Der statistische Gesetzesbegriff

Dynamische Gesetze *
Statistik - Zufälle werden wesentlich *
Das Statistische Gesetz *
Statistische Gesetze in der Physik * Newtonsche Mechanik: *
Statistische Interpretation der Klassischen Physik *
Statistische Physik *
Statistische Gesetze in der Quantentheorie *
Verschiedene Typen statistischer Gesetze *
Wirklichkeit und Möglichkeit im statistischen Gesetz *
Statistischer Determinismus *

In der von Herbert Hörz entwickelten "statistischen Gesetzeskonzeption" wurden ab ca. 1974 die verschiedenen Aspekte des Gesetzes, die notwendige Tendenzen für das System als Ganzes und Möglichkeitsfelder für das Elementverhalten beinhalten, zusammengeführt. Da das damalige Arbeitsgebiet von Hörz die philosophischen Fragen der Naturwissenschaft, und nicht die der Gesellschaft waren, konnte er hier trotz der Rückschläge auf gesellschaftstheoretischem Gebiet dieses Konzept weiter entwickeln.
Es waren Physiker, die zuerst unterschieden zwischen dynamischen und statistischen Gesetzen. Max Planck unterschied das dynamische Gesetz, für das er eine eindeutige Abhängigkeit zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Zuständen annahm vom statistischen Gesetz, bei dem die Abhängigkeit nur über Wahrscheinlichkeiten verknüpft sei.

Dynamische Gesetze

Die Klassische Mechanik ist ein Bereich, in dem die Gesetze typischerweise dynamisch interpretiert werden.

Das dynamische Gesetz beruht auf der klassischen Bewegungsvorstellung, die u.a. voraussetzt:

  • daß die Bewegungsgrößen prinzipiell exakt meßbar sind und
  • die berechnete Trajektorie des Massenpunktes der realen Bahn des Körpers entspricht.
Das 2. Newtonsche Grundgesetz [ d/dt ( mv) = F ] ist dann als dynamisches Gesetz zu verstehen: Die Gleichung beschreibt eine unendliche Vielfalt möglicher Bahnen. Fügen wir konkrete Anfangsbedingungen hinzu, gibt es genau eine Möglichkeit für das Verhalten der Objekte und Prozesse, die notwendig verwirklicht werden. Zufälle wirken sich hier nur als Störfaktoren aus.

Dies führt zum Gesetz in seiner dynamischen Form:

Es ist ein "allgemein-notwendiger und wesentlicher Zusammenhang, wobei eine Möglichkeit sich notwendig verwirklicht" (Hörz 1974, S. 365).

Diese Gesetzesform erfaßt die Verhaltensmöglichkeiten von Gegenständen auf einem bestimmten Strukturniveau und Einflüsse aus anderen Strukturniveaus fallen unter die eben genannten unwesentlichen Zufälligkeiten.

Statistik - Zufälle werden wesentlich

Die Klassische Mechanik wäre auch statistisch interpretierbar, wie Max Born zeigte (nach Röseberg 1975). Er nahm statistische Verteilungen für die Anfangswerte an, so daß seine Größen Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, keine exakten Koordinaten wurden. Die Störeinflüsse, die vorher als unspezifische betrachtet wurden, wurden hier zu spezifischen Wirkungsbedingungen. Dadurch wird das Augenmerk darauf gelenkt, daß die Verteilungen nur dann gegen scharfe Werte gehen, wenn die Anfangsverteilungen dr und dv "genügend klein" sind. Der Zustand wird nicht durch exakte Werte sondern durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt. Einzelne Meßgrößen ergeben sich aus einer Folge von Messungen (eines Zustandes).

Boltzmann führte mit der Entropiedefinition in Proportionalität zur thermodynamischen Wahrscheinlichkeit [S = k ln w] eine neue Art von Grundgrößen ein, die auch eine neue Form von Gesetzmäßigkeit zumindest für die kinetische Gastheorie impliziert. Schrödinger fragt – in Anschluß an Exner - sogar: "Es ist sehr wohl möglich, daß die Naturgesetze samt und sonders statistischen Charakter haben" (Schrödinger 1922, S. 16).

Dabei werden jeweils Einflüsse aus einer anderen Ebene, einem anderen Strukturniveau wesentlich als der Ebene, des Strukturniveaus der betrachteten Objekte. Eine unreduziterbare Statistik verweist immer darauf, daß nicht mehr fast vollständig isolierbare Objekte auf ihrer jeweiligen Objekt-Ebene für sich betrachtet werden, sondern für das untersuchte Verhalten dieser Objekte Einflüsse und Wechselwirkungen aus anderen Ebenen (z.B. dem Mikrobereich) wesentlich werden.

Wir beziehen dann die innere Struktur des Bereiches, in dem das Gesetz die wesentlichen Zusammenhänge bildet, mit ein. Der Zufall geht dann in die Bestimmung des Wesens des betrachteten Zusammenhangs mit ein – was das Kennzeichen für Statistik ist.

Wir wissen:

  • Für das Gesamtsystem geht es notwendigerweise "irgendwie" weiter (Existenzerhalt wird vorausgesetzt); eine seiner Möglichkeiten verwirklicht sich notwendigerweise. Welche, ist im Gesetz selbst unbestimmt – wird erst durch eine realisierte Bedingungsgesamtheit von dieser konkreten Situation notwendig bestimmt. Da die Veränderung der jeweiligen Bedingungen nicht völlig beliebig ist, sondern sich aufeinander beziehen, erhalten wir eine Tendenz – kein beliebiges Hin- und Her des Verhaltens des Systems. Dies entspricht dem dynamischen Gesetz: Das mechanische Bewegungsgesetz gibt z.B. alle physikalisch möglichen Bahnen an. In den statistischen Gesetzesbegriff geht dieser Aspekt als "dynamischer Aspekt" ein. Für das jeweils elementarere Niveau begründen die Systembedingungen nicht selbst auch eine notwendige Tendenz.
  • Ein Gesetz erfaßt in den möglichen Verhaltensweisen des Gesamtsystems die Ergebnisse der Konstitution des Systems durch Elemente (weniger materieller Körper, als Mengen von Bahnkurven, Messungen, anderen Ereignissen etc.). Die Elemente werden – da sie eine Ebene "unter" der gerade betrachteten gesetzmäßigen Ebene liegen – nur in statistischer Weise betrachtet: Für ihr Verhalten gibt es nur eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Als Beispiel können hier Meßwerte bei verschiedenen Messungen dienen. Nur in trivialen Fällen gibt es Wahrscheinlichkeiten von 0 und 1 (in "reinen" dynamischen Gesetzen). In den anderen wird dieser Aspekt als der "stochastische Aspekt" im statistischen Gesetzesbegriff berücksichtigt.
  • Für das einzelne Element bedeutet das natürlich, daß sein Übergang von einem Zustand in einen anderen mit einer bestimmten Übergangswahrscheinlichkeit erfolgt. Dieser "probabilistische Aspekt" ist ebenfalls im statistischen Gesetzesbegriff enthalten.

Das Statistische Gesetz

Die im Zusammenhang mit den neueren physikalischen Erkenntnissen geführten Debatten veranlaßten Herbert Hörz 1964 dazu, eine grundsätzliche "Einheit von statistischen und dynamischen Gesetzen" (Hörz 1964, S. 168) anzunehmen. 1974 definierte er das "statistische Gesetz" als: "allgemein-notwendige(n) und wesentliche(n) Zusammenhang, der für das Systemverhalten eine Möglichkeit bestimmt, die notwendig verwirklicht wird (dynamischer Aspekt), wobei für das Verhalten der Elemente ein objektives Möglichkeitsfeld existiert aus dem eine Möglichkeit zufällig verwirklicht wird (stochastischer Aspekt), für die eine gewisse Wahrscheinlichkeit existiert (probabilistischer Aspekt)" (Hörz 1974, S. 365/366).

Herbert Hörz schrieb mir dazu:

"Das Problem des Verhältnisses von dynamischen und statistischen Gesetzen beschäftigte mich seit meiner Studienzeit. Ich ging erst den konventionellen Weg zwei Gesetzestypen anzuerkennen, merkte jedoch bald, dass das so nicht stimmt. In vielen Vorträgen Anfang der siebziger Jahre habe ich dann die Konzeption der statistischen Gesetze immer klarer herausgearbeitet. Die Auffassung, dass es sich nicht um gleichberechtigte Gesetzestypen handelt, sondern die statistischen Gesetze das tiefere Eindringen in die Struktur objektiver Gesetze sind, wobei die drei Aspekte existieren, ist enthalten in: Physik und Weltanschauung, 3. Auflage, Leipzig, Jena, Berlin 1975, S. 83" (Hörz 2000).

Nachtrag: Erst später las ich, dass auch Gottfried Stiehler schon 1972 in seinem Büchlein "Geschichte und Verantwortung" für die gesellschaftlichen Gesetze Ähnliches formuliert hatte.

Mit der Weiterentwicklung einzelwissenschaftlicher Studien ergaben sich immer wieder Präzisierungen dieser grundlegenden Gesetzesauffassung, so z.B. durch die Berücksichtigung des "sich auszeichnenden Einzelnen... mit veranlassender Funktion im Bifurkationspunkt" (Niedersen 1988, S. 51) bei sich selbst organisierenden Prozessen.

Im statistischen Gesetz wird jeweils eine Einheit von notwendiger Tendenz des Systems mit (bezogen auf diese Tendenz) zufälligem Elementverhalten abgebildet. System und Element sind dabei relativ – was bezüglich eines Systems Element ist, stellt selbst auch ein System dar – Systeme sind auch Elemente umfassenderer Systeme. Notwendigkeit und Zufälligkeit werden mit der jeweiligen Rolle des betreffenden Objekts innerhalb systemarer Einheiten begründet. Für Systeme gilt eine realisierte Bedingungsgesamtheit, was zu notwendig bestimmten Verhalten führt. Von dieser Ebene aus ist das Verhalten der Element jedoch nur partiell bedingt, also zufällig. Theoretisch wäre – da alles auch bezüglich seiner Elemente notwendig bestimmtes System ist – dadurch letztlich doch alles als notwendig miteinander verknüpft nachgewiesen. Was in der einen Betrachtungsweise noch die Freiheit des Zufalls hatte – erhält in der Betrachtungsweise, in der es selbst System ist, eine notwendige Tendenz... Ist das Zufällige damit aufgehoben? Glücklicherweise sprechen wir nicht nur von einer gedanklichen Welt, in der die System-Element-Relativität beliebig verschiebbar wäre. In der Realität gibt es objektiv Zusammenhänge auf bestimmten Strukturniveaus, in Systembereichen. Das heißt: In der Realität selbst liegen jeweils Beziehungen auf systemarer und elementarer Ebene vor – die Betrachtung muß ihnen entsprechen und kann nicht beliebig relativieren.

Der Statistische Gesetzesbegriff hat nach Herbert Hörz die Form:

("Statistik" bezieht sich hier nicht auf statistische Hilfsmittel zum Verständnis von Erscheinungen mit Massencharakter (bei vorausgesetzter Rückführbarkeit der Systeme auf Elementarmechanismen), sondern auf die Beschreibung nicht rückführbaren bedingt zufälligem Elementverhalten in statistischen Rahmengesetzen (vgl. Hörz, Wessel 1983, S. 107).

Das statistische Gesetz ist bestimmt als
"allgemein-notwendiger und wesentlicher Zusammenhang, der

für das Systemverhalten eine Möglichkeit bestimmt, die (als Tendenz) notwendig verwirklicht wird (dynamischer Aspekt),

wobei für das Verhalten der Elemente ein objektives Möglichkeitsfeld existiert, aus dem eine Möglichkeit (bedingt) zufällig verwirklicht wird (stochastischer Aspekt: bezüglich möglicher Übergänge im Möglichkeitsfeld),

für die eine gewisse Wahrscheinlichkeit existiert (probabilistischer Aspekt: bezüglich bedingter Zufälle)" (Hörz, Wessel, S. 108).

Bs:Ms ® notwendig ® Ws

Bs: Systembedingungen

Ms: Systemmöglichkeit (Tendenz)

® (notwendige) Verwirklichung als Prozeß

Ws : Systemwirklichkeit (relatives Ziel)

{bn:mn ® bedingt zufällig ® wn(pn) }

{} Möglichkeitsfeld, n = 1...m

bn: Elementbedingungen

mn: Elementmöglichkeiten

wn: Elementwirklichkeiten

pn: Wahrscheinlichkeiten

ba:ma ® bed. zuf. ® wa(pa) = Z1 ® Z2

a: eine bestimmte Variante aus n,

Z: Zustände

Die Elemente müssen nicht unbedingt eine Menge von Körpern sein, es kann auch eine Menge von verschiedenen Messungen oder von konkreten Bahnen für sein.

Der Zusammenhang von System- und Elementverhalten ist dadurch gegeben, daß das Elementverhalten zur Konstitution der Systemmöglichkeiten Ms führt, d.h. die vorher für das System als (äußerliche) Bedingung betrachteten Elementverhaltensweisen bilden (innere) Möglichkeiten für das System. Gleichzeitig führt die systemare Einbindung der Elemente dazu, daß deren Verhalten nicht beliebig ist, sondern ihren Rahmen im System findet. Nach Bloch ist deshalb auch "gerade sein Offenes nicht beliebig... Auch das Kannsein ist gesetzlich" (Bloch, S.-O, S. 172).

"Das philosophische Interesse an den Begründungsversuchen der statistischen Physik beruht u.a. wesentlich darauf, daß in dieser Theorie der Zusammenhang zweier objektiv unterschiedener materieller Strukturniveaus (Atome, Moleküle und Makroobjekte) einzelwissenschaftlich abgebildet ist, was im Hinblick auf die analoge Fragestellungen für wesentlich komplexere Systeme (Lebewesen, Gesellschaftssysteme u.a.) von Bedeutung ist." (Röseberg 1975, S. 107)

Statistische Gesetze in der Physik

Newtonsche Mechanik:

Als System betrachten wir z.B. eine Gesamtheit von Messungen an Planeten, die einzelnen Messungen sind die Elemente. Es wird vorausgesetzt, daß sich ein Körper zu jedem Zeitpunkt an einem bestimmten Raumpunkt aufhält und dieser beliebig genau gemessen werden kann. Dann – in dieser die Realität sehr idealisierenden Form – kann das statistische Gesetz für diese Mechanik auf den dynamischen Aspekt reduziert werden, weil aus dem Elementverhalten (einzelne Messungen) alle Zufälligkeiten eliminiert wurden.

Dynamischer Aspekt

Stochastischer Aspekt

Probabilistischer Aspekt

Unter Angabe der Anfangsbedingungen, der Masse und der einwirkenden Kräfte läßt sich das Verhalten eines mechanisch bewegten Körpers eindeutig berechnen.

Das Möglichkeitsfeld ist reduziert auf einen beliebig genauen Meßwert für die Koordinaten.

Jede Messung ergibt mit einer Wahrscheinlichkeit 1 aktuellen den Koordinatenwert.

Hier interessiert uns die innere Struktur des Körpers gerade nicht. Und auch seine Bewegung ist durch eindeutige Trajektorien gekennzeichnet, deren Vielfalt mittels der Gleichung für Objekte des Gültigkeitsbereichs und erfüllten Bedingungen eindeutig berechnet werden kann. Eine einzelne Bahn erhält man aber erst, wenn konkrete Anfangsbedingungen verwendet werden, die im allgemeinen Gesetz nicht festgelegt sind. Die Bewegungsgleichung enthält eine unendliche Vielfalt möglicher Bahnen und erst die Anfangsbedingungen wählen eindeutig eine "notwendig sich verwirklichende Möglichkeit für die Trajektorie" aus.

Die klassische Mechanik ist in ihrer Reduktion auf den dynamischen Aspekt ein Prototyp des "Wissenschaftlichen" geworden. Schauen wir uns einmal an, unter welchen Voraussetzungen sie steht: Ihre Methode beruht auf einer Analytik (vgl. "Wesen der Physik"), bei der die realen Widersprüche so auf gedachte Objekte verteilt werden, daß deren mathematische Behandlung logisch widerspruchsfrei möglich ist (Ruben 1977, S. 115). Es wird aufgeteilt:

A) Erhaltung des Bewegungszustandes als Resultat der Fähigkeit des Gegenstandes

B) Veränderung des Bewegungszustandes als Produkt der Fähigkeit der Umwelt

Die darauf beruhende Dynamik "sucht eben jene Determinanten zu bestimmen, die Ausdruck für die Erhaltung des Systems in der Wechselwirkung seiner Elemente untereinander sind" (Ruben 1977, S. 115). Innerhalb von Entwicklungsprozessen wird hier also ein Moment, nämlich das der Erhaltung erfaßt. Es zeigt sich, daß die Entwicklung gerade vom Standpunkt ihrer Träger aus, der Systeme, "lediglich" Ausdruck ihrer Selbststabilisierung sind.
Es ist weder sinnvoll, dieser analytischen Methode eine Berechtigung abzusprechen (wie manche moderne Wissenschaftskritik gern das Kind mit dem Bade ausschüttet) - ihre Verabsolutierung führt jedoch zu Mechanizismus (siehe "Mechanizismus").

Statistische Interpretation der Klassischen Physik

Die Klassische Mechanik wäre auch statistisch interpretierbar, wie Max Born zeigte (nach Röseberg 1975). Er nahm statistische Verteilungen für die Anfangswerte an, so daß seine Größen Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, keine exakten Koordinaten wurden. Die Störeinflüsse, die vorher als unspezifische betrachtet wurden, wurden hier zu spezifischen Wirkungsbedingungen. Dadurch wird das Augenmerk darauf gelenkt, daß die Verteilungen nur dann gegen scharfe Werte gehen, wenn die Anfangsverteilungen dr und dv "genügend klein" sind. Der Zustand wird nicht durch exakte Werte sondern durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt. Einzelne Meßgrößen ergeben sich aus einer Folge von Messungen (eines Zustandes).

Dynamischer Aspekt

Stochastischer Aspekt

Probabilistischer Aspekt

Für die Wahrscheinlichkeitsverteilung als Zustand gibt es eine Möglichkeit, die notwendig verwirklicht wird.

Für die einzelnen gemessen Meßgrößenwerte existiert ein objektives Möglichkeitsfeld. Bei jeder einzelnen Messung wird jeweils eine Möglichkeit (bedingt) zufällig "getroffen".

Für jeden dieser Werte existiert eine gewisse Wahrscheinlichkeit.

Statistische Physik

Die statistische Thermodynamik verbindet zwei Strukturniveaus. Dabei wird die makroskopische Teilchenbewegung als Folge der Wärmebewegung der Moleküle der Lösung gedeutet (Röseberg 1975, S. 87).

Der makrophysikalische Bereich wird charakterisiert durch meßbare physikalische Größen wie Temperatur und Entropie. Diese sind Funktionen oder Funktionale mikrophysikalisch möglicher Größen (z.B. die Geschwindigkeiten der Teilchen) . Deren Verteilungsfunktion stellt die sich notwendig verwirklichende Möglichkeit des Systems dar. Die mikrophysikalischen Größen fluktuieren - Fluktuationen sind jetzt unmittelbar konstitutierendes Element der Theorie geworden.

"Fluktuationen gehören also zu den wesentlichen Charakteristika des makrophysikalischen Zustandes (Notwendigkeit setzt sich vermittelt über die individuellen Schwankungen, also im Zufall durch – Fluktuationsgesetz)" (Röseberg 1975, S. 120).

Hier werden die Elemente tatsächlich von einer Vielheit von Objekten des niederen Strukturniveaus gebildet. Im Unterschied zur Quantentheorie wird hier aber die Gesamtheit als "Summe relativ isolierter Einzelobjekte, die zwar miteinander wechselwirken, deren Wechselwirkung aber zufälligen Charakter tragen" (Hörz 1964, S. 164) betrachtet.

Dynamischer Aspekt

Stochastischer Aspekt

Probabilistischer Aspekt

notwendig sich verwirklichende Möglichkeit des Systems: Verteilungsfunktion (für Teilchengeschwindigkeiten)

Das Möglichkeitsfeld besteht aus den individuellen Schwankungen der Geschwindigkeit.

Jedes einzelne Teilchen hat eine konkrete Geschwindigkeit -für die es eine Wahrscheinlichkeit gibt.

Statistische Gesetze in der Quantentheorie

Im Quantenbereich kann nicht mehr von der Vorstellung isolierter "Körperchen" ausgegangen werden, die zu einem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort auffindbar wären. Genauso wie wir in der Klassischen Mechanik eigentlich nicht die Bahn eines realen Planeten berechnen, sondern die eines Massepunktes, so gehen wir in der Quantenphysik nicht von irgendwelchen realen Quanten-"Teilchen" aus, sondern bilden als physikalische Meßgröße neue Observable, denen Operatoren im Hilbertraum entsprechen. Diese Observable können nicht direkt gemessen werden, sondern die Objekte der Quantenphysik sind Zustände, die selbst Superpositionen von Eigenzuständen darstellen. Vor einer Messung haben wir als Information über den Zustand lediglich die Information über das diskrete Eigenwertspektrum der Observablen, also eine statistische Aussage (Die statistische Wahrscheinlichkeit bezieht sich hier auf wiederholte Messungen, nicht auf Gesamtheiten von Mikroobjekten). Erst bei der Messung – d.h. der experimentellen Präparation zur Ermittlung einer Observablen – erfolgt die Projektion auf einen Eigenzustand, der nur statistisch bestimmt und prinzipiell nicht vorher bekannt ist. Dies wird oft als "Reduktion der Wellenfunktion" bezeichnet, ist aber eher eine "Präzision der Information".

Die Möglichkeit für das Verhalten des Systems wird durch die Bewegungsgleichung für den Zustandsvektor y im Hilbertraum (Schrödingergleichung) erfaßt und die zufällig sich verwirklichenden Möglichkeiten bestehen in der Gesamtheit der gleichzeitig meßbaren Observablen, deren Erwartungswerte bestimmbar sind (vgl. Röseberg 1975, S. 91).

Es gilt also auch in der Quantenphysik: Von der Theorie werden Verhaltensmöglichkeiten der Quantenobjekte erfaßt, von denen sich durch konkrete Versuchsbedingungen jeweils eine verwirklicht.

Dynamischer Aspekt

Stochastischer Aspekt

Probabilistischer Aspekt

Die Möglichkeit für das Verhalten des Systems wird durch Bewegungsgleichungen für y im Hilbertraum erfaßt.

Möglichkeitsfeld: diskretes Eigenwertspektrum der Observablen, bezieht sich auf wiederholte Messungen

Projektion auf einen Eigenzustand bei der einzelnen Messung: "Reduktion der Wellenfunktion"; Unterbrechung der Bewegung, Vernachlässigung best. Seiten der Bewegung... (Hörz 1964, S. 135)

Eine ähnliche Betrachtung ist auf Grundlage der Feynmanschen Form der Quantenmechanik möglich: Bahnen gehen als statistische Gesamtheit aller physikalisch möglichen Bahnen in die Theorie ein - die Möglichkeiten lassen sich nicht mehr unmittelbar in der Wirklichkeit vorfinden (Röseberg 1975, S. 121)

Statistische Gesetze der Selbstorganisation

Der probabilistische Aspekt erhält in der Physik der Selbstorganisation eine noch größere Bedeutung. Hier ist die qualitative Zustandsänderung geradezu der Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung geworden - wir kennen die Metaphern vom Symmetriebruch, dem Bifurkationspunkt, den "sensiblen Phasen" usw., die Prozeßabschnitte kennzeichnen, an denen sich die Bedingungen so dramatisch ändern, daß neue Qualitäten entstehen, neue Wesenszüge, neue Gesetzmäßigkeiten. Zufall ist hier "konstituierendes Moment der Strukturbildung" (Hörz 1990, S. 37) - das "singuläre Einzelne" überschreitet sogar die "festgemachten Möglichkeitsfelder", wie U.Niedersen (Niedersen 1990, S. 79) betont.

"Insofern sind die "wesentlichen" Prozesse in der Natur stets nicht-linear, determiniert chaotisch und somit auch verzweigend" (Zimmermann 1991, S. 58) Das heißt die Lösungen nicht-linearer Systeme unterliegen der Verzweigung "deshalb, weil es... nicht eine allein von ihnen gibt pro System, sondern eine große Menge von Lösungen, die vom Prozeß alle eingenommen werden können (entsprechend einer Wahrscheinlichkeitsverteilung)" (ebd.).

Verschiedene Typen statistischer Gesetze

Statistische Gesetze lassen sich noch weiter aufgliedern:

  • quantitativ bestimmte statistische Gesetze: Schrödingergleichung: gibt mit der mathematischen Formulierung des Gesetzes den Formalismus zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeitsverteilung, die Mittelwerte für Parameter und damit auch das Möglichkeitsfeld an.
  • qualitativ bestimmte statistische Gesetze: Bestimmung der Wahrscheinlichkeit erfolgt in Abhängigkeit von den System- und Elementbedingungen nach einer Skala, die angibt, ob eine Möglichkeit mit großer oder kleiner Wahrscheinlichkeit oder gleichwahrscheinlich mit anderen Möglichkeiten verwirklicht wird. (vor allem in Biologie)
  • potentiell statistisches Gesetz: enthält neben der notwendig sich verwirklichenden Systemmöglichkeit ein Möglichkeitsfeld, ohne daß die entsprechende Wahrscheinlichkeitsverteilung bekannt ist. z.B. Halbwertszeit von Zerfallsprozessen: keine Wahrscheinlichkeitsverteilung ableitbar. auch Fallgesetz

Der statistische Charakter der Gesetze bezieht sich nicht auf ein Massenphänomen im Ensemble, sondern läßt Schlüsse auf die innere Struktur der untersuchten Systeme zu. Nicht nur das Bewegungsgesetz an sich, sondern die Struktur der Quantenobjekte wird bspw. durch die Quantentheorie näher untersucht. Wir wissen, daß diese qualitativ nur als Einheit von Teilchen- und Wellenaspekt existieren, nicht mehr als "entweder Welle oder Teilchen". Sie sind auch nicht mehr als isolierte vorstellbar, sondern sie existieren selbst nur aus "Überlagerungen vieler Elementarobjekte" (Hörz 1964, S. 21).

Wirklichkeit und Möglichkeit im statistischen Gesetz

Gesetze beschreiben Möglichkeiten für Objekte des Gültigkeitsbereiches. Dabei ist das "was möglich ist, mit Notwendigkeit bestimmt" (Hegel). "Auch das Kann-Sein ist gesetzlich" (Bloch Subjekt-Objekt, S. 172). Allerdings wird damit nicht alles Mögliche notwendigerweise wirklich. Dies wird klar, wenn wir beachten, daß ein Gesetz (nach Hörz) eine statistische innere Struktur hat. Dem liegt zugrunde, daß jedes Objekt eine unerschöpfliche innere Struktur hat. Seine inneren Elemente vollziehen ihre Bewegungen (solange das Objekt nicht nur als Summe seiner Elemente, sondern als ihre Einheit zu verstehen ist) so, daß das Verhalten des Gesamtobjekts auf Grundlage einer Gesamtheit von inneren und äußeren Beziehungen notwendig bestimmt ist (dies entspricht dem dynamischen Aspekt des statistischen Gesetzesbegriffs). Jedoch vollzieht sich dieses notwendige Verhalten auf Grundlage eines bedingt zufälligen Verhaltens der im Gesamtobjekt enthaltenen Elemente.

Mit Hegel gesprochen, kann das im Gesetz widergespiegelte notwendige Wesen nur zufällig in der Wirklichkeit erscheinen.

Das Verhältnis Notwendigkeit/Zufälligkeit und Wirklichkeit/Möglichkeit sind nur zwei verschiedene Sichtweisen auf das gleiche Problem.

Der Umschlag vom Möglichen ins Wirkliche entspricht der Reduktion des Möglichkeitsfelds bei Entwicklungsprozessen ("Gerinnung des Möglichen zum Faktischen" nach Dürr) , kausalen Beziehungen und Meß-Wechselwirkungen in der Quantentheorie. Aus dem Möglichkeitsfeld "verwirklicht" sich eine Möglichkeit notwendigerweise.

Dabei werden jeweils vorher unbestimmten Bedingungen für den konkreten Prozeß – in seiner Entwicklung, beim Messen, in der kausalen Wechselwirkung – als Gesamtheit vollständig gesetzt. Zu den vollständigen Bedingungsgesamtheiten gehören jetzt auch jene Faktoren, die vorher kontingent (sie könnten so oder auch anders sein, wie zufällige Einwirkungen) waren. So, wie die Bedingungen im Moment des "Umschlagens" der Qualität waren, bestimmen sie das Weitere. Dadurch verändert sich auch das Möglichkeitsfeld: Aus den früheren Möglichkeiten realisieren sich einige (mehr oder weniger), und ein neues Möglichkeitsfeld wird gesetzt.

Hier liegt eine Parallelität vor:

  1. Die Theorie erfaßt die Beziehung zwischen Bedingungen und Möglichkeiten innerhalb bestimmter Rahmen, ohne daß die konkreten Bedingungen gegeben sein müssen. In der Praxis liegen jeweils konkrete Bedingungen vor, so daß die realen Prozesse und Phänomene in ihrer Wirklichkeit jeweils (theoretische) Möglichkeiten verkörpern.
  2. Jeder reale Zustand verkörpert in sich Möglichkeiten, die sich bei Bedingungsänderungen realisieren. Diese Bedingungsänderungen geschehen im Verlauf der Evolution, können von Menschen erzeugt werden, z.B. bei Meßprozessen, die mehr oder weniger einschneidende Bedingungsänderungen mit sich bringen. Zu beachten ist, daß reale Situationen nie nur den Bereich eines Gesetzes betreffen, sondern hier zusätzliche Wechselwirkungen mit anderen Wesenszügen vorkommen. Diese wirken dann jeweils als spezifische (das Wesen beeinflussende) oder unspezifische (das Wesen nicht betreffende) Bedingungsänderungen.

Das Gesetz erfaßt nicht den konkreten Prozeß mit jeweils konkreten Bedingungsgesamtheiten, sondern zeigt nur das unter bestimmten Bedingungen Mögliche. Diese Beschränkung eröffnet uns die Möglichkeit, Bedingungen und Mögliches in Bezug zu setzen und in unserer Praxis bewußt zu verändern. Wir unterliegen nicht den Gesetzen, wir können die Bedingungen verändern – wir können bestimmen, welche Bedingungen wir (im Rahmen umfassender Möglichkeiten) setzen und welche gesetzmäßig gegebenen Möglichkeiten dadurch realisiert werden können oder nicht.

Statistischer Determinismus

Marcovic fordert "Der lineare, traditionelle Determinismus soll durch eine moderne Idee der mehrwertigen Bestimmung der alternativen Möglichkeiten ersetzt werden." Das ist durch den statistischen Gesetzesbegriff geschehen.

"Bestimmen bedeutet, alle logisch möglichen zukünftigen Zustände eines Systems der Phänomene auszuschließen, die unvereinbar sind mit den Gesetzen des Systems. Innerhalb gewisser Grenzen gibt es jedoch eine Klasse der mehr oder weniger wahrscheinlichen realen Möglichkeiten" (Marcovic S. 166).

Gesetze sagen, was unmöglich ist, der Rest ist offen. Dieser Rest ist aber nicht unstrukturiert, sondern der statistische Gesetzesbegriff ermöglicht eine Analyse der verschiedenen Aspekte des Wahrscheinlichen.

  1. Statistik entsteht prinzipiell durch die Wechselwirkung von Elementen aus verschiedenen Systembereichen verschiedenen objektiven Gesetzen. Für reale Prozesse und Phänomene ist das immer gegeben, denn auch in einzelner Prozeß, das einzelne Phänomen unterliegt nie nur einem Gesetz, liegt nie nur in der Reichweite einer Art wesentlicher Wechselwirkungen, sondern diese überlappen sich.
  2. Der statistische Gesetzesbegriff reicht noch weiter: er zeigt, daß auch einzelne Gesetze eine Statistik in sich bergen, die bei Bedingungsänderungen – in der Entwicklung, beim Messen – offenbar wird. Diese Sicht ermöglicht eine offensive Orientierung, denn sie bezieht sich auf Bedingungen, die aktiv verändert werden können.


Ein englischer Text dazu: An Integrated Notion of "Law"

Zum Projekt "Gesetze in Natur und Gesellschaft"

Gesetze als wesentliche Zusammenhänge



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