Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

NEW WORK in Köln-Mülheim


Aus Kölner Volksblatt 5/96

Wenn die Arbeitsgesellschaft beginnt, sich durch die zunehmende Automatisierung selbst überflüssig zu machen, dann gilt es auf das damit einhergehende Anwachsen von Arbeitslosigkeit eine konstruktive Antwort zu finden. Ein Versuch von Krisenbewältigung wurde auf einer Veranstaltung der VHS-Mülheim am 21.3. vorgestellt. Es handelt sich um die Projekte von NEW WORK, die schon seit über 10 Jahren in den USA bestehen und von dem Philosophieprofessor Fritjof Bergmann (Uni Michigan) initiiert wurden. Michael Wiedemeyer (Uni Köln) zeigte zunächst die Entwicklung des Arbeitssektors anhand einiger Statistiken auf. So sank das Jahres-Arbeitsvolumen Westdeutschlands von 54 Milliarden Stunden im Jahre 1966 auf 45 Mrd. Stunden im Jahre 1995. Die individuelle Arbeitszeit reduzierte sich von 2000 Stunden auf 1500 Stunden jährlich, was einem Rückgang um 25% entspricht. Unter Bedingungen von 1966 hätten wir, so die fiktive Rechnung, 4 Millionen Arbeitslose mehr oder eine offizielle Arbeitslosigkeit von ca. 20%. Noch ein wichtiges Phänomen zeigte die Graphik. Sank bei einer Konjunkturbelebung 1975 noch die Arbeitslosenrate deutlich, stieg diese 1995 sogar trotz Wachstum. M. Wiedemeyer sah diese Entwicklungen als Belege dafür, daß es sich um ein Strukturproblem handelt, für das dann auch keine einzelnen Betriebe wie Bayer "schuldig" zu machen sind. Die Zeiten der Vollbeschäftigung sind demnach passe . Der Trend eines kontinuierlichen Sinkens von Erwerbsarbeit ist nicht umzukehren. Der Konzeption von NEW WORK, die Günter Thoma von der INIATIVE MÜHLHAUSEN (Thüringen) vorstellte, geht es nun darum, diesen Krisenverlauf zu kanalisieren statt den Auswirkungen blind ausgeliefert zu sein. NEW WORK tritt einerseits dafür ein, die Arbeitszeiten drastisch zu reduzieren, wobei ein Lohnverzicht unumgänglich scheint. In Flint (USA) wurde beispielweise versucht, ein Fifty/Fifty-Modell umzusetzen, was bedeutete, daß nach einem halben Jahr "Maloche" ein halbes Jahr "Freizeit" folgt. Dank des gewonnenen Zeitpotential bestehen dann individuelle Gestaltungsmöglichkeiten für ein NEUES SCHAFFEN. Einmal die Chance, endlich das zu tun, was der oder die Einzelne wirklich will. Oder zu lernen und sich endlich die Fähigkeiten aneignen, die wirklich interessieren. Eine "Berufung" in sich zu entdecken. Und warum nicht versuchen, sich damit in eine Lokale Ökonomie einzubringen, also in gewisser Weise auch wieder Geld zu verdienen, wenn auch nicht zu Profitzwecken. Oder HighTechSelfProviding, Selbstversorgung auf hohem technischen Niveau mit anderen zu organisieren. Mit einem solchem Knowhow und angepaßter Technologie ausgerüstet konnten Obdachlose in Detroit und New York sich eigene Häuser bauen. Durch das Anlegen von Dachgärten mitten in der Großstadt konnten Menschen sich ein Stück weit unabhängig machen vom Erwerbszwang. 1992 begann eine solche Iniative in Mühlhausen. Die gewachsenen zarten Pflänzchen wurden vorgestellt. Ein Kleinunternehmen, daß ein Arbeitszeitverkürzungsmodell praktiziert. Ein Unterrichtsleitfaden für Jugendliche wurde erstellt und umgesetzt. Die gewonne Überzeugung, selbst das Problem anzupacken, mündete für eine Gruppe in ein Projekt von Haussanierung, wo sie sich mit Hilfe von Unterstützungsgeldern günstigen Wohnraum "erarbeitet". Ein Non-Profit-Unternehmen ist geplant, wo einmal umweltverträgliche Hochleistungsbatterien hergestellt werden. In der Diskussion zeigte sich Einvernehmlichkeit mit der gesellschaftlichen Analyse und eine große Sympathie für den Versuch, ein tragfähiges Konzept von Krisenbewältigung entwickeln. Aber es wurden auch Unbehaglichkeiten deutlich. Ist nicht ein großer Anteil Illusion dabei, weil die Marktwirtschaftszwänge unterbewertet bleiben? Lassen sich Erfolge in den USA nach Deutschland "exportieren"? Was bedeutet es, daß hier der Staat eine regulierendere Rolle bei der Arbeitslosigkeitsverwaltung zeigt als dort? Und ist die Reduzierung des Jobsystems eine tragende Perspektive? Gilt es nicht die Arbeit überhaupt in unseren Köpfen abzuschaffen, die Anbetung dieses Fetischs, der die darin Befangenen glauben läßt, nur so existieren und leben zu können? Warum diese Außenseiterposition des HighTechSelfProviding? Wäre dies nicht der Hauptstrang für eine längerfristige Perspektive namens weltweit vernetzter Selbstversorgungswirtschaft mit speziell entwickelter neuer Technologie? Vielleicht könnte dann die Menschheit endlich ihr Schaffen konstruktiv steuern statt von der "unsichtbaren Hand" (A. Smith) des Marktsystems in den "Kollaps" gelenkt zu werden?

Die siebzehn Anwesenden kamen überein, mit Prof. Bergmann selbst, dem Original sozusagen, das Konzept zu diskutieren. Und vor allen Dingen an seinen langjährigen Erfahrungen in Flint, Detroit und anderen Städten teilzuhaben. Dazu wird Ende Mai Gelegenheit sein. Ist die Zeit reif für ein Projekt NEW WORK in Mülheim? Schaun wir mal.

Heinz Weinhausen, Koeln

 

 

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