VERSUCH EINER ANTWORT AUF FRITHJOF BERGMANNS INTERVIEW IN DER
JUNI-AUSGABE
von Rainer Kippe
"Tu, was Du schon immer
wirklich, wirklich tun wolltest"
Motto: "Wer neues schaffen will,
hat alle zu Feinden,
die aus dem Alten Nutzen ziehen."
N. Macchiavelli
Warum das, was Frithjof Bergmann und andere
vorschlagen, nicht zu verwirklichen ist und
warum man es dennoch versuchen muss.
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Es macht immer wieder Spass, Frithjof
Bergmann zu hoeren oder zu lesen. Er formuliert leicht,
fast sueffig; seine Ideen sind einfach und von grosser
Leuchtkraft; seine Einsichten klar und ueberzeugend; seine
Vorschlaege loesen den Wunsch aus, aufzustehen und
endlich anzufangen.
Wie er die Krise der Arbeitsgesellschaft angehen will:
ein Drittel Erwerbsarbeit, ein Drittel Selbstversorgung,
ein Drittel Berufung (Calling) "tu, was Du schon immer
wirklich, wirklich tun wolltest" - ist das nicht das Ei des
Kolumbus? Und da er die Loesung des Beschaeftigungsproblems,
des Freizeitproblems und der Frage nach einem
sinnvollen, sprich kreativen Leben in Gespraechsrunden
mit Arbeitern, Buergern der Gemeinde, Gewerkschaftern
und Automobilbossen zu erreichen versuchte, laesst einen
das nicht an eine Harmonie jenseits der Klassenkaempfe
glauben? Hat seine Vorstellung nicht ein bisschen von
Marxens Idee des Kommunismus jenseits der historischen Epoche
gleichen Namens, die wir uns zur besseren
Unterscheidung angewoehnt haben mit leichter Ironie als
"real existierenden Sozialismus" zu bezeichnen, ihr
wisst schon: morgens Bauer, mittags Fischer, nachmittags
Schriftsteller, ohne Bauer, Fischer, Schriftsteller zu
sein, (oder so aehnlich)?
Von Flint, jener Automobilstadt im Norden der USA,
wo Bergmann seine umwaelzenden Ideen zuerst in die
Realitaet umzusetzen versuchte, war dieser Tage wieder in
der Presse zu lesen, und zwar im Zusammenhang mit einem
Streik in einem Zuliefererbetrieb. Es ging dabei um
die alten Fragen: Bezahlung, Arbeitsbedingungen,
Arbeitsplatzgarantie. Von Bergmanns "New Work" war in
diesem Zusammenhang nicht die Rede.
Was ist in Flint verwirklicht worden? Was davon gibt es
heute noch? Was kann man besichtigen? Auf diese Frage
habe ich noch keine Antwort erhalten. In Koeln hat Bergmann
vor zwei Jahren lediglich erklaert, die Art der
Auseinandersetzungen haette ihn veranlasst, seine Taetigkeit zu
verlagern. Von "Verteidigung einer Wagenburg" hat er
gesprochen, bei der mitzukaempfen er keinen Sinn gesehen habe,
und ich habe das so verstanden, da sich die
Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in Flint
weniger um Zukunftsmodelle drehte, als um die Verteidigung
(noch) vorhandener Rechte der Arbeiter; und es hat
mir dabei eingeleuchtet, dass Frithjof Bergmann darin
keinen Platz fuer sein Modell vom "New Work" gesehen
hat, wobei er immer betont, da das englische "Work" etwas
anderes bedeutet als sein deutsches Pendant "Arbeit".
Danach, so erzaehlte er uns in Koeln, habe er sich in
New York einem Projekt zugewandt, wo Obdachlose sich
ihre Wohnungen selber bauen, und in der Stadt in
Plastikcontainern, die man auf Daechern aufstellt oder wie
Blumenkaesten vor die Fenster haengt, vermittels einer
raffinierten Naehrloesung ihr Gemuese selber ziehen. Eine gute
Sache, fand und finde ich, die uns beim SSM dazu ermuntert
hat, etwas aehnliches unter dem Namen "Bauen, Wohnen,
Arbeiten" zu versuchen. Nur, was aus diesem New-Yorker
Projekt geworden ist, erfahre ich in Eurem Artikel
genauso wenig wie das, was von den Anstrengungen geblieben
ist, die Bergmann gemeinsam mit General Motors in Flint
unternommen hat. Und leider sagt Bergmann auch nicht, wie
weit er in den Projekten, die Ihr unter der Ueberschrift "New
Work" aus deutschen Landen
vorstellt, seine Ideen verwirklicht sieht.
Nach eigenem Bekunden der Betreiber sind die Projekte in
Karlsruhe und Wolfen zunaechst einmal Haeuser fuer
Eigenarbeit nach dem Modell der Anstiftung e.V. in Muenchen,
deren Ansatz sich wohl am Punkt der kreativen Taetigkeit mit
Frithjofs "Calling" beruehrt, ansonsten aber
durchaus etwas Eigenes ist. "Ueber Eigenarbeit zu Neuer
Arbeit", sagen deshalb konsequenterweise die "WerkStaedter"
aus Karlsruhe, und "so wollen wir in Karlsruhe
zwei Ansaetze miteinander verknuepfen." Ob sie bei der
"Neuen Arbeit" ankommen, wird man, genauso wie in
Wolfen, erst sehen muessen.
Fuer Frithjof Bergmann jedenfalls sind "New-Work"
und "Eigenarbeit" offensichtlich zwei Paar Schuhe, sagt
er doch in Eurem Interview: "Ich habe von Anfang an betont,
da das, was ich mit high tech self providing meine,
nicht dasselbe ist, was man hier in Deutschland mit
Eigenarbeit bezeichnet. Eigenarbeit hat immer mit den eigenen
Haenden zu tun...". So was, liebe CONTRASTE,
muss man klaeren, sonst entsteht der Eindruck, als handele es
sich hier um Etikettenschwindel oder als segele New-Work
mangels eigener Beispiele jetzt unter der Flagge der
"Eigenarbeit" der "Anstiftung" aus Muenchen.
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"Eine selbstverwaltete Firma unterscheidet
sich immer noch ganz wesentlich von
Frithjof Bergamnns Ansatz ..."
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Aber weiter zu Euren Beispielen: In Muelhausen beraet
man Unternehmen, in Hamburg geht man noch mit sich
selbst zu Rate. Einen ernsthaften Versuch zur Verwirklichung
von Frithjofs Idee sehe ich hingegen bei der
"Eigenart" in Thueringen. Allerdings wird es darauf ankommen,
ob die Gruppe es schafft, von der Durchlaufstelle fuer ABM und
Sozialstunden, und das heisst vom staatlichen Tropf,
wegzukommen und sich auf eigene Fuesse zu
stellen, was nicht leicht sein duerfte, aber dazu spaeter
mehr. Hier ist allerdings festzuhalten, dass eine
selbstverwaltete Firma, (ich arbeite selbst in einer solchen
und
weiss daher, wie grossartig und leistungsfaehig ein solches
Projekt sein kann), sich immer noch ganz wesentlich
unterscheidet von Frithjof Bergmanns urspruenglichem Ansatz
von "New-Work", bei dem die Menschen zu einem
Drittel einer ganz normalen Erwerbsarbeit nachgehen,
wie sie ganz normale Firmen bieten, wie eben General
Motors in Flint. Diese stinknormale Erwerbsarbeit sollte
durch "High-Tech-Selfproviding" und "Calling" ergaenzt werden.
Wenn wir die Firmen, die den ersten Anteil
liefern sollen, erst selber gruenden muessen, um daran
anknuepfend Selbstversorgung und Berufung Wirklichkeit
werden zu lassen, koennen wir uns die ganze kuenstliche
Dreiteilung auch sparen. Denn selbstverwaltete Firmen,
und das beweist das Beispiel SSM, koennen die Arbeit von
Anfang an so gestalten, da sie sowohl Erwerbsarbeit sind,
als auch (High-Tech-)Selbstversorgung und kreatives
"Was ich wirklich, wirklich tun will". Ja, selbstverwaltete
Firmen - und auch das beweist das Beispiel SSM - muessen
in ihrer Arbeit alle drei Elemente integrieren, weil
sonst keiner Lust hat, mitzumachen. Und bei "Mitmachen" denke
ich an eine dauerhafte Perspektive, wo die
Menschen, tatsaechlich von ihrer Arbeit leben, und nicht
nur an ein ABM - oder HzA-finanziertes Gastspiel.
("HzA" = aus Sozialhilfe finanzierte Pseudobeschaeftigung fuer
ein Jahr mit dem Ziel, den "Beschaeftigten" =
Hilfeempfaenger danach wieder bei der Arbeitslosenhilfe
des Bundes abzuliefern).
Deshalb nochmal die Frage: Was ist aus dem Modell
"Flint" geworden, wo sind die Beispiele, in denen sich
eine stinknormale Firma, und damit meine ich Management und
Beschaeftige, darauf eingelassen hat, die Arbeitszeit so weit
abzusenken, dass die Arbeiter Zeit bekommen
fuer "High-tech-selfproviding" und "Calling", und welche
Erfahrungen hat man damit gemacht?
Versteht meine Kritik bitte nicht falsch: Es geht mir
nicht darum, Frithjof Bergmann, den ich persoenlich
schaetze, zu "entlarven", oder CONTRASTE mangelnde
Recherche vorzuwerfen. Es geht mir vielmehr um die Frage,
welchen Spielraum Ideen wie "New Work" zu ihrer
Verwirklichung in der Gesellschaft vorfinden, ob sie jetzt
und hier ueberhaupt verwirklicht werden koennen, und inwieweit
sie sich von der urspruenglichen Idee und vom ersten Ansatz
wegveraendern (muessen).
Dass sich unsere Vorstellung von der Arbeit und unsere
Arbeitspraxis radikal aendern muessen, wenn die Natur
und die Menschheit noch eine Chance zum ueberleben haben
sollen, sagen viele Theoretiker. Ueber die "agenda
21" und in deren Gefolge die "habitat II"-Konferenz
sind derartige Erkenntnisse inzwischen bis in
zwischenstaatliche Vereinbarungen vorgedrungen. Dass zu ihrer
Umsetzung von staatlicher Seite und von Seiten der
Unternehmen so wenig geschieht, dass man kaum von
Vorzeigeprojekten sprechen kann, schreit deshalb geradezu
nach einer Erklaerung, vor allem wenn man bedenkt, welche
Anstrengungen sonst unternommen werden, um
auch noch den letzten Unsinn aus Bruessel auszufuehren.
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"Der Energieverbrauch steigt weiter
und die Globalisierungswelle rollt"
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Das hier Gesagte gilt genauso fuer den Umweltschutz oder
die Lokale Oekonomie: die Konzepte sind vorhanden, die
Modelle funktionieren, aber der Energieverbrauch steigt
weiter und die Globalisierungslawine rollt. Ich bin wirklich
kein Defaetist, aber es hat schon etwas zutiefst
Entmutigendes, wenn man z.B. nach 20 Jahren
Energiespardebatte und tausenden von Ankuendigungen und
Annoncen
lesen muss, dass die Kraftfahrzeuge heute im Schnitt
noch genausoviel Sprit pro km verbrauchen wie vor dreissig
Jahren - sie fahren damit nur schneller, und dass die
Handelsketten immer groesser und immer dichter werden,
so dass es inzwischen so gut wie ueberhaupt nichts "Lokales"
mehr gibt, es sei denn, man naehme als Bezugsgroesse
fuer "Lokale Oekonomie" in Zukunft das "global village."
Frithjof Bergmann ist insoweit ein Sonderfall und verdient
besondere Beachtung, als er - wie kaum ein zweiter
- mit seinen Ideen in die Praxis gegangen ist, sie offen
mit allen Seiten diskutiert hat, und jeder Partei dabei
gezeigt hat, dass sie mit seinen Vorschlaegen nur gewinnen
kann. Nicht Moral und nicht Verantwortung ist es also,
was Bergmann anspricht, sondern der persoenliche Vorteil.
"Schon in Flint habe ich immer wieder betont, dass
das eine "win-win"-Loesung ist, dass die "Neue Arbeit"
einzufuehren besser fuer den Unternehmer ist und besser
fuer seine Mitarbeiter", sagt er selbst im Interview. Was
also, um die Frage noch einmal etwas genauer zu stellen,
kann Unternehmer und Gewerkschaften im Kapitalismus davon
abhalten, einen handfesten Vorteil auszuschlagen? Sind sie
bloed? Oder schwerhoerig? Oder boese?
Und wenn sie das alles nicht sind: was verstellt ihnen den
Blick?
Den ersten Hinderungsgrund, den ich da sehe, bezeichnet man
gewoehnlich als "Betriebswirtschaftliche Rationalitaet". Sie
verbietet dem einzelnen Unternehmen bei
Strafe des Untergangs durch die Konkurrenz, irgendein
anderes Motiv oder Argument in seine Rechnung aufzunehmen,
als den groesstmoeglichen sofortigen und unmittelbaren Nutzen.
Nicht das Ueberleben der Menschheit, ihr
Glueck oder ihre Selbstverwirklichung ist also das Ziel
unternehmerischen Bemuehens, sondern der heutige Aktienkurs.
Alles andere kann man entweder in die Zukunft abschieben oder
an die Allgemeinheit, sprich Staat. Dass diese bornierte
Weltsicht sich immer mehr ausbreitet und
derzeit alle Grenzen ueberschreitet, wissen wir. Dass deswegen
die Regenwaelder in Flammen aufgehen, wissen wir
auch. Dass die Vertreter dieser Anschauung diese Hoelle
auf Erden in geradezu religioeser Verblendung als "beste
aller Welten" feiern, ist ebenso bekannt. Ein brauchbares
Rezept dagegen kenne ich nicht. Dass die Menschenliebe
eines Frithjof Bergmann daran scheiterte, waere fuer mich
nicht verwunderlich. Damit will ich nicht behaupten,
Frithjof Bergmann koennte diesen Managern nicht den
langfristigen Nutzen seiner Vorschlaege fuer ihre Bilanzen
erklaeren - er betont ja immer wieder stolz, wie offen sie
mit ihm reden; ich bezweifle nur, dass diese Herren es sich
noch erlauben koennen, in so langen Zeitraeumen von sagen wir
mal zwei oder drei Jahren zu denken, wo doch die
Kurse sich jede Stunde aendern und die Bilanzen mittlerweile
vierteljaehrlich veroeffentlicht werden. So viel zur
Chance der Verwirklichung der "Neuen Arbeit" in bestehenden
Unternehmen.
Bleibt der Staat. Ihm traut Frithjof ja noch erstaunlich
viel zu, wenn er gegen Ende des Interviews fordert: "Aber
das Geld von den Leuten nehmen - auf ganz einfache
Art, naemlich mit Gewalt oder mit Steuern, oder auf eine
Art oder die andere. Es darf nicht zu einem Umfang von
Betraegen kommen, die sich das Kapital jetzt aneignet...
Es geht nur, wenn man ihnen sagt: Schoen, ihr verdient
sehr gut, und wir werden Euch jetzt 80 bis 90 Prozent davon
wegsteuern und wir werden das dazu benutzen, Menschen zu
erziehen und Menschen das Leben bequem zu
machen, es Menschen moeglich zu machen, andere Arbeit
zu tun."
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"Gerade, weil unser Wirtschaftssystem
vor dem Kollaps steht, muss es
mit allen Mitteln gebuttert werden..."
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Das gefaellt mir natuerlich, ich war ja auch mal linker
Sozialdemokrat und habe an die Macht der Umverteilung
durch Steuern geglaubt. Oekonomisch gesehen beweist es
aber nur, dass Frithjof Bergmann ein Traeumer ist. Dieser
unser Staat steuert den Reichen ueberhaupt nichts mehr
weg; im Gegenteil, die paar Mark, die er noch einnimmt,
oder besser, die er als Kredit auf die Zukunft unserer Kinder
aufnimmt, traegt er den Unternehmern, die bekanntlich haeufig
gar keine Steuern mehr zahlen, als Subventionen hinterher,
damit sie ueberhaupt noch im Lande bleiben. Fuer soziale
Experimente, Lokale Oekonomie, Alternative Arbeitsmodelle
bleibt da nicht viel uebrig, und wenn
das Geld fliesst, dann will man einen raschen Nutzen sehen,
sprich Entlastung der Sozialkassen durch positive Effekte auf
den ersten Arbeitsmarkt.
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"... und gerade deshalb steht kein Geld fuer
ein alternatives Arbeits- und Wirtschaftssystem
zur Verfuegung"
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Das ist auch der Grund dafuer, dass - um jetzt noch mal
konkret zu werden -, die Leute von "Eigenart" in Thueringen
gezwungen sind, mit ABM- und Sozialstundenleuten zu
operieren, also mit einer Belegschaft, die dauernd
ausgetauscht wird, statt dass man einer festen Gruppe einen
festen Betrag zur Gruendung eines eigenstaendigen sozialen
Unternehmens in die Hand gaebe, so wie man es bei
profitorientierten Unternehmen der Privatwirtschaft staendig
tut. Gerade weil unser Wirtschaftssystem vor dem
Kollaps steht, muss es mit allen Mitteln gebuttert werden,
und gerade deshalb steht kein Geld zur Verfuegung fuer
ein alternatives Arbeits- und Wirtschaftssystem, das gerade
jetzt noetiger waere denn je.
Deshalb wird es auch schwer halten mit der Verwirklichung
neuer Produktideen durch Genossenschaften und
Kooperativen, so wie es Frithjof vorschwebt. Nicht, weil
uns Alternativen nichts einfiele, sondern weil man das
Geld zur Verwirklichung uns nicht so leicht zur Verfuegung
stellen wird, profitorientierten Unternehmern aber
wohl. Oder habt Ihr schon einmal von einem Fall gehoert,
wo das viel besungene Risikokapital mit der fetten
staatlichen Zusatzfoerderung an eine soziale
Produktionsgenossenschaft gegangen waere? Der Kapitalismus ist
in seiner
Geschichte auch eine Geschichte des Diebstahls produktiver
Ideen, und entsprechend den vorhandenen Foerderungs- und
Eigentumsstrukturen ist es wohl eher zu besorgen, dass das
Gold, was in den Koepfen der New-Worker
gehoben wird, ueber eine neue "Gruenderoffensive" wieder
in die Tresore des Privateigentums der Wenigen wandert.
Das muss nicht so sein, wird aber so sein, wenn man sich
nicht rechtzeitig Gedanken macht ueber die Struktur und
die Eigentumsverhaeltnisse, sprich Rechtsform derjenigen, die
auf neue Weise wirken und werken.
Ueberhaupt Selbstversorgung. Ich komme noch aus
der Zeit, wo man sein Gemuese im Garten selber zog, die
Milch vom Bauern holte, die (Kinder)kleider selber naehte
und strickte und das Radio oder auch noch den Verstaerker im
Baukasten kaufte. Und warum, bitteschoen, ist das
alles verschwunden? Weil die industriell gefertigten Produkte
viel, viel billiger waren und zum Teil eben auch besser. Das
soll niemand daran hindern, das Brennholz im
Wald zu sammeln oder sich eine Strickmaschine zuzulegen. Man
sollte sich nur darueber im klaren sein, gegen
welche Konkurrenz man da antritt. Industrie und
"Markt" werden jedenfalls auf jede
Selbstversorgungsinitiative antworten, sobald sie eine
gewisse Groesse und finanzielle Bedeutung erreicht hat, sprich
sobald man daran etwas verdienen kann; denn der Kapitalismus
ist historisch nicht nur durch die Erfindung neuer
Technologien
und neuer Beduerfnisse zu dem geworden, was er ist, sondern
mindestens in dem selben Masse durch die Ersetzung von alten
Verfahren und Produktionen, die rund
ums Haus angesiedelt waren oder lokalen oder regionalen Bezug
hatten. Herstellung und Verkauf von industriell gefertigter
Marmelade oder Kartoffelpueree, um
noch mal zwei Produkte zu nennen, deren Einfuehrung
ich noch miterlebt habe, sind als Markt fuer "das Kapital"
eben genauso wichtig wie Computerchips und
Abgaskatalysatoren, weil sich damit genausoviel Geld gewinnen
(oder verlieren) laesst.
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"Der Staatsapparat verhaelt sich zur
Steuereinnahme wie ein Junkie zur Droge"
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Und die Vertreter des Staates, die sich so interessiert an
allen Vorschlaegen zur "Neuen Arbeit" zeigen, weil sie sich
eben schon berufsmaessig fuer alles interessieren muessen,
womit sie wenigstens den Anschein erwecken koennen, sie
wuerden etwas gegen die wachsende Arbeitslosigkeit und
die wachsende Zahl von Sozialhilfeempfaengern unternehmen, tun
in Wirklichkeit alles, damit genau diese entfremdete,
ausbeuterische und verbloedende industrielle
Massenfertigung nicht verschwindet, denn aus deren Ertraegen
speist sich ja eben der Staatsapparat, dem sie angehoeren, sei
es nun durch und vermittels von Umsatzsteuer, Lohnsteuer,
Gewerbesteuer, Sozialbeitraegen oder was
sonst. Und sie halten an diesem System fest, selbst wenn
man sie davon ueberzeugt, dass es auf Dauer keinen Bestand
haben wird, einfach weil ihr Apparat jetzt und heute davon
lebt. Deshalb sitzen ja auch die Handwerkskammern da und
wachen darueber, dass selbst die oedeste und
perspektivloseste ABM-Unternehmung ihnen nicht vielleicht
doch irgendeinen Auftrag wegschnappt.
Dagegen haben wir in der Regel natuerlich das Argument der
Einsparung von Kosten, denn unsere Art zu Produzieren schont
Ressourcen und Umwelt und senkt die
Aufwendungen fuer Arbeitslose und Sozialhilfeempfaenger. Aber
dieses Argument, so gerne es gehoert und so oft es
gelobt wird, traegt nicht weit, weil der Staatsapparat sich
zur Steuereinnahme verhaelt wie der Junkie zur Droge.
Fuer die noch so geringe Chance einer Steuereinnahme infolge
einer Gewerbeansiedlung oder -erweiterung verschenkt der
Kaemmerer das letzte Hemd der Gemeinde in
Form von fast kostenlosen Grundstuecken, gibt das Land
die letzten Foerdermittel, wird der letzte denkmalsgeschuetzte
Altbau geschleift und das letzte Landschaftsschutzgebiet
betoniert. Ich will damit nicht sagen, dass
"New Work" keine oeffentliche Foerderung bekommen
kann; ich habe nur die Reihenfolge aufgezeigt, die sich
nach der Staerke der Interessen richtet, und da kommen
wir eben ganz hinten, und in Zeiten knapper werdender
Mittel ist fuer das Sinnvolle und Zukunftstraechtige meist
kein Geld mehr da.
Auch von dieser Seite werden wir jedenfalls nicht die
Mittel bekommen, die wir benoetigen, wenn wir
"high-tech-selfproviding" auf breiter Basis verwirklichen
wollen.
Schlechte Zeiten also fuer alle, die auf dem steinigen
Pfad von der Utopie zur Wirklichkeit sind?
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"Waeren unsere Ideen nicht so stark,
dann braeuchte das herrschende
Wirtschaftssystem sie nicht zu bekaempfen"
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Ich habe in den vorausgegangenen Zeilen versucht, einige
von den Hindernissen zu benennen und zu beschreiben, die sich
der Ausbreitung unserer Idee entgegenstellen. Ich habe das
getan, weil Frithjof nur die positiven Seiten nennt. Warum
das so ist, weiss ich nicht. Vielleicht ist
er ja schon so weit amerikanisiert, dass er sich nicht mehr
der eindimensionalen Denkweise der US-Werbung entziehen kann.
Fuer mich, und ich glaube das geht auch vielen
anderen so, werden Unternehmungen erst dann reizvoll,
wenn ich bei ihrer Realisierung auf Widerstaende stosse.
Sie gehoeren fuer mich dazu. Sie fordern meine Kreativitaet
und mein taktisches Geschick heraus, wie die Piste den
Skifahrer. Aber mehr noch: Erst in der Auseinandersetzung
entwickelt sich die Idee, zeigt sie ihre Staerke, findet sie
ihren Weg.
Gut dialektisch gedacht ist die Staerke des Widerstands,
auf den man trifft, auch immer ein Zeichen fuer die Staerke
der eigenen Idee. Waere die Idee von "New Work", waere
die Idee der "Eigenarbeit", waere die Idee der "Lokalen
Oekonomie" nicht so stark, dann braeuchten die Vertreter
des herrschenden Wirtschaftssystems sie nicht zu bekaempfen.
Wir muessen uns nur auf diesen Kampf einstellen und duerfen uns
nicht dem Glauben hingeben, hinter
dem freundlichen Interesse von Banken, Unternehmern
und Staatsbeamten stuende die Bereitschaft zu einer wirklichen
Aenderung ihrer Wirtschaftsweise.
Der Gebrauch des Woertchens "Gewalt" verraet mir,
dass auch Frithjof Bergmann offensichtlich nicht so blauaeugig
ist, wie er manchmal in seinen Interviews erscheint. Und in
der Tat ist das, was wir brauchen, eine
Doppelstrategie. Wir muessen ueberzeugende Konzepte vorlegen,
wir muessen zeigen, dass unsere Vorschlaege sich im
Rahmen der herrschenden Gesetze und der vorhandenen
Moeglichkeiten umsetzen lassen, wir muessen aber auch
klarmachen, dass wir dann, wenn man uns von den Resourcen
ausschliesst, die man nun mal benoetigt, wenn
man etwas realisieren will, auch in der Lage sind, uns das
zu nehmen, was wir brauchen. Ich denke dabei vor allem
an leerstehende Gebaeude, freie Flaechen, Brachland. Ich
sage das als Mitglied einer sozialen Bewegung, der SSK/SSM,
die jahrelang leerstehende Gebaeude besetzt hat, um
selbstverwaltete soziale Projekte durchzusetzen, und die
derzeit voellig gewaltfrei und nur am Verhandlungstisch
ihre Vorschlaege macht und ihre Forderungen stellt. Und
ich sage das in dem Bewusstsein, dass ein Wirtschafts- und
Sozialsystem welches den Menschen millionenfach die
Verwirklichung ihrer Lebensmoeglichkeiten verweigert,
im Sinne von Johan Galtungs Definition als "Strukturelle
Gewalt" bezeichnet werden muss, gegen die es ein
Recht auf Widerstand gibt.
Mein Beitrag wuerde sich aber zu Recht dem Vorwurf
der Einseitigkeit aussetzen, wollte er sich darauf
beschraenken, die Schwierigkeiten aufzuzaehlen und die Nennung
der Staerken Frithjof Bergmann ueberlassen. Deshalb will ich
zumindestens noch auf eine Staerke hinweisen, die unsere
Bewegung hat, und die in Eurem Interview bei Frithjof
merkwuerdig blass bleibt, und das sind die
Gruppen, die die Arbeit tun sollen. Ich erwaehne das, weil
wir damit, mit allen moeglichen Formen von Kollektiven
und Kommunen, in Deutschland, genau wie in den USA,
jede Menge Erfahrung haben, die es lohnt, hervorzuholen und
auf ihre Brauchbarkeit im Bezug auf Neue Arbeit
zu ueberpruefen.
"Wirklicher Individualismus und wirkliche Gemeinschaft" sagt
Frithjof zu Recht, sind noetig und "aus diesem Ansatz heraus
habe ich gesagt, das high tech self providing darf nicht
einzeln laufen, allein laufen, sondern
in Gruppen und in Gruppen von Gruppen, die sich
zusammenschliessen."
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"Die Gemeinschaft zeigt ihre wahre Staerke
aber erst, wenn sie beginnt zu produzieren..."
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Hier muss man als erstes erwaehnen, dass genau dieser
Zusammenschluss von Individuen, die "freie Assoziation"
wuerde Karl Marx sagen, das erste ist, was dem Kapital
nicht schmeckt, denn das Geschaeft mit den Beduerfnissen
kann erst so richtig laufen, wenn die Menschen moeglichst
vereinzelt sind, so dass jeder Akt zwischenmenschlicher
Kommunikation in ein Geschaeft verwandelt werden
kann, an dem man verdient. Insofern ist die Entwicklung
zur Kleinfamilie und dann weiter zum Single voll im Sinne des
Bussiness. Auf diesem Wege sind wir weit vorangeschritten.
Selbst das Gespraech ist heute bekanntlich bereits eine
Dienstleistung geworden, die von Psychologen
gegen Geld erbracht wird.
In der Gemeinschaft fallen viele Beduerfnisse zusammen, so das
nach Essen, nach Wohnen, nach Kindererziehung, oder das nach
Fortbewegung, und das hat zur Folge, dass deren Befriedigung
einfacher und kostenguenstiger wird. Dort, wo die Unternehmer
zahlen muessen, in ihrer Produktion naemlich, sind solche
Effekte erwuenscht
und werden uns als "Rationalisierung" oder "Synergie"
taeglich vorgefuehrt und angepriesen. Wenn der "Konsument" - so
heissen wir volkswirtschaftlich - dasselbe in
seinem Bereich exerziert, ist das, wie gesagt unerwuenscht,
denn es mindert den Absatz von Nahrungsmitteln, von
Wohnungen, Kuecheneinrichtungen, Kraftfahrzeugen, Telefonen
etc. Kein Wunder also, dass das gemeinsame Leben, die
"Kommune", von den werbeabhaengigen, sprich also
kapitalabhaengigen, Medien in den
letzten dreissig Jahren mit einem Milliardenaufwand verhoehnt
und verhetzt worden ist, wie keine andere Lebensform.
Die Gemeinschaft, und auch das deutet Frithjof an,
zeigt ihre wahre Staerke aber erst, wenn sie beginnt zu
produzieren. Und das tut sie zuerst im haeuslichen Bereich.
Wie schon das Wort sagt, war alle Oekonomie (oikos =
griech. fuer Haus) zuallererst Hauswirtschaft. Und genau
diesen Bereich gilt es zurueckzuerobern; hier, beim Holzsaegen
(natuerlich mit der Kreis- oder Kettensaege, Frithjof!),
beim gemeinsamen Renovieren und bei der gemeinsamen
Nutzung/Reparatur des PKW faengt die Selbstversorgung an, hier
beginnt das Wunder der Geldvermehrung
durch Selber-Tun. Und auch das fuerchtet der Staat wie
der Teufel, legt es doch seine Steuerquellen trocken, und
deshalb verfolgt er es, wo er nur kann, als "Schwarzarbeit".
Die produzierende Gemeinschaft ist gar nicht so ein
Wunderding, wie manche meinen, die Aelteren von uns
kennen sie noch aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, als
sie uns half, eine Zeit zu ueberleben, wo die Industrie,
welche inzwischen als allgemeine Lebensvoraussetzung gilt,
ploetzlich abgeschaltet oder mit wichtigerem, naemlich
Ruestungsproduktion, beschaeftigt war, und die Menschen selber
fuer die Deckung ihres Bedarfs sorgen mussten. Bei uns
gibt es diese Grossfamilie hoechstens auf dem Lande noch
in Resten, aber weltweit sorgt sie immer noch dafuer, dass
die Menschheit die diversen Rezessionen ueberlebt, welche
die "Global Player", die nicht muede werden vom Wohlstand fuer
alle zu faseln, tatsaechlich hervorrufen.
Wie gesagt, die Grossfamilie kommt nicht wieder, und
wer sie noch kennt, wuenscht sie auch nicht zurueck, aber
von ihrer Leistungsfaehigkeit koennen wir lernen, wenn
wir daran gehen, Gemeinschaften zu bauen, welche die
Stuerme der Weltoekonomie ueberstehen, die in den naechsten
Jahren auf uns zukommen.
Diese Gemeinschaften, und auch da sehe ich keinen
Widerspruch zu Frithjof Bergmann, koennen mit dem
Bau von Wohn- und Arbeitsstaetten als erste gemeinsame
Produktion beginnen und von dort aus weitere Firmen,
beispielwiese im Transportwesen und Recycling, gruenden wie
der SSM, oder im Garten- und Landschaftsbau
wie das Koelner Projekt "Bauen-Wohnen-Arbeiten" in
der ehemaligen Kaserne Klerken. Eine Chance dafuer, die
Foerderung zu erhalten, die jedes Projekt benoetigt, sehe
ich aber nach unserer Koelner Erfahrung allenfalls dann,
wenn man Gruppen erfasst, die der Staat unbedingt loswerden
und von der Tasche haben will, wie Obdachlose,
Psychisch Kranke oder Langzeitarbeitslose (eine neue
Form der Erkrankung, allerdings nicht der betroffenen
Individuen sondern des sie hervorbringenden Systems).
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"Kampf um "Kompetenz" und
"Meinungsfuehrerschaft" in allem, was ueber
die jetzige Arbeitsgesellschaft hinausweist..."
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Und damit bin ich bei dem Ansatz, der in den naechsten Jahren
fuer die Ausbreitung von Neuer Arbeit meiner Meinung
nach am erfolgversprechendsten ist, wie auch das Beispiel
"Eigenart" beweist, und das ist die Verknuepfung mit sozialen
Aufgaben, wie die Lokale Oekonomie sie ueberall versucht.
Nicht, weil "Neue Arbeit" nur etwas fuer Randgruppen und
Sozialfaelle waere, sondern weil sie dort am ehesten
toleriert wird. Gemeinsam mit Leuten, die die bisherige
Arbeitsweise ankotzt und die etwas Neues suchen, koennen hier
Gruppen entstehen, die alle Schwierigkeiten meistern und
wenigstens in Ansaetzen etwas wirklich Neues schaffen.
Das mag manchem nicht genuegen, aber solange die
gesellschaftlichen Grunddaten sich nicht aendern, d.h. solange
Unternehmer und Staat volle Pulle ihren neoliberalen
Kurs weiterfahren, werden wir nicht aus den Nischen
herauskommen, in denen wir uns derzeit noch befinden. Das
muss aber nicht unbedingt ein Fehler sein, denn wir koennen die
Nischen besetzen, welche die Gesellschaft uns bietet.
Von dieser Basis, geformt von autonomen Gruppen, aus
koennen wir einen Kampf um "Kompetenz" und
"Meinungsfuehrerschaft" fuehren in allem, was ueber die jetzige
Arbeitsgesellschaft hinausweist und groessere Projekte anregen,
so wie wir das in Koeln mit unserem Projekt "Industriebrache
Gueterbahnhof Muelheim" und der "Muelheimer Erklaerung" tun.
Dabei sind nicht Millionenumsaetze gefragt
und auch nicht tausende von ABM-Plaetzen, sondern
zukunftsweisende Projekte, in denen das, was wir meinen, fuer
die Menschen sichtbar wird.
Wir muessen alles versuchen und jede noch so kleine
Chance nuetzen, um "Neue Arbeit", "Lokale Oekonomie",
"Wirtschaft von unten", "Eigenarbeit" Wirklichkeit werden zu
lassen, auch wenn unsere Bemuehungen wahrscheinlich zu schwach
sind und zu spaet kommen, um die Wirtschaftskrise, die auf uns
zurollt, und deren Erschuetterungen bereits ueberall zu spueren
sind, noch auffangen oder abschwaechen zu koennen. Aber nur auf
diese Weise koennen wir
die Erfahrungen machen, die wir dringend brauchen,
wenn aus der Krise heraus etwas Neues entstehen soll. Dabei
kann uns ein sozial eingestellter Unternehmer genauso helfen
wie ein aufgeschlossener Minister oder Dezernent oder
ein verrueckter Professor. Wichtig ist nicht, dass das, was
dabei entsteht, gross ist oder von ewiger Dauer. Wichtig ist
aber,
dass es auf eigene Fuesse kommt, selbstaendig wird, und
nicht nur ein Anhaengsel eines ueberlebten Systems bleibt.
Und ich glaube bei dieser Arbeit und in diesem Kampf koennen
wir von Frithjof Bergmann eine ganze Menge lernen:
Einfallsreichtum, Sinn fuer das Machbare, und nicht zuletzt
auch Radikalitaet.