Denken oder Denken...lassen

- Ein Text von 1990 -

Die Welt-Anschauung tut weh
heute, weil du so viel Elend
und so wenig Aufrechte siehst.
Und die paar Aufrechten
siehst du verstrickt
in Kämpfe gegeneinander und
Mächte, die sie nicht verstehen
wollen, weil sie keine Zeit
dazu zu haben glauben

  Statt sich zu bündeln,
verzettelt sich so
die wenige Kraft.
Bündelung braucht
Zusammenhänge -
die zu sehn
im Leben
denn
doch die Theorie
nur hilft.

Das Denken einsparende
Handeln bleibt Händelei.
Wenn auch wir dies täten -
bliebe die Anschauung hoffnungsleer...
Denken und Handeln in
Einem - Vorahnung des Ziels
der herrschaftsfreien, durchs
Mitdenken aller lebenden
Gemeinschaft.

Zum Anliegen

I. "Es genügt nicht die einfache Wahrheit"
- Klein/Brie
- Kritik am Marxismus/Kritische Theorie

2. Oberflächenschicht des Marxismus
- Ökonomismus, Interessenident., Ges.-format.
- Partei, obj. Gesetze, ETV, Staat 7

3. Pluraler Marxismus
- Marx, Bahro
- Arbeitsteilung
- Industrialisierung
- Gramsci
- Kritik des Staatssozialismus

4. "Das Ende der Geschichte?"
- Bedürfnisse
- herrschaftsfreie Gesellschaft
Graswurzelbewegung
- Basisdemokratie
- Zukunftswerkstätten

 Zum Anliegen:

Nicht nur Vorwürfe über das Tun und Lassen der PDS treffen uns, sondern auch mehr und mehr kritische Fragen an die Inhalte.

 "Nein, die Parteidemokratie der PDS derzeit ist ein Ausdruck ihrer politischen Schwäche. Ihre politische Offenheit ist Ausdruck ihrer tiefen Orientierungslosigkeit."

 Und obwohl diese Vorwürfe aus einer recht linksextremen Richtung kommen (Zeitung "arbeitermacht" 8/90), sollten wir uns vorurteilslos fragen, inwieweit sie treffen.

Wir haben "Schulungen" und ähnliches berechtigterweise abgeschafft. Jetzt geschiecht aber auch gar nichts, den Mitgliedern wenigstens die Kenntnisnahme neuer Denkansätze zu erleichtern.

Das kann bedeuten, daß es daraufhin nur wieder umso schneller passiert, daß die Konzepte "irgendwo", nur nicht aus den Diskussionen der Mitglieder heraus erwachsen.

Reale Demokratie erfordert, Bedingungen zu schaffen, daß jeder sich einbringen kann.

Vor den Entscheidungen konkreter Politikangebote ist ein Austausch über unsere Welt-Anschauung (die innerhalb der Partei auch verschieden sein kann) notwendig.

Übersehen wir das, können wir Meinungsverschiedenheiten nicht konstruktiv klären.

Als junge Menschen, die grad noch einiges von der alten Staatsdoktrin des "Marxismus-Leninismus" gelernt haben und nun wissen "daß wir nichts mehr wissen", gehört die Suche nach anderen Erfahrungen, Gedanken - auch Leitbildern - zu unserer Identitätssuche.

Die allerwichtigste Erfahrung ist wohl, daß wir nicht wieder andere für uns "denken lassen" werden, sondern selber unser Teil tun.

Die "Roten Füchse" ("AG Junge GenossInnen" in Jena) haben also begonnen, das Terrain zu sondieren.

Wir suchen nach Bausteinen - nicht um uns wieder einzumauern, sondern zum Befestigen des Wegs, auf dem wir uns vorantasten;

(d.h. wir arbeiten viel mit Zitaten, ohne die Welt selber aus den Angeln heben zu wollen - noch nicht...)

Wir spüren Knotenpunkte auf, die uns als PDS-Mitgliedern und -Sympies eine inhaltliche Einordnung ins Netz progressiver und linker Aktivitäten ermöglicht.

War wir gar nicht suchen, ist der Streit, deshalb bleiben viele Kritikpunkte bei den genannten Autoren ungenannt.

Weggelassen haben wir das Durchforsten der bürgerlichen Philosophie, bei der uns hoffentlich jemand hilft.

Was wir weiterhin bieten, ist die Möglichkeit des Abrufens von Konspekten zu einiger Literatur.

Und was wir noch wollen: Weitermachen.... Mit Euch!

Das nächste Projekt ist ein INFO über Globale Probleme der Menschheit...

 Teil 1. "Es genügt nicht die einfache Wahrheit" (Volker Braun)

Manchmal ist es schon schwer genug, mitzubekommen, in welche Richtung das Pferd läuft, auf das man sich gesetzt hat. Eigentlich wollte mans ja sogar mit lenken.

Nachdem sich auch in der PDS die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daß der DDR-Sozialismus nicht mehr zu reformieren war und wir einen Standpunkt zu der jetzt real auf uns zukommenden "alten" Gesellschaftsordnung (Kapitalismus) brauchen, gingen die Diskussionen los.

Nicht jeder hat innerhalb der Wahlkämpfe und während des Aufräumens in den alten SED-Apparaten etwas davon gemerkt, es mußte sich ja auch nicht jeder dafür interessieren.

Manche nennen nun diese Gesellschaft nicht mehr kapitalistisch, sondern höchstens "kapital-dominiert" (oder -"überlagert"), bezeichnen sie dagegen als "modern" und als Fortschritt gegenüber dem DDR-Sozialismus.

Andere wehren sich dagegen. Für diese war Gysis Wort:

"Und bei Reformen bleiben wir wegen unserer fundamentalen Kritik am Kapitalismus nicht stehen. Wir streben neue gesellschaftliche Strukturen an"

ein wichtiger Halt in der PDS.

Dagegen steht die Ansicht, dieser "Standpunkt (macht) weltanschaulich ohnmächtig für die Teilnahme an einer offensiven Gestaltung eines Deutschland in Europa. Diese Gestaltung erschiene uns immer nur ein letztlich kosmetisches Unterfangen, dem man sich mehr nebenbei widmet, um mit dem Herzen einer totalen Revolution nachzujagen." (M.Brie ND 8.7.90).

Konsequent antwortet die Kommission Politisches System der Kommunistischen Plattform: "Die Forderung, als "positive und gestaltende politische Kraft" zu wirken, führt zur logischen Konsequenz, innerhalb des kapitalistischen Systems "konstruktive Angebote" zur Stabilisierung der auf Profitwirtschaft basierenden Herrschaftsverhältnisse <Hervorhebungen von as> zu unterbreiten." (Berliner Linke 20.9.90)

Tatsächlich geht es M.Brie um "neue Machtverhältnisse innerhalb des gegebenen Grundtyps von Vergesellschaftungsstrukturen... nicht um den Bruch mit den Grundprinzipien modernen Wirtschaftens, moderner Politik und Öffentlichkeit."

Dieses Spektrum wurde nicht aus Spaß am Streit aufgezeigt, aber man muß es kennen, wenn man sich in die politische Profilierung der PDS einbringen will.

Noch dazu, wenn man linke Positionen aus der SPD kennt, die weit "linker" sind und im SPD-Grundsatzprogramm liest:

"Es ist ihre historische Grunderfahrung, daß Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig."

Die alte Grundfrage von Reformismus und Revolution steht hier in neuem Gewande vor uns, das so neu gar nicht ist.

Schon Simone Weil (*) schrieb zu Beginn der 30er Jahre:

"Im Grunde denkt man heute... an die Revolution als Wunder, das von der Lösung der Probleme entbindet." (Weil S. 256)

"Ganz allgemein stehen die Blinden - und das sind wir jetzt - vor der Wahl zwischen Kapitulation und Abenteuer." (Weil S. 175)

 * Simone Weil: 1909 bis 1943, frz. Philosophielehrerin, ging nach Deutschland und arbeitete am Fließband, verließ die KP: "Sie wollte für die Arbeiter alles tun, nur nicht ihnen Lügen erzählen."

Zitate aus "Unterdrückung und Freiheit", München 1975

 Sind wir heute klüger?

Durch unsere provinzielle Abschottung vor linkem Denken eher noch blinder als nötig.

Aber jetzt können wir uns ja umschauen. Jetzt müssen wir es, denn keine Mauer dient mehr als Vorwand für eigene Trägheit.

Einen verhängnisvollen Scheinausweg, den uns unser Parteivorstand vor die Nase gesetzt hat, müssen wir allerdings vermeiden: den der Beliebigkeit ("wir sind weltanschaulich offen, also brauchen wir darüber nicht zu diskutieren").

Die PDS wird ja wohl nicht durch eine absolute Beliebigkeit das notwendige Netz beliebiger progressiver Initiativen und Bewegungen möglichst abdecken und damit ersetzen wollen.

Wenn auch die PDS weltanschaulich offen sein soll, heißt das nicht, daß die Art der Anschauung der Welt unwichtig wäre für das Bestimmen des weiteren politischen Wegs, ob im Wahlkampf, im Betrieb oder strategisch.

Gerade "die Erschütterung des Vertrauens, durch wissenschaftliche Erkenntnisfindung im Bereich der Gesellschaft zu richtigen Aussagen zu gelangen, erweist sich als eine zentrale Frage der gegenwärtigen Existenzkrise linker Politik." (Prof. A. Feltz)

Es ist ja nicht so, daß alle Wissenschaft automatisch zu stalinistisch mißbrauchbaren absoluten Wahrheitsansprüchen führen muß.

Als erster Beginn eines neuen Nachdenkens ist es günstig, einmal zu sehen, welche bisherigen Kritiken es am Marxismus und unserer Interpretation gab, denn jetzt müssen wir ja zugeben, daß unsere Auslegung und Verteidigung gegenüber "Revisionisten" auch nicht gerade wissenschaftlich waren.

a) Die Kritische Theorie (Horkheimer, Adorno, Marcuse)

ist der Meinung, daß bereits im vorigen Jahrhundert die Bedingungen gegeben waren, den Kapitalismus zu beseitigen und eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten.

Bei der Frage, warum das nicht geschehen sei, stoßen sie auf die Fähigkeit des Kapitalismus, die Interessen der eigentlich Ausgebeuteten mit dem Kapitalismus zu verknüpfen (durch Warenbeziehungen und Konkurrenzverhältnisse).

Das führte schließlich dazu, daß die Arbeiterklasse eben keinen revolutionären Charakter mehr habe, und das auch nicht mehr zu verändern sei. Ein neues Subjekt der Emanzipation sehen sie vor allem in den ausgegrenzten (im Gegensatz zur Arbeiterklasse nicht integrierten) Randgruppen und sie verbinden deshalb ihre Hoffnung vor allem mit der Alternativ- und Protestbewegung, auf die sie auch großen intellektuellen Einfluß gewannen.

Offen bleibt das ganze Feld der Ökonomie.

b) Der Charakter des Marxismus, auch einseitige Auslegungen wie die der Lehre von der Gewißheit des Siegs des Sozialismus und der strikten Annahme, der Kapitalismus müsse erst an die Grenzen seiner Entwicklung kommen, bevor eine revolutionäre Erhebung Zweck hat, ist nach Meinung libertär-sozialistischer Kritiker die Ursache dafür, daß die Arbeiterklasse wehrlos wurde gegenüber der Repression.

Wenn man erst warten müsse, bis der Kapitalismus seine Grenzen erreicht und bis dahin auch noch "Politik mitmachen" soll, erlahmt die Kraft. Gefährlicher sei aber noch die marxistische Orientierung auf die Disziplinierung der Arbeiterklasse in Vorbereitung auf den großen Kampf. Diese erzeuge autoritäre Denkformen, die schließlich die Ursache für das Versagen gegenüber dem Militarismus und anderen Herausforderungen seien.

1. Oberflächenschicht des Marxismus

Ein absolut beliebtes Zitat auf den Parteischulen der SED war z.B.:

"Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als ziel sich einstweilen stellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird." (MEW 2, 38)

Diese Art von Geschichtsphilosophie ist bei Marx angelegt und rührt von seiner philosophischen Herkunft her (Bei Hegel, den er ja "vom Kopf auf die Füße gestellt" hat, gibt es einen

ideellen Weltgeist, der sich in Natur und Gesellschaft "entäußert". Marxens "Weltgeist" - das objektive Gesetz - scheint sich ebenso in der Materie zu entäußern.)

Völlig einseitig interpretiert lassen sich viele seiner Gedanken zur Unterstützung eines auf die Ökonomie reduzierten Politikgedankens heranziehen. Danach wird nur die ökonomische Grundlage gesehen, die zum Zusammenbruch des Kapitalismus mit Notwendigkeit führt und eine neue Gesellschaft notwendig macht.

Rosa LUXEMBURG sah daraufhin in den "politischen Aktionen des Sozialismus" nur einen "Reflex ökonomischer Vorgänge" und begriff den Sozialismus als "historische Notwendigkeit" (Lux, 1913, S. 269).

Damit ist die Gewißheit des Sieges des Sozialismus vorherbestimmt und J.Kuczynski wurde es sehr übelgenommen, als er 1983 bezugnehmend auf die Wahrscheinlichkeit der militärischen Ausrottung der Menschheit an dieser Gewißheit rüttelte.

Als Begründung einer solchen Geschichtsphilosophie wurde die Theorie der Aufeinanderfolge der Gesellschaftsformationen genutzt.

Diese Schicksalhaftigkeit (Fatalismus) des Kommens der neuen Gesellschaft schloß die Aktivität der Massen nicht aus, sondern ließ eine Konstruktion zu, die das subjektive Handeln der Menschen mit den objektiven Erfordernissen "der Geschichte" zusammenführt.

R.Luxemburg versuchte eben das subjektive Wollen mit dem objektiven Gesetz durch ihre Aufrufe zu Massenstreiks zusammenzubringen.

Trotz aller "modernen" Vorwürfe an Lenin kann man doch davon ausgehen, daß er überzeugt war, letztlich auch durch restriktive Maßnahmen direkt den Interessen der Menschen zu dienen.

Die tatsächlichen Interessengegensätze der Menschen wurden nicht beachtet und mit dem Dogma der "prinzipiellen Interessenübereinstimmung" eingeebnet.

die angenommene "Interessenidentität aller werktätigen Menschen nach der Beseitigung des Privateigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln konnte dahingehend gedeutet werden, daß jetzt "wirkliches" Interesse mit den objektiven Erfordernissen zusammengehe, und es höchstens noch darauf ankomme, den Menschen die "wirklichen" gegenüber falschen Interessen klar zu machen.

Noch 1987 wurde in der DDR als Aufgabe jeder politisch-ideologischen Arbeit das "Bewußtmachen der objektiven Interessen" verstanden, die natürlich die Partei festlegt.

Woher die Partei diese objektiven Interessen kennen sollte, wurde schon im Kommunistischen Manifest aufgeschrieben.

Die Kommunisten sollten "theoretisch vor der übrigen Masse... die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung" voraus haben.

Sie also - vermittels ihrer wissenschaftlichen Weltanschauung - kennen die objektiven Gesetze und deren Erfordernisse und leiten daraus ihren Führungsanspruch ab.

Ehemalige Politbüromitglieder sollen in ihrer letzten Stellungnahme erklärt haben, daß sie sich als "Vollstrecker der objektiven Gesetze" gefühlt haben.

Das alles hat schon Logik und stellt meiner Meinung nach die erkenntnistheoretische Wurzel für den "Stalinismus" dar.

Die Kritik, daß dieser Anspruch für persönliche Machtzwecke mißbraucht, oder daß nur die richtige Theorie eben doch noch nicht bekannt gewesen sei, was man ja jetzt korrigieren könne, greift tatsächlich zu kurz.

Um jedoch auf die sozialökoomische Wurzel zu kommen, muß man noch tiefer gehen.

Hier geht es darum, was (unabhängig vom Subjekt und Träger) eigentlich als die Hauptmission der Emanzipation angesehen wird.

Bei allen gängigen Interpretationen blieben wir bisher an der Eigentumsfrage stehen. Dies führte praktisch zu einer Vergesellschaftung in Form der Verstaatlichung, die aber keine emanzipative Form sein konnte, weil sie die formellen Eigentümer von der Entscheidungsgewalt ausschließt.

Das hatte Konsequenzen für die Ausgestaltung des Staates unter eben doch noch wesentlich entfremdeten Bedingungen. Sein Absterben war so nicht möglich. Nicht einmal eine wirkliche "Diktatur des Proletariats" konnte funktionieren, wenn nicht das gesamte Proletariat selbst bestimmen kann über die Produktion (Innovationsrichtung, Inhalt, Menge).

Tatsächlich vollzog sich die Geschichte nicht so wie Marx und Engels es voraussahen. Bereits Engels sah gegen Ende seines Lebens, daß die englischen Arbeiter z.B. ganz gut mit dem Kolonialismus ihres Landes auskommen, soweit sie davon profitieren können. Das Übereinstimmen der Arbeiterinteressen mit denen aller anderer Unterdrückten ist hier bereits in Zweifel gesetzt. Ebenso erkannte Engels Rückwirkungen z.B,. des Überbaus gegenüber der Basis.

Die weitere Entwicklung brachte weitere Erfordernisse der Entwicklung der Theorie mit sich.

Marx wäre der letzte gewesen, der sich diesen Aufgaben widersetzt hätte.

Bereits das vorhandene Material von ihm gestattet einen tieferen Blick, als wir bisher nötig zu haben glaubten:

3. Pluraler Marxismus

"Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht ist, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt. werden. Gelingt dies, und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehen, als habe man es mit einer Konstruktion a priori <vor aller Erfahrung> zu tun." (MEW 23 S. 27)

"... aber man wird niemals dahin gelangen mit einem Universalschlüssel einer allgemeinen geschichtsphilosopischen Theorie..." (MEW 19 S. 1208)

Diese Zitate scheinen von einem andern Marx geschrieben als das vorige.

Tatsächlich sind Marxens Schriften niemals aus Zitaten heraus durchdringbar. Es zeigt sich, und W.F.Haug nennt in den den Texten "Pluraler Marxismus" <PM> einige Beispiele, daß bei Interpretationen Marxscher Aussagen im geschichtsphilosophischen (fatalistischen) Sinn meist durch den Leser Verallgemeinerungen hineininterpretiert worden sind, die bei Marx nicht beabsichtigt sind.

Marx kritisiert einen solchen Leser:

"Er muß durchaus meine historische Skizze von der Entstehung des Kapitalismus in Westeuropa in eine geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges verwandeln, der allen Völkern schicksalsmäßig vorgeschrieben ist." (MEW 19 S. 108)

Andererseits gibt es natürlich tatsächlich weitergehende Ideen, denen meiste (außer Lenins) bei uns bisher verfemt waren (z.B. ausgehend von den in a) und b) - S.5 - genannten Kritiken).

Alle haben ihre Grenzen, doch im Weiteren soll es darauf ankommen, überhaupt mit ihnen bekannt zu werden.

Für einige wesentliche Punkte können wir Rudolf Bahros "Die Alternative" zu Rate ziehen:

a) Während die Theorie des Sozialismus/Kommunismus auf der damals bekannten (!) westlichen Geschichte beruht (Theorie der Gesellschaftsformationen), zeigt sich heute, daß

- die Geschichte nicht eindimensional-linear verläuft (und keine linearer Aufstieg von einer zur nächsthöheren Gesellschaftsformation nachzuweisen ist),

- der Durchbruch höherer Qualitäten meist nicht an den Stellen der vorherigen Höchstentwicklung erreicht wird (entspricht auch den Erkenntnissen der modernen allgemeinen Entwicklungstheorie) (vgl. Bahro, S. 75,76,78).

b) Der theoretisch deshalb durchaus nicht "falsche" Durchbruch der ersten Revolution in Rußland war darüber hinaus geprägt von einer Grundlage, die mit der Beschreibung nach westlichen Kriterien nicht widergespiegelt werden kann.

Hier stoßen wir auf die asiatische Produktionsweise, deren Entwicklungsbedingungen maßgeblich durch eine notwendige (!) ökonomische Despotie gekennzeichnet sind (Bahro S. 78).

Einen bisher nur ersten, aber bisher zu wenig beachteten Beitrag zur Untersuchung dieser Produktionsweise leistet Bahro. Diese Zusammenhänge werden auch von R. Heinrich im "Vormundschaftlichen Staat" der objektiven, nichtmoralisierenden Analsyse der vergangengen DDR-Gesellschaft zugrundegelegt. (Dazu kommt noch, daß die für die SU (vielleicht) historisch berechtigte Gesellschaftsstrategie auf die "sozialistischen Länder" nach 1945 "übergestülpt" wurden, ohne prinzipiell neue Wege zu erforschen.)

c) In außereuropäischen Ländern hat das Privateigentum an Produktionsmitteln überhaupt nicht eine solche dynamisierende Rolle gespielt wie in Europa (Bahro S. 59).

Hier wird also der Weg der Emanzipierung ganz besonders von neuen Formen geprägt sein, die von vornherein breiter angelegt sein müssen als nur eine "Enteignung der Enteigner" durchzuführen.

d) Die tiefere Ursache für Entfremdung/Unterdrückung/Ausbeutung ist neben dem Privateigentum an Produktinsmitteln die industrielle Arbeitsteilung. Deren Entfremdungspotential kommt nach der Beseitigung des Privateigentums an den wichtigsten Produktionsmitteln zum Tragen und verhindert, daß sich die Erwerbsarbeit zu einem menschlichen wesentlichen Bedürfnis entwickelt.

Gleichzeitig erweist sich die Arbeitsteilung als Ursache für soziale Schichtungen, die eine allgemeine Emanzipation verhindert. (Eine Köchin kann nach hartem Arbeitstag keinen Staat regieren) (Bahro, S. 48,36,91 u.a.). Besonders zeigt sich diese Tatsache im Widerspruch von Kopf- und Handarbeit, der sich als Widerspruch von Arbeiterklasse und Wissenschaft im Kapitalismus äußert und auch nach der Beseitigung des Privateigentum an Produktionsmitteln nicht aufklärerisch (oder dogmatisch belehrend) zu lösen ist.

Damit sind insbesondere folgende drei Herrschaftsverhältnisse nicht allen an das des Privateigentum an Produktionsmitteln gebunden:

  • Ausbeutung und Unterdrückung der Frau
  • Herrschaft der Stadt über das Land
  • Ausbeutung und Unterdrückung der Handarbeiter durch die Kopfarbeiter (Bahro
    S. 54).

Genauer stellt sich diese "Kreuzartikulation" bei Haug (PM2, S. 70) dar:


Ebenso wird bei Ernst Bloch darauf verwiesen, daß das durch das Privateigentum an Produktionsmitteln hervorgerufene "ökonomische Tief" jetzt geschichtlich abgelöst wird durch den "moralischen Tiefpunkt" dieser Gesellschaft durch die Arbeitsteilung.

"Denn die soziale Ungleichheit ist in der Teilung der Arbeit, in den Strukturen der Technologie und Kooperation selbst verankert" (Bahro, S. 144).

"Gesamtgesellschaftliche Organisation auf der Basis der alten Arbeitsteilung kann nur... Vergesellschaftung in dieser entfremdeten Form sein" (Bahro, S. 166).

Höchstens ansatzweise wird dies in den Demokratisierungsforderungen in Gewerkschaften, KP´s und anderen Gesellschaftstheorien beachtet.

(z.B. bei M. Bookchin: s. "Graswurzelrev." SH 90/91 S. 100)

Der "klassenmäßige Charakter der funktionellen Differenzierung innerhalb des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters" weist darauf hin, daß hierin der zentrale Konflikt der industrialisierten Arbeit überhaupt beruht (Bahro, S. 233).

Von hierher rührt die Bahrosche Kritik der Industrialisierung.

zu ähnlichen Schlüssen kommt 40 Jahre vorher S. Weil (auch E. Weinholz in ND 7./8.9.90)

Hartwig Schmidt geht noch einen Schritt weiter, indem er die Dominanz der Arbeit als gesellschaftliche Aneignungsweise aufheben will. <Ergänzung 1995: siehe weitere Texte aus Praxisphilosophie und Ökofeminismus...>

Eine weitere wesentliche Vertiefung des Nachdenkens über Gesellschaft ist mit dem Namen Antonio Gramsci verbunden.

Nur über ihn wird verständlich, warum Klein und (A. und M.) Brie die "moderne" Qualität des aktuellen Kapitalismus so betonen.

Gramsci entwickelt eine völlig neue Begriffswelt, die den Zugang für uns erschwert. Wesentlich ist das Einfügen einer Sphäre zwischen der ökonomischen und der politischen gesellschaftlichen (Staat). Er verarbeitet die Erfahrung, daß ökonomische Schwäche und die des bürgerlichen Staatswesens zum größten Teil aufgefangen wird durch die Stärke der bürgerlichen Zivilgesellschaft.

Damit kennzeichnet er alle Institutionen, wo der einzelne in der Gesellschaft als Individuum wirksam wird (Kultur, Religion, Ideologie, Bildungsinstitutionen, parteien, Gewerkschaften...).

Gegenüber der rein ökonomischen und über den Staat vermittelten Herrschaftsbeziehungen prägt Gramsci den Begriff der Hegemonie, deren jeweilige Stärke extrem von der Zivilgesellschaft getragen wird.

Haug faßt zusammen: " Die Grundlage der Hegemonie der Bourgeoisie bildet also nicht nur das ökonomische Fundament, sondern vielmehr ideologisch-kulturelle Elemente - die Zivilgesellschaft " (Haug PM1, S. 42)

 Dies jedoch taucht bei Klein und Brie bereits nicht mehr auf, denn sie sehen vorrangig die Chancen für Innovationen und die Möglicheiten für die Mobilisierung von Öffentlichkeit (gegenüber den traurigen Erfahrungen damit im DDR-Sozialismus).

Gefährlich wird diese Hegemonie jedoch dann, wenn dadurch kaum emanzipatorische Interessen gegenüber kompensatorischen entwickelt und vervielfältigt werde können. Dann nützt auch Freiheit der Argumentation nichts mehr - die Entfremdungseffekte verhindern jeden Erfolg der Nur-Aufklärung.

 Haug verallgemeinert das Vorgehen von Gramsci weiter und spricht von "Praxisformen", die "nicht aufeinander reduziert werden (dürfen)" (PM1, S. 122).

Es gilt: "Die wirkliche Welt ist keine geschlossene Hegelsche Totalität, sondern ein offen gegliedertes Ganzes mit unreduzierbaren Unterschieden" (PM1, S. 52)

"Der Polyzentrismus (nach außen und die Multizentrizität nach innen) ist zur Realität des Weltmarxismus geworden...

Der Wissenschaftliche Sozialismus steht und fällt mit einem Typus von Einheit, der die Unterschiede nicht auslöscht...

Der Gedanke einer widerspruchsfreien Einheit ist vorwissenschaftlich..." (PM 23...35...20)

Wir haben also gerade begonnen, die tieferen Schichten eines neuen pluralen (nicht pluralistischen) Marxismus zu ertasten.

Differenziertheit ist dessen wesentlichstes Merkmal - und das in verschiedenen Bedeutungen:

  • Wirkungsbedingungen sind territorial unterschiedlich (Produktions- und Lebensweise),
  • das Wirken objektiver Gesetzmäßigkeiten ist nicht zu verstehen als eindimensional-determinierte Prozeßvorschrift.
    Der moderne Begriff des (statistischen) Gesetzes impliziert das Vorhandensein von Möglichkeitsfeldern, Varianten der Entscheidungen...
  • Es läßt sich die Gesellschaft selbst nicht als Ganzes auf eine Ebene reduzieren (Praxen).

Daraus ergeben sich Konsequenzen für

  • das Subjekt der Emanzipation, das nicht mehr auf eine Klasse reduziert werden darf,
  • den Typ der Theorie und Wissenschaft (Pluralität),
  • den Organisationstyp emanzipatorischer Bewegungen (Vernetzung),
  • den Fortschritts- und Epochebegriff.

Diese grundlegenden Neubestimmungen machen auch deutlich, wieso der auf 1. begründete "reale" Staatssozialismus nicht reformierbar war und: daß er nicht aus nur subjektiven Gründen scheiterte.

Seine konkrete Ausgestaltung war geprägt von:

  • dem weltweiten Systemgegensatz, der eine Entwicklung einer neuen Produktionsweise, damit verbundener Bedürfnisentwicklung als Grundlage einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung verhinderte (es gab nicht nur "Festungsdenken" - die Situation war tatsächlich so, wollten sich die neuen Ansätze nicht selbst aufgeben),
  • an einem Niveau der Produktivkräfte, das nicht gestattete, an eine neue Produktionsweise zu denken, da Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden konnten (SU 1917, Nachkriegssituation). (Bahro schildert die Situation in der SU dahingehend, daß die Revolution hier "objektiv eine andere Aufgaben zu erfüllen vorfand als die, zu der sie sich berufen glaubte" (Bahro, S. 23) - nämlich die (nichtkapitalistische) Industrialisierung),
  • einer Situation, die noch weit entfernt davon war, daß des Kapitalismus "historische Bestimmung... erfüllt (ist), (daß) ... die Bedürfnisse soweit entwickelt sind, daß die Surplusarbeit <Mehrarbeit über die unmittelbaren Bedürfnisse der Reproduktion hinaus> über das Notwendige hinaus selbst allgemeines Bedürfnis ist" (MEW 42, S. 244),
    <1995: Achtung - das sehe ich heute wieder völlig anders! siehe aktuelle Texte, A.S.>
  • dem daraus folgenden historisch bedingten Stand des theoretischen Verständnisses gesellschaftlicher Prozesse und
  • der darauf begründeten einseitigen Gesellschaftsstrategie )siehe 1. Beschränkung auf Eigentumsverhältnisse...).

Wechselwirkungen der Verhinderung praktischer Neuansätze durch ideologische Verhärtungen sind nicht zu übersehen und sollen hier aber nicht durchanalysiert werden.

(Subjektive Schuld könnte durch einen übermäßigen Objektivismus-Ökonomismus verschwiegen werden - jedoch ein Nur-Moralisieren brächte uns niemals neue Erkenntnisse.)

4.: Das Ende der Geschichte ?

Nicht nur die CDU-Werbeblättchen sprechen triumphierend von der nunmehr nachgewiesenen Existenzberechtigung der "sozialen Marktwirtschaft" auf kapitalistischer Grundlage.

Ein Beharren auf sozialistischen Visionen ohne theoretische Begründung macht uns lächerlich und nicht politikfähig, denn bald wird auch unsere letzte Identität - die DDR-Identität - unwichtig geworden sein in den Wahlentscheidungen der Bürger.

Unsere Menschen denken viel mehr nach, als wir ihnen oft zutrauen bei ihrem für uns enttäuschenden Verhalten.

Vielmehr wirken andere Argumente.

Zum Beispiel das, daß der Sozialismus/Kommunismus zwar ein schöner Traum sei - aber eben - so wie ein perpetuum mobile - ein Traum bleiben müsse.

Begründet wird das oft sehr klug.

Die Erfahrungen der Naturwissenschaften werden herangezogen: Der Direktor des Tübinger Max-Planck-Institutes für Entwicklungsbiologie wird im SPIEGEL 37/90 zitiert, wenn er begründet, daß die "Selbstverstärkung von Vorteilen" (Autokatalyse) ohne die Entwicklung nicht möglich ist, eben mit ideellen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht zu vereinbaren sei.

Noch ausführlicher begründet Reiner Land im Heft INITIAL 6/90 seine These, daß es keine prinzipielle Abschaffung der Entfremdung/Unterdrückung/Ausbeutung geben könne, weil ja ohne die "Entfremdung (als) Voraussetzung für Objektivität und Abkopplung der Evolutionsfähigkeit der Wirtschaft von den Schranken individuellen Lebens die universelle Evolutionsfähigkeit moderner Gesellschaften nicht möglich" (I., S. 647) sei.

Sehr dialektisch klingt seine Schlußfolgerung: "Dies ist die Aufhebung der Entfremdung, nicht ihre Beseitigung, sondern ihre Lösung als Entwicklung... die Lösung ist nie endgültig, sondern nur temporär, wie in jeder Evolution" (I. S. 647).

Wir können also mit Reformen vollauf zufrieden sein.

So kompliziert ausgedrückt wird das kaum einen Nichttheoretiker interessieren. Aber das verständliche Umformulieren macht einigen politischen Richtungen keine Mühe, bring aber dafür entsprechenden Erfolg.

All diese Argumente unterstützen die Bejahung der bangen Frage von Gerhard Branstner (ND 5.1.90):

 Soll nur der falsche Sozialismus möglich gewesen sein,
der echte aber nicht?

 Branstner setzte fort: "Das wäre das Scheitern des menschlichen Geistes."

Möglich ist auch dies. Es gibt keine Garantie für das Weiterleben der Menschheit und den Fortschritt.

Aber vorher wollten wir doch noch etwas tun? Und sinnvoll wirds erst, wenn wir es schaffen, obigen Argumenten mehr als unser "Wollen" und den "Glauben" entgegenzusetzen.

Also setzen wir wenigstens unsern Geist ein man kann ganz einfach anfangen:

Anders formuliert laufen die Argumente gegen den Sozialismus als herrschaftsfreie Gesellschaft darauf hinaus, daß der Mensch halt so ziemlich faul sei (das hätte ihn auch erst darauf gebracht, Erfindungen zu machen, die Arbeit einsparen). Deshalb brauche er immer einen äußeren Antrieb zur Arbeit.

So könnten auch die "Schranken des individuellen Lebens" bei Land zu verstehen sein. Er meint,. daß eine Kollektivität eben nur über verdinglichte Herrschaftsformen wirksam gemacht werden kann.

Die "Natur des Menschen" steht schön gemalt auf manchem Brett vorm Kopf.

Besser wäre eine Erinnerung an einen fast kaputt zitierten Satz:

 "Aber das menschliche Wesen ist... das ensemble der
gesellschaftlichen Verhältnisse" (Marx, 6. Feuerbachtthese).

 
Daß gesellschaftliche Verhältnisse mehr sind, als ihre ökonomischen Grundlagen, haben wir bereits festgestellt - wichtiger ist hier, daß wir hier den Standpunkt vertreten, daß diese Verhältnisse nicht ewig sein müssen.

Damit ist auch das Wesen, die "Natur" des Menschen nichts Unveränderliches.

Tatsächlich bringen die gegenwärtigen Verhältnisse der Entfremdung, der Herrschaft und Unterdrückung einen "faulen" Menschen hervor, der noch dazu gerade solche Bedürfnisse entwickelt, deren Befriedigung auf Dauer notwendig ins globale Aus für die Menschheit führen muß.

Gemeint sind Bedürfnisse, die eigentlich nur fehlende Selbstentfaltung und -verwirklichung kompensieren helfen (Autos, Massenkultur, Warenkonsum...).

Die Reisewut ist oft nur ein Ersatz für ein Bedürfnis nach Universalität, dem im monotonen Alltagsleben nicht entsprochen werden kann. Action-Filme ersetzen eigenes aktives Leben, eigene wirkliche Erlebnisse...

Wie kommen wir nun aus diesem Teufelskreis heraus ??

Eins ist wohl ausgeschlossen: Daß eine Gruppe kluger Leute einmal das 100%ige Lösungskonzept findet und dann den "Glücksbringer" für alle anderen Menschen spielen will.

 (Das hat - sieht man das im bild der Evolutionstheorie - schon die Folge, daß Revolutionen vom Typ der sog. "Bifurkationssprünge" nicht die gesuchten sind. Die Richtung des qualitativen Sprungs bestimmt nämlich hier eine Minderheit von Menschen und die darauffolgende neue stabile Lage wird von wenigen "Ordnungsparametern" bestimmt. Genau dies wollen wir ja nicht wieder erreichen.)

 Ein anderer Ansatz reicht schon wesentlich weiter:

Marx spricht in der 3. Feuerbachthese vom "Zusammenfallen des Änderns der Umstände und... der Selbstveränderung des Menschen."

Der Mensch prägt ein neues Wesen, eine neue Natur nur aus, wenn er selbst aktiv beteiligt ist an der Veränderung der Umstände.

Nicht nur, weil es anders nicht demokratisch wäre, ist dies also ein unbedingtes Erfordernis alles weltverändernden Tuns.

So aussichtslos das erscheint beim gegenwärtigen Verhalten der Menschen - es führt nichts vorbei.

Gerade unsere Enttäuschung über den "Unverstand" der Menschen müssen wir in Erkenntnisse umwandeln, wenn wir weiterarbeiten wollen. Die Erkenntnis darüber, daß es eben die vorhandenen Umstände sind (Entfremdung), die zu einem Überwiegen der kompensatorischen Interessen und Bedürfnissen gegenüber den emanzipatorischen sind, und nicht ihre "faule Natur" - gibt uns seine Hoffnung für einen Neuansatz.

Was wir also anstreben, ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft, was wiederum nicht heißt, daß diese aller Ordnung entbehren muß.

Es geht um eine Ordnung in einem anderen Sinne, nämlich eine selbstbestimmte. (Genau deshalb hat es keinen Zweck, aus der jetzigen Sicht heraus eine vollständige Utopie konstruieren zu wollen). (Evolutionstheoretisch könnte dies das sog. turbulente Chaos modellieren, das einen durchaus strukturierten, nicht "chaotischen" Zustand meint.)

Dahin werden weder Revolutionen in Form von Putschen führen; und dahin werden auch kaum Reformen führen, die von den Kapitaleignern mit Kapitalflucht, Investitionsstreik (haben wir das nicht eben praktisch erfahren?) bis hin zu militärischen Aktionen beantwortet würden, sobald sie an die Substanz der Herrschaftsformen gingen.

Die Ablehnung des Revolutionsgedankens bei vielen von uns ist mit der Idee des putschistischen Umsturzes verknüpft.

Vielleicht ist die Wortverbindung "gewaltfreie Revolution" jedoch nicht nur ein leerer Begriff?

 "Der revolutionäre Weg wird darin gesehen, daß es darauf ankomme, die "Wurzeln der Macht" zu durchtrennen, die Unterstützung durch die Beherrschten" (G. Saathoff: "Theoretische Konzepte z.Z.d.Grd.d.Föd. Gewaltfr.Aktionsgrupen" in GWR 142)

 Wir finden diese Gedanken als Grundlage einer "Graswurzelbewegung" wieder (deren Organ die "Graswurzelrevolution" -GWR - ist).

Deren Grundprinzip ist die Einheit von Ziel und Mittel, daß also eine herrschaftsfreie Gesellschaft nicht mit Mitteln einer (wenn auch "gutgemeinten") neuen Herrschaft zu erreichen ist.

Diese Bewegung verwirklicht sich in einem Netz von Alternativbewegungen, deren Ziel es ist, sich weder auf die ökoomisch einflußlosen Randgruppen noch auf ökonomische Alternativprojekte zu beschränken.

Interessante Erfahrungen können wir aus diesen Bewegungen für unsere Suche nach einer praktikablen Form der Basisdemokratie beziehen.

Die Erfahrungen der amerikanischen Frauenbewegungen geben den Hinweis, daß eine prinzipielle Unstrukturiertheit nur dazu führt, daß "informelle Eliten" (oft aus dem Hintergrund der Nichtöffentlichkeit heraus) tatsächlich in den Gruppen dominieren.

Es ist nötig, formalisierte, damit für alle gleichberechtigt nutzbare Strukturen zu schaffen (siehe Artikel in GWR 140).

 Eine erprobte Form dieser Bewegung sind die sog. Zukunftswerkstätten, die eng mit dem Namen des Zukunftsforschers Robert Jungk verbunden sind.

Der Grundansatz der Zukunftswerkstätten ist das Prinzip, daß von Beginn des Stellens an die Bürger in die Lösung einbezogen sind, nicht erst später mit den Varianten von Experten konfrontiert werden. Sie arbeiten unabhängig von den staatlichen Institutionen.

Voraussetzung ist das Vertrauen auf die - bisher meist nur verschüttete - Kreativität, Sachkenntnis und Phantasie aller.

Gerade weil diese Fähigkeiten tief vergraben sind, und den Menschen selbst oft nicht bekannt (sie trauen es sich am Anfang nicht zu, warten auf den "Experten") genügt es meist nicht, zu warten, ob sich so eine Sache von selber entwickelt.

R. Jungk faßt Erfahrungen zusammen, wie man eine solche Zukunftswerkstatt zum Leben erweckt, ohne neue Führerschaften zu installieren.

Es fänden sich also z.B. bei kommunalen Problemen die betroffenen und interessierten Menschen (zu denen auch Experten gehören können, die aber nur sehr sensibel mitarbeiten dürfen, um die anderen nicht gleich mit ihrer Sachkenntnis zu erdrücken) zusammen, stellen als erstes ihre Kritikpunkte zusammen, lassen dann ihre Phantasiespielen, ohne sich von "Sachzwängen" erdrücken zu lassen, und gehen schließlich an die Ausarbeitung von Konzepten.

Diese können durch die Abgeordneten, die eben genau in diesen Foren ihre kreativsten Bürgerkontakte haben können, dann parlamentarisch unterstützt werden.

Hier könnte ein Verbindungsglied zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit gefunden werden (*).

 * Dies entspräche keinesfalls den Intentionen der Graswurzler, denn deren Hauptdifferenz zu uns ist die prinzipielle Ablehnung des Parlamentarismus. Dazu bestehen aber bei uns keine Voraussetzungen.

 Dabei erreichen wir
  • daß die Menschen heute probieren können, wie wir uns den demokratischen Sozialismus als herrschaftsfreie, selbstbestimmte Zukunft der gemeinschaftlich lebenden Individuen vorstellen;
  • daß sie selbst themenbezogen Alternativen zur jeweiligen Regierungspolitik und konkreten Projekten erarbeiten können (die wir manchmal als PDS verzweifelt suchen und dabei selbst oft experten-technokratisch vorgehen),
  • und daß wir uns keine bessere Verbindung zu unseren zukünftigen Wählern vorstellen können und organische Anknüpfung an Wahlwerbung haben.

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