Formationstheorie und Geschichte
- herausgegeben von Ernst Engelberg und Wolfgang Küttler (Berlin: Akademie-Verlag. 1978)
Ein dreißig Jahre altes Buch erweist sich als wichtig für die aktuellste Fragestellung: derjenigen nach dem, was "Keimformen" sein können und wie wir sie finden können...

Die Überfülle der Informationen im Internet kann wirklich die ganze Lebenszeit aufsaugen... aber manchmal tut ein Innehalten auch gut. Das Internet ist blind gegenüber vielem wertvollen Wissen, was noch dazu durch die gesellschaftliche Entwicklung zumeist auf den Müllhalden gelandet ist.

Im Umsonstladen Jena begegnete mir vorige Woche ein dickes Buch, das genau 30 Jahre alt ist. Ich hatte schon von ihm gehört und erinnerte mich daran als eins der Bücher aus der DDR-Gesellschaftswissenschaft, das sich auch nach 1990 zu lesen lohne. Es ist das Buch "Formationstheorie und Geschichte", herausgegeben von Ernst Engelberg und Wolfgang Küttler (Berlin: Akademie-Verlag. 1978).

Es geht hier um die Entwicklung der Kategorien der Marxschen Gesellschaftstheorie, und das in einer Weise, in der die zusammengeschrumpelten altbekannten Definitionen an Leben gewinnen. Auffallend ist, wie die Autoren immer wieder herausarbeiten, dass die Marxsche Gesellschaftstheorie von den Individuen her konstituiert ist. Ohne es immer explizit auszuarbeiten, beruhen die Analysen von Engelberg, Küttler und ihren Kollegen auf dialektischen Denkformen, die auch damals schon über deren schematische Erstarrungen weit hinausgingen. Es wird auch deutlich, dass die Kategorien kein starres Wortgerüst sind, sondern eine Art lebendiger Organismus, der sich im Zusammenhang mit den politisch-praktischen Fragestellungen der Zeit immer weiter entwickelte. Heute werden Marxsche Sätze oft aus ihrem textlichen und zeitlichen Kontext herausgerissen - hier finden wir ausführliche Analysen zu ihrer Einbettung. Das ist nicht nur von historischem Interesse, sondern betrifft die inhaltliche Bedeutung der Kategorien. Wegen der leider meist verloren gegangenen Prozessualität der Kategorienbildung können alle Stellen, an denen wir heute Mängel oder Überholtes zu finden glauben, nur in die Herausforderung münden, es selber weiter zu führen. Aber bitte unbedingt auf der Höhe dessen, was es schon gab und was möglich ist.

Für unser Thema "Keimformen" ist das Thema "Formationstheorie" natürlich grundlegend als Rahmentheorie für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse. Für die uns brennend interessierende Frage des Übergangs vom Alten in das Neue fiel mir auf, dass Marx und Engels nicht von "Keimen" sprechen (danach wurde ja schon mal in der Digit. Bibliothek gesucht), sondern von "Elementen":

  • Die Arbeiterklasse "hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen", sondern "nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben." (Marx, MEW 17: 343)
  • Aufgabe der ökonomischen Wissenschaft sei nicht die moralische Entrüstung über die Mißstände des Kapitalismus, sondern "die neu hervortretenden gesellschaftlichen Mißstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Mißstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austauschs aufzudecken" (Engels, MEW 20: 139)
Das Kriterium der Neuheit besteht im wesentlichen in der Abschaffung des Privateigentums und der Beseitigung der Klassen oder abstrakter gesagt, der "Wertfreiheit". Die Notwendigkeit des Formationswechsels wird wie bekannt aus der Entwicklung der Produktivkräfte, die in Widerspruch geraten zu den Produktionsverhältnissen, abgeleitet. Im Durchgang durch das Buch und die dabei zitierten Schriften von Marx und Engels wird mir wieder deutlich bewusst, wie wenig diese Aussage als Schema zu verstehen ist, sondern wie sehr es darauf ankommt, die jeweils gegenwärtig gegebenen Verhältnisse und unser eigenes Tun in ihnen mit Hilfe dieser Begriffe zu entschlüsseln und zu begreifen als Momente eines historischen Entwicklungsprozesses. Das konnten uns weder Marx und Engels noch Küttler und Kollegen abnehmen...

In diesem Zusammenhang habe ich eine Materialsammlung zu den Begriffen "Produktivkräfte - Produktionsverhältnisse - Produktionsweisen/ Gesellschaftsform(ation)en" (pdf) zusammen gestellt.

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