Rezension von Annette Schlemm:

Stephen Baxter: Raum
Das Multiversum - Zweiter Roman

Wilhelm Heyne Verlag München 2002

 

Wir kennen die handelnden Charaktere dieses Buches aus dem ersten Band - aber wir befinden uns mit ihnen in einem anderen Universum. Nur der erste Absatz beider Bücher stimmt fast wörtlich überein, aber dann gibt es eine Aufgabelung.

Während der erste Band des "Multiversums" eine der danach möglichen Zukünfte erzählt, widmet sich der zweite einer anderen.
Malenfant stellt sich gleich zu Beginn die Frage, warum sich im Universum für uns noch keine anderen intelligenten Zivilisationen gezeigt haben.

"Das Leben scheint überall entstehen zu können; eine raumfahrende Rasse hätte sich bis heute mit Leichtigkeit in der Galaxis auszubreiten vermocht; die Entwicklung scheint zwangsläufig zu sein - aber nichts ist passiert." (S. 14-15). Das Rätsel des "schweigenden Weltalls" - auch Fermi-Paradoxon genannt - begleitet auch Malenfant bis zu jener Überraschung, mit der ihn die schöne Wissenschaftlerin Nemoto auf der Rückseite des Mondes überrascht. Sie hat im Asteroidengürtel des Planetensystems Anzeichen für die Existenz anderer intelligenter, die Natur umgestaltende, ausnutzende Wesen gefunden. Aber sie kann sich nicht darüber freuen. Was würde die Menschheit tun, wenn sie sich im Weltall ausbreiten würde? Alle Ressourcen nutzen und sicher dabei andere Zivilisationen übersehen, wenn nicht gar bewusst missachten. Was ist von den Fremden anderes zu erwarten? Nemoto kann auch die unmittelbare Herkunft der Aktivitäten im Asteroidengürtel ermitteln - Alpha Centauri, der uns am nächsten stehende Stern. Und als hätte das Universum auf diese Entdeckung gewartet - auf einmal werden noch viele andere Signale intelligenten Ursprungs in der Galaxis entdeckt. Das "Schweigen des Alls" ist beendet und die Menschheit findet sich in einer verwirrenden neuen Welt wider. Reid Malenfant ist natürlich nicht zu halten - er ist der erste, der zu Alpha Centauri fliegt. Ganz traditionell in einem Raumschiff, bis er dort schließlich eins der Tore findet, durch welche sich die zivilisierteren Intelligenzen sich durch die Räume bewegen. Malenfant ist diesmal ohne weitere Begleitung - seine Frau war in diesem Universum vor vielen Jahren an Krebs verstorben. Er begegnet nach dem Tordurchgang erstmalig einem der Fremden, die nicht aus Fleisch und Blut bestehen, sondern eine Art Roboter sind und nennt diesen "Kassiopeia". Kassiopeia wird ihn weiter begleiten und er wird lernen, dass nicht diese Fremden allein zur Bedrohung werden können, wie Nemoto seit langem annahm, sondern im ganzen Weltall sich ausbreitende Zivilisationen andere in ihrer Entwicklung behindern oder gar zerstören.
Während Reid Malenfant für die Erde als verschollen gilt, begeben sich andere auf die gleiche Reise. Eine ehemalige Waffenschmugglerin zum Beispiel. Auch Madeleine lernt die fremden Roboter kennen und reist mit deren Hilfe durch das Weltall. Sie erfährt schmerzlich, wie einfach es ist, sogar aus gutem Willen heraus eine fremde Zivilisation "aus Versehen" zu zerstören. Sie erkennt, dass beinah alle kosmischen Objekte gezeichnet sind von der Nutzung durch intelligente Wesen und von der Zerstörung dieser Zivilisationen durch andere. Es zeigt sich, dass die Roboterfremden die noch unentwickelten Menschen nicht zufällig "an die Hand nehmen". Sie erhoffen sich von ihnen Hilfe dabei, den Untergang des intelligenten Lebens zu verhindern. Denn nicht nur die Ausbreitungswellen der jeweils weiter entwickelten Zivilisationen zerstören weitflächig Lebensformen im Universum, auch kosmische Gefahren, die im Zentrum der Galaxis schlummern, ruinieren regelmäßig alle aufstrebenden Intelligenzen, weshalb das Leben immer wieder von vorn beginnen muss. Die Erfahrung von Malenfant und Madeleine sind sprechen den utopischen Hoffnungen der Menschheit - und vieler SF-Leser - hohn. Eine Zerstörungswelle nach der anderen, eine größer und gewaltiger als die andere, gelangt in ihr Blickfeld. Es ist nicht die Menschheit, die sich ruhmreich im Kosmos ausbreitet, wie der Malenfant im Multiversum des Ersten Bandes "Zeit" ausgemalt hat - nein, die Menschheit ist eher zu vergleichen mit einer Ameise, die ständig von unachtsamen Schritten der vorübereilenden Anderen bedroht wird, die den Unbilden der sie umgebenden Natur zu unterliegen droht.
Stephen Baxter gelingt es, die Leser mit diesem Wissen nicht zu erschlagen. Schritt für Schritt begleiten wir die Hauptpersonen, erleben ihre Erfahrungen quasi "in Farbe" mit. Der Roman wird nie zu undurchsichtig, hält aber immer überraschende Wendungen bereit, die in dieser Zusammenfassung verloren gehen müssen und sollen. Obwohl gleich zu Beginn deutlich wurde, dass dies ein anderes Universum ist, als das des ersten Bandes, wird deutlich, dass beide doch innerhalb eines Multiversums zusammen gehören. Ihre Probleme gehören zusammen, der zweite Band erweitert den Horizont des ersten und macht neugierig auf den angekündigten dritten Band, in dem es um den "Ursprung" gehen soll. Vorerst zieht Malenfant eine ernüchterte, aber nicht kapitulierende Bilanz:

"Heute weiß ich, dass das Universum nicht leer ist, sondern von Leben nur so wimmelt.
Und ist das, trotz der Kriege und der Vernichtungsfeldzüge
nicht besser als die Alternative -besser als nichts?
Und weißt du, ich glaube, dass ich sogar den Sinn des Lebens
in solch einem Universum herausgefunden habe - zumindest was mich betrifft.
Für diejenigen, die uns nachfolgen, bessere Voraussetzungen zu schaffen.
Was sollten wir auch sonst tun?" (S. 728)

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