Rapid Producing
Eine andere Produktionswelt ist technisch möglich

Teil I

Einleitung

"Stellen wir uns endlich [...] einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben."(Karl Marx)[1]

Es ist nicht vorstellbar, dass eine fortschrittliche Gesellschaftsform auf Produktionsformen beruht, die allein von ihrer technischen Struktur her Menschen lediglich als „passive Produktionsinstrumente“ und als „bloße Zahnräder“ (Weil 1975: 134) verwendet. Welche Produktionsform ist jedoch der selbstbewussten Verausgabung der individuellen Arbeitskraft als gesellschaftliche Arbeitskraft gemäß? Lange Zeit hatte eine hochproduktive und hochkomplexe Produktion zu immer mehr Zentralisierung und Normierung der Arbeitsprozesse geführt, die einer Selbstbestimmung der arbeitenden Menschen schon von der technischen Struktur her im Wege standen.

Wir gehen davon aus, dass die technische Mittel erstens eine Selbstbestimmung der Menschen, also eine Angepasstheit an ihre konsumtiven und produktiven Bedürfnisse in ihrer Verschiedenheit (vgl. Schlemm 2001) und in allen Regionen der Welt ermöglichen muss und zweitens ökologisch nachhaltig im Sinne einer „Allianztechnik“ (Bloch 1985: 802ff.; siehe auch Schlemm 1995) sein muss. Auf dieser Grundlage wird „die Technik“ nicht als etwas grundsätzlich Verwerfenswertes betrachtet, sondern als Mittel, mit dem menschliche Zwecke erfüllt werden. Diese Zwecke kann sie mehr oder weniger gut erfüllen – und die Zwecke können den menschlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten entspringen oder ihnen auch widersprechen.

Die Gleichsetzung des Wortes „Technologie“ mit dem, was als „technische Lösung“ eines Produktionsproblems gemeint, ist unangemessen. Technologie im Beckmannschen Sinne erfordert eine ganzheitliche Betrachtung, die erforscht, „wie unter Berücksichtigung einer ganzheitlichen Betrachtung im Rahmen der Produktion zu verfahren ist“.  (Schmidt 1997)[2]

 

Abbildung 1: Die Bestimmung der „Technologie“ als Wissenschaft nach Johann Beckmann (1802).

Alternative Techniken beziehen sich meist auf den Bereich der Energieversorgung und der Entsorgung der Produktions- und Konsumtionsabfälle. Für die Erzeugung der materiellen Güter stehen vor allem handwerklich orientierte, vorindustrielle Techniken als Alternative zur Debatte. Dabei erscheint der Pfad der industriellen Produktion im Sinne der „Megamaschine“ (Mumford 1974) meist als Irrweg, der bald verlassen werden sollte. Die Entfaltung und jetzige Verwendungsweise der industriellen Produktion ist eng verbunden mit einem Zweck der Produktion, der sich von den menschlichen Bedürfnissen entkoppelt hat und einseitig mit kapitalistischen Profitmaximierungserfordernissen verbunden ist. Jedoch ist diese verfehlte Zwecksetzung nicht den Mitteln selbst notwendigerweise immanent. Ein typisches Evolutionsprinzip ist der Funktionswechsel (Schlemm 1996: 78, 144). Dabei entwickeln sich historisch bestimmte Strukturen, die bestimmte Leistungen, also Funktionen ermöglichen. Wenn sich der Gesamtkontext der Funktionsweise verändert, können vorhandene Strukturen dazu dienen, neue Funktionen zu erbringen, wobei sie sich selbst dann auch wieder mit verändern. Die Entwicklung von aufeinanderfolgend komplexer werdenden Funktionsweisen beruht geradezu auf dieser Aufeinanderfolge von immer weiter entwickelten Strukturen. In eben diesen Sinne können vorhandene technische (und organisatorische) Lösungen unter verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen unterschiedliche Zweck- und Zielsetzungen erfüllen helfen.

In der Aufeinanderfolge der menschlichen Produktionsweisen kommt es neben der Absicherung des Überlebens und des guten (d.h. auch ökologisch verantwortbaren) Lebens aller Gesellschaftsmitglieder darauf an, die Lebenszeit der Individuen immer mehr zu befreien von den nicht selbst bestimmten notwendigen Arbeitstätigkeiten. Deshalb muss die Arbeitsproduktivität steigen, wenn nicht Verlust an Lebensqualität und Mehrarbeitszeit in Kauf genommen werden soll. Bei hoher Arbeitsproduktivität ist der schon von der Produktionsform her gegebene Freiraum für Selbstentfaltung, Kreativität und befreiter Lebenszeit größer.[3]

Zwar nimmt uns keine Technik die politischen, sozialen und ökonomischen Kämpfe ab, die der notwendige Wechsel der Zwecksetzung der Produktion erfordert – aber diese Kämpfe haben weder Ziel noch Motivation, wenn wir die technische Frage nicht auch diskutieren.

Die Vision: der Persönliche Fabrikator

„Fabrikation gehört ebenso wie Datenverarbeitung in die Haushalte“(Neil Gershenfeld)[4]

Es gibt eine interessante Parallele zwischen der Entwicklung von Computern und Fabriken. Die ersten Computer waren „gigantische Maschinen, eigens in speziellen Räumen untergebracht, nur von spezialisierten Technikern zu bedienen, vorwiegend für industrielle Anwendungen gedacht und nur für einen kleinen Markt vorgesehen“ (Gershenfeld 2000: 77). All diese Merkmale treffen heute auch für die meisten Werkzeugmaschinen zu. Wir wissen, dass sich die Situation bei den Computern radikal geändert hat. Die Computer sind klein, überall verwendbar, von kleinen Kindern bedienbar, für alle möglichen Zwecke einsetzbar und nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Warum sollte solch ein Umschwung nur für die Produktion von Bits und Bytes (und Papier) möglich sein, und nicht für Atome und Moleküle? Warum sollen nur 2-D-Strukturen auf Papier gedruckt werden, warum sollen digital gespeicherte Konstruktionen nicht auch als 3-D-Objekt aus entsprechenden 3D-Druckern kommen? „Wären Computer imstande, Atome so bequem zu manipulieren wie sie Daten verarbeiten, könnten wir auch unseren sonstigen Alltag weitgehend personalisieren“ (Geshenfeld 2000: 87).

Viele von uns kennen auch die „Replikatoren“ aus der StarTrek-Serie. Auch in anderen Science Fiction-Geschichten wird erahnt, dass es möglich ist, direkt aus Bits und Atomen Produkte herzustellen.

So z.B. im Buch „Kirinja“ von Ian McDonald: „Es war nicht schwieriger, ein Flugzeug zu bauen, als einen halben Liter Benzin herzustellen. Moleküle, die sich bewegen, sich an ihrem Platz einordnen. Einfach nur Dinge“ (McDonald 2000: 270). Eine andere Idee hat William Gibson: „Die Nanofax AG bietet eine Technologie an, die auf digitale Weise Gegenstände produziert - physisch und über räumliche Entfernungen hinweg. Innerhalb gewisser sehr enger Grenzen natürlich. Wenn man eine Kinderpuppe in ein Lucky-Dragon-Nanofax in London legt, wird sie beispielsweise im Lucky-Dragon-Nanofax in New York reproduziert.“ (Gibson 2002: Futurematic: 279).

Abbildung 2: Dieses Exponat der EXPO 2000 zeigt
die atomar-molekularer Produktion eines Stuhles

 

 

 

 

 

Seit Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wird an diesen Techniken gearbeitet. Dabei werden – wie hier in der Vision wieder etwas vorweggenommen - Informationen direkt in Atome übertragen und das Ergebnis mit dem „3D-Drucker“ ausgegeben.

Abbildung 3: 3D-Drucker zu Hause (Burns 2000)

Neue Techniken

So utopisch, wie es scheint, sind diese Visionen gar nicht mehr. Leider erleben die am meisten ausgebeuteten Menschen oder diejenigen, die sowieso am Rande der Gesellschaft leben, gar nicht, was sich im Bereich der materiellen Produktion an neuen Möglichkeiten entwickelt hat. Dies ist eher das Thema der aufstrebend-unkritischen Manager- oder Möchtegern-Managereliten und der kapitalistisch-neoliberalen Marketingpropaganda. Als solche wird sie von alternativ orientierten Menschen eher bekämpft als in ihren Möglichkeiten wahrgenommen. Diese Einseitigkeit versperrt aber die Sicht auf eine wesentliche  Komponente von Befreiung.

Es ist gut möglich, die gewachsene Arbeitsproduktivität für mehr Freizeit zu nutzen. Sogar innerhalb des Produktionsprozesses ergeben sich Freiräume, die allerdings nur in den seltensten Fällen - zum Lesen utopischer Romane - wie im nebenstehenden Bild genutzt werden können. Nach dem Einspannen des Werkstücks und Einrichten der Werkzeuge bearbeitet diese CNC-Maschine das Werkstück entsprechend einer CAD-Zeichnung völlig selbständig.

Abbildung 4: Einfache CNC-Maschine

 

„Factory in a box“

„Digitale Herstellung erzeugt reale physische Dinge aus digitalen Informationen, also Atome aus Bits.“ (Burns 2000)

Aber es gibt noch mehr. Es gibt mittlerweile „digitale Fabrikatoren“, sogenannte „Fabber“, die automatisch dreidimensionale solide Gegenstände auf Grundlage digitaler Daten herstellen (http://www.ennex.com/~fabbers/). Leider sind die jetzt realisierten Fabber noch groß, teuer und verwenden oft toxische Ausgangsprodukte. Grundsätzlich aber ist die Situation vergleichbar mit der Anfangszeit der Computer, wo der damalige Zustand der Größe, Kostenintensität und Kompliziertheit sich erstaunlich schnell gewandelt hat.

Fabber verwenden wie andere formgebende Techniken vor allem die Grundtechniken Trennen, Verbinden und Verformen. Bei subtraktiven Techniken wird Material von einem Werkstück entfernt, bei additiven wird das Werkstück aus kleineren Bestandteilen zusammen gebaut und bei den Umformungen werden keine Materialien hinzugefügt oder entfernt, sondern es wird nur die Form verändert.

 

Abbildung 5: Die grundlegenden formgebenden Produktionsverfahren (Burns 2000)

Während analoge Prozesse direkt mit einem Material die Form des anderen beeinflussen, wie beim Gießen, gehen digitale Prozesse von Information aus. Digitale subtraktive Prozesse werden in NC- (numeric control) und CNC- (computer-numerically controlled) maschinen realisiert. Die für die Zukunft wichtigsten[5] Fabber beruhen auf additiven Techniken.

Abbildung 6: Gegenwärtige Fabber (Burns 2000).

 

 

 

 

Links oben: SLA-250 von 3D Systems, rechts oben: Genesys von Stratasys, links unten: Z 402 von Z, mitte unten: ThermoJet von 3D Systems, unten rechts: ModelMaker von Sanders.

(Additiv wirkende) Fabber ermöglichen die direkte Herstellung von Bauteilen und Produkten mit inneren Hohlräumen. Es ist auch zu erwarten, dass durch den schichtweisen Aufbau auch elektronische Mikroschaltkreise eingebaut werden können. Auch in sich bewegte Objekte können auf einmal hergestellt werden. In additiven Verfahren können neuartige Materialien verarbeitet werden. Letztlich sind auch mit einzelnen Atomen agierende Prozesse hier denkbar (Nanotechnologie).

 

... hier solls noch weiter gehen...

Wir haben inzwischen eine Präsentation dazu vorbereitet und können diese nach Absprache in div. Workshops zur Diskussion stellen.
Anfragen bitte unter info@zw-jena.de

 

Literatur

Beckmann, Johann (1802): Anleitung zur Technologie oder zur Kentniß der Handwerke, Fabriken und Manufacturen, vornehmlich derer, welche mit der Landwirthschaft, Polizey und Cameralwissenschaft in nächster Verbindung stehn. Göttingen.
Bergmann, Frithjof (2004): Neue Arbeit – Neue Kultur. Arbor-Verlag.
Bloch, Ernst (1985): Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt/Main: Suhrkamp-Verlag.
Burns, Marshall (2000): Atoms from Bits. The Digital Revolution in Manufakturing. Invited “Future Focus” Presentation at TCT 2000, Cardiff, Wales, October 11, 2000. Internet: aus http:// www.ennex.com/~fabbers/publish/200010-MB-AtomsFromBits.asp.
Geshenfeld, Neil (2000): Wenn die Dinge denken lernen. Zukunftstechnologie im Alltag. Econ-Verlag.
Gibson, William (2002): Futurematic. München: Heyne Verlag.
Krohn, Wolfgang (1976): Technischer Fortschritt und fortschrittliche Technik – die alternativen Bezugspunkte technischer Innovationen. In: Zimmerli, W.Ch. (Hrsg.): Technik oder: wissenwir, was wir tun? Basel, Stuttgart.
Marx, Karl (MEW 23): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band. Berlin 1988.
Mumford, Lewis (1974): Der Mythos der Maschine. Kultur, Technik und Macht. Wien: Europa-Verlag.
McDonald, Ian (2000): Kirinja. München: Heyne Verlag.
Schlemm, Annette (1995):
Von der List-Technik zur Allianz-Technik. In „Biosphäre“ (Jena) 1995. Internet: http://www.thur.de/philo/as252.htm.
Schlemm, Annette (1996): Daß nichts bleibt, wie es ist... Band I: Kosmos und Leben. Münster: LIT-Verlag.
Schlemm, Annette (2001):Von der Geschlechterfrage zur Selbstentfaltung für jede/n. Internet: http://www.thur.de/philo/feminismen.htm.
Schmidt, Johannes (1997): Bedeutung des Beckmannschen Technologiebegriffs für ein ganzheitliches Betrachten von Produktionsprozessen. Vortrag auf dem Internationalen Johann Beckmann-Symposium „Technologie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Johann Beckmann gestern, heute und morgen“ am 24. und 25. Oktober 1997 in Jena.
Vester, Frederic (1984): Neuland des Denkens. München.
Weil, Simone (1975): Unterdrückung und Freiheit. Politische Schriften. München.



[1] Marx MEW 23: 92.

[2] Unter Technik ist demgegenüber zu verstehen: Handlungsform, mit der „einheitlich die Beziehungen des Menschen zu sich selbst, zu anderen und zur Umwelt in seinen wichtigsten Handlungszusammenhängen reguliert wird“ (Krohn 1976: 43).

[3] Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, als wäre Ausbeutung und Herrschaft notwendig mit zu niedriger Arbeitsproduktivität verbunden, weil damit alle Befreiungsversuche delegitimiert würden. Gleichzeitig darf aber auch nicht angenommen werden, dass die Möglichkeiten eines freien, guten Lebens unabhängig von der erreichten Arbeitsproduktivität seien.

[4] Gershenfeld 2000: 90.

[5] In der Beschriftung der Abbildung 5 bezieht Burns alle formgebenden Techniken auf Fabber, später nennt er nur die auf additiven Prozessen beruhenden Maschinen Fabber.



Ein Text über "Selbst-Organisations-Technik" (von 2000)

Zu "Eine andere Produktionswelt ist möglich"

"New Work" und individuelle, vernetzte Produktion von Gebrauchsgütern
(Reiner Nebelung: aus "Herrschaftsfrei wirtschaften".) S. 62-69.
Dieser Text erschien im Buch "Autonomie und Kooperation"
zu bestellen für 14 Euro (Rabatt für Mehrfachbesteller) bei http://www.herrschaftsfrei.de.vu/


[Homepage] [Gliederung]



- Diese Seite ist Bestandteil von "Annettes Philosophenstübchen" 2005 - http://www.thur.de/philo/rp.htm -