Menschen im Zentrum:
Mitunternehmer statt "Mietarbeiter"

Gerade das Suchen nach besseren Unternehmensstrukturen und flexiblerer Prozeßführung verleitet dazu, nur noch die "Systeme" im Auge zu haben und die betroffenen Menschen dann lediglich wieder anzupassen. Die Organisation soll ja gerade deshalb verändert werden, weil die Menschen in der vorhandenen Struktur nicht genügend Leistung bringen können.

Die Anforderungen im Wettbewerb jedenfalls gestatten es nicht mehr, kontinuierlich und ein für allemal optimiert zu produzieren, sondern verlangen eine ständige Steigerung der Produktivität und ständig neue Produkt- und Prozeßinnovationen. Die Fabrik kommt nicht mehr "zur Ruhe", sondern ist Objekt ständiger Anpassungen an veränderte Bedingungen (Warnecke, S. 25) und wird dadurch selbst wiederum Ursache der Turbulenz der von ihm beeinflußten Umwelt.

Zwar erscheinen diese Bedingungen als Zwänge, aber Unternehmen sind schließlich keine Vehikel zum Überleben, sondern Mittel zur Gestaltung der Wirtschaftswelt. Wenn "Probleme" als positive Herausforderungen betrachtet werden, ermöglichen sie ein "Surfen" auf den Wellen der Veränderungen.

Dazu ist es aber notwendig, seine eigene Handlungsfähigkeit dem anzupassen. Dazu sind oft die Organisations- und Prozeßstrukturen prinzipiell zu verändern (vgl. Business Reengineering). Der Kern aller dazu vorgeschlagenen Unternehmensorganisations-Modelle ist es, die spezifisch menschlichen Fähigkeiten besser auszunutzen.

Menschen sind nicht lediglich austauschbare, durch Technik ersetzbare "Faktoren" des Produktionsprozesses, sondern "die einzig schöpferische Produktivkraft" (Fuchs-Kittowski).

Die wachsende Rolle dieses "subjektiven Faktors" zeigt sich auch im Versuch, einen weltweit einsetzbaren Standard IAS 38 zum Thema "Immaterielle Vermögenswerte" ("Intangible Assets") zu entwickeln.

These:
Die neuen Organisationsformen in der Wirtschaft dienen primär dazu, die Leistungsfähigkeit der arbeitenden Menschen weiter auszuschöpfen und zu entwickeln.

Die traditionellen Quellen für Mehrwert werden mittlerweile von allen Unternehmen genutzt und ermöglichen keinen Wettbewerbsvorsprung mehr. Auch mit Fließbandarbeitern, die während der Arbeit den "Kopf ausschalten" konnten, ist heute kein Profit mehr zu machen... Daraus ergibt sich eine "Humanorientierung" statt Technikorientierung mit dem Ziel, Mehrwert aus dem "ganzen Menschen" zu schöpfen, nicht nur der verdingten Arbeitskraft.

"Das Problem ist das gedankenlose Anbinden des Arbeiters
an die Maschine, da er bei der Arbeit sinnentleert zuschaut.
In Japan ist das Ziel die Menschen
auszulasten, nicht wie bei Ihnen die Maschinen.
"

(K.Sekine, Miterfinder des Toyota Produktion System, zit. in Pauli 1996, S. 4)

Dazu dienen u.a. folgende Konzepte:

Lean Production:
Hier wird ein Maximum an Aufgaben und Verantwortlichkeiten an die Arbeiter übergeben (bei weitgehender Beibehaltung von Arbeitsteilung und Fließbandfertigung (nach Zink, S. 13).

Lernende Organisation:
Gerade in einer dynamischen Umwelt muß auch das Unternehmen sich dynamisch an die Umweltveränderungen anpassen und sie selbst aktiv gestalten. Dazu braucht es Informationen und die jeweils entscheidungsbefugten Menschen müssen ständig lernen.

Business Reengineering:
Das Business Reengineering zielt wie alle modernen Unternehmenskonzete auf die Freisetzung der "Begabungen und setzt menschliche Kreativität frei" (Hammer, Champy, S. 13).

Für die Mitarbeiter verändern sich die Arbeitsinhalte grundlegend. Nicht mehr das Abarbeiten von Aufgaben im Auftrag von Chefs wird ihr Ziel, sondern die Erfüllung von Kundenwünschen in eigener Verantwortung. Der Markt rückt dem einzelnen Mitarbeiter "auf den Leib". Er muß seine Leistung selbst vermarkten. Dies ist einerseits eine Bereicherung, andererseits aber auch eine Erhöhung des Drucks. Weniger eines abstrakten "Leistungsdrucks", sondern des Zwangs, die eigenen Fähigkeiten immer mehr zu erweitern.

Alte Regeln werden durch neue ersetzt (Hammer, Champy, S. 103f.):

  • Mein Chef zahlt mein Gehalt.
  • Ich bin nur ein kleines Rädchen im Getriebe.
  • Je mehr Mitarbeiter mir unterstellt sind, desto wichtiger bin ich.
  • Morgen wird es genauso sein wie heute...
  • Nur die Kunden zahlen unsere Gehälter.
  • Ich werde für den Wert bezahlt, den ich erzeuge.
  • Ich bin Mitglied eines Teams: Wir gewinnen oder scheitern gemeinsam.
  • Niemand weiß, was der morgige Tag bringen wird: Stetiges Lernen ist Teil meiner Arbeit
  • "Die alte unmittelbare Befehlgewalt, die dem Kapitalisten qua Verfügung über die Produktionsmittel zukam, wird ersetzt durch den unmittelbaren Marktdruck, der direkt auf die Produktionsgruppen und Individuen weitergeleitet wird." (Meretz)

    "Der eigentliche Kern des Neuen ist darin zu sehen, daß ich als Beschäftigter nicht nur wie bisher für den Gebrauchswert-Aspekt, sondern auch für den Verwertungs-Aspekt meiner Arbeit zuständig bin" (Glißmann).

    Damit bekommt ein alter DDR-Spruch eine neue Aktualität: "Der Mensch steht im Mittelpunkt, damit man ihn von allen Seiten ausbeuten kann."

    In dem Buch mit dem treffenden Namen "Microsklaven" wird geschildert:
    "Mit dem "Campus" á la Microsoft oder Apple erreichte die betriebliche Integration in den 80ern die nächste Stufe der Invasion des Alltags durch die Arbeitswelt...
    Schenke uns dein ganzes Lebens, sonst lassen wir dich nicht an coolen Projekten arbeiten.
    In den 90ern stellen die Firmen noch nicht einmal mehr Leute ein. Die Menschen werden zu ihren eigenen Firmen." (S. 259)

    Ein Betroffener stellt fest: "In der modernen Wirtschaft geht es nicht um die Umverteilung von Besitz, sondern um die Umverteilung von Zeit." (344).

    Siehe: Sozialpolitische Konsequenzen

    These:
    Der Mensch muß nicht angetrieben werden, sondern liebt Dynamik und Kreativität
    und lebt sie aus, sobald er entsprechende Rahmenbedingungen hat.

    Dies entspricht einem modernen Menschenbild, dem entsprechend die Menschen nicht "von Natur aus faul" und nur durch Zwang anzutreiben sind.

    Diese Eigenart der Menschen wurde in der Geschichte oft verdeckt dadurch, daß die Menschen unter Zwang natürlich wenig von dieser Dynamik und Kreativität zeigten, sondern sie wurde von Kind an unterdrückt.

    Dadurch ist die wichtigste Voraussetzung für das Selbst-Organisations-Management gegeben: Selbst-organisierte Systeme können nicht von "außen" oder "oben" gesteuert werden, sondern es kommt darauf an, die geeigneten Bedingungen zur Selbst-Regelung zu schaffen.

    These:
    Der Widerspruch zwischen Selbstentfaltungsbedürfnissen und dem Zwang zur Verwertung unter dem Diktat der Profiterwirtschaftung bleibt ungelöst.

    Auch das Produktivermachen der Menschen ist unter den gegebenen Bedingungen lediglich Mittel zum Zweck.

    "Die Bedingungen, daß ich mich selbst als Hauptproduktivkraft entfalte, sind besser geworden, gleichwohl geschieht dieses Mehr an Entfaltung unter entfremdeten Bedingungen. Die Entfaltung ist nur möglich, solange ihre Ergebnisse verwertbar sind, solange ich profitabel bin. In meiner Person spiegelt sich mithin der antagonistische Widerspruch von Verwertung und Selbstentfaltung, von entfremdeter Produktivkraftentwicklung und Entfaltung der Hauptproduktivkraft Mensch an-und-für-sich." (Meretz)

    Im Moment ist die Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse nur Mittel zum Zweck der Erwirtschaftung von Gewinnen. Eigentlich soll ja die Gewinnerwirtschaftung und das Wirtschaften insgesamt der Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen dienen, also selbst nur Mittel zum Zweck sein. Tatsächlich jedoch hat sich das Mittel weit vom eigentlichen Zweck entfernt. Man erkennt das schon an der Definition des "Bedarfs" als "zahlungskräftige Nachfrage", wo alle nichtzahlungskräftigen Bedürfnisse aus der so bestimmten Wirtschaft schon per definitionem herausfallen!.

    Unweigerlich stecken in den entwickelnden menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen aber sog. "überschießende Effekte". Andere Formen des Wirtschaftens und der Vergesellschaftung werden historisch möglich und notwendig.

    "Die Keimformen zur Negation der entfremdeten Produktivkraft entstehen bereits unter entfremdeten Vergesellschaftungsbedingungen, sie zeigen sich als "Ausstieg" aus dem Verwertungsmodus und durch Etablierung neuer Regeln, die an der Selbstentfaltung des Menschen und nicht an der Selbstverwertung des Werts orientiert sind." (Meretz)


    Nach der Jahrtausendwende entlarvte sich die kapitalistische Absicht hinter den vernebelnden Worten von Selbstbestimmung beispielsweise bei Siemens durch eine offene Leitbildveränderung:
    • von positiver Motivierung und Identifizierung zu Mobilisierung durch Angst und Regiment des Schreckens:
    • "Wir mussten durch die Fabriken ziehen und den Leuten klar machen, dass es kalt geworden war." (Hubert Steffen)
    • "Wenn der Leidensdruck nicht groß genug ist, muss man ihn halt kommunikativ aufbauen" (Verantwortlicher des Top+-Managementkonzepts bei Siemens)
    Mehr dazu siehe: Conrad Schuhler: Der Wandel der Unternehmenskultur durch Wissensproduktion und Globalisierung am Beispiel des Siemens-Konzenrs und seines IT-Standortes München Hofmannstraße. Zu Bestellen bei isw_muenchen@t-online.de.


    Zur Systemalternative: Selbstentfaltungs-Gesellschaft
    Literatur (mit externen Links):
    Coupland, D., Microsklaven, Hamburg 1999
    Fuchs-Kittowski, F. u. K., Einsatz von Telekooperationssystemen für kreativ-lernende Organisationen einer zukünftigen Wirtschaft, in: Referateband zum 3. Beckmannkolloquium am 04. und 05. Juni in der Hansestadt Wismar, Wismar 1999
    Glißmann, W., Die neue Selbständigkeit in der Arbeit und Mechanismen sozialer Ausgrenzung, in: Herkommer, S. (Hrsg.), Soziale Ausgrenzungen. Gesichter des neuen Kapitalismus, Hamburg 1999
    Hammer, M., Champy, J., Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen, Frankfurt/ New York 1994
    Meretz, S., Produktivkraftentwicklung und Subjektivität. Vom eindimensionalen Menschen zur unbeschränkt entfalteten Individualität. In Internet: http://www.kritische-informatik.de/pksubjl.htm (1999)
    Pauli, C., Neue Arbeitswelten. Lean Management - Lean Society, isw-report Nr. 27, 1996
    Warnecke, H.-J., Die Fraktale Fabrik. Revolution der Unternehmenskultur, Reinbeck 1996
    Zink, K., J., TQM als integratives Managementkonzept, München-Wien, 1995


    Zur Realität der "Marktsteuerung in der Arbeitsorganisation"
    und anderen Aspekten von neuen Formen der Arbeitsorganisation im "Kapitalismus des Übergangs"
    siehe Zeitschrift FORUM Wissenschaft. Nr. 2, März 2005.
    Hrsg.v. Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler e.V. (www.bdwi.de)

    Selbst-Organisations-Management

    Psychologie des Selbst-Organisations-Managements

    Mehr zu "Mögliche Zukünfte - Konkrete Utopie"

    Homepage der Autorin


     
    © Annette Schlemm 1999