheidung, wie ich weiterleben will. Manchmal denke ich mehr darüber nach, manchmal auch weniger. Vieles mache ich eher instinktiv. Diese "Instinkte" sind aber genährt von Erfahrungen und auch geschult durch Wissen. Ich sehne mich auch oft nach Geborgenheit und Heimat (und suche auch Möglichkeiten, mir dies zu schaffen) - aber ich weiß auch, daß es weiter, über den nächsten Hügel, gehen muß. Das Wissen um typische Zusammenhänge und Verhaltensweisen von Menschen und anderen Bereichen der Welt hilft mir ganz gut, auch ein Gespür für Vorgänge zu erhalten, die für die eigene Orientierung wichtig sind. Die klassische deutsche Philosophie hat dem in den letzten Monaten bei mir ein ganzes Stück weitergeholfen...

23.8.96

 

 

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