Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

DIE ARBEIT NIEDER!

Von der Lohnarbeit zum produktiven Müßiggang.
Ein Rezensionsessay

von Franz Schandl

"Stimmt an das Lied der hohen Braut,
Die schon dem Menschen angetraut,
Eh' er selbst Mensch ward noch.
Was sein ist auf dem Erdenrund,
Entsprang aus diesem treuen Bund.
Die Arbeit hoch!"

So lautet die erste Strophe des "Lied(s) der Arbeit" aus dem Jahre 1867. Eine "ge-sungene Kulturgeschichte" nannte Karl Kautsky sie. Auch heute noch wird diese Hymne der österreichischen Arbeiterbewegung auf den Parteitagen der SPÖ into-niert. Gerade in der Arbeiterbewegung wurde die Arbeit sakralisiert. "Die Arbeit adelt den Menschen" hieß es dort, der Arbeiterphilosoph Joseph Dietzgen bezeichnete sie gar als den "Heiland unserer Zeit". Im Heldenlied der Arbeiterklasse mußte deren spezifi-sche Werktätigkeit - einst als "Lohnsklaverei" verspottet - eine positive Wendung erfahren. Aus der Kritik der Arbeit wurde ein Bekenntnis zu ihr, aus der Überwindung des Arbeiterdaseins dessen Verallgemeinerung. Die Arbeiterbewegung war so immer eine Arbeitsbewegung, eine Bewegung für die Lohnarbeit, nicht gegen sie. Dieser Ethos ist ideologisches Allgemeingut geworden. Arbeit ist des Menschen Sinn und Grundlegung. "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen", lautet eines der men-schenfeindlichsten aller Sprichwörter. Ohne Arbeit ist die materielle Existenz des bürgerlichen Individuums jedenfalls einsturzgefährdet. Alles dreht sich um sie. "Tat-sächlich sind die "Arbeitsplätze" heißenden Produkte so wichtig, daß Politiker, die nie welche erfinden oder organisieren, ebensogut gleich ihren Hut nehmen können. Die keine versprochen haben, gibt es keine. Freilich auch keine, die auf die Dialektik von heute: die Gegenläufigkeit von steigender Technik und sinkendem Bedarf an Arbei-tern bzw. Arbeitsplätzen eine Antwort wüßten", schreibt Günther Anders im Manu-skript des dritten Bandes der "Antiquiertheit". Die gesellschaftlichen Erschütterungen haben daran bis jetzt wenig geändert, Auf-bau- und Krisenzeiten den Mythos sogar gestärkt. Trotz vieler Differenzen stellt man sich in der Politik von rechts bis links gegenwärtig eine gemeinsame Hauptfrage: Wie Arbeit schaffen? - Daß diese geschaffen werden muß, sie Voraussetzung und Bedin-gung des Lebens ist, ja zu sein hat, ist indes unhinterfragter Konsens. Die Linke setzt noch eines drauf, fordert sinnvolle und nichtkrankmachende Arbeitsplätze, ja sogar Mitbestimmung im Produktionsprozeß. Damit hat es sich dann aber schon. Einer grundsätzlichen Debatte über den Stellenwert der Arbeit wird meist aus dem Weg gegangen. Nicht so in den von uns hier vorgestellten Schriften. Manchmal entdeckt man sogar Bemerkenswertes bei den Grünen. So etwa in der von der Grünen Akademie in Graz herausgegebenen Broschüre "Sinn der Arbeit", wo abseits offizieller Parteilosungen (etwa der unerträglichen Forderung nach "Arbeit durch Umwelt") eine fundamentale Kritik der Arbeit versucht und der Müßiggang propagiert wird. In dieser gelungenen Zusammenstellung finden sich neben dem Manifest "Arbeite-rinnen! Arbeiter! Schiebt einmal eine ruhigere Kugel", Texte von Luise Gubitzer und Frigga Haug, Ulf Brunnbauer und Christian Wabl, Ursula Schmiederer und Erich Ri-bolits. Auch die wohl erste bedeutende Streitschrift gegen die Arbeit, nämlich Paul Lafargues "Das Recht auf Faulheit" aus dem Jahre1880 ist auszugsweise abge-druckt. Marxens Schwiegersohn erkannte in der Verherrlichung der Arbeit nämlich ein verderbliches Dogma: "Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung an-zukämpfen, haben die Priester, die Ökonomen und die Moralisten die Arbeit heiligge-sprochen." Der interessanteste Beitrag in der erwähnten Artikelsammlung stammt vom Wiener Berufsbildungsforscher Erich Ribolits, der zum selben Thema auch ein Buch, "Die Arbeit hoch?", vorgelegt hat. Darin erzählt und analysiert er die Geschichte der Her-ausbildung von Arbeit und Arbeitsethos, bewertet deren gesellschaftliche Bedeutung, beschreibt ihren Verfall in der heutigen Krise, und versucht sich abschließend an der Formulierung von Alternativen. Nicht wenig, und trotzdem nicht mißlungen. "Selbstdisziplinierung im Sinne der ökonomischen Logik als eine nicht mehr zu hin-terfragende Primärtugend" (S. 169) ist heute eine Selbstverständlichkeit geworden. Ja selbst dort, wo sie ideell abgelehnt wird, gilt es ihr reell zu entsprechen. Die Ge-schichte des Kapitalismus ist somit auch"eine Geschichte der Installierung unseres heutigen "Arbeitsethos"." (S. 217) Nachfolgende Sekundärtugenden wie Fleiß und Tüchtigkeit, Leistung und Erfolg haben vor allem im deutschsprachigen Raum eine steile Karriere hinter sich, sind zum Um und Auf der wirtschaftlichen Kommunikation geworden. Momente von Selbstbestimmung und Muße, Genuß und Zufriedenheit sind dem nachgeordnet, ja hilflos unterlegen. Sie haben dort nichts zu suchen. Bis in das Alltagsleben hat sich dieses Arbeitsbekenntnis festgefressen. Menschen werden vorerst über ihre Beschäftigung definiert. Nicht Wer bist du? wird im allge-meinen gefragt, sondern Was machst du? Also: Womit verdienst du dein Geld, wie bedienst du diesen Fetisch. Die erstgenannte Frage scheint hingegen fast imperti-nent zu sein, kommt nur dann zum Zug, wenn intimere Verhältnisse bereits herge-stellt werden konnten. Ribolits betont aber auch die gravierenden Veränderungen in der modernen Arbeits-welt: "Die Entwicklung läßt aber gleichzeitig auch die extreme, auf Hierarchie und Arbeitsteilung beruhende industriewirtschaftliche Produktionslogik zunehmend un-geeignet werden. Denn betriebliche Abläufe, bei denen das optimale Ergebnis von Handlungen nicht durch eine klar definierte Ziel-Mittel-Vorgabe eingrenzbar ist, las-sen sich logischerweise auch nicht mittels hierarchischer Kontrolle steuern." (S. 112) Der Taylorismus als die Realisierungsform kapitalistischer Produktionsverhältnisse wird obsolet. Unterwerfung wird ersetzt durch Selbstbeherrschung. Eingefordert ist die allseits flexible und selbstkontrollierte Arbeitskraft. Sie soll können, was ansteht. Und wollen. Es wird nicht abgestritten, daß die Entwicklung der kapitalistischen Arbeit und die Dynamisierung der Produktivkräfte auch einiges an Emanzipation geleistet haben. Materieller Wohlstand ist eine nicht zu unterschätzende Größe für individuelles Wohlergehen. Aber: Materieller Wohlstand ist nicht individuelles Wohlergehen. "Es ist uns noch nie so gut gegangen wie heute". Ganz typisch wird bei dieser Aussage mit einer immanenten Gleichsetzung von Warenvielfalt, materiellem Wohlstand und individuellem Glück operiert", schreibt Ribolits, und gleich weiter: "Es spricht aller-dings auch für sich, daß jene Menschen, denen es angeblich so gut wie nie zuvor geht, durch Plakataktionen auf diesen Zustand erst aufmerksam gemacht werden müssen." (S. 251) Kaufen ist heute wichtiger als Konsumieren. Shoppen ist zu einem Erlebnis gewor-den, da kommt immer mehr nach Hause, als man vorhatte. Die Waren springen ei-nen förmlich an, drängen sich auf, überwältigen uns. Den Surrogaten des Lebens sind wir meist hilflos ausgeliefert. Diese äußerliche Reizüberflutung ist allgegenwär-tig. Eine Welt ohne Werbung ist dem bürgerlichen Individuum nicht vorstellbar. Wä-ren all die Flächen abgezogen und Sendungen abgedreht, die da Glück durch Kauf versprechen, wäre wohl die Trostlosigkeit des übriggebliebenen Rests nieder-schmetternd. Der Mensch wird zum Durchlauferhitzer der Waren. Motor ist das Geld, mit dem jener die Wirtschaft anheizen soll. Freizeit fungiert zur Erledigung der oktroyierten Kon-sumbedürfnisse. "Für ganze Wirtschaftszweige stellt der "Zugriff der Freizeit" der In-dividuen in der Zwischenzeit durchaus eine "wirtschaftliche Überlebensnotwendig-keit" dar." (S. 226) Wollen die Deutschen ihren Urlaub nicht im teuren Österreich ver-bringen, ächzt die hiesige Fremdenverkehrsindustrie, geht es der ganzen Wirtschaft schlecht. Die Krise der Arbeit wird als strukturelle wahrgenommen, eine Rückkehr zu alten Zu-ständen für ausgeschlossen gehalten. Maschinen fressen Arbeit. Aber sie saugen nicht nur diese ein, sondern spucken auch die Arbeiter aus. Sie befreien diese nicht bloß von monotoner Tätigkeit, sie entledigen sich ihrer überhaupt. Arbeitsbefreiung im Kapitalismus heißt noch immer Arbeitslosigkeit. Der nicht mehr realisierbare Wert der Arbeitskraft sinkt auf Null, das davon abhängiges Selbstwertgefühl ebenfalls. Sie, die sich durch Arbeit definieren mußte, hat nun keine mehr, was also ist sie in einer Gesellschaft, in der abstrakte Arbeitsverausgabung alles ist? Da sie nicht mehr flüs-sig ist, muß sie sich wirklich überflüssig vorkommen, wie eine Arbeits- und Geldmo-nade ohne Arbeit und Geld. Wobei es schon wichtig ist, sich deutlich vom Zynismus der Marktapologeten abzu-grenzen. Diese wollen - so steht es in den Lehrbüchern von "lean management" und "lean production" - nur immer mehr Arbeit von immer weniger Menschen verrichten lassen. Arbeitslosigkeit ist also nicht der Beginn des individuellen Glücks. "Den Wert der Arbeit als Medium menschlicher Sinnstiftung herunterzuspielen und davon zu schwärmen, daß ein "erfülltes Leben" auch jenseits von (Lohn-)Arbeit möglich ist, ohne gleichzeitig die Tatsache zu thematisieren, daß Arbeit gegen Entgelt für nahezu alle Gesellschaftsmitglieder derzeit die einzige Möglichkeit ist, um überhaupt adäquat über-leben zu können, spiegelt den Versuch wider, das gegenwärtige System, mög-lichst unangetastet von Sockelarbeitslosigkeit und sozialstaatlichem Abbau, in die Zukunft zu retten." (S. 59) Unmittelbare Notwendigkeit und allgemeine Perspektive müssen nicht in eins fallen. Ja, sie können sich diametral widersprechen. So geht es einerseits nicht an, aus die-sem Zwangsbedürfnis des Einzelnen nach einem Arbeitsplatz eine gesellschaftskriti-sche Strategie abzuleiten, wie es aber auch andererseits nicht zweckdienlich ist, die-ses aus der Sicht des Einzelnen verständliche Anliegen als eben verkehrt zu diffa-mieren. Es müßte vielmehr gelingen, diesen Widerspruch zu thematisieren, die bei-den Stränge aufeinanderzubeziehen und zu verknüpfen. D.h. weder zynisch den ak-tuellen Interessen entgegenzutreten, aber ebensowenig ihnen hinterherzulaufen. Gegen die kapitalistische Beschleunigung ist anzukämpfen, Langsamkeit muß als Prinzip etabliert werden, es gilt nicht "Zeit zu sparen, sondern (sich) Zeit zu lassen" (S. 291). Müßiggang muß als Chance und Strategie erkannt werden: "Für den Men-schen unserer Gesellschaft erfordert Muße jedoch dennoch einen ganz entscheiden-den Verzicht, den Verzicht auf die eigene Totalvermarktung. Das Kultivieren von Mu-ße im Sinne eines Gegenprojekts zur alles umfassenden Entfremdung beginnt mit dem Schaffen unverzweckter - "nutzloser" - Freiräume, also von Lebensbereichen, die nicht verpfändet werden für (die Hoffnung auf) späteres Leben, die für sich selbst stehen und ihren Wert aus sich selbst schöpfen. Damit ist auch klargestellt, daß es sich bei der Muße weder um eine besonders raffinierte Form des Hervorlockens schöpferischer Reserven und Arbeitsprozesse handelt, noch um Erholung oder Ent-spannung im Sinne einer Reproduktion von Arbeitskraft. Der Begriff Muße steht für unvernutztes Leben, unmittelbares Dasein und die nicht entfremdete Existenz - aller-dings auch für die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und der Angst vor dem Tod. Der Müßiggänger ist damit keinesfalls das, als was er mit dem bekannten Spruch: "Müßiggang ist aller Laster Anfang" phantasiert wird, nämlich einer, der bloß faul ist und nichts tut, sondern er ist einer, der bewußt und im "hier und jetzt" lebt und seine Existenz unter keinem anderen Aspekt als den des Da-seins stellt. Das heißt, Müßig-gang ist nicht das Gegenteil von Arbeit, sondern Müßiggang ist etwas, was aus der Arbeitswelt herausfällt, was weder in die (heutige Form von) Arbeit noch in die ihr korrespondierende Freizeit einzuordnen ist, er ist ein Zustand, der die Werte der heutigen Arbeits-Freizeit-Gesellschaft für sich nicht mehr anerkennt. Der Müßiggang umfaßt sowohl Momente des totalen Ausatmens, des Nichtstuns als auch Momente ganz konzentrierter Tätigkeit, der lustvollen Anstrengung in dem Sinn, wie sich bei-spielsweise Kinder bis zur Erschöpfung anstrengen, wenn ihnen etwas Spaß macht. Müßiggang meint weder Faulheit im Sinne trägen geistlosen Dahinlebens noch blin-de Betriebsamkeit; er steht für selbstbestimmtes Handeln und für die ruhige Reflexi-on dieses Handelns." (S. 269-270) Das Angenehme an Ribolits Buch ist, daß es eine voraussetzungslose Lektüre er-laubt. Dem Publikum wird weitgehend entgegengekommen, selten zuungunsten analytischer Präzision. Für eine Habilitationsschrift entschlägt sie sich des üblichen hermetischen Jargons. Es ist im besten Sinne des Wortes ein Lesebuch, flüssig ge-schrieben, ohne trivial zu sein. Was in keinem renommierten Verlag erscheint, wird aber kaum wahrgenommen. Schon mal was von Ribolits oder dem Profil-Verlag in München gehört? Wohl kaum. Daher bleibt diesem Band eigentlich versagt, was er sein könnte: eine einführende Streitschrift gegen die Arbeit, ein Buch, daß man ohne Gewissensbisse weiteremp-fehlen kann, vor allem deswegen, weil selbst der unbeleckte Leser gute Chancen hat, sich in den Argumentationen zurechtzufinden, ihnen zu folgen. Einige Einwände seien trotzdem gestattet: So fragen wir uns, wann denn die Zeiten gewesen sein mögen, wo die Arbeiter nicht "Agenten des Kapitals" (S. 155) waren. Die einstige Lautstärke des Klassenkampfs widerspricht dem nicht, bestand doch seine objektive historische Rolle in der Durchsetzung entwickelter bürgerlicher Ver-hältnisse, nicht in deren Überwindung. Als variables Kapital im Wertverhältnis war die Funktion der Arbeiterklasse stets so vorpositioniert. Hier scheint Ribolits noch selbst in den Mythen der alten Arbeiterbewegung befangen. Weiters: Ist die gegenwärtige Unternehmensstrategie wirklich eine "neue", oder voll-zieht sie nur bei Strafe des Untergangs die Zwangsgesetze des Kapitals? Ist dieses Handeln ein Wollen oder ein Müssen? Ist also die aktuelle Praxis der Kapitalisten, die natürlich völlig zurecht angeprangert wird, eine mögliche Option oder die notwendige Reaktion? Ist der ehemalige Vorsitzende der österreichischen Metallarbeitergewerk-schaft, Sepp Wille, der Wahrheit nicht näher, wenn er im Zuge des Konfliktes der Teilliquidierung der traditionsreichen österreichischen Reifenfirma "Semperit" durch ihren deutschen Eigentümer "Conti" folgendes festhält: "Man darf nicht nur sehen, wie ein Multi mit der Belegschaft verfährt. Man muß auch verstehen, wie der Welt-markt mit einem Multi verfährt." (Kurier, 18. August 1996) Was auch stört, aber nicht alleine an Ribolits, ist die unreflektiert übernommene, heute gängige wie irreführende Bezeichnung des Arbeiters als Arbeitnehmer, "jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird". (Friedrich Engels) Wer sich von Erich Ribolits einführen lassen sollte, sollte sich bei Gelegenheit von Robert Kurz ausführen lassen. Der Nürnberger Theoretiker, dem mit "Der Kollaps der Modernisierung" 1991 ein überraschender Politseller gelungen ist, versteht sich selbst als fundamentaler Kritiker jedweder Ontologisierung der Arbeit. In seinem nun schon sechs Jahre alten und wenig rezipierten Artikel "Die verlorene Ehre der Arbeit" wird die Krise der Arbeit als Krise der Verwertung zugespitzt, somit als Krise des Ka-pitalverhältnisses dechiffriert. Die Aufmerksamkeit sei auf die Produktionsverhältnisse selbst zu richten, auf die wesenstypische Dimensionierung des Gebrauchswerts durch den Tauschwert: "Ge-brauchswerte werden hier überhaupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerts sind", schrieb Marx bereits im Kapital. Und Kurz führt aus: "Es entstand so eine blinde gesellschaftliche Maschine der abstrakten Ar-beitskraft-Vernutzung, deren Tendenz dahin geht, Mensch und Natur, die gesamte erreichbare Welt, in ihren inhaltsleeren Bewegungsprozeß aufzusaugen, zu verdau-en, und als eine andere, tote Form der Arbeit: als Geld wieder auszuscheißen, ohne daß von diesem Formwandel abgesehen irgendeine inhaltliche Zwecksetzung der qualitativen Bestimmtheit hinzugetreten wäre. Diese gesellschaftliche Maschine muß zwar stoffliche Qualität bewegen: Naturstoffe, Naturkräfte und lebendige menschliche Arbeit; aber diese sind nicht selber Zweck noch geht aus ihnen eine Zweckbestim-mung hervor, sondern sie sind nur Mittel zum Zweck des tautologischen Rückkop-pelungsprozesses, d.h. des Selbstzwecks der abstrakten Arbeit. Es findet also eine Zweck-Mittel-Verkehrung statt: die Arbeit ist nicht mehr Mittel für einen qualitativ be-stimmten inhaltlichen Zweck der Naturaneignung, sondern umgekehrt ist die qualita-tive, stoffliche Naturaneignung bloß gleichgültiges Mittel für den Selbstzweck des Formwandlungsprozesses der abstrakten Arbeit. Für die Bewegung der gesellschaft-lichen Maschine des "Werts", die sich in Geld "darstellt", ist es objektiv gleichgültig, was mit den stofflichen, qualitativen Ingredenzien ihres gewaltigen, weltweiten Ver-dauungsprozesses geschieht und welche Konsequenzen dieser Prozeß auf der stoff-lich-qualitativen Ebene hat. Die Welt wird verwandelt und umgepflügt ohne "Sinn", weil dieser "Sinn" im Verwandeln und Umpflügen als solchem liegt, das sich auf ständig erweiterter Stufenleiter in seiner toten Gestalt als Geld darstellen und in nie-mals endenden Zyklen vermehren ("akkumulieren") muß."(S. 30-31) Die Überwindung der Arbeit sei in der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung stofflich angelegt, es gelte sie nun inhaltlich aus diesen Fesseln zu befreien. Die durchaus optimistische Perspektive liest sich folglich so: "Produktiver Müßiggang" heißt dann unter anderem, daß Naturwissenschaft und technologische Konstruktion jenseits der repititiven Arbeitskraft-Verausgabung diese in immer schnellerem Tempo überflüssig machen, d.h. daß der Überblick über die in Bewegung gesetzten Ingre-denzien der Produktion, deren Dirigieren und deren Weiterentwicklung die Arbeits-kraft-Verausgabung überflügeln und an ihre Stelle treten."(S. 40) Markt und Kapital sind also nicht das Ziel oder Resultat der Geschichte, sondern "die Wertform ist bloß blindes transistorisches Durchgangs- und Übergangsstadium im Vergesellschaf-tungsprozeß der menschlichen Reproduktion."(S. 42) Eine grundsätzliche Frage von heute hat also zu lauten: Wer soll wozu (voll) be-schäftigt werden? Die Losung der Vollbeschäftigung setzt in ihrem ungebrochenen Arbeitsfetischismus voraus, daß gesellschaftliches Auskommen an Einkommen, an die menschliche Verdingung am Arbeitsmarkt, gekoppelt sein soll. Vielmehr gilt es proklamieren: Es wird nie mehr Vollbeschäftigung geben, die Alternativen sind jen-seits der Lohnarbeit zu suchen. Die Linke muß aufhören, sich an den Arbeitsfetisch zu klammern. Perspektivisch geht es darum, Arbeit abzuschaffen, nicht Arbeit zu schaffen. Ein emanzipatorisches Ziel kann nicht darin bestehen, daß die Menschen voll beschäftigt sind, sondern daß sie weniger beschäftigt werden, damit sie sich beschäftigen kön-nen, womit sie sich beschäftigen wollen.

 

 

weitere Texte:

 

Aus der Satzung von INA e.V.

 

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Grüne Akademie Graz (Hg.),
Sinn von Arbeit,
Werkstattschriften,
März 1996, 60 Seiten
(Grün-Alternativ Press 10/96;
gratis anzufordern bei
Grüne Bildungswerkstatt Bund,
Lindengasse 40,
A-1070 Wien).

Erich Ribolits,
Die Arbeit hoch?
Berufspädagogische Streitschrift
wider die Totalverzweckung
des Menschen im Post-Fordismus,
Profil-Verlag,
München-Wien 1995,
327 Seiten, 35 DM.

Robert Kurz,
Die verlorene Ehre der Arbeit,
Krisis 10,
Nürnberg 1991,
168 Seiten, 12 DM.

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