Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

Offener Brief an unseren Landtagsabgeordneten, Marc Jan Eumann (SPD).


Bezug: Dein Jahresrückblick 2004
Köln, den 25.12.04

Lieber Marc Jan,

vor nunmehr fast acht Jahren wurde die Mülheimer Erklärung formuliert. Darin wurde "Neue Arbeit für Mülheim" gefordert und vorgeschlagen, das Gelände des seit 40 Jahren leerstehenden Güterbahnhofs Mülheim zwischen Schanzenstraße, Keupstraße und Markgrafenstraße zu entwickeln und den arbeitslosen Mülheimer Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich in eigenständigen Projekten mit öffentlicher Unterstützung selbst Wohnraum und Arbeit zu schaffen. Diese Erklärung wurde von allen Vereinen, Initiativen und Verbänden unterzeichnet, die sich in den Mülheimer Bürgerdiensten zusammengeschlossen haben. In der Folge wurden zahlreiche Projekte entwickelt, und zu ihrer Umsetzung eine Genossenschaft, die WiWAt eG gegründet.

Von Anfang an, lieber Marc Jan, haben wir Dich als unseren Abgeordneten in diese Planungen einbezogen, und Du hast uns Deine Unterstützung versprochen. Wir sind mit Dir nach Düsseldorf ins Ministerium gefahren und haben unsere Pläne vorgestellt.

Geschehen ist seither wenig. Nicht ein einziges Grundstück konnte erworben, nicht ein einziges Projekt verwirklicht werden. 15 ha liegen weitere Jahre brach. Im Gegenteil, obwohl die Mülheimer in einem Stadtteilforum ganz klar für "Wohnen und Arbeiten" und für die Anbindung des neuen Stadtviertel an die Wohngebiete um die Berliner Straße und die Keupstraße votiert haben, wurde eine Planung beschlossen, die eine reine Gewerbenutzung vorsieht und das Gebiet durch eine Stadtbahntrasse von der Berliner Straße abriegelt.

Begründet wurde dieses Vorgehen damit, dass man ein neues "Medienzentrum" schaffen wolle. Den Anfang sollte der Spaßsender Viva machen. Dafür wurde das beste Stück des Geländes, das "Filetstück" im Bereich der alten Feuerwache an der Keupstraße, mit Parkpaletten für die Besucher bestückt. Der Plan der Geschäftsleute auf der Keupstraße, hier einen deutsch- türkischen Basar zu errichten mit Büros, Altenheim und Wohnungen, wurde verhindert. Verhindert damit wurde eine erstklassige Investition und eine Menge Arbeitsplätze und ein Projekt gelungener Integration. Aber der "Spaßsender mit dem Trash(zu deutsch Müll)-Appeal" und der Einstieg Mülheims in die große Welt des Entertainments war wohl zu verlockend.

Auch die alten Güterhallen, die den Mülheimer Initiativen einen Beginn ihrer Projekte ermöglichte hätten, wurden diesem höheren Zweck untergeordnet. Sie wurden zum preiswerten Requisitenlager für den Sender.

Dieser Traum ist jäh geplatzt. Laut Stadtanzeiger stehen 270 Mitarbeiter vor der Entlassung. In Zukunft will der Sender alte "Big- Brother" Sendungen abspielen, und dafür braucht man nur noch ein paar Techniker. Als Seifenblase erweist sich nun auch der Plan, von den Viva- Parkplätzen aus nach und nach die ganzen 15 Hektar Industriebrache mit Medienbetrieben zu füllen. Im Gegenteil: Das Super- Medienzentrum Coloneum in Ossendorf, mit Landesmillionen errichtet, kämpft um Überleben, weil die Medienbetriebe, allen voran RTL, nicht einziehen wollen. Und im sogenannten "Mediapark", der ebenfalls hoch subventioniert worden ist, hat sich kein einziger privater Medienanbieter niedergelassen.

Diese Entwicklung hat viele Mülheimer nicht ruhen lassen. Ende September wurde gemeinsam mit dem Kulturamt und der Mülheimer Geschichtswerkstatt die Mülheimer Kulturwochen mit dem Titel "unbestelltes Land" durchgeführt. Als Teil davon veranstaltete unsere Genossenschaft gemeinsam mit dem Bund Deutscher Architekten im Rahmen der Planwoche plan 04 u.a. ein Symposion, in dem deutsche und ausländische Fachleute vorführten, wie ein solches Gelände so entwickelt werden kann, dass Wohnen und Arbeiten, Verkehr und Freiraum miteinander harmonieren. Experten aus dem In- und Ausland stellten Modelle von Selbsthilfe vor. Schließlich wurden in einem Workshop der renommierten Stadtplanerin Prof. Drey konkrete Vorschläge für die Entwicklung des Geländes erarbeitet. Sowohl die Stadtverwaltung, als auch der Grundstückeigentümer aurelis bekundeten ihr Interesse. Der 1.Preisträger des städtebaulichen Wettbewerbs, Herr Kai Büder, arbeitete an der Planung mit. Der Grünplaner des preisgekrönten Entwurfs gab Anregungen, wie Freiflächen jetzt schon mit geringern Mitteln zu Gärten und Erholungszonen umgestaltet werden können.

Die alles, lieber Marc Jan, kannst Du im Anhang lesen. Es ist einfach, es ist durchführbar, und es lässt auch für andere Projekte Raum. Aber noch mehr: es regt die Menschen im Viertel an, selbst etwas für ihre Zukunft zu tun, und nicht nur auf den Weihnachtsmann, sprich Großinvestor mit den vielen Arbeitsplätzen, zu warten.

Von dem allen, lieber Marc Jan, finden wir in Deinem Brief, den Du zum Jahresende und als Jahresrückblick schreibst, nichts. Nichts vom Scheitern von Viva, nichts von anderen Vorschlägen, überhaupt keine Vorschläge. Nur von den "Entwicklungsmöglichkeiten.. des großen Areals rund um den Güterbahnhof in Mülheim" sprichst Du. Und Du sagst, dass "an den Entwicklungsmöglichkeiten.....deutlich wird...wie viel Dynamik gerade im rechtsrheinischen Köln steckt." Und da lieber Marc Jan, muss ich Dir widersprechen. Dynamik wird nicht "deutlich an Entwicklungsmöglichkeiten". Entwicklungsmöglichkeiten sind die Voraussetzung dafür, dass Dynamik sich entfalten kann. Dynamik, von griechisch Dynamis, und das bedeutet auf Deutsch Kraft, zeigt sich an dem, was Menschen tun. Nicht an dem, was sie tun wollen. Und getan hat sich auf diesen 15 Hektar in den sieben Jahren, die wir mit Dir nun im Gespräch sind, nichts.

An Vorschlägen hat es, wie gesagt, nicht gemangelt. Du kannst sie, wenn Du willst, in der Dokumentation noch einmal nachlesen. Gemangelt hat es auch nicht an finanziellen Möglichkeiten. Gerade in diesen Tagen gehen wieder erhebliche Landesmittel nach Mülheim.

Gemangelt hat es auch nicht an der politischen Durchsetzbarkeit. Ihr Sozialdemokraten seid ja in der glücklichen Lage, dass Ihr auf allen vier in Frage kommenden politischen Ebenen, im Bezirk, im Rat, im Land und im Bund, an der Regierung seid. Auch die Grundstückseigentümer, Bahn und WestLB, sind in Eurem Einflussbereich. Ihr habt Zugang zu allen Fördertöpfen, seien sie beim Bund, beim Land oder bei der Stadt. Ihr könnt das Gelände oder Teile davon auch durch den Grundstücksfonds NRW erwerben. Bleibt der politische Wille. Bleibt der politische Wille, die Kräfte aus dem Viertel, seien es nun Initiativen, Genossenschaften, Vereine, Geschäftsleute, in die Entwicklung dieses neuen Viertels einzubeziehen, ihnen Entfaltungsspielraum zu geben und ihnen mit Rat und Tat unter die Arme zu greifen. An diesem politischen Willen scheint es mir zu mangeln. Anders lässt sich für mich nicht erklären, dass in diesen sieben Jahren nichts geschehen ist. Anders lässt sich für mich auch nicht erklären, dass dieses neue Viertel durch eine Trasse vom alten Mülheim abgebunden worden ist, statt es mit einer Stadtstraße, mit Straßenbahn, anzubinden. Dass noch keine einzige Entwicklungsmaßnahme angefangen wurde. Kein Weg, kein Garten, kein Strauch, kein Gebäude, nichts, obwohl die Menschen auf den Arbeitsämtern Schlange stehen. Anders lässt sich für mich auch nicht erklären, dass bei dieser hochkarätigen Veranstaltung im Herbst so viele Politiker aus dem Viertel durch Abwesenheit geglänzt haben.

Im Januar beginnt der Landtagswahlkampf, und dann werden wir Dich fragen, was Du in der letzten Periode für die neue Mülheimer Mitte getan hast. Und nicht, welche Entwicklungsmöglichkeiten man hätte dynamisch nutzen können, wenn man sie denn genutzt hätte. Und wir werden auch fragen, was mit den Arbeitsplätzen in Mülheim ist, und ob alle Möglichkeiten genutzt wurden, um in diesem hochsensiblen Bereich Bildung und Beschäftigung zu fördern. Natürlich haben wir gelesen, dass es Dir gelungen ist, ein Medienbildungszentrum nach Mülheim zu holen. Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Aber erstens fehlt es jetzt in Ossendorf beim Coloneum, und zweitens ist es zu wenig. Anders gesagt: Ansiedlung von neuen Medien ist o.k., genügt aber nicht. Die Initiative aus dem Viertel muss dazukommen.

Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion
Dein
Rainer Kippe


Anlage:
  • Dokumentation des Workshops der plan04 auf der Industriebrache Alter Güterbahnhof Mülheim im Rahmen der Mülheimer Kulturwochen „Unbestelltes Land“ unter Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Fritz Schramma

 

 

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