Rede beim BUKO

Einführungsvortrag zum 22. BUKO in Hannover (28.-31.10.99) mit dem Thema "Perspektiven gegen die schöne neue Expo-Welt".
Referent: Josef Hierlmeier, Lateinamerika-Komitee.

Ich will nichts den inhaltlichen Diskussionen des Kongresses vorwegnehmen. Ich will aber einige Eckpunkte skizzieren, in deren Rahmen sich dieser Kongress bewegt. Auf die Frage, ob sie dieses Jahr zum BUKO kommen wuerden, antworteten einige Bekannte aus der Solidaritaetsszene: wahrscheinlich nicht, weil sie nicht wuessten, was die EXPO mit Internationalismus zu tun haette.

Fuer mich hat die EXPO einen hohen Symbolgehalt. In ihr nimmt der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts Gestalt an, nicht nur fuer Deutschland, sondern fuer die ganze Welt. Dies zeigt sich schon daran, dass annaehernd 200 Laender sich an der EXPO beteiligen werden.

Die EXPO befindet sich im Schnittpunkt von wichtigen Diskursen und Auseinandersetzungen. In den von ihr praesentierten Leitbildern verdichten und buendeln sich Diskurs- und Entwicklungsstraenge, die fuer unsere Politik von grosser Bedeutung sind. Was sind das fuer Diskursstraenge und Schnittstellen?

Die EXPO und das Ende der Nachkriegsgeschichte

Von grosser symbolischer Bedeutung ist die Tatsache, dass die EXPO in zeitlicher Naehe zum Krieg in Kosovo stattfindet, einem voelkerrechtswidrigen Krieg mit deutscher Beteiligung. Dieser Krieg markiert eine Zaesur in der bundesdeutschen Nachkriegsentwicklung. Es ging um die Verabschiedung der deutschen Nachkriegsgeschichte mit dem argumentativen Rueckgriff gerade auf die deutsche Geschichte: Es gelte ein zweites Auschwitz zu verhindern, wurde uns von Fischer und Scharping als Argument immer wieder um die Ohren geschlagen. Es ist erschreckend, wie stark selbst kritische Geister diese Argumentationslinie uebernommen haben. Es ist Joachim Hirsch Recht zu geben, wenn er in einem Interview in den "blaettern des iz3w" (August 99) sagt: "Diese Entwicklung bezeichnet einen frappanten Verlust an kritischer Oeffentlichkeit, d.h. der Faehigkeit, die Hintergruende und Interessenzusammenhaenge staatlichen Handelns aufzudecken, kurz: Macht zu kontrollieren. Statt dessen gibt es ueber weite intellektuelle Kreise hinweg heute ein klares Bekenntnis zu Staat und Macht. Moralische Kategorien dienen dazu, Herrschafts- und Abhaengigkeitsverhaeltnisse zu rechtfertigen, die man im Kern als imperialistisch bezeichnen muss. Die sogenannte `Zivilgesellschaft' hat sich als das erwiesen, was kritische Theoretiker wie Gramsci schon lange gesagt haben: als ein ideologisches Bollwerk von Staat und Macht. Die Demokratie, selbst in ihrer buergerlich-liberalen Form, bleibt auf der Strecke." Und er faehrt fort: "Was mich aber wirklich bestuerzt hat, war der desolate Zustand der `linken' und kritischen Oeffentlichkeit hierzulande. Dass die wohlstandschauvinistische Formierung der deutschen Gesellschaft ein derartiges Ausmass angenommen hat, war fuer viele ein Schlag."

Im Aufruftext zu diesem Kongress, als die heisse Phase des Krieges gerade vorbei war, hatten wir geschrieben: "Der Krieg ist noch lange nicht vorbei." Dies hat sich seitdem bestaetigt. 300.000 Menschen mussten seit der Stationierung der KFOR-Truppen das Land verlassen bzw. wurden vertrieben, vor allem Serben und Sinti und Roma, aber auch Juden. Davon nimmt die Oeffentlichkeit kaum noch Notiz, genauso wenig wie sie damals von den 200.000 Serben Notiz nahm, die aus der Krajna vertrieben wurden. Kein einziges der Probleme in Ex-Jugoslawien ist bis heute geloest!

Der Krieg symbolisiert aber auch in anderer Weise das Ende der deutschen Nachkriegsgeschichte. Mit der Teilnahme am Krieg, so wird argumentiert, sei Deutschland wieder eine "normale" Nation geworden. Daraus wird der Anspruch abgeleitet, die Vergangenheit Vergangenheit zu lassen. In juengster Zeit mehren sich die Debatten, in denen genau dies eingefordert wird. Zu erinnern ist an die Walser-Debatte, der die Forderung erhob, nicht mehr laenger mit der "Auschwitzkeule" belaestigt zu werden. Zu erinnern ist ferner an die Sloterdijk-Debatte mit seinen Zuechtungs-Visionen im Anschluss an Nietzsche, Heidegger und Platon. Diese Debatte geht aber weit ueber die bio- und gentechnologische Ebene hinaus.

Die Expo-MacherInnen sehen ihr Mammutereignis genau in diesem Zusammenhang: die Nachkriegsgeschichte ist zu Ende wird formuliert. Wir blicken nach vorn, die EXPO ist das Fenster in das 21. Jahrhundert. Was zeigt uns der Blick durch dieses Fenster?

Das Gesellschaftsbild der EXPO

Er zeigt uns zuerst einmal einen Blick tief in den Dschungel: "Tief im Dschungel" so beginnt eine Fabel, die von den EXPO-MacherInnen in Auftrag gegeben wurde (nach Spiegel 32/99) leben eine Moewe und ein Papagei, die beide in Kaefige gesperrt sind. Dazwischen hockt in Brieftraegeruniform der faule Drontevogel. Der singt und tanzt, anstatt Briefe und Pakete auszutragen, die ihm Moewe und Papagei verzweifelt zustecken. Doch ploetzlich ein Szenewechsel: Die Hand des Marktes erscheint und zieht an einer Liane, und als ob es sich um die Schnur an einer Lampe handelt, leuchten auf einmal alle Fruechte des Baumes hell auf. Moewe und Papagei entkommen ihrem Gefaengnis und folgen ihrem draengendsten Trieb - sie entwickeln neue Postversandtechniken: Papierflieger und ein extravagantes Fluggeraet mit Tragflaechen aus Geldscheinen. Sogar der Drontevogel reisst sich zusammen; er erfindet das Morseverfahren, den Computer und dazu Disketten.

Ein zweiter Blick geht zwar nicht tief in den Dschungel, aber tief in den Norden. Dort rutschen in einer weiteren EXPO-Fabel zwei junge Eisbaeren mit ihren Snowboards einen Abhang herunter und steigen muehsam wieder auf. Vom Wipfel eines Baumes aus beobachtet sie der Adler wohlwollend. Der nette Greif fliegt zu den Baeren herunter, um ihnen eine Sprungschanze zu bauen. Die Baeren sind begeistert. Die Wohltat des Adlers war nicht umsonst, er verlangt Steuern: Die Baeren muessen ihre Schals herausruecken, was sie erst mal wenig stoert. Denn schon bald tummeln sie sich in einem bluehenden Ferienort mit Schneemobilen und einem Slalomkurs. Bis die Baeren in ihrer Unterwaesche dastehen und ihnen der Adler auch noch die Snowboards abnimmt. Da naht der Erloeser: die Hand des Marktes erscheint ueber den Baeumen und hebt mahnend den Zeigefinger. Der Adler begreift, wie ueberzogen sein Handeln war. Er verkriecht sich in seinem Baum.

Was wollen uns diese Fabeln sagen? Ihr habt es sicherlich bereits verstanden: die unsichtbare bzw. hier vielmehr die sichtbare Hand des Marktes ist der Superstar der EXPO. Die Hand ist der neue Messias, der ueberzogene Ansprueche abwehrt und alles zum Guten lenkt. Man koennte ueber diese Fabeln nur noch lachen, wenn dahinter nicht zutiefst ernste Vorstellungen von Gesellschaft stehen wuerden. Es ist dies die Vision nicht nur einer neoliberalen Marktwirtschaft, sondern umfassender einer ganzen Marktgesellschaft.

Ein anderer Blick aus dem Fenster der EXPO in das 1. Jahrhundert zeigt uns die hegemonialen Vorstellungen der zukuenftigen Entwicklung. Es sind technokratische, eindimensionale Vorstellungen, die uns und der Bevoelkerung in der sog. Dritten Welt als Leitbilder angeboten werden. Eines dieser Leitbilder lautet: "Wir leben alle in der Einen Welt".

In einem Statement der EXPO-MacherInnen aus dem Jahr 1995 heisst es: die EXPO sei ein Signal dafuer, dass "wir erkannt haben, dass wir Menschen auf dieser Erde alle zusammen in einer Welt leben. Es macht keinen Sinn mehr, uns in eine erste, zweite, dritte oder vierte Welt aufzuteilen, wenn wir neue Wege suchen." Auf diesen Wegen finden sich dann etwa die "Wohltaten" etwa der Bio- und Gentechnologie, der Atomkraft, die "Wohltaten" von noch mehr freiem Handel und noch mehr Investitionen. Die soziale Frage, also die Frage: Wer bestimmt, dass es nicht mehr sinnvoll ist von einer ersten, zweiten, dritten und vierten Welt zu sprechen, sondern nur noch von der Einen Welt, bleibt ausgeklammert. Ebenso die Frage, wer denn nun in und von der Einen Welt profitiert, wer bestimmt, was und wo etwas investiert wird.

Die EXPO will mit diesen technokratischen Entwicklungsvorstellungen suggerieren, dass es hierzu keine Alternative gibt. Das "TINA"-Denken (There is no alternative) ist ein wesentlicher Bestandteil der EXPO. Die Botschaft lautet: Alles ist machbar, wenn nur alle mitmachen und die Konzepte der EXPO richtig und effektiv umsetzen. Dieses Denken entspricht dem Schroederschen Leitsatz: "Es gibt keine linke und rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur eine gute oder schlechte." Alles ist also nur eine Frage des Handlings, der Vermittlung und der Kommunikation. Die Macht- und Herrschaftsfoermigkeit dieser Leitbilder und technokratischen Konzepte und des Marktes werden systematisch ausgeklammert ebenso wie die sozialen und patriarchalen Verhaeltnisse, die sich in diesen Vorstellungen materialisieren.
Fuer jedes Problem gibt es diesem Denken zufolge eine Loesung. Wenn es keine Loesung gibt, gibt es auch kein Problem.
Matthias Greffrath hat dieses "schroederische" Politikverstaendnis treffend charakterisiert. Wer "schroedert", schreibt er, "muss denken und verkoerpern, dass kein Problem ist, wo keine Loesung winkt. Unaufhaltsam der Prozess, in dem eine Wirklichkeit, die zu korrigieren niemand die Macht spuert, nicht mehr gedacht wird." Damit hat er aber treffend ein Problem beschrieben, mit dem es eine herrschaftskritische Linke tagtaeglich zu tun hat. Von vielen wird eine Wirklichkeit gar nicht mehr gedacht, weil sie nicht die Macht haben, diese Wirklichkeit zu veraendern.

Paradigmatisch dafuer ist m.E., die "Erlassjahr 2000 Kampagne": Die Forderung nach einer begrenzten Schuldenstreichung wird dort damit begruendet, dass dies im Interesse aller liege, weil sonst der Schuldenbumerang drohe. Die Ueberschuldung bedrohe - ich zitiere jetzt aus dem Aufruftext der Kampagne - "nicht nur die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Betroffenen, sondern die der ganzen Gesellschaft." Also auch uns alle!
Wie? "Durch Drogenhandel, Klimaveraenderungen, Fluechtlinge oder durch den Verlust von Exportmaerkten fuer unsere (sic!!!) Industrie." Selbst die Banker koennen von einem Schuldenerlass profitieren: "Jeder verantwortliche Bankier wird eher einer Regierung Kredit gewaehren, die weitgehend frei von `Altlasten' ist, als einem voellig ueberschuldeten Land."

Frueher haette es in der entwicklungspolitischen Szene einen Aufschrei gegeben, wenn die Forderung nach Schuldenstreichung mit dem Interesse der deutschen Exportindustrie begruendet worden waere. Heute erntet man oft Unverstaendnis, wenn man dies nicht tut. Wir haben es hier mit einer Argumentationsweise zu tun, die uns in den letzten Jahren immer wieder begegnet ist. Diese Argumentationsweise lautet: Wir alle sind schuld an den Problemen der Welt, deshalb muessen wir sie alle gemeinsam loesen. Das Medium dafuer sind die Runden Tische, an denen im Dialog aller gesellschaftlich relevanten Gruppen die Probleme konsensual geloest werden. Die Konsequenz an dieser Art von Realpolitik ist, dass die eigenen Forderungen passgenau bereits im Vorfeld bereits so zurechtgestutzt werden, dass sie niemand mehr weh tun. Der Soziologe Ortwin Renn schreibt in einem Buch der EXPO 2000 Reihe ueber die Agenda 21: "Die Industrie hat natuerlich kein Interesse daran, mitzumachen, wenn sie den Eindruck hat, dass sie auf der Anklagebank Platz nehmen soll." (FR 6/7/99) Mitmachen! Gestalten! Einfluss nehmen! lautet also das Gebot der Stunde.

Die "Adabeiisierung" der entwicklungspolitischen Szene

Wie man vielleicht bereits gemerkt hat, komme ich aus Bayern. Bei uns in Bayern gibt es den Begriff des "Adabeis". "Adabei" ist die Bezeichnung fuer einen, der ueberall dabei sein will, der glaubt, zum Jet-Set und zur Schiggeria zu gehoeren, ueber den man sich aber hinter seinem Ruecken lustig macht. Viele NGO- und Lobby-"Adabeis" wollen auch dabei sein, wenn es um die Ausgestaltung von UNO, IWF, Weltbank oder der NATO geht. Man duerfe den IWF und die NATO nicht dem Imperialismus und dem Militarismus ueberlassen, lautet ueberspitzt formuliert das Argument. Oder anders gesagt und mit Bezug auf die EXPO: Wir beteiligen uns an der Gestaltung der EXPO, weil wir aus ihr das Beste machen wollen, wenn wir sie schon nicht verhindern koennen.

Was wir uns fragen muessen, ist, warum diese Art von "Realpolitik" so attraktiv fuer viele ist? Was ist ihr rationaler Kern? Wo liegt der kulturelle oder der symbolische Mehrwert dieser Politikform? Und wir muessen uns auch fragen, was deren Staerke mit dem Scheitern unseres frueheren Internationalismus zu tun hat? Liegt die Machtvergessenheit der NGO- und Lobby-Gruppen auch an der "Machtversessenheit" der frueheren Internationalismuspolitik? Wenn aber nicht alles taeuscht, geraet diese konsensuale Politikform langsam in die Krise. Dies hat natuerlich viel mit der katastrophalen Politik der derzeitigen Bundesregierung zu tun, auf die doch viele Hoffnungen projeziert wurden. Aber die Schwaeche bzw. das abzusehende Scheitern dieser Art von NGO-Politik darf nicht zu dem Glauben verfuehren, dass dadurch eine linke, herrschaftskritische Alternative automatisch profitieren wuerde.

Viele, die aus meiner Sicht in die falsche Richtung gelaufen sind, werden, anstatt anzuhalten und umzukehren, das Tempo beschleunigen und noch schneller in der falschen Richtung weiterlaufen. Zum anderen verdeckt die Schwaeche der lobbyistischen NGO-Politik unsere eigenen Schwaechen. Es gibt von unserer Seite bestenfalls Elemente eines neuen Internationalismus. Wer die Broschuere "koelngehen" des BUKO-Arbeitsschwerpunktes Weltwirtschaft gelesen hat, wird festgestellt haben, wie schwer es uns gefallen ist, diese Elemente positiv zu bestimmen. Und doch gibt es diese Elemente. Zentral ist fuer mich dabei die Entwicklung eines neuen Macht- und Herrschaftsbegriffes, den wir in den Debatten um Agenda 21, Nachhaltige Entwicklung und Global Governance entwickelt haben. M.E. besteht derzeit durchaus die Chance, dass unsere Kritik an diesen Leitbildern wieder staerker wahrgenommen und diskutiert wird. Es laesst sich nicht mehr ganz so leicht mit dem bereits erwaehnten Argument punkten, man duerfe die NATO nicht dem Imperialismus und Militarismus ueberlassen. Wir sollten deshalb unsere herrschaftskritischen Aspekte offensiver in die Diskussion einbringen. Gerade die EXPO bietet sich dafuer hervorragend an. Diese Kritik, von der ich hoffe, dass sie auf diesem Kongress noch konkretisiert wird, wird vielen nicht gefallen. Das ist jetzt schon abzusehen. Aber es lohnt sich, denn es gibt bei der EXPO viele Anknuepfungspunkte und Buendnismoeglichkeiten. Denn das Unbehagen ueber den Gigantomanismus der EXPO - fuer die drei Sekunden Erkennungsmelodie wurden 400.000 DM hinausgepulvert - reicht weit bis in liberale Kreise und Medien hinein.

Der BUKO

Zum Schluss noch kurz ein Wort zum BUKO, da viele von euch zum erstenmal auf einem BUKO-Kongress sind. Wir werden immer wieder gefragt, wer denn der BUKO sei?
Grundsaetzlich gilt: der BUKO ist das, was die Leute aus ihm machen. Es sind zur Zeit viel zu wenige Leute, die etwas machen, auch wenn es angesichts des Kongresses nicht den Anschein hat. Der BUKO, das sind die Kampagnen: Pharma-Kampagne, Kampagne "Stoppt den Ruestungsexport" und die Kampagne zum Agrarhandel. Der BUKO, das sind die Leute in den Arbeitsschwerpunkten Weltwirtschaft und Alternativer Handel. Und der BUKO, das sind die Leute, die etwa diesen Kongress oder die Seminare vorbereiten. Der BUKO, das habt ihr wahrscheinlich den Ausfuehrungen entnommen, ist keine Lobbyorganisation. Der Lobbyismus setzt darauf, wie es "Germanwatch" in ihrem Lobbyhandbuch formuliert hat, dass "die eigene Organisation nicht als verlaengerter Arm der politischen Gegner der Zielgruppe (gemeint sind damit Unternehmen, Geschaeftsleute, Politiker und Verwaltungen, Anm. moe) auftreten oder so eingeschaetzt werden darf." Ich glaube, ich verrate nicht zuviel, dass wir genau dies durchaus manchmal wollen.

Der BUKO ist eine Organisation, in der selbstbestimmt entwicklungspolitische Debatten gefuehrt werden sollen. Der vielleicht allzu pathetische Begriff "selbstbestimmt" meint, dass wir uns in unseren Politikformen und inhaltlichen Debatten nicht zuerst von politischen Konjunkturen leiten lassen. Der Begriff meint auch, dass wir nicht die Haeufigkeit der Medienberichte ueber den BUKO zum einzigen Kriterium des Erfolges machen, auch wenn wir uns fragen muessen, welche Bedeutung der Strukturwandel der Oeffentlichkeit und Oeffentlichkeit an sich fuer den BUKO haben. Selbstbestimmt meint aber auch, dass wir uns Debatten ueber das eigene Verstrickt-Sein in Machtstrukturen leisten, seien sie eurozentrischer, patriarchaler oder rassistischer Art. Ich bin dagegen, diese Diskussionen ueber ein anderes Verstaendnis von Internationalismus abzuwerten und sie als "interne" Debatten und als "rueckwaertsgewandt" zu bezeichnen. So hat es der Dachverband der Weltlaeden getan und damit seinen Austritt aus dem BUKO begruendet. Ein weiteres Argument fuer den Austritt war, der BUKO wuerde zuwenig Dienstleistungsfunktionen erfuellen.

Die notwendigen Diskussionen um das eigene Verstrickt-Sein birgt aber auch ein Problem in sich: Wenn Macht nicht etwas ist, was von denen "da oben" kommt und dem wir in aller Unschuld gegenueberstehen, sondern die Effekte der Macht und die Machtlinien uns selbst durchziehen, dann wird es immer Macht geben, man wird nie endgueltig ausserhalb der Macht stehen. Wichtig ist es dann, sich seiner eigenen Machtverstrickung bewusst zu werden, um sie dann dekonstruieren zu koennen.
Die Gefahr dabei ist, dass man die eigene Machtverstrickung bis in die kleinsten Kapillare verfolgt und so in der Tat handlungsunfaehig wird. Wer sich in dieser Mikrophysik der Macht verliert, ist nicht mehr in der Lage eine Gegenmacht aufzubauen, die momentan bekanntlich ziemlich ohnmaechtig ist. Nichtsdestotrotz bleibt dieser Anspruch richtig, auch wenn wir wieder von ziemlich vorne anfangen muessen. Joachim Hirsch behauptet in dem anfangs erwaehnten Interview, dass die "ausserparlamentarische Linke in einem Masse marginalisiert ist, wie seit den 50er Jahren nicht mehr." Die fehlenden Proteste gegen den Krieg und die mehr als mangelhafte Beteiligung bei den Demonstrationen gegen den G7-Gipfel bestaetigen diese Einschaetzung.

Trotzdem muss eine herrschaftskritische und emanzipatorische Linke immer wieder den Versuch starten, genau diese Gegenmacht zu organisieren. Denn Emanzipation wurde noch nie geschenkt, sondern sie war und ist immer Ergebnis sozialer Kaempfe. In diesem Sinne hoffe ich, dass dieser Kongress einige positive Ergebnisse hervorbringt.

 

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