Selbst-Organisations-Technik

Dieser Text stammt aus einer längeren Arbeit zur Bewertung von Technikentwicklungstrends aus dem Jahr 2000.
Er berücksichtigt nicht explizit die gesellschaftliche Formbestimmtheit von Technik.

Die ökologischen verhängnisvollen Folgen kapitalistischer Produktion sind letztlich vor allem auf den immer höheren Energieverbrauch (auch beim Recyceln!) zurückzuführen. Diese Energien werden benötigt, weil die technischen Strukturen selbst nach dem Prinzip des Strukturerhalts, d.h. thermodynamischer Gleichgewichte, gestaltet sind. Denkbar und möglich wären jedoch im ersten Schritt auch andersgeartete "Technologien, die sich auf Symbiose selbstorganisierender Systeme stützen" (Maier, S. 37). Dabei bleibt, wie bei den Vorschlägen von F. Vester, die Technik selbst gleichgewichtsorientiert, geht aber eine Symbiose mit sich selbst organisierenden, lebendigen Systemen ein. Das erfordert jedoch andere Vergesellschaftungsformen - nämlich ihren Austausch selbst, "von unten" regelnde Subsysteme - , wie auch schon Vester gesehen hat. Zusätzlich besteht die prinzipielle Möglichkeit, technische Systeme selbst als im Ungleichgewicht sich selbst organisierende und bewegende zu gestalten. Dazu werden wichtige Voraussetzungen, wie dezentralisierende Vernetzung etc. schon jetzt bereitgestellt.

Als utopische Vision können wir uns für den Endnutzer vielleicht den bekannten "Replikator" aus den StarTrek-Folgen vorstellen. Eher unsichtbar, aber effektiv und produktiv stellt eine auf Modularität beruhende vernetzte und integrierte Produktionstechnik die jeweils benötigten Dinge her. Begriffe wie "individuelle Massenpodukte", "wandlungsfähige Produkte" und ähnliches gehören heute schon zum Standardwerkzeug der Konstrukteure und Technologen.

Ich glaube, viele politisch engagierte Menschen übersehen diese "graue Produktionsalltagswelt" nur allzugern und wissen deshalb nichts über faszinierende Entwicklungen in diesem Bereich, die unabdingbar für eine umfassende Vision einer neuen Gesellschaft sind.

Wichtige Merkmale dieser neuen Formen und Prozesse sind:

  1. Die (noch Arbeit habenden) Menschen stehen im Mittelpunkt - der Ausbeutung natürlich. Sie werden aber immer wichtiger als kreativer und mehrwertserzeugender "Produktionsfaktor", weil die In-Wert-Setzung der Natur und die Ausreizung der ein technischen Mittel zur Profitsteigerung an ihre Grenzen gelangt ist. Die maximale Ausnutzung der menschlichen Fähigkeit, Mehrwert zu erzeugen, ist das gemeinsame Ziel aller modernen Managementformen wie Lean Production.
  2. Auf Grundlage der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, neuartiger Produktionsplanungs- und - Steuerungssysteme und flexibler Automatisierung werden die Produktionsprozesse neu organisiert. Das Neue ist von einem Rückgang der Zentralisierung und einer Hinwendung zu dezentral-vernetzten Strukturen geprägt.
Beide Aspekte werden zwar unter den jetzigen Bedingungen der Kapitalherrschaft gegen die Interessen der Menschen - einseitig zugunsten des Kapitals, der "Investoren" genutzt. Sie stellen aber gleichzeitig (von diesen Akteuren ungewollt) eine Basis dar, aus der wir etwas machen können.
  1. Die Menschen im Produktionsprozeß erhalten - notgedrungenermaßen - mehr Wissen und mehr Fähigkeiten, die Produktion in kleinen Gruppen selbständig zu steuern. Dadurch entsteht Kompetenz, Einsicht in die komplexe Produktion, aber auch Teamwork-Fähigkeit (vgl. Schlemm 1999). Dadurch wird der früher üblichen Entfremdung entgegengewirkt, die durch die triste Fließbandarbeit und zu strikte Arbeitsteilung entstand. Dadurch entsteht und entfaltet sich eine wichtige Voraussetzung für Emanzipation: Bewußtheit der eigenen Rolle im gesellschaftlichen Leben, Fähigkeit zur Selbstorganisation in Gruppen...
  2. Dezentralisierung ist die strukturelle Hauptforderung an eine ökologische und demokratische Wirtschaft und Politik. Wichtige (technische) Voraussetzungen werden hier entwickelt und es wäre schade, wenn wir diese übersehen, nicht beachten, langfristig nicht ausnutzen würden.
Voraussetzungen allein ergeben jedoch nicht automatisch eine ökologische und emanzipative Nutzung - dies müssen wir schon noch selber tun! Bei einer Konzentration auf die "reine Ökologie" (Energie, Verkehr, Wohnen, Ernährung) oder pauschaler Technikkritik würden wir diese Potenzen jedoch übersehen!


Literatur:
Maier, Willfried., Thesen zur Kritik der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung, in: Bloch, Jan R., Maier, Willfried (Hrsg.), Wachstum der Grenzen. Selbstorganisation in der Natur und die Zukunft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1984
Vester, Frederic, Neuland des Denkens, München 1984
Schlemm, Annette, Menschen im Zentrum: Mitunternehmer statt "Mietarbeiter", in: Internet http://www.thur.de/philo/som/somensch.htm (1999)


In Weiterführung dieser Gedanken und mit neuen aktuellen Trends wurden 5 Jahre später folgende Texte erarbeitet:





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