Rüdiger Lutz:

Die (un)heimliche TranCeformation
Dimensionen des Paradigmenwechsel im 21.Jahrhundert

Seit einem halben Jahrhundert wird in Wissenschaft und Technik, Gesellschaft und Kultur von einem Paradigmenwechsel gesprochen, der in seiner Bedeutung der Epoche der Aufklärung und der Renaissance nahekommt. Fritjof Capra spricht seit Jahrzehnten von einer Krise der Wahrnehmung, die den westlichen Industriegesellschaften bewusst wird. Nun wird dieser allseits beschworene und prognostizierte Wandel Wirklichkeit. Die Krisen unserer Zeit werden so offensichtlich, dass niemand mehr davor die Augen schliessen kann und zugeben muss, dass es diese Phänomene gibt:

  1. Die Ökologie- und Energiekrise mitsamt den Grenzen des materiellen Wachstums und dem Entropiedilemma
  2. Die elektronische Informationsexplosion und Akzeleration aller damit verbunden Prozesse bis zur Gleichzeitigkeit.
  3. Die psychologische und neurologische Bewusstseinsrevolution, somit einer Wahrnehmungsveränderung durch Stress.
Diese drei Dimensionen unserer Wirklichkeit und Fundamente unseres Paradigmas konvergieren nun seit einem halben Jahrhundert zu einer (un)heimlichen TranCeformation, in der wir uns in Echtzeit befinden. Diese Konvergenz produziert Ihrerseits wieder vielfältige Einzelphänomene, die zu weiteren Paradigmenwechsel führen. Dabei geschieht dies alles erst recht unterschwellig und leise, wie es z.B. Rachel Carson in ihrem Klassiker "Der stumme Frühling", beschrieb, oder der Club-of-Rome Mitbegründer in "The Chasm ahead" vor dem Bestseller "Die Grenzen des Wachstums", sowie Robert Jungk in "Der Jahrtausendmensch". Diese Entwicklungen wurden "wie in Trance" vernommen und konnten deshalb noch nicht richtig verarbeitet werden. Dazu gehört auch die psychedelische Bewusstseinsrevolution, die vielen die "Doors of Perception" (Aldous Huxley) öffnete. Die Konvergenz von Ökologie und Bewusstseinserweiterung führte z.B. die feministische Perspektive in die patriarchale Dominanz der "manmade history" ein. Charlene Spretnak und viele andere brachten die Göttin, Gaia und die traditionellen Schamaninnen (Hexen) ins Spiel der Geschlechter.
High-Tech und Ökologie konvergierten zur sanften, nachhaltigen Technologie-Entwicklung und die elektronischen Medien verursachten zusammen mit der Verbreitung psychedelischer Substanzen einen neurologischen Entwicklungsschub, der mit der (Er-)Findung der Fluchtpunktperspektive und damit dem räumlichen Sehen vergleichbar ist. Schliesslich bildete sich durch die Innovation der Mikroelektronik eine Basis zur weltweiten, kommunikativen Vernetzung der irdischen Intelligenz, was Peter Russell das "Global Brain" nannte und als Internet seit Jahren eine exponentielle Wachstumsrate verzeichnet. Alle diese Konvergenzen haben einen gemeinsamen Vektor und Attraktor:
Intelligenzerweiterung und Freiheit für das Individuum und die menschliche Gemeinschaft auf unserem Planeten. Dass dieses archaische Revival (T.McKenna) auch einen bedrohlichen Unterton hat, gehört mit zur chaotischen Dimension dieser unheimlichen TranCeformation. Evolution arbeitet immer mit Stress als Schrittmacherreiz in ihrer qualitativen Innovation. Je nach WahrnehmungsSchwelle der Betroffenen müssen also die Gefahren und Katastrophen so gross werden, bis eine grundsätzliche Denk- und Verhaltensänderung nicht mehr zu vermeiden ist. Dieser Wendepunkt wird meist erst registriert, wenn wir im linearen Zeitablauf schon darüber hinweg sind, denn dann haben schon "tranceartig" die neuen Handlungsmuster und Verhaltensformen Gestalt angenommen. So geschehen in Deutschland zuletzt nach dem zweiten Weltkrieg und nach der Maueröffnung, wo die beidesmal die realen Geschehnisse den antizipierten oder befürchteten Entwicklungen hinterherhinkten, aber nichtsdestotrotz passierten.

Die sublime, ökologische Dimension der Zukunftsforschung und Bewusstseinsrevolution.
(The invisible Landscape of Futurology)

Mit der Herausbildung des Umweltbewusstseins, hervorgerufen durch die ökologischen Krisen überall auf der Erde, von Atomenergie, Müllproblematik, Vergiftung aller Medien (Luft, Wasser, Boden, Biosphäre) entwickelte sich parallel dazu eine ganz andere Erfahrungsmöglichkeit ökologischer Dimensionen, die ungeahnte Möglichkeiten bot. Durch die Kooperation von Mexiko-Forscher R. Gordon Wasson, dem französischen Mycologen Roger Heim und dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann wurden die psychotropen Eigenschaften des "heiligen" Pilzes Psilocybe mexicana entdeckt, wobei Hoffmann schon zuvor das später bekanntgewordene LSD synthetisierte. Dieses Problemkind (so sein Buchtitel) könnte in der Zukunft zum Wunderkind werden, schrieb Hofmann, wenn es unter geeigneten Umständen und Gegebenheiten eingenommen würde. Bis heute haben Millionen von Menschen Kontakt mit diesem Pilz bzw. seiner wirksamen Essenz gehabt und damit eine unmittelbare Erfahrung ökologischer Wahrnehmung machen können. Generell kann man z.B. heute davon ausgehen, dass fast die gesamte akademische Elite der "revolutionären" Wissenschaftler des Paradigmenwechsels (im Sinne von Thomas S.Kuhn) mit bewusstseinsverändernden Substanzen in Berührung kam. Die Genannten sind nur einige derjenigen, die darüber berichteten oder forschten, die vielen sonstigen müssten sich schon selbst "outen", denn es ist eine zutiefst persönliche Angelegenheit und entsprechend zu behandeln. Wissenschaftlich gesehen muss man aber konstatieren, dass diese Möglichkeit des Visionierens, Wahrnehmens und Erlebens nicht unter den Teppich gefegt werden kann. Der auf diese Weise erfahrene Paradigmenwechsel ist real und nicht aus der Welt zu schaffen: Kunst und Kultur, Wissenschaft und Forschung sind in den letzten 50 Jahren ganz erheblich von dieser transzendenten Dimension geprägt worden. Nicht nur in Musik, Literatur und Medien, sondern auch die wissenschaftlichen Theorien profitierten von der Pionierarbeit und Erkenntnissen der Psychonauten der Futurologie. Was Anfang des letzten Jahrhunderts in der Quantenphysik angeregt wurde, schwingt nun mehr oder weniger bewusst in den Nervensystemen der Menschen, die einmal angetretene Reise ins Unterbewusste ist nicht mehr rückgängig zu machen Das immer wieder betonte ganzheitliche "holistische" Denken in der Ökologie ist nicht nur eine abstrakte Theorie und Empirie des Offensichtlichen, sondern eine Erlebnisdimension, die emtional und essentiell den ganzen Menschen erfasst - er und sie werden tanzender Teil des Ganzen, vom Observanten zum Partizipantan. Ökologie ist eben mehr als Umweltschutz und Energiesparen, es ist die Erkenntnis des Lebens selbst, die eine eigene Radianz besitzt und ohne lange Erklärungen verstanden wird.
Damit ist auch die schon genannte Intelligenzerweiterung angesprochen, die doch zur Lösung unserer immensen Probleme erforderlich ist. Intelligenz ist dabei jedoch weiter zu fassen als es in einer schiefliegenden PISA-Studie getan wird. Dabei wird auch wieder die Konvergenz heutiger Entwicklungen deutlich. Für ein Kind ist es selbstverständlich wichtiger, sein Handy programmieren zu können, als zu wissen was 333 vor oder nach Christus passierte. High-Tech geht mit dem ökologischen, ganzheitlichen Bewusstsein einher. Podcasting ist eine ökologische Kommunikationsstrategie, die das klassisch-mechanistische Sender - Empfänger Schema transzendiert und mehr auf einem quantenphysikalischen Interferenzmodell basiert. Solange unsere Schulen und Bildungsinstitutionen lediglich Konservatorien der überkommenen Industriegesellschaft darstellen, sind sie obsolet. Alles was es jetzt braucht, ist die Öffnung zur Multidimensionalität der naturgegebenen Möglichkeiten. Werden diese progressiv genutzt, dann kann auch der Übergang von der genetisch programmierten Gesellschaft zur memetisch lernenden Kultur tranCeformatorisch angegangen werden. Ökologie und High-tech stellen in unserem Bewusstsein eine Verschmelzung her, die auch in unserer biologischen Evolution vorbereitet ist, wie es schon Lovelock und Margulis in ihrer Gaia-Hypothese zum Ausdruck brachten. Die DNS und die Pilze, Psilocybin und LSD sind keine Kontrahenten, sondern evolutionäre Trigger-faktoren auf der Reise in die möglichen Zukünfte. So wie Terence McKenna und Fritjof Capra, Charlene Spretnak und Petra Kelly nicht nur Geistesverwandte waren, sondern leibhaftige Manifestationen des neuen Paradigmas und so habe ich auch sie alle in guter Freundschaft erhalten (leider sind zwei von ihnen nicht mehr unter uns, aber sicherlich bei uns).
Aus der Konvergenz von Ökologie, Psychoneurologie und Nano- bzw pico-Technologie ergibt sich die grosse TranCeformation, die dann nicht mehr bedrohlich und unheimlich erscheint, sondern natürlich.
Vor zwanzig Jahren schrieb ich die "Sanfte Wende" in der Hoffnung, dass wir den notwendigen Umschwung unserer Epoche noch schaffen, doch die Zeit ging weiter und der Paradigmenwechsel schien nicht zu erfolgen. Jetzt wird der Übergang in eine nachhaltige, planetare Entwicklung entsprechend härter, mit mehr Opfern und Schäden.
Mehr

 

- Diese Seite ist zu Gast in "Annettes Philosophenstübchen" 2005/06 - http://www.thur.de/philo/gast/ruediger/lutz17.htm -