Sanfte Verblödung

von Otto Busse

Fühle ich mich lustlos, ausgelaugt oder gestreßt, habe ich die falsche Einstellung zu mir und meinem Leben. Ein paar Muskelentspannungsübungen am Schreibtisch, ein wohltuendes und pflegendes Bad am Abend, die kleine Mahlzeit zwischendurch und ich bin die, die ich immer sein wollte.

Statt politischer Organisation Meditation, statt Kritik und Diskussion "umdenken", und wer dann noch nicht klar kommt, zieht einen Runenstein bei einem Täßchen Kräutertee und bläst ein bißchen ins Didgeridoo. So lauten die Antworten von EsoterikerInnen und spirituellen ÖkologInnen auf Unterdrückung und Herrschaft.

Einerseits wird versucht, jede Kritik unter der Decke vermeintlicher Sachzwänge zu ersticken oder im Rahmen von Modernisierung zu integrieren, andererseits ist das Gefühl, eingreifen, gestalten und verwirklichen zu können, dem Gefühl der zunehmenden Unwirklichkeit gewichen.

Immer mehr und mehr werden die realen Brüche spätkapitalistischer Gesellschaften ins Transzendente verlagert, Umweltschäden und Menschenverachtung sind angeblich Folgen geistig-mentaler Abirrungen. Die Umweltkrise wird als Kulturkrise, der Kapitalismus lediglich als Ausdruck einer verfehlten Denkweise wahrgenommen.

Nicht etwa ökonomische Interessen, sondern "falsche Werte", von "uns allen", produzieren radioaktive Energie, plündern Rohstoffe, vergiften Wasser und Luft. Zur Behebung von Problemen genügt angeblich ein abstrakter Wertewandel, ein "Umdenken", und nicht etwa das Eingreifen in konkrete gesellschaftliche Kämpfe. Aber ohne Kämpfe und Konflikte wie den Widerstand der Anti-AKW-Bewegung gegen die Interessen der Atomindustrie gäbe es heute in der Bundesrepublik fast 70 Atomkraftwerke mehr, ohne Streiks weder den Achtstundentag noch das Frauenwahlrecht. Herrschaftsstrukturen werden geleugnet und somit der Unterschied zwischen denen, die entscheiden, und denjenigen, über die entschieden wird. Es macht einen gewichtigen Unterschied, ob jemand zwangsläufig Produkte konsumiert, die auf der Ausbeutung von Natur basieren, oder ob sie von einem Konzern millionenfach hergestellt werden. Für die Zerstörung verantwortlich sind nicht "wir alle", sondern maßgeblich die Atommüllexporteure des Siemens-Konzerns, die WaffenproduzentInnen bei Heckler und Koch, die GiftmülleinleiterInnen bei Hoechst, die ChlorchemikerInnen der BASF und die GentechnikerInnen von Bayer.

Die zu registrierende Hinwendung zum Privaten birgt die Gefahr der Reduzierung gesamtgesellschaftlicher Wahrnehmung und führt überdies in der Regel zur pauschalen Ablehnung aller Theoriesysteme, die sich weiterhin um die Formulierung umfassender gesellschaftlicher Fragestellungen bemühen. Wer dazu neigt, realhistorische Problemlagen in innenweltliche Befindlichkeiten umzudeuten, sucht Zuflucht in neuen Formen der Selbsterfahrung von Geist und Körper, sucht Auswege im Erleben des Selbst und neuer Gemeinschaft, übersetzt sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Fragestellungen folglich in den Jargon von Religiosität, Gruppendynamik, Therapie und einer ihrer historischen Dimension weitgehend beraubten Pädagogik - verabschiedet also letztlich das, woran man eigentlich leidet - konkrete Politik.

Individuelles Suchen nach befriedigenden Lebensweisen ersetzt politische Forderungen nach Emanzipation. Wer zu Hause im Schneidersitz seine Yogaübungen macht, kann noch so viel meditieren, besser wird die Luft dadurch nicht und es wird auch kein Atomkraftwerk abgeschaltet.

Es geht uns nicht um ein "neues Denken" oder eine "ökologische Ethik". Wer so etwas einfordert, ignoriert die Macht- und Herrschaftsstrukturen innerhalb dieser Gesellschaft und die kapitalistische Produktionsweise.

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