"So ein Organ..."

 

Eine "andere Gesellschaftsform" wird "so ein Organ" wieder brauchen, um sich gegen reaktionäre Kräfte zu schützen, vermutet eine Landtagsabgeordnete, die Mitglied der DKP ist und für die "Linke" gewählt wurde. Flugs wird ihr unterstellt, sie würde "die Stasi" wieder errichten wollen.

Ist es wirklich so wichtig, ob sie das "Organ" auch "Stasi" genannt hat? "Stasi" ist ein Kampfbegriff geworden, dessen Erwähnung das menschliche Wesen zurückwirft auf ein konditioniertes Abwehr-Instinktverhalten. Der Verstand aller Beteiligten wird abgeschaltet, der moralgetränkte Maulkorb blockiert wirkungsvoll jede Kommunikation. Denn weder Abwehr noch Verteidigung dienen irgend einem Verständigungsbemühen. Dabei wird die Frage, das dahinter steckende Problem zugeschüttet unter Tonnen von Wortmüll und beschriebenem Papier.

Vorausgesetzt einmal, wir trauen uns wenigstens noch über die Möglichkeit und Wünschbarkeit einer "anderen Gesellschaftsform" nachzudenken, so entsteht tatsächlich die Frage nach ihrem Schutz. Mindestens das sollte die Geschichte des 20. Jahrhunderts auch gelehrt haben. Es gibt mittlerweile genug ungeschminkte Berichte über die Tätigkeiten der CIA; die Agenten der siegreichen Seite protzen geradezu mit ihrem Tun und auch manche Dissidenten in der DDR, die angeblich nur einen "besseren Sozialismus" gewollt hatten, geben heute zu, dass sie schon immer gewusst hätten, dass sie nur im Kapitalismus gut leben können.

Sind wir also dazu verurteilt, diese Geschichte wiederholen zu müssen, wenn wir weiterhin eine andere Gesellschaftsform anstreben? Ich denke, diese Frage ist nur konkret zu beantworten. Wer muss sich gegen wen schützen? Geschichte wird immer von Menschen gemacht - aber die menschliche Gesellschaft ist nicht nur die Summe des individuellen Tuns, sondern sie strukturiert das Tun durch die Form ihrer Verhältnisse. Wenn das Vorankommen und sogar das Überleben in dieser Gesellschaft nur jeweils auf Kosten anderer möglich ist (anderer, die den Job nicht bekommen sollen, den ich brauche; der Menschen in den Regionen, von denen wir die Ressourcen für unseren Lebensstil brauchen; der Menschen, die als billige Fließbandarbeiter unsere Discounterläden füllen; Börsengewinner auf Kosten anderer Spekulanten; Kapitalgesellschaften auf Kosten der Mehrwerterzeuger usw. usf.), dann tendiert auch diese Gesellschaftsform als ganzes dazu, keinen Bereich außerhalb ihrer zuzulassen, der eventuell in Ruhe und Gelassenheit andere gesellschaftliche Strukturen entwickeln könnte, sondern strebt nach dessen Ressourcen. Heißt das, dass Gegenwehr sinnlos ist? Dass es sinnlos ist, mehr oder weniger große Nischen auszubilden, in denen die Menschen nach einer anderen gesellschaftlichen Logik leben?

Die Abwehr der Stasidebatte soll genau solch eine entsagungsvolle Stimmung erzeugen. Und der Automatismus "Wenn andere Gesellschaft, dann neue Stasi" bekräftigt sie nur. Da nützt es auch nichts, wenn das "Organ" nicht "Stasi" genannt werden soll. Die wirkliche Frage ist damit noch gar nicht gestellt: Wie könnte sich eine andere Gesellschaft anders schützen als durch solch ein "Organ"?

Stell Dir vor, Du lebst in der Anderen Gesellschaft... Du gibst die Früchte Deines Tuns und nimmst, was Du brauchst. Du entfaltest Dich im Kreise aller anderen, die sich individuell entfalten und jede Behinderung einer Person wird für Euch spürbar als Verlust für alle. Ihr habt wirklich Schluss gemacht mit der Logik des "Auf Kosten von anderen leben".

Und nun kommt ein Angriff. Welcher Logik entspricht der Angriff? Wo seid Ihr verletzbar, was schützt Euch?

...

Ich bin mir sicher: das Letzte, was Euch schützen könnte, wäre eine Art "Organ", das sich auch noch misstrauisch gegen die eigenen Leute wendet. Das Letzte, was Euch schützen könnte, wäre das Abdelegieren der Schutzaufgabe an eine Spezialtruppe, die die Logik des Gegners in Eure eigenen Reihen überträgt. Es könnte Euch genau so wenig schützen, wie es die sozialistischen Staaten geschützt hat - es wäre aber die offensichtlichste Verletzung der eigenen Prinzipien, so wie es sich auch am Ende der sozialistischen Staaten gezeigt hat.

Es mag sein, dass die Frage nach einer anderen Gesellschaftsordnung noch in weiter Ferne erscheint. Aber die Frage: Wie können sich Menschen und Gruppen schützen, die sich der herrschenden Logik und den herrschenden gesellschaftlichen Strukturen entziehen? ist inzwischen hochaktuell.

Meine Antwort darauf ist: Wenn wir uns nicht gegenseitig, als Menschen untereinander schützen, werden wir tatsächlich verlieren. Wenn die Aktiven vom Rest der Menschen im Stich gelassen werden, werden sie verlieren und die Menschen letztlich mit ihnen. Ein eigenständiges "Organ" hilft nichts, aber eine Veränderung des gesellschaftlichen Umgangs miteinander. Die neue Gesellschaftsordnung wird und kann nur siegen, wenn sie von allen Menschen gewollt, unterstützt, gestaltet und letztlich auch... geschützt wird.

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