Christliche Weisheit unerschöpflicher Nächstenliebe im Gegensatz zu Krieg

"An ihnen erfüllt sich die Weissagung Jesajas:

Denn das Herz dieses Volkes ist hart geworden, und mit ihren Ohren hören sie nur schwer und ihre Augen halten sie geschlossen, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören, damit sie mit ihren Herzen nicht zur Einsicht kommen, damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile." Matthäus 13, 14-15

Diese, von Jesus zitierten Worte des Propheten Jesaja könnten gerade eben in Deutschland gesprochen worden sein: Eine gravierende Desorientierung offenbart sich in den letzten Jahren dieses Milleniums in beiden großen deutschen Volkskirchen, vor allem in der EKD. Diese Krise manifestiert sich unter anderem anhand des Krieges westlicher Industriestaaten mit deutscher Beteiligung zuerst gegen den Irak (Oktober/November 1998) und dann gegen Jugoslawien (Ende März/April/Mai 1999). Bedauerlich und enttäuschend das überwiegende Schweigen der Evangelischen wie der deutschen Katholischen Kirche hierzu.

Die Gefahren eines Angriffskrieg seitens der NATO-Staaten gegen ein europäisches Land und die zugesagte deutsche Teilnahme waren ausgesprochen deutlich und über alle Medien bekannt. Trotzdem war von beiden Kirchen in Deutschland kaum ein Wort zu vernehmen. Die Verurteilung des Vatikans (Papst-Besuch in Washington, Januar 1999) blieb hierzulande ohne Echo und stieß auf Unverständnis. Damit vermittelten beide deutschen Kirchen den Eindruck, sie nähmen die Ausrottung tausender Menschen in Kauf, so wie das schreckliche Blutvergießen.

Dieses Schweigen deutscher Bischöfe ist besonders schwerwiegend und unbegreiflich, denn wir leben heute nicht in einer Diktatur. Ihr Schweigen kontrastiert mit der mutigen deutlichen Haltung amerikanischer und anglikanischer Bischöfe, mit den Verlautbarungen des Weltkirchenrates und mit der begründeten Stellungnahme des Vatikans. Die EKD bleibt isoliert und weit zurück im Mittelalter verankert, als ob es keine Entwicklung über die Jahrhunderte gegeben hätte. Kein einziger Zuspruch für die Friedensmission von UNO-Generalsekretär Kofi Annan im Fall vom Irak (Februar 1998) kam aus Deutschland, weder von der Bundesregierung noch von den Kirchen, auch nicht von den führenden Medien. Dagegen haben sich andere Staaten für den Erfolg dieser Friedensmission engagiert, nicht aber Deutschland.

In Deutschland schockiert ebenso die antiserbische Propaganda und Dämonisierung des jugoslawischen Staatsoberhauptes, auch durch offizielle deutsche Stellen, die Bundesregierung und die EKD eingeschlossen. Hinzu kommt die Parteinahme für eine separatistische Gruppe von Provokateuren in der Kosovo-Region, die sich bis jetzt gegen alle Vereinbarungen und gegen die UN-Resolution (Juni 1999) aggressiv bewaffnet halten. Darüber hinaus fallen die Medien durch eine unsichere und extrem tendenziöse Haltung auf, die die deutsche Öffentlichkeit sehr einseitig informiert haben, darunter besonders krass die Süddeutsche Zeitung und Rheinische Post.

Diese unverantwortliche tendenziöse Einstellung christlicher Medien vergiftet die Politik, radikalisiert sie in kriegerischer Manier, indem sie Haß gegen eine europäische Bevölkerung, nämlich die Serben, sät. Diese häßlichen Tatsachen sollten eigentlich Anlaß genug sein für eine deutliche Sprache aller deutschen Bischöfe an ihre Gemeinden.

Jetzt wollen die NATO-Aggressoren einschließlich Deutschland Friedenstäubchen spielen. Über die grausamen Mittel und Methoden des aktuellen Krieges, Bomben-Terror, zerstörerische unmenschliche Angriffe auf die zivile Infrastruktur eines Landes, auf Krankenhäuser, auf Anlagen der Wasser- und Stromversorgung, auf Fabriken, auf die Grundlagen des zivilen Lebens gehen evangelische Bischöfe und Theologen einfach hinweg und versuchen den Verursacher dieser Verbrechen, die NATO-Bestie, als Not-Helfer, als Hüter des Friedens zu präsentieren, obwohl sie nicht zur Wiedergutmachung bereit sind. Dieser Abgrund an Infamie deckt sich mit einem Abgrund an Idiotie.

Unterbleiben klare, öffentliche Stellungnahmen der Kirchen in Deutschland gegen diese Politik, die Krieg als Mittel und Option der Politik zuläßt, unterbleiben die nötigen klaren Kirchenworte für die zivile Regelung von Konflikten ohne militärische Erpressung, verharrt diese Gesellschaft wie schon damals unter der Nazi-Diktatur sich selbst überlassen, ohne jegliche geistliche Führung zu wichtigen Themen, eine Geistlichkeit, die im wahren Sinn des Wortes die Menschen auf christliche Werte zu orientieren hätte.

Sollten deutsche Bischöfe aus unverständlichen Gründen weiterhin keine richtungsweisenden Worte finden, ist es kein Wunder, daß sich immer mehr Christen von ihren beiden traditionellen Kirchen entfernen. Solche Führung, die zerstörerische inhumane Kriege rechtfertigt, erscheint blasphemisch und demaskiert sich als Anti-Christ. Eine Kirche, die ihre spirituelle Aufgabe nicht wahrnehmen will und eher aus gehorsamen Beamten als aus Pastoren zu bestehen scheint, verliert völlig ihren Sinn für eine spirituelle Anleitung und Beistand der sich ihr anvertrauenden Menschen.

Ein weiteres, alarmierendes Zeichen von Verwirrung in den Kirchen ist die Akzeptanz von Militärschlägen als "ultima ratio nach Ausschöpfen aller Verhandlungsmöglichkeiten", wie sie viele Bischöfe in Deutschland aussprechen, darunter bedauerlicherweise auch der Ratsvorsitzende der EKD. (Evangelische Nachrichtenagentur idea, 25.2.98).

Diese Haltung setzt voraus, der Einsatz militärischer Mittel könnte einer Vernunft entsprechen und es gäbe einen feststellbaren Zeitpunkt der Erschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten. Weder das eine noch das andere hält einem Überdenken stand.

1. Welche seltsame letzte Vernunft sollte heute den Einsatz von militärischen Mitteln rechtfertigen, angesichts der modernen Waffentechnologien mit ihren unabsehbaren Folgen von Leid und Tod für Massen unschuldiger Zivilisten (Krieg gegen den Irak Januar 1991, Vietnam-Krieg, Afghanistan, Bosnien, Hiroshima, Nagasaki, Dresden, Krieg gegen den Irak 1998, Krieg gegen Jugoslawien April-Mai-Juni 1999...) und angesichts der Konsequenzen unwiderruflicher Zerstörung der Natur (Vernichtung großer Teile des vietnamesischen Dschungels für immer mit Chemiewaffen durch US-Streitkräfte, Brände von Ölfeldern in Nahost als Folge des Angriffs auf den Irak 1991, ökologische Katastrophe in Südosteuropa als Konsequenz der NATO-Bomben 1999)?

Für jeden mitmenschlich, gottesfürchtig oder naturverbunden denkenden Menschen ist das alles andere als vernünftig oder Sache einer ultima ratio. Es ist prima irratio, wie die abscheuliche NATO-Bombardierung gegen Jugoslawien deutlich beweist.

Ein Europa ohne Verstand, ohne Ratio, ohne Verantwortung, ohne Sinn und Sensibilität für Humanität und Mitmenschlichkeit in ihrer elementarsten Form verdient nur Verachtung. Es ist ein Europa, daß Mißtrauen und Furcht erregt.

Gerade dieser Verlust an Verantwortungsethik, Humanität und Menschlichkeit zeigt, wie dringend es ist, die Re-Christianisierung Europas anzustreben. So wie es sich manifestiert, ist das aktuelle Europa ohne jegliche Religion, hat es den Tanz um das goldene Kalb gegen christliche Kultur eingetauscht und treibt so von einer Katastrophe in die andere in der finsteren Kultur des Todes, des Konsums und reinen Materialismus.

2. Woran soll zu erkennen sein, wann alle Möglichkeiten von Verhandlungen erschöpft sind? Ein solcher Maßstab existiert nicht, es sei denn, man glaubt weiter an die primitive Kultur der Macht des Stärkeren, an die Ideologie des Faschismus. Dann würde der sich stärker wähnende diese Feststellung treffen. In der Tat ist das so geschehen im Januar 1991: Entgegen aller laufenden diplomatischen Aktivitäten der Vermittlung verschiedener Staaten erklärten westliche Industriestaaten, offensichtlich die Stärkeren gegenüber dem Irak, die Mittel von Verhandlungen für erschöpft, indem sie zum Ultimatum griffen und eine UN-Resolution als Blanko-Vollmacht zum militärischen Angriff interpretierten.

Im März 1999 wiederholte sich dieselbe arrogante und dumme Haltung der NATO-Staaten gegen Jugoslawien. Einseitig wurden die Verhandlungen abgebrochen, trotz aller Signale für weitere Gespräche nach Rambouillet, wie die amerikanische Außenministerin Albright selbst und der französische Präsident Jacques Chirac damals (Februar/März 1999) erkannten.

Ist nicht aber einem Willen zum Frieden immer ein Weg gegeben? Sind nicht die Mittel und Wege von Verständigungssuche und Dialog in einem Konflikt für einen Friedenswilligen unerschöpflich? Ist nicht auch dies Kern der christlichen Botschaft?

Alarmierend und skandalös ist es, daß die einfache humanistische wie christliche Weisheit der unerschöpflichen Nächstenliebe aus den Räumen der führenden deutschen Geistlichkeit verbannt zu sein scheint, wenn es um konkrete deutsche Politik geht.

Hintergrund dieses schlimmen Zustands der Kirchen ist das bei ihnen bis heute unaufgeklärte Phänomen des deutschen Faschismus. Die EKD hat versagt damals wie heute, eine ehrliche Antwort darauf zu geben. Deswegen bleibt ihr nur als bequeme Haltung dazu, den zweiten Weltkrieg zu legitimieren. Aber darum geht es nicht. Die EKD begeht in dieser Hinsicht einen gravierenden Irrtum und Denkfehler: Sie unterläßt es, den Faschismus seit seinem Anfang zu betrachten, seit seinen ersten Symptomen, Nazi-Gesetze eingeschlossen. Statt dessen nimmt sie vom Faschismus allein die Spitze des Eisbergs wahr: Auschwitz. So bleibt die EKD traumatisiert vom letzten monströsen Werk des deutschen Faschismus, ohne das Phänomen in seinem vollen Umfang und von seinen Ursprüngen her begreifen zu wollen. Hier liegt der Ausgangspunkt für alle weiteren Irrtümer in der Kette von Gedanken. Weil keine Antwort auf die ersten Anzeichen des Nazi-Phänomens gegeben wurde, bleibt nur, die Legitimation des zweiten Weltkriegs nicht in Frage zu stellen.

Bei Überlegungen zur augustinischen Lehre des gerechten Krieges bleibt völlig außer Acht, das wesentliche Element des Mittels konsistent und aktuell zu berücksichtigen. Gerade hier schweigt die EKD. Die militärische Gewalt ist heute nach dem Kosovo-Krieg offensichtlich unangemessen, absolut unverhältnismäßig, wie es schon vor dem Krieg vorauszusehen war. Die NATO als Konzentration der Macht über militärische Gewalt in ihrer modernsten Form ist die moderne Bestie des Jahrhunderts in Europa. Sie ist als Feind der Menschheit und größte Friedensgefahr für Europa und die Welt zu erkennen. Keine Verhältnismäßigkeit der Mittel erfüllt hier die Voraussetzung für einen im Mittelalter konzipierten Begriff des gerechten Krieges.

Die EKD bleibt in der Zeit Martin Luthers verhaftet mit ihrer limitierten unrealistischen Überlegung. Not-Hilfe muß mit Mitteln von Hilfs-Organisationen geleistet werden, nicht mit mörderischer Gewalt, mit zerstörerischem Instrumentarium der NATO, wie wir zusehen mußten. Angesichts der Unverhältnismäßigkeit militärischer Gewalt gilt es heute mehr denn je, den Krieg als Feind des Menschen zu bezeichnen und ihn zu ahnden, wie schon UNO-Generalsekretär Butros Gali verkündete, als er noch im Amt war.

In der internationalen Ordnung steht der Mensch, nicht der Staat, an erster Stelle. Die EKD scheint diesen rechtlichen Standpunkt unumstritten anzunehmen. Gerade deshalb ist der brutale NATO-Angriff gegen ein Land und seine Bevölkerung zu verurteilen und für alle Zukunft zu unterbinden. Aber die Obsession des Westens wurde auch die Obsession der EKD im Dienst der NATO-Propaganda gegen den jugoslawischen Präsidenten. Eine Obsession, die blind gegenüber den leidenden Menschen, gegenüber der leidenden Bevölkerung wirkt, indem sie nicht den Menschen, nicht die geopferte Bevölkerung, sondern die Staatsform an erster Stelle betrachtet. Die Konsequenzen sind verheerend. So verstieß die EKD gegen ihren eigenen Standpunkt, gegen ihre eigene Überlegung, was die Herrschaft des Rechtes im Wesen betrifft. Die Obsession mit dem jugoslawischen Präsidenten erreicht jetzt in Deutschland das Extrem, die elementaren Rechtsprinzipien der Wiedergutmachung völlig zu ignorieren wie offensichtlich auf Bundeskanzler Schröders Pressekonferenz in Köln (20.6) Für ihn ist die von der deutschen Regierung mitverursachte Zerstörung Serbiens wohl nicht vorhanden. Was ist das für eine monströse Ungerechtigkeit und Arroganz, als ob der sozialdemokratische Kanzler von einem anderen Planeten spricht! Wer für einen Schaden verantwortlich ist, hat in jeder Rechtsordnung Wiedergutmachung zu leisten, ganz gleich, wen der Schaden getroffen hat.

EKD-Vertreter, heute den NATO-Obrigkeiten ergeben wie damals der Nazi-Herrschaft, verlieren jede Glaubwürdigkeit, wenn sie über Demokratie oder Menschenrechte sprechen, es sei denn, sie verwechselten Demokratie mit einer bestimmten Marktwirtschaftsordnung, nämlich mit dem global propagierten Neoliberalismus. So erklärt sich der häßliche Angriff auf Jugoslawien und den Irak sowie die selektive Anprangerung von nur wenigen Staatsmännern, gerade diejenigen, die dem Neoliberalismus die Stirn gezeigt haben, wie Slobodan Milosevic, Saddam Hussein oder Fidel Castro. Dagegen sind andere nicht demokratische Staatsoberhäupter wie die orientalischen Despoten und dubiose Figuren auf dem Balkan und Kleinasien engste Partner und Schützlinge der NATO-Staaten. Diese Maskerade muß man entlarven. Durch Heuchelei spielen EKD-Repräsentanten, Vertreter christlicher Parteien und die Regierungskoalition bewußt oder unbewußt in die Hände umstrittener, unmenschlicher Interessen von Staaten, die vor Krieg und Zerstörung nicht anhalten. Für diese Vertreter und Staaten ist der Mensch gleichgültig, wie der feige NATO-Krieg im Kosovo mit dem Exodus von Tausenden Serben zeigt.

Der Krieg heute am Ende des 20. Jahrhundert ist das größte Verbrechen gegen die Menschheit, gerade weil die heutigen militärischen Mittel, wie sie die NATO besitzt, vernichtend und ausrottend für alles Leben sind. Diese Realität haben Militärs selbst bekundet. Der Frieden ist das höchste Gut der Menschheit und bedarf des Schutzes, gerade auch durch die Kirchen.

Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen sind zu bekämpfen und wiedergutzumachen innerhalb einer mehr oder weniger friedlichen Situation, aber auf keinen Fall in einem kriegerischen Zustand oder mit dem Instrument des weiteren Mordens als unendliche Kette von Haß und Konfrontation, was in der Tat Menschenrechtsverletzungen nur multipliziert.

Nicht fragwürdige Staatsräson und Gewissensberuhigung wegen der Teilnahme Deutschlands an einem Angriffskrieg dürfen Anliegen der Kirchen sein, sondern im mutigen Widerspruch dazu die Verkündigung der christlichen Botschaft und Weisheit unerschöpflicher Nächstenliebe.

Meerbusch, 20. Juni 1999

- Johann-Albrecht Lenkait, Kamperweg 16, 40670 Meerbusch, Telefon/Fax 02159-1664 -

 


Zum Krieg in Jugoslawien

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