Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

Neue Arbeit, nachhaltige Stadtentwicklung, und die Aufgaben des INA

Rede zur Eröffnung des INA am 30.10.98

von Rainer Kippe

Köln-Mülheim ist einer der alten Industriestandorte im Rechtsrheinischen, die keine Zukunft mehr zu haben scheinen. Ehemalige Weltkonzerne sind weggebrochen oder auf einen Kernbereich zusammengeschrumpft. Ich nenne für meinen Stadtteil nur Felten&Guilleaume und Klöckner-Humboldt-Deutz. Tausende Arbeitsplätze gingen dabei ersatzlos verloren. Allein 3000 jugendliche Arbeitslose gibt es im Rechtsrheini-schen. Sie haben keine Zukunftsperspektive. Ein ganzer Stadtteil droht zu versinken. Die Stadtsanierung, mit der Kommune und Land dem Abwärtstrend entgegensteu-ern, hat zwar den baulichen Verfall des Viertels gestoppt und neue städtebauliche Akzente gesetzt, wie den Wiener Platz mit futuristischer U-Bahn-Station, neuem Be-zirksrathaus (geleast) und einer postmodernen Einkaufsgalerie, sie hat aber kaum einen Arbeitsplatz geschaffen. Im Gegenteil, eine ganze Reihe kleiner und mittlerer Betriebe hat die Umstrukturierung nicht überlebt. Diese Form der Stadtsanierung und Stadtentwicklung, die sich lediglich auf Stadtge-staltung, Infrastruktur und Wohnraum beschränkte, die sich damit begnügte, den al-ten Industrien zu überhöhten Preisen, weil aus Landesmitteln finanziert, verunreinigte Gelände abzukaufen, und für neue Industrien unbelasteten Boden bereitzustellen, hat sich als unzureichend erwiesen. In ihrer Not ist die Stadt dazu übergegangen, neue Stadtteile zu schaffen, ich nenne für Köln das sogenannte Euroforum, wo sich O.tel.o. ansiedelt, gefolgt von Hotels, die den Blick auf den Dom vermarkten wollen, sowie Vergnügungsstätten wie Großkino und Freizeitpark. Des weiteren das neue Medienviertel »Coloneum« in Bocklemünd, wo die Produktion von soap-operas einen Ausgleich schaffen soll für die Verluste im Maschinen- und Anlagenbau. Diese Projekte, so dringlich ihre Realisierung für die aktuelle Finanznot der Kommu-ne auch sein mag, leiden an zwei grundsätzlichen Mängeln: · sie sind, schon von ihrer Zielsetzung her, nur auf Umsatz und raschen Gewinn angelegt. Die hochqualifizierten Arbeitskräfte kommen von außerhalb, Hotels und Vergnügungsstätten sollen weitere Kaufkraft aus dem Umland anziehen. Deshalb ist das entscheidende Kriterium für solche Gebiete auch der Autobahnanschluß. Die Umweltbilanz eines solchen Gebietes, die eigentlich zukunftsweisend sein sollte, wird unter diesen Bedingungen gar nicht erst aufgestellt, das Ziel der nachhaltigen Stadtentwicklung, zu dem sich die Stadt gerade durch Ratsbeschluß bekannt hat, gar nicht erst erwähnt. · für die Arbeitslosen z.B. in Mülheim, auf dessen Stadtteilgebiet das Euroforum liegt, wird, wie der Wirtschaftsdezernent der Stadt, Herr Fruhner, das in schöner Offenheit aussprach, damit kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Was gestärkt wird, ist die Stellung der Stadt im internationalen Wettbewerb um Zukunftsbran-chen, womit die finanzielle Lage der Kommune gebessert werden soll. Zurück bleiben die Menschen und die Umwelt. Gegen diese Entwicklung haben sich in Mülheim 30 Vereine und Initiativen mit Mitar-beitern von städttischen Diensten in der »Mülheimer Erklärung« zusammengeschlos-sen. Sie protestieren darin nicht einfach nur gegen sozialen Abbau und Umweltzer-störung, sie fordern darin nicht mehr Geld von Staat und Kommune, sondern machen Vorschläge, wie dem Stadtteil und seinen Bewohnern geholfen werden kann. Als erstes fordern sie, den Bewohnern selbst Kompetenz für die Entwicklung ihres Stadtteils zuzusprechen. In der jungen Wissenschaft der Gemeinwesenarbeit nennt man das »empowerment«. Als zweites fordern sie die Entwicklung dauerhafter Per-spektiven für die Menschen, und nicht nur die Verwaltung von Arbeitslosigkeit in zeit-lich befristeten ABM-Stellen und »Hilfe-zur-Arbeit«, kurz HzA -Projekten. Sie sagen: »die Einjahrperspektive ist zu wenig«. Als drittes konkretisieren sie ihre Vorschläge auf eine städtische Brache mitten in Mülheim, den ehemaligen Güterbahnhof, ein Gelände von 15 ha, das seit Jahren ungenutzt daliegt. Hier nun haben sie Grundzüge ausgearbeitet und erste Beispiele dafür genannt, wie die Zukunft der Menschen im Viertel, das heißt eine dauerhafte Existenzperspektive, entwickelt werden kann, durch das, was heute »Nachhaltige Stadtentwicklung« ge-nannt wird, und was seinen Niederschlag und seine offizielle nationale und interna-tionale Anerkennung gefunden hat in den Beschlüssen der Agenda 21 und der Ha-bitat-Konferenzen, und durch ihr Konzept der Neuen Arbeit. Für diese Planung ha-ben sie bereits einen ersten städtebaulichen Entwurf vorgelegt, der inzwischen Ge-genstand der Beratung in städtischen Gremien ist. Mit diesem Entwurf vollziehen wir Mülheimer auch städtebaulich und städteplanerisch eine Abkehr von der Ideologie des ungehemmten Wachstums und ständig wachsenden Konsums, der immer weite-ren Zersiedelung der Landschaft und der immer weiteren Steigerung des Individual-verkehrs. Wir verabschieden uns aber auch, wenigstens teilweise, vom Voller-werbsarbeitsplatz bisherigen Zuschnitts, von der starren Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten, zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Privatem und Öffentlichem. Auf diesem Gelände sollen sich Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger selber Wohn-raum schaffen. Dabei sollen sie nur die ganz gewöhnlichen Wohnungsbaumittel in Anspruch nehmen und das erforderliche Eigenkapital als sogenannte »Muskelhypo-thek« einbringen dürfen. Sie sollen aber auch - und dieses Modell praktizieren wir in diesem Jahr erstmals mit ehemals Obdachlosen auf dem Gelände der Kaserne Kler-ken in Köln-Ossendorf - ihre eigenen Arbeitsplätze errichten. Werkstätten wie Schreinereien, eine Solarschule, einen Baurecyclinghof, ein Gebraucht- und ein Ökokaufhaus, ein Hospiz für Pflegebedürftige. Für die genannten Projekte gibt es bereits Interessenten. Daneben soll das Gelände aber auch allen Investoren und Gewerbetreibenden offenstehen, die deutlich machen können, daß bei ihnen die Be-schäftigung an erster Stelle steht und nicht der Profit. Das neue Viertel will aber nicht nur Wohnen und Arbeiten wieder zusammenführen, es bietet auch eine Umgebung mit Gärten, Freiflächen, Spiel- und Sportplatz, die es den Bewohnern reizvoll erscheinen läßt, auch den Teil ihrer Zeit Zuhause zu verbrin-gen, den wir zwar immer noch als Freizeit bezeichnen, der sich aber immer mehr zu einer zweiten Arbeitszeit mit anstrengenden, gefährlichen und umweltvernichtenden Tätigkeiten herausgebildet hat, wie Autofahren, Flugreisen, Riskosportarten usw.. Das Leben der Bewohner wird sich nur noch zu einem Teil mit dem beschäftigen, was wir uns als Erwerbsarbeit zu bezeichnen angewöhnt haben, zu einem etwa glei-chen Teil aber mit Selbstversorgung auf einem hohen technischen Niveau - das Sel-berbauen habe ich als Beispiel bereits genannt - und zu einem weiteren Teil mit Tä-tigkeiten, welche die in uns allen schlummernde Kreativität wieder freisetzen, die bei den meisten Menschen derzeit noch in stumpfen Erwerbsarbeiten versandet. Dieses Modell ermöglicht es, mit weniger Geld besser zu leben, es beansprucht nicht nur erheblich weniger von den immer knapper werdenden natürlichen Ressourcen, es erheischt für den einzelnen auch einen kleineren Teil an den wirklich existenzsi-chernden Arbeitsplätzen, um die schon jetzt immer mehr Menschen weltweit konkur-rieren. Dieses Konzept mit seiner Dreiteilung, welches wir als »Neue Arbeit« bezeichnen, lehnt sich an Frithjof Bergmanns Konzept des »New-Work« an, ist vielleicht sogar damit identisch. Allerdings haben wir in Köln-Mülheim mit dieser Art zu leben und zu arbeiten schon seit 20 Jahren Erfahrung, länger also, als es den Begriff des »New-Work« überhaupt gibt. Denn Mülheim ist nicht nur ein Ort des Niedergangs, es ist auch ein Ort des Auf-stiegs von neuen, wegweisenden Projekten, ein Ort des bürgerschaftlichen Engage-ments, der solidarischen Aktionen, und der klugen Vernetzung der Fähigkeiten, die sich unter schwierigen Bedingungen an benachteiligten Standorten entwickeln. Es ist deshalb auch nicht die blanke Utopie, die ich hier biete; es ist zwar so, daß wir noch nie eine Planung von nachhaltiger Stadtentwicklung und Neuer Arbeit in diesem Umfang umgesetzt haben - wer hätte das schon -, daß aber einzelne Teile einer sol-chen Planung in Projekten in und um Mülheim schon von unserem Kreis realisiert worden ist. Das Projekt Bauen, Wohnen, Arbeiten, in dem sich Obdachlose selbst Wohnung und Arbeitsplätze bauen, ist zwar noch nicht realisiert, die Finanzierung ist aber gesichert, das Grundstück steht zur Verfügung und vor zwei Monaten haben die künftigen Be-wohner mit den ersten Arbeiten auf ihrem Grundstück begonnen. Andere Projekte sind schon weiter fortgeschritten, wie der Kulturbunker Mülheim, wo in unmittelbarer Nachbarschaft zur Industriebrache ein selbstverwaltetes Kulturzen-trum entsteht. Auf der anderen Seite der Industriebrache, vorbei am E-Werk, haben sich Bewohner des Sanierungsgebietes mit unserer Hilfe im Verein Wohnen gegen den Strom zu-sammengeschlossen und sich in Eigenleistung in einem ehemaligen Ab-bruchhaus selber hochwertigen, und doch preiswerten Wohnraum geschaffen, in Erbpacht für 70 Jahre. Und wieder ein paar hundert Meter weiter, im Neubausiedlungsgebiet Böcking-Gelände, haben sich die Bewohner in Ermangelung eines Bürgerzentrums in ge-spendeten Baucontainern eine provisorische Begegnungsstätte geschaffen, den BöckingTreff, in dem sich nun schon im dritten Jahr die Jugendlichen einfinden, ge-nauso wie alleinerziehende Mütter, und wo nicht nur Freizeitaktivitäten stattfinden, sondern wo man sich auch überlegt, wie man an Lehrstellen und Studienplätze kommt, und das alles ohne städtischen Etat und feste Stellen, nur mit Selbsthilfe, verstärkt durch ehrenamtliche Tätigkeit und ein paar Spenden. Ich selbst lebe seit 20 Jahren in der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim, kurz SSM. Hervorgegangen aus der Sozialistischen Selbsthilfe Köln, einem Verein, der sich in den 70er Jahren mit der Hilfe für obdachlose Jugendliche und Psychiatrieopfer be-faßte, haben wir uns schon frühzeitig auf eigene Beine gestellt, nachdem die Behör-den uns 1974 die Förderung gestrichen hatten. Statt weiter nach Bewilligungen und Bezuschussungen anzustehen, nahmen wir uns einen alten Lastwagen, besetzten leerstehende Gebäude instand und leben seit dieser Zeit von Umzügen, Wohnungs-auflösungen, Entrümpelungen, Gebrauchtkleider- und Gebrauchtmöbelhandel. Wir integrieren Obdachlose und Behinderte, beraten Bedürftige und bauten im Laufe der Jahre gemeinsam mit unseren Freunden und Unterstützern unter anderem die Pro-jekte auf, die ich gerade aufgezählt habe. Neue Arbeit und nachhaltige Stadtent-wicklung: wir schlagen im Großen nichts anderes vor, als was wir im Kleinen bisher schon praktiziert haben. Es genügt aber nicht, Neues zu schaffen, man muß es auch bekannt machen, damit es Unterstützung findet und sich vielfältig ausbreiten kann. Das, was wir vor 25 Jahren noch zu Zeiten von Beinahe-Vollbeschäftigung erstmals mit obdachlosen Jugendlichen erprobt haben, was wir als Überlebenshilfe für die Flüchtlinge aus den Psychiatrieknästen weiterentwickelt haben, was uns im Enga-gement gegen die Stadtvernichtung in der Ära der Abrißsanierung als materielle Ba-sis und gesellschaftlicher Gegenentwurf gedient hat, wird nun zu einem Beitrag für die Lösung des Hauptproblems unserer Zeit: des Überlebens der Menschheit in einer Zeit, wo nach Auskunft von Experten 80% weltweit nicht mehr benötigt werden, um das Funktionieren der Wirtschaft zu ermöglichen. Das heißt 80% der Weltbevölke-rung werden überflüssig - aus ökonomischer Sicht wenigstens. Und entsprechend werden sie ja auch behandelt: Die »Wirtschaftsflüchtlinge« und Hungerleider aller Länder, die in Nußschalen an unsere Strände treiben und in Containern zwischen Frachtgut unsere Grenzen zu überwinden trachten. Die Kinder der Einwanderer in den Vororten der europäischen Großstädte, die ab und an durch brennende Auto-reifen auf ihr Schicksal aufmerksam machen, oder, erheblich unspektakulärer aber nicht weniger brisant, die Absolventen deutscher Hauptschulen, die vergeblich um einen Ausbildungsplatz anstehen. Die herrschende Ökonomie von rechts bis links, von Neoliberalismus bis Neokeynesianismus, also auf deutsch gesagt von Wester-welle bis Lafontaine, hat vor den Gegebenheiten längst kapituliert. So fordern die einen merkwürdigerweise immer größere Opfer von uns, damit in ferner Zukunft glänzende wirtschaftliche Zeiten entstehen mögen. Die anderen wissen auch nur das Wirtschaftswachstum zu beschwören, welches durch staatliche Maßnahmen ange-kurbelt werden soll. Vollbeschäftigung gilt ihnen zwar noch als langfristig erreichba-res Ziel, in der Realpolitik wird aber längst nur noch klammheimlich Schadensbe-grenzung betrieben. Der Grund liegt darin, daß in Zeiten von Computertechnik die Menge der bezahlten Arbeitsstunden nicht mehr wird, man kann sie nur geschickter verteilen, wie das niederländische Beispiel zeigt. Aber auch die staatlichen Hilfsprogramme, das Credo der Keynesianer, also die ABM-, HzA-, und sonstigen Beschäftigungsprogramme, sind ihrer Natur nach finan-ziell und zeitlich nur begrenzt durchführbar, müssen sie doch aus den schwindenden Steuern finanziert werden, die die ständig schrumpfende Menge der Erwerbsarbeit noch abwirft. Dies mußte übrigens schon die Regierung Schmidt Ende der 70er Jah-re schmerzhaft erfahren. Die Währungs- und Wirtschaftseinbrüche in Südostasien, Lateinamerika und Ruß-land und die weltweiten Börsencrahs sagen harte Zeiten voraus. Inzwischen rechnet nicht nur mehr Robert Kurz von der Nürnberger KRISIS-Redaktion mit dem Zusam-menbruch der Weltwirtschaft, viele Ökonomen sind inzwischen zu Skeptikern gewor-den. Und man braucht auch nicht die Marxsche Wertanalyse zu kennen, um von dem unheimlichen Gefühl beschlichen zu werden, daß in der ganzen Ökonomie »der Wurm drin ist«. Um so wichtiger ist es, daß wir mit unserer Aufmerksamkeit nicht bei den Modellen der Ökonomen stehenbleiben, sondern uns wieder unserem eigentlichen Gegen-stand zuwenden: dem Menschen und seiner Fähigkeit, zu arbeiten, zu wirken und zu produzieren, mit anderen gemeinsam die Voraussetzungen für seine Existenz zu schaffen und seine Welt zu gestalten. Unseren Anspruch auf eine menschenwürdige Zukunft für uns und für alle Menschen auf dieser Welt müssen wir sichtbar und praktisch vertreten. Dafür sind die Sozialisti-sche Selbsthilfe Mülheim, der Böcking-Treff, die Initiative-Bauen-Wohnen-Arbeiten in der Kaserne Klerken, der Kulturbunker, die Wohnhäuser in der Holweider Straße nur Beispiele. Sie mit anderen Beispielen zu verbinden, sie zu erforschen und neue Vor-schläge zu erproben, das ist die Aufgabe, die wir mit unserem Institut verfolgen.

 

 

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