Expo 2000 – nichts zum Lahmlegen da!

"London – Seattle – Hannover" hieß ein Slogan der Anti-Expo-Gruppen. Das war eine hohe Meßlatte. Rund um die Expo-Eröffnung sollte deren Beginn massiv gestört werden, um eine kritische Thematisierung der Expo-Ideologie zu erreichen. Was ist aus diesem Ziel geworden – und wie geht es weiter?

Kurz und gut: "Expo lahmlegen" ist nicht gelungen. Die Expo konnte unter Störungen eröffnet werden. Die Infrastruktur brach nicht zusammen. Straßen und Kreuzungen, Bahnlinien und Züge wurden zwar blockiert oder gestoppt, doch es hatte alles wenig Wirkung. Inzwischen wird immer klarer, warum das so war: Die Expo fand und findet nicht statt. Die sensationellen Berichterstattungen vom ersten Tag, der so gelungen sein sollte, lassen sich schnell widerlegen. Die Zahl der BesucherInnen von 150.000 ist eine Lüge, die über Anzeigenaufträge gleichgeschalteten Printmedien brachten die Jubelmeldungen von den riesigen Menschenmengen aber groß heraus. Offenbar haben die Redaktionen aus den vergangenen Monaten (z.B. die Kriegsbelügung im Frühjahr 1999) nichts gelernt. Was von oben kommt, wird übernommen.

Fakten zum 1.6.

  • Verschiedene Expo-Widerstandsgruppen blockierten Zufahrten bzw. den Messeschnellweg. Dadurch konnte kein Stau hervorgerufen werden. Vergleicht man dies mit dem Anreiseverkehr z.B. einer CeBIT, zeigt sich, daß niemals 150.000 BesucherInnen unterwegs waren. (AugenzeugInnenberichte)
  • Die Aktionsgruppen auf der Schilderbrücke und an den Expo-Eingängen hatten mehrere Stunden einen guten Ausblick auf Messeschnellweg, Zufahrten und Expo-Gelände. Dort gab es nie große Menschenansammlungen.
  • Die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) behauptete 2. Juni auf Seite 1, daß die Expo 2000 in Hannover an ihrem Eröffnungstag, dem 1. Juni 150.000 Besucher gehabt habe. Auf Seite 18 der selben Ausgabe erfahren wir auch, wie diese Besucher auf die Expo gekommen sein sollen: 30.000 mit der U-Bahn, 33.000 mit der Deutschen Bahn und die restlichen 87.000 sollen mit den PKWs gekommen sein, die auf den 5.000 belegten Parkplätzen (von 25.000) geparkt hatten. Damit saßen durchschnittlich 17,4 Personen in jedem PKW.
  • Definitiv waren die Parkplätze fast gar nicht belegt. Auf einem riesigen Busparkplatz standen gerade mal 2 Busse. Ein Sicherheitsbeamte meinte es gäbe nicht mal ein Drittel der Auslastung wie bei der CeBit. (AugenzeugInnenbericht).
  • Die starke BesucherInnenabbruch am zweiten Tag ist nicht zu erklären, zumal der erste deutlich teurer war. Es kamen an den folgenden Tagen je max. 70.000 Menschen – obwohl erneut Zehntausende Freikarten erhielten und die Preise teilweise gesenkt wurden.
  • Selbst wenn die Zahl stimmen würde, ist sie kein Erfolg, sondern ein Desaster. Ursprüngliche Erwartungen lagen bei 400.000 BesucherInnen am ersten Tag. Erst wenige Woche vor Beginn der Expo wurde die Zahl auf 250.000 gesenkt. Das lag schon unter dem notwendigen Durchschnitt von 260.000, der erreicht werden muß, damit die Expo nicht noch mehr Milliarden-Minus einfährt. Und wenige Tage vor dem Start wurde dann erneut korrigiert: 150.000 sei das Ziel. Dann begann die Expo, Freikarten zu verteilen – ca. 50.000 davon kamen in Umlauf. Daher wären es selbst dann, wenn die 150.000 stimmen, nur 100.000 zahlende Gäste. Wahrscheinlich sogar weniger, weil etliche tausend geladene Gäste auch noch zu zählen sind.

Selbst wenn die Zahl stimmen würde, ist sie kein Erfolg, sondern ein Desaster. Ursprüngliche Erwartungen lagen bei 400.000 BesucherInnen am ersten Tag. Erst wenige Woche vor Beginn der Expo wurde die Zahl auf 250.000 gesenkt. Das lag schon unter dem notwendigen Durchschnitt von 260.000, der erreicht werden muß, damit die Expo nicht noch mehr Milliarden-Minus einfährt. Wenige Tage vor dem Start wurde dann erneut korrigiert: 150.000 sei das Ziel. Panikartig verteilte die Expo ca. 50.000 Freikarten. Daher wären es selbst dann, wenn die 150.000 stimmen, nur 100.000 zahlende Gäste. Wahrscheinlich sogar weniger, weil etliche tausend geladene Gäste mitzuzählen sind.

Die Expo findet nicht statt. Das am ersten Juniwochenende stattfindende Stadtteilfest in der Lister Meile von Hannover hatte mehr BesucherInnen als die Expo 2000. Bereits am Sonntag kündigte der Expo-Jobservice Adecco erste Massenentlassungen an. Dabei hatte selbst der DGB deren Arbeitsverträge hochgelobt. Die Realität holte das aber schnell ein Hingucken reicht, um die Lügen zu entlarven.

Der Widerstand am 1.6. mußte bei dieser Situation wirkungslos bleiben in Bezug auf ein Lahmlegen der Infrastruktur. Dabei war es gar nicht schlecht, was lief ...

Einblicke

Um 9 Uhr wurde die Expo eröffnet. Da hatten schon die Züge von Norden und Süden Verspätungen: Brennende Reifen auf den Schienen. Als Johannes Rau das rote Band durchschnitt, begannen laute Sprechchöre "Expo No". Schilder wurden hochgehalten. Die Polizei griff ein. Kurz danach die nächsten Schilder und so fort. Kanzler Schröder schimpfte auf die DemonstrantInnen. Ein ICE mußte geräumt werden wegen eines bombenverdächtigen Paketes. Blockaden auf der Hildesheimer Straße – aber kaum ein Auto mußte bremsen, es fuhren keine. Kurz vor zehn Uhr kletterten ca. 12 Personen auf eine Verkehrsschilderbrücke direkt am Expo-Gelände. Zwei Personen seilten sich ab. Der Messeschnellweg, wichtigster Autobahnzubringer zur Expo, mußte gesperrt werden. Aber wieder: Kein Stau, weil es keinen Verkehr gab. Nach einer Stunde war die Blockade geräumt und die AkteurInnen verhaftet. Weitere Blockaden entstanden in anderen Stadtteilen, Aktionen gegen Straßenbahnen, aber das Dilemma blieb: Wenn niemand zur Expo geht, nützen auch Blockaden nicht.

Im Verlauf des Nachmittags kam es zu Aktionen in der Innenstadt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits ca. 60 Personen aus den Blockadegruppen verhaftet. Die Polizei log mit ihrer Zahl 14. Am Aegidientorplatz lief eine Kissenschlacht mit politischem Motto. Nervöse Polizei. Am Steintor begann wenig später eine Demonstration. Ausrastende Polizei. Kessel, Massenverhaftungen. 400 Leute saßen schließlich in Gefangenschaft, überwiegend in kleinen, dafür in Baracken aufgestellten Käfigen. Der Höhepunkt: In einem Käfig von 6x6 Metern 78 Menschen. Das macht mehr als zwei Personen pro Quadratmeter. Aber diese Bilder hat niemand außen gesehen. Auf der Expo feierte sich Deutschland als offenes Land ab. Die Realität blieb verborgen. Die Käfige mit den eingesperrten Menschen wären ein realistischerer Deutschlandpavillon gewesen ...

Zusammenfassend: Am 1.6. waren viele selbstorganisierte Kleingruppen unterwegs. Das Aktionskonzept war verwirklicht worden. Koordinations- und Unterstützungsgruppen agierten, angefangen vom EA mit RechtsanwältInnen über Handykoordination, Fahrradkuriere zum Infoaustausch bis zum aktuellen Internet-Nachrichtendienst www.expo-calypse.de. Das Stör- und Blockadekonzept scheiterte an der "Strategie" der Expo, einfach nicht stattzufinden. Schade.

Analysen

Die Tage nach dem 1.6. zeigten, welche Wirkung direkte Aktionen und Bewegung von unten entfalten können. Ständig liefen Aktionen, von kreativ-direkten auf der Straße (z.B. die Reclaim-the-Streets-Party am 3.6., die wieder hart von der Polizei angegriffen wurde, aber zweimal abtauchte und in anderen Stadtteilen wieder entstand) bis zur Kommunikationsguerilla, z.B. der Verteilung von gefälschten Eintrittskarten usw. Obwohl einige hundert AkteurInnen in Haft waren oder wegen Platzverweisen die Stadt verlassen mußten, obwohl das eigentliche Ziel des 1.6. nicht erreicht wurde und die gleichgeschaltete Presse einen Erfolg der Expo konstruierte, gab es viel Druck und Kreativität für Aktionen. Gleichzeitig lief eine Öffentlichkeitsarbeit: Vier Zeitungsausgaben mit Berichten, Ankündigungen und inhaltlichen Texten, ständige Pressearbeit und mehr. Vor allem in Rundfunk und Fernsehen sowie in ausländischen Medien wurden die Proteste auch deutlich gezeigt. Als die Aktionswoche zuende war, gingen die Aktionen weiter: Hakenkrallen auf der Bahnlinie Hannover-Hamburg, eine Gleisblockade Richtung Westen usw.

Daher bleibt trotz des Verfehlens von "Expo lahmlegen" vieles übrig, was als Schritt hin zu neuer politischer Aktionsfähigkeit genutzt werden kann. Es ist gelungen, viele Basisgruppen nicht nur zu einem Mitmachen zu bewegen, sondern dazu, eigene Ideen umzusetzen. Die Aktionswoche gegen die Expo 2000 war nicht nur ein Event. Es gab sehr, sehr viele Gruppen und Menschen, die nicht nur zum Mitmachen gekommen waren, sondern mit eigenen Ideen. Im Aktionscamp gab es Koordinations- und Planungstreffen, an den Computern wurden Freikarten gefälscht oder Aufkleber produziert. Das alles ist sicherlich noch um vieles steigerungsfähig, aber es war das Ende politischer Phantasielosigkeit. Und sichtbar wurde auch: Die Polizei war ziemlich hilflos. Sie hätte die Blockaden gar nicht oder nur mit härtester Gewalt verhindern können. Nun aber wird die Expo nicht in erster Linie am Widerstand scheitern, sondern an sich selbst. Immerhin das aber dürfte sicher sein. Für einen kreativen Widerstand von unten entstehen neue Perspektiven.

Ausblicke

Der gegen die Expo gerichtete und dort entstandene Widerstand ist nicht am Ende, sondern steht am Anfang. Die Aktionsform des kreativen, direkten und von unten organisierten Widerstandes ist richtig. In den nächsten Monaten bieten sich viele Möglichkeiten, ihn weiterzuentwickeln und die Punkte zu finden, wo er die Wirkung zeigt, die er haben kann:

  • Weiterer Widerstand gegen die Expo: Die Weltausstellungen ist zwar am Ende, aber nicht zu Ende. Sie wirbt weiter für ein Deutschland als zentrale Führungsmacht der Welt, für Vertreibung und innere Sicherheit, für Technik als Lösung von Hunger und Umweltzerstörung, für Atom- und Gentechnik, für eine Bevölkerungskontrolle usw. Verschiedene Gruppen bereiten Aktionstage vor, z.B. zum Tag der Weltenwanderung am 19. Juli oder die Chaostage vom 6.-8. August. Die Werbeschau für den Turbokapitalismus kann von allen Menschen und mit allen Aktionsformen angegriffen werden: Streiks, Blockaden, Öffentlichkeitsarbeit usw. Der Expo-Knast wird anschließend zum Abschiebeknast, die Arbeitsverhältnisse auf der Expo sind unabgesichert, weitere Entlassungen sind angekündigt. Gewerkschaften, Kirchen, NGOs, Parteien usw. werden erklären müssen, warum sie bei dieser Weltausstellung mitgemacht haben. Ansätze gibt es genug, einen heißen Anti-Expo-Sommer zu organisieren. Die aktuellen Termine finden sich weiterhin unter www.expo-no.de.
  • Widerstand überall: Direkte Aktionen von unten, das Überwindungen von Ein-Punkt-Bezügen und den vielen Grenzen in der politischen Bewegung, Kreativität und Visionen sowie radikale Positionen – all das ist überall wichtig. In Städten, Dörfern und Regionen können solche Aktionskonzepte verwirklicht werden, sei es gegen Parlamente, Institutionen, Parteitage, Aufmärsche, Großbaustellen, Abschiebeflughäfen, Firmen oder andere Orte von Herrschaft und Profitmaximierung.
  • Tag der Deutschen Einheit: Dieses Jahr wird Groß-Deutschland 10 Jahre alt. Einigen Ewig-Gestrigen ist das Deutschland zwar noch zu klein, aber an zwei Orten soll groß gefeiert werden: Offiziell in Dresden, der Hauptstadt des Bundesratspräsidenten Biedenkopf, und zudem auf der Expo 2000, denn am 3.10. ist dort auch der Deutschland-Tag. In beiden Fällen kann das, was schon in der Aktionswoche als Strategie des Blockierens, Störens und Sabotierens geplant und nur teilweise umgesetzt wurde, wieder eine Chance haben.
  • Der weltweite Höhepunkt direkter Aktion und antikapitalistischen Widerstandes wird Ende September in Prag stattfinden. Dort steht das Treffen des Internationalen Währungsfonds an. Am 26.9. soll aus diesem Anlaß der nächste globale Aktionstag steigen. Für Aktionsgruppen aus Mitteleuropa ergibt sich die Chance, direkt dort mitzukämpfen mit den Widerstandsgruppen aus Prag und Umgebung, aus osteuropäischen und vielen anderen Ländern. Prag ist für viele Städte Deutschlands dichter als Hannover. Der Widerstand wird international sein.

Euphorie ist fehl am Platze. Doch die Unkenrufe aus verschiedenen Richtungen, die wieder mal alles Zerreden wollten und selbst dann oft in der konkreten Praxis gefehlt haben, haben sich nicht bewahrheitet. Die politische Bewegung ist Deutschland war und ist nicht in bester Verfassung. Nirgendwo gibt es soviele AnhängerInnen des Lobbyismus, gehört es fast immer zur typischen politischen Karriere, mit 25 oder spätestens 30 Jahren die Seite zu wechseln und bei den Herrschenden mitzumachen bzw. diese beraten zu wollen. Filz, finanzielle Abhängigkeiten – all das ist in Deutschland stark ausgeprägt. Die Teilnahme vieler Gruppen und Verbände an der Expo (und nicht am Widerstand) bezeugt das eindrucksvoll. Zudem dominieren oft die verkrusteten Strukturen altlinker Zusammenhänge (Gruppen, Einrichtungen, Organisationen, Medien, Verlage) und krasse Ein-Punkt-Bezüge ohne jeglichen Blick über den eigenen Tellerrand. Aus solchen Runden gab es Desinteresse bis zu Distanzierungen und Boykottaufrufen gegen den Expo-Widerstand. Unter diesen Umständen ist festzustellen: Es war kein Durchbruch, das Hauptziel konnte nicht erreicht werden, aber es ist ein Schritt gemacht worden. Der war sogar groß und besonders wichtig – denn es war der erste, der herausführte aus der Resignation und der selbstverschuldeten Phantasielosigkeit politischer Bewegung der letzten zehn oder sogar mehr Jahre. Insofern wird sich der Sinn des 1.6. erst in den nächsten Auseinandersetzungen zeigen. Zu einer handlungsfähigen, widerständigen Bewegung führen jetzt viele weitere Schritte. Der große Durchbruch ist nicht geschehen, aber ein Anfang kann es gewesen sein. "Turn Prague to Seattle" ist auf T-Shirts zu lesen ... Visionen können das Konkrete voranbringen!

 


siehe auch:

 

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