Hegels
System
Philosophie ist nicht ein Dazuerfinden zu etwas schon Wirklichem, sondern Erkennen dessen, was ohnehin bekannt ist. Alle Gegenstände der Philosophie sind uns alte Bekannte. Es geht nur darum, sie zu erkennen oder ihre Voraussetzungen einzuholen. Die Bildung geht von etwas Unmittelbarem zu einem weiteren Unmittelbaren (Sophisten). Die Philosophie geht vom Unmittelbaren zum Anderen des Unmittelbaren, nämlich zu ihm als vermitteltem oder als erkanntem (Sokrates). (Wladika 1999e)

Hegels Arbeit besteht in der inhaltlichen Bestimmung der wichtigsten Kategorien ("Begriffsmomente"), mit denen wir die Welt (Natur, Gesellschaft, incl. das Denken) erfassen.)*
Die Kategorien werden dabei "auseinander abgeleitet". Die Grundidee besteht darin, ausgehend von einer Kategorie deren Voraussetzungen (ihr Grund/ ihre Begründung) zu ermitteln und dann deren Voraussetzungen usw. usf.

Im negativen Gang des Beweisens bleibt das, von dem wir ausgehen, nicht bestehen. Das negative Beweisen ist ein In-den-Grund-Gehen im Sinne des Aufhebens. Es werden also auch im negativen Beweis Voraussetzungen gemacht, nur werden sie hier aufgehoben (vgl. Platons Liniengleichnis). Das negative Beweisen ist als ein In-den-Grund-Gehen aufzufassen. Die beweisende Bewegung nennen wir "Aufheben" oder "Dialektik". (Wladika 1999d) Das geschieht dadurch, daß festgestellt wird, daß eine Kategorie nie isoliert genommen werden kann. Sie bedeutet nicht nur "sich selbst", sondern steht über ihren Inhalt in Beziehung zu anderen. Es gibt dann einen Widerspruch durch die jeweilige Identität mit sich und des jeweiligen Unterschieds zu den anderen. (Der dialektische Widerspruch besteht z.B. nicht zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse, sondern darin, daß B. und A. einerseits eine Identität haben - sie sind beide Klassen im Kapitalismus - und andererseits sich aber auch unterschieden).

Auf diese Weise kommen wir von der ersten Kategorie zu einer zweiten ("Antithese", einer zweiten ("Antithese",), mit der sie in diesem Verhältnis von Identität und Unterschied steht. Wie man zu dieser Kategorie kommt, ist umstritten. Gemeint ist hier die erste, einfache "Negation". Aber wie zu negieren ist, dazu gibt’s in der Logik mehrere Möglichkeiten (und Hegel legt sich meines Wissens nicht genau fest, man muß selber überlegen, was seinen Intentionen am meisten entspricht).

Die erste Negation führt allein noch nicht weiter. Die beiden entgegengesetzten Kategorien würden auf einer Ebene immer wieder ineinander umschlagen. Dieser Prozeß des wechselseitigen Ineinander-Umschlagens ist der dialektische Prozeß im engeren Sinne. Was danach kommt, fällt bei Hegel eher unter den Begriff des Spekulativen.

Wir kennen das Folgende unter dem Namen "Negation der Negation". Darunter ist aber nicht einfach eine doppelte Negation und Rückkehr zum Ersten zu verstehen, sondern es wird (spekulativ) nach jener Kategorie gesucht, die selbst so strukturiert ist, daß ihre Bedeutung ambivalent (bzw. antinomisch) ist. In dieser Kategorie sind dann beide Gegensatzpole enthalten (aufgehoben), und nur insofern ist das auch eine "Rückkehr" zum ersten. Damit endet der Weg aber noch nicht. Es zeigt sich, daß die Vereinigung der Widersprüche selbst nur unter bestimmen Bedingungen möglich ist, und diese Bedingung ist, daß die vereinigende Kategorie selbst wieder widersprüchlich ist. Ich skizziere kurz die Reihenfolge und Struktur der Begriffsentwicklung nach Wandschneider:

Letztlich ergibt sich daraus, daß jede Kategorie als isoliert genommen zu einseitig, in widersprüchlichem Verhältnis zu anderen stehend und dadurch neue Kategorien aufzeigend eine in sich geschlossene Systematik, bei der letztlich der Anfang wieder zu sich zurückkommt (nicht umsonst stellt das Ganze in Hegels Konzept die Selbsterkenntnis des "Absoluten Geistes" dar). Wir können das Ganze auch in Form von fraktalen Dreiecken darstellen:

Auch hier haben wir zuerst die Kategorie 1 mit ihrer Negation 2. Der Übergang von 1 zu 2 kommt daher, daß 1 noch mangelhaft, nicht ausreichend ist. Die zugesprochenen Eigenschaften, die die Identität mit sich absichern, haben doch was mit außen zu tun, und das außen kommt in 2 mit rein. Aber dann kommt der Widerspruch: einerseits hat das Innere was mit dem Äußeren zu tun (Einheit), andererseits gibt’s aber auch einen Unterschied zwischen Innen und Außen (sonst würde man keine eigene Identität von 1 gegenüber 2 feststellen). Es muß jetzt jene Einheit (spekulativ) gesucht werden, in der die Identität und der Unterscheid gemeinsam aufgehoben sind (manchmal auch "Synthese" genannt). Durch die gefundenen "Momente" (1,2,3) wird als übergreifende Einheit die Totalität 4 gebildet.

Typischerweise läßt sich assoziieren (speziell aus der Logik, vgl. das Elefantenbeispiel):

1

2

3

Das (unmittelbar) Gegebene

(Wesens-)Grund für Gegebenes

(Begriffs-)Grund für Momente

Frage: "Was ist das?"

Frage: "Warum1 ist das?"(1:formal)

Frage: "Warum2 ist das?"(2:inhaltlich)

Identität

Grund und Gegebenes unterscheiden sich

Unterschiede (als "Momente") lassen sich erklären/begründen

Aussagen

Gesetze

Theorie, in der Gesetze ihre Bedeutung bekommen

Unmittelbar-"konkret"-Gegebenes

Abstraktes

(inhaltlich) Konkret-Allgemeines

Unmittelbares Sein

 

Begriffenes Sein

Seinslogik

Wesenslogik

Begriffslogik

Kennen der Erscheinung: Blinde haben ganz isolierte Anschauungen von einem Elefanten

 

Erkenntnis: Rüssel und Elefantenhaut usw. treten gemeinsam auf... (Gesetzmäßigkeit),

 

Begriffskenntnis: zum Begriff des Elefanten gehört eben das, was als gesetzmäßig erkannt und in derAnschauung gegeben wird.

Was Hegel gar nicht untersucht, ist das Empirische und Historische. Er spricht nur von Kategorien und deren logischer Entwicklung, obwohl er diese durchaus als inhaltsreich betrachtet (nicht nur als Form). Der Inhalt, die "Sache" ist aber bei Hegel immer nur das "Vernünftige" in der Welt; das, was der logischen Entwicklungslinie entspricht. Alles Zufällige ist nicht sein Thema, bzw. er versucht alles Zufällige letztlich als notwendig nachzuweisen.

Die im Marxismus übliche Parallelisierung des Logischen und Historischen ist also selbst nicht einfach ableitbar, sondern müßte extra begründet werden, was nirgends geschieht.


)* Genau genommen ist das völlig falsch: Hegel wendet nicht äußerliche Denkbestimmungen auf die Welt an, sondern geht von der Identität des "objektiven Begriffs der Dinge" und "der Sache selbst" (Hegel WdL I, S. 25) aus. Dies ist immer mit zu wissen, wenn wir von Denken, Denkbestimmungen oder Denk"typen" sprechen. Marcuse erläutert in diesem Zusammenhang, dass alle Begriffe des Hegelschen Systems "Formen und Weisen des vom Denken begriffenen Seins" darstellen. (Marcuse, Herbert (1962): Vernunft und Revolution. Hegel und die Entstehung der Gesellschaftstheorie. Hermann Luchterhand Verlag.) Zurück

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Vergleiche auch:
Was die dialektische Logik
von der formalen und der transzendentalen unterscheidet.

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