Philosophisches Leben online
- ein Tagebuch - Teil 7


08.11.1999

Zwei Tage lang waren wir jetzt beschäftigt, die Möbel für Tanjas Zimmer zu kaufen, mit Wachs zu streichen und aufzustellen. Die Papierstapel auf meinem Schreibtisch häuften sich inzwischen und die Mails erst recht. Jetzt, nach zwei Stunden "Formalien" (regelmäßig montägliche Counterabfrage, FTP der zwischenzeitlich veränderten HTM-Dateien..., Schnell-Beantwortung von ca. 20 Mails) komme ich endlich zu dem, wofür der heutige Tag verplant ist: Ich muß es schaffen, heute zwei Bücher über "Innovationsmanagement" zu lesen, auszuwerten, in meine Unterlagen einzuarbeiten. Es gibt interessante Bezüge zu meinem Thema der Evolutionsprinzipien, etwa bei der Frage, wie in der Evolution Neues entsteht und sich durchsetzt. Aber dies genauer zu durchdenken werde ich gar keine Zeit haben. Zwei Texte von Prof. Kreschnak aus Radebeul schaue ich mir aber zwischendurch an, denn sie passen inhaltlich zur Thematik. Es geht um Entscheidungsfindung in komplexen Systemen und dynamischem Umfeld aus mathematischer Sicht mit politischen Anwendungen... Prof. Kreschnak ist einer der - an zwei Händen abzählbaren - DDR-Wissenschaftler, die in den letzten 10 Jahren trotz Abwicklung und Verrentung wissenschaftlich weiter gearbeitet haben und interessante Ergebnisse aus dem ableiten, was sie z.T. schon in der DDR begonnen, aber für die Schublade erarbeitet hatten.

Ich versuche jetzt konsequenter, jeweils einzelne Themen abzuarbeiten und zwischendurch Zeitschriften, Manuskripte und Internet-Texte, die gerade nicht dazu passen, auch mal liegenzulassen. Vielleicht ergibt sich daraus auch eine Selektion: daß etwas "unter den Tisch" (da steht tatsächlich mein Abfallkasten) fällt, was eben längere Zeit nicht in meine Themen paßt.

Gesundheitlich geht es uns allen wieder gut. Wir haben eine Freundin von Tanja für zwei Tage hier, weil ihre Eltern nicht da sind. Das bringt aber sogar eher eine Ent- als eine Belastung, da die Kinder sich dadurch selbst beschäftigen und nicht zwischendurch vor Langerweile mal ankommen...

Vorige Woche hab ich mich übrigens selbst weit übertroffen und bin nach 10 Jahren Jogging-Pause gleich wieder 5 km auf einmal getrabt!!! Das will für mich was heißen, denn als Kind und Jugendliche war das Ausdauerlaufen für mich der allergrößte Horror. Ausgerechnet im ZV-(Zivilverteidigungs-)-Lager im zweiten Studienjahr hatten wir endlich einen Sportlehrer, der uns auf die Bedeutung des Atmens beim Laufen hinwies. IMMER (mindestens) EINEN SCHRITT LÄNGER AUS- ALS EINATMEN !!! - ist die Lösung. Erst muß mal alle Luft aus der Lunge richtig rausgepreßt werden, ehe automatisch neue reinfließt. Im Gegensatz dazu hatte ich vorher verzweifelt nach Luft gehechelt, dabei aber nur die Luft im Hals ausgewechselt, während es sich im Körper staute. Kein Wunder, daß man so nicht laufen kann. Aber in 15 Schul-, Berufsschul- und Studiensportjahren mit ca. 30 quälenden Zwangsleistungskontrollläufen konnte uns das kein Sportlehrer beibringen!!!

09.11.1999

Ein Tagesablauf:

  • ausschlafen (war gestern abend zu Yoga und beim Tauschring, dann noch Nacht-Gespräch mit Hermann, bei dems im Moment "rund" geht...), Kaffee plus Zeitung (Junge Welt)
  • ab 9.00: lese über Wissenschaftskritik in KRISIS (gibt Zusammenhang mit Gesetzesauffassung!)
  • dazwischen: ungefähr eine halbe Stunde Telefonat mit Roland vom Verein Rußlandhilfe e.V. und dazwischen: 10 min: Abbildungen für Hermann einscannen,
    dann: Kaffeepause mit Zeitung (ND und taz), dabei noch zwei Anrufe
  • Trotz dieser Unterbrechungen schwelge ich mal wieder in gedanklicher Tiefe und geistiger Beweglichkeit; mir fallen Querverbindungen ein (von wegen Kreativität: Neukombination von Gegebenem - gestern in Lektüre zu Innovationsmanagement - demnach wäre ich superkreativ... ;-) )
    Das hat mir viele Tage lang schon gefehlt...
  • Mache mir was zu Essen und lese dabei: J. Heller: "Rembrandt war 47 und sah dem Ruin ins Gesicht" über Sokrates... Aristoteles, Rembrandt, griechische und holländische Geschichte ...
  • Klavier: muß mir "Elise" wieder richtig erarbeiten. Ich hatte es einige Monate nicht mehr gespielt und habe jetzt Probleme, weil einiges noch "automatisch aus den Fingern" kommt, und ich beim Stocken dann aber auch die aktuellen Noten nicht sehe und umsetzen kann...
  • 14 Uhr: jetzt komme ich erst zu dem, was ich mir für heute eigentlich als Hauptarbeit vorgenommen habe: Dateien zum Selbst-Organisations-Management lesen und vervollständigen und inhaltlich "rund" machen.
  • Ich mache wieder "Blockschaltbild" mit allen vorbereiteten Texten zu dieser Thematik, leite Kurzfassungen ab für Webseite eines Kunden. Beim Durchlesen der Texte nacheinander fallen mir weitere Überleitungen, Verknüpfungen etc. ein.
  • Zwischendurch: Layoutveränderung aller anderen Web-Seiten (nach und nach, täglich einige) mit neuer Tabellenstruktur und jeweils thematischem Hintergrundbild; sehe dabei "Deep Space Nine": die schöne Folge mit der Zeitreise zu Kirks Enterprise mit den Tribbles.
  • Schaffe heute Gesamtübersicht sowie Texte zu Innovations-Management und Wissens-Management .
  • Gegen 21 Uhr: bin ausgepowert, mag auch keine Web-Seiten mehr machen oder layouten (einen Vorrat zu tun habe ich dazu immer). Schaue deshalb den zweiten Teil vom "Laden", den ich mal auf Video mitgeschnitten habe. Dieser Teil gefällt mir nicht so gut wie der erste.
  • Eine Runde Yoga, dann ins Bett... (nach so einem Tag wie heute schlafe ich richtig durch, sonst eher nicht.)

Das war heute mal ein richtig schöner Arbeitstag mit nur minimalen Ablenkungen...

In einem Telefonat zwischendurch ging es um die Vorbereitung von inhaltlich tiefergreifenden Diskussionsrunden. Wir planen ja - ausgehend von der Zukunftswerkstatt, aber nicht mit ihr identisch, sondern weitere Wellen schlagend - eine Art Studienkreis für verschiedene Themen. Mir wird dabei bewußt, daß ich damit endlich zwei im Moment getrennte Sphären vereinen will: Ich stehe im Moment zwischen den persönlichen Freundschaften mit Gleichgesinnten hier in Jena und den sich neu entwickelnden, inhaltlich sehr produktiven E-Mail-Austauschen, b esonders mit den beiden Stefans und Angelika. Für mich hatte sich das inhaltlich weit auseinanderentwickelt. Ich denke aber, daß es zusammengehört. Die Freunde interessieren sich genauso für weitreichende neue Konzepte und die "großen Theorien" sollten immer deren Frage- und Problemstellungen als Hintergrund haben.

10.11.99

Noch ein Tag, damit das Bild vollständiger wird.
Es trascht und trascht und trascht... Gut, daß ich nicht raus muß.

  • 9 Uhr: beginne heute mit Texten zur Dialektik. Einem, den mir jemand per Mail schickte, dann eine Mail von Angelika zum großen Problem "Negation der Negation" als Reaktion auf meine längere Mail an die Krisis-Mailinglist. Sie versteht aber immer noch nicht, worum es mir geht. Außerdem muß sie immer wieder ihre diversen Streitgespräche mit reinbringen.
  • Schreibe 2 Mails ( aus einem Vorrat von noch 23 zu Beantwortenden), breche dann ab
  • Ab 10.30 Uhr: weiter mit "Selbst-Organisations-Management"
    In einer Mail ging es u.a. gerade um die aktuelle Produktivkraftentwicklung. Es zeigt sich, daß meine Beschäftigung mit den modernen Produktions- und Managementformen doch sehr wichtig ist, hier zu durchschauen, was gerade los ist und welche Gefahren und Möglichkeiten darin verborgen sind.
  • Dazwischen kurzer Anruf von Helga von der Johann Beckmann-Gesellschaft wegen Zeitschrift, für die ich - falls die Zuarbeiten je fertig werden - das Layout machen will.
    - Text "Menschen im Mittelpunkt" (im Sinne eines DDR-Spruchs:
    "Der Mensch steht im Mittelpunkt, damit man ihn von allen Seiten ausbeuten kann.")
  • Tanja kommt gutgelaunt von der Mathe-Olympiade; machen zum Mittagessen Pudding,
  • Klavier, "Elise" plus Bach-Menuett. Es geht ja doch...
  • Weiter Management... Ich werde wohl diese Woche endlich damit fertig werden. Es ist ein "unendliches Thema", aber ich muß zu einem relativen Ende finden... Mehr nur gegen Kundenauftrag ;-) .
  • Tippe noch 10 Mails
  • Dazwischen: Telefonat mit Helga über das Beckmann-Journal.
  • Hermann hat noch IKEA-Möbel für Tanjas neues Zimmer geholt
  • 22 Uhr: schicke Mails auf die Reise, versuche noch FTP einiger geänderter Dateien und recherchiere (auf dem Plan stehen ca. 20 abzuarbeitende URLs).
    FTP geht heut nicht. 37 Mails kommen an.
    Bei den EXPO-Presseinfos (fragt mich nicht, woher ich die entsprechenden Paßwörter habe, ohne die man an diese Infos nicht mal rankommt!!!) wird tatsächlich in keinster Weise verraten, daß das Thema der Expo was mit "Natur" zu tun haben soll. Absolutes Business as usual!!!
  • Ich schätze, das Auswerten der jetzt abgespeicherten Dateien wird ca. 2 bis 3 Stunden dauern. Aber heute nicht mehr. Nach über einer Stunde im Netz wird Schluß gemacht.
  • Mache noch etwas Yoga, dann ins Bett...

21.11.99

Ist das lustig: am letzten Wochenende waren Carmen und ich zu einer Tagung über die Sokratische Gesprächsführung und ich habe sie zwei Tage lang ausgewertet, wobei auch eine Webseite dazu entstanden ist. Es waren dann auch viele Mails abzuarbeiten. Es ergab sich wirklich bei mehreren, auf diese für mich gerade aktuelle Methode hinzuweisen. Inzwischen ist eine Reaktion angekommen: Stefan Mn., den ich bisher als Software-Experte mit politischen Ambitionen, die meinen nahestehen, kannte, antwortete gleich begeistert, daß er auch schon an 3 Sokratischen Gesprächen teilgenommen habe und daß er auch weiter daran interessiert ist und etwas dazu plant...

21.11.99

Die Arbeit an den Managementseiten habe ich jetzt einfach beendet. Man könnte ewig daran herumbasteln, es gibt immer wieder neue Aspekte. Aber ich muß das Thema abschließen. Es blieb für mich ambivalent. Inhaltlich spannend - aber aus sozialer und ökologischer Sicht entillusionierend...

Ich habe inzwischen meine ersten zwei Testarbeitstage an einer Hochvakuum-Bedampfungsanlage hinter mich gebracht. Es lief außerordentlich gut. Die Anlage stammt noch aus DDR-Zeiten (vom VEB Hochvakuumtechnik Dresden) und entsprach - von einigen Änderungen abgesehen - der Anlage, an der ich vor mittlerweile 17 Jahren mein vierteljährliches Industriepraktikum innerhalb des Studiums beim VEB Carl Zeiss Jena verbrachte. Aber man kann immer noch fast High-Tech damit machen!

Äußerst günstig war sich auch, daß ich bei jeder Beschickung ca. 20 min. die Vakuumpumpe laufen lassen mußte, ehe ich weiter machen konnte. Diese Zwischenzeiten eigneten sich hervorragend zum Lesen der ca. 50 ausgedruckten Papierseiten mit den Mails der Tage zuvor.

P.S. Die abgespeicherten Dateien vom 10.11. habe ich mir immer noch nicht ansehen können. Und dabei fahre ich morgen für fast 10 Tage weg... (privat selbst organisiertes Kompaktseminar zur Kritischen Psychologie bei Iris).

01.01.2000

Hallihallo... Alles Gute im Neuen Jahr, dem letzten dieses Jahrtausends an alle, die dies lesen !

Ich habe meinen "Jahresplan" 1999 nicht ganz geschafft, weil ich noch einige Veröffentlichungen fertig machen muß. Sie sollten eigentlich schon fertig sein, aber ich habe eine Zeitverzögerung wegen dem Aufarbeiten der Inhalte der "Kritischen Psychologie". Das lohnte sich aber wirklich . Das Thema "Selbstorganisations-Management" habe ich aber erst mal abgearbeitet. Ich räume die Materialien davon ins Archiv, ich werde nur daran weiterarbeiten, wenn es "sich rechnet" - wenigstens das habe ich "gelernt" von den Management-Weisheiten... ;-).

In diesem Jahr steht nun die Arbeit an der Dissertation im Mittelpunkt. Eine erste "Bewährung" wird ein Vortrag im Sommersemester über das Thema "Physikalische Gesetze".

Gleichzeitig habe ich seit 21.12. einen Teilzeit-Job als Physikerin. Ich muß das also zeitlich alles ziemlich straff organisieren. Viele Mails kann ich nicht mehr richtig inhaltlich bearbeiten, viele interessante Themen in Mailinglists werde ich nur noch zur Kenntnis nehmen und ich habe einen Grund mehr, mich Streitereien - die sich manchmal zu entwickeln drohen - zu entziehen.

...

Der erste Computerbug ist mir heute aufgefallen: Mein FTP-Programm datiert die neuen Files mit 10000101, weil er von der 99 im Jahr einfach weiterzählt...

Die neuen Files sind für Tanja, sie hat ab heute auch ein Gästebuch. Mein Gästebuch werde ich demnächst splitten. Die Einträge von vor 2000 bleiben lesbar, in die neue Datei kommen aber nur die neuen. Vielleicht wechsle ich auch den Anbieter dafür...

02.01.00

Der zweite Bug: der Drucker spinnt!!! ...Gut, daß ich viele Arbeitsergebnisse eh ins Web setze und über Mail vertreibe und auch meine Post mehr eMails sind als Papierbriefe...

Außerdem finde ich den Tagebuch-Kalender für 2000 nicht, der seit einigen Monaten schon irgendwo bereitliegen müßte. Ich notiere seit einigen Jahren das Wichtigste - kaum ausformuliert, aber eine Erinnerung an das, was ich gerade tat und was die Tage so ausfüllte, die vergehen (Motto: Nulla dies sine linia).

Gestern abend habe ich im ORB eine faszinierende Reportage gesehen.

Hab den Mond mit der Hand berührt...

1970 veranstaltete die Jugendzeitung "Junge Welt" in der DDR ein Preisausschreiben, in dem man beschreiben sollte, wie man sich seinen Tagesablauf am 6.1.2000 vorstellt. 500 Preisträger wurden schließlich zu einer Party am 8.1.2000 eingeladen. Da es die "Junge Welt" tatsächlich noch gibt, hält sie natürlich ihr Wort und die Party wird stattfinden. In diesem Zusammenhang wurden die 500 Briefe aus dem Archiv geholt. 4 Autor(inn)en wurden schließlich in dem Film vorgestellt. Sicher hatten bei den ausgezeichneten Arbeiten eh nur die eine Chance, die sich positiv auf eine sozialistische Zukunft bezogen. Aber wenn man jetzt so massiv mit den damaligen Erwartungen und Hoffnungen konfrontiert wird, ist das doch einigermaßen berührend. Im Film wurde als Musik der Titel "Hab den Mond mit der Hand berührt..." eingespielt. Ja, so war es tatsächlich. Wir haben damals selbstverständlich vom erfüllten Fortschritt geträumt, die Welt des Jahres 2000 war endlich überall sozialistisch und befreit. Kaum jemand träumte von Eigenheim oder Auto, niemand befürchtete Öko-Katastrophen und globale Erwärmung. Ich erinnere mich an die Bilder, die Hochbahnen und zigstöckige Häuser als Vision ausmalten. Ob es fließbandähnliche Straßen für Fußgänger (bzw. - steher) geben würde, war etwas umstritten, weil wir schon ahnten, daß es nicht gesund sein könnte, sich jede Bewegung abnehmen zu lassen... Daß wir 9 Jahre nach Gagarins Kosmosflug wirklich glaubten, 30 Jahre später seien Ausflugsreisen zum Mond selbstverständlich, wurde mir erst durch den Film wieder bewußt.

Ich verstehe auch wieder, warum sich meine Träume überhaupt nicht mehr auf diese "nahe" Zukunft orientierten. Im Zeitraum von 30 Jahren und innerhalb meines Lebensraums war ja alles klar, alles prima, nichts mehr fraglich oder offen. Nicht mehr viel zu tun. Deshalb interessierten mich dann utopische Romane, die gedanklich weit in den Weltraum vorstießen und in Zeiten, wo es wieder spannend sein würde... Aber das war erst später.

1970 war ich erst 9 und mein Horizont dementsprechend kleiner. Jetzt weiß ich aber, woher meine Mutter ihre Idee hatte. Ich erinnere mich daran, daß sie mir in dieser Zeit vorschlug, mal aufzuschreiben, wie ich mir einen Tagesablauf vorstelle, wenn ich 20 Jahre alt bin. Ich habe das zwar nie gemacht, aber ich habe darüber nachgedacht. Deshalb sind mir meine Vorstellungen dazu auch im Gedächtnis geblieben: Ich würde mich gleich nach dem Weckerklingeln auf die Arbeit freuen, denn meine Schützlinge im Zoo oder Tierpark würden schon auf mich warten. Damals dachte ich an niedliche Schimpansen, weil ich gerade ein Kinderbuch über die Arbeit einer jungen Tierpflegerin bei den Affen gelesen hatte. Tja, so war das halt damals. Ich glaube nicht, daß ich über Familie nachdachte und mit Politik hatte ich damals auch noch nichts am Hut. Allerdings war "klar", daß im Jahr 2000 die ganze Welt sozialistisch sein würde und überall Frieden und so weiter. Das war irgendwie "im Hintergrund" gewiß, man brauchte darüber gar nicht nachzudenken...

Durch diese Anregung durch meine Mutti dachte ich auch später immer mal in diesen Dimensionen: "Wie wird wohl ein Tag in x Jahren für mich aussehen?". 10 Jahre später bezogen sich meine Zukunftsvorstellungen durchaus schon mal auf das Jahr 2000, in dem ich 39 Jahre ALT werden, und irgendwie "fertig" mit meiner Entwicklung sein würde... Damals hoffte ich, dann in einer Sternwarte als Astronomin zu arbeiten. Familie und Politik hatten auch noch keinen höheren Stellenwert.

Als ich dann weitere 10 Jahre später Bilanz zog, stellte ich fest, daß ich zwar nicht als Astronomin arbeite, aber viel interessantere Dinge gemacht habe und noch interessantere Entwicklungen vor mir liegen könnten. Ich finde, daß meine für meine damaligen Verhältnisse sogar recht überzogene Zielvorstellung (Astronomin werden) sehr wichtig war, um in Bewegung zu bleiben. Immer wieder locken Ruhepunkte, man könnte sich ein Nest als Familie bauen, man könnte beruflich was "Sicheres" nehmen... Die Ruhepunkte versprachen Halt. Aber ich mied sie, sobald ich spürte, daß sie mich fest-halten würden. Auf dem weiteren Weg öffneten sich allerdings immer wieder neue Räume und Dimensionen. Neben der Astronomie wurde die Philosophie interessant und immer wichtiger. Neben der Wissenschaft begann mich für die Funktionsweise der Gesellschaft zu interessieren und neben der einsamen Bücherhockerei fand ich Freunde.

Mit 29 hatte ich mehrere fest-haltende "Fallen" umgangen. Ich fühlte mich gerade an einem Neuaufbruch, wollte endlich mit einer philosophischen Dissertation beginnen. Dazu hatte ich gerade Kontakt mit dem Professor, zu dem ich wollte, gefunden. Ich präsentierte mich auf dem Philosophenkongreß einigermaßen ordentlich (was ich dort vorstellte, war mein wissenschaftliches Zukunftsprogramm)...

Plötzlich allerdings wurde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Die aktuellen Berichte, 10 Jahre nach dem Ende der DDR, bringen mir wieder die widersprüchlichen Gefühle nahe: Ich hatte 1990 noch das Gefühl, mich innerhalb der DDR und mit der sozialistischen Entwicklung selbst entfalten und einbringen zu können. Nach kurzen Wochen der Hoffnung, weiter auf real-sozialistischer Grundlage Mißstände beseitigen und Entwicklungsblockaden brechen zu können, zeigten mir die ersten BRD-Flaggen in Schrebergärten, daß es ganz anders kommt...

Und jetzt - jetzt werde ich 39 Jahre ALT, habe eine Familie, die mir gleichzeitig Halt und Schwung gibt, habe alle möglichen Erfahrungen als Erwebslose, Umschulende, arbeits-Beschäftigte gemacht und arbeite - seit einigen Tagen - erstmalig sogar als Physikerin. Ich fühle mich genauso jung wie mit 19 und habe immer noch alles vor mir (tatsächlich beginne ich genau jetzt wieder mit dem Konzept und den ersten Arbeiten an einer phil. Dissertation - mit 10 Jahren Verzögerung, aber umso mehr Erfahrung und Wissen).

So sehr ich in der Gegenwart lebe, ist es doch wichtig, mich an diese alten Träume zu erinnern. Seit der "Wende", bei der ich schließlich schon 29 Jahre alt war und inzwischen eine kleine "Karriere" als FDJ-Funktionärin hatte, wird man ja immer wieder angehalten, sich zu entschuldigen oder zu rechtfertigen für sein Engagement in der DDR, für die Hoffnungen in den Sozialismus. Aber ein Zurückstutzen der Träume auf Eigenheim-Niveau wird nicht funktionieren bei Menschen, die den Mond mit der Hand berührt haben...

Tagebuch-Kalender-Ersatzeintrag 01.01.00:

  • 0.00 bis ca. 0.30 Uhr: Wir feiern im Garten von C. und schauen uns die Feuerwerke von den kleineren Orten um Dornburg an. Es knallt schon mehr als in "normalen" Jahren, aber für uns ist nicht viel anders. (... da wir ja auch alle wissen, daß das Jahrtausend erst nach dem vollendeten 2000. Jahr beginnt.)
  • Feuerzangenbowle wird noch alle gemacht, von der Sektflasche wird nur die Hälfte getrunken (bei 6 Erwachsenen)
  • 2 Uhr bis 10 Uhr: Schlafen in Bungalows, bei uns ist es schön warm (in einem Vorjahr hatte ich jämmerlich gefroren...)
  • ... Aufwaschen... Frühstück... Spaziergang... Aufwaschen... Mittagessen (die mitgebrachten Salate müssen weiter reduziert werden)... Aufwaschen... Einpacken... Aufräumen... Heimfahren...
  • bastle an Web-Dateien: Tanjas Startseite (sie bekommt auch ein Gästebuch)...
  • FTP und Mails: 24 Mails kommen rein, eine (von Tanja) geht raus..., schaue sie nur kurz durch, habe keinen Nerv mehr zum Beantworten
  • Fernsehen: Zirkus-Festival in Monte Carlo, ORB-Film über Preisausschreiben der JW
  • nachts: ich überlege, ob wir nicht aufschreiben sollten, wie wir uns einen Tag im Jahre 2025 vorstellen und das dann aufmachen und lesen sollten...

Tagebuch-Kalender-Ersatzeintrag 02.01.00:

  • Frühstückskaffee mit Zeitung (Ausrisse aus letzten Tagen: z.B. JW-Bericht über Preisausschreiben von 1970)
  • schreibe obige Web-Tagebucheintragung, es entsteht "von selbst" ein längerer Text zum Preisausschreiben, den ich an Helga K. für ihr Magazin (Raumfahrt und Astronomie Ostsachsen) schicken werde, nebenbei: Wäsche in Maschine etc.
  • Mittagessen, Telefonat mit Ray aus Bremen
  • erfahre nebenbei: 100 Autos im Nebel ineinandergekracht...
  • sortiere und bearbeite weiter Material zur EXPO (Selbstbeschreibung, Werbung: es geht nur gegen "Raubbau"...) für zwei Beiträge für das Buch "Gegenbilder zur Expo".
  • Hermann und Tanja räumen weiter ihr ehemaliges Kinderzimmer leer. In eine frei werdende Nische soll ein zweiter Büroarbeitsplatz für mich... Ich räume auf meinem Schreibtisch auf, befreie Klavier u.a. von Staub...
  • weiter Expo ...
  • Abendbrot
  • Fernsehen: Eiskunstlaufgala 2000
  • mache neue Webseiten für UVU und INA, jeder einzelne Text plus Verlinkungen braucht 30 Minuten...
  • FTP - auch dieser Datei... (aber schon am 03.01.2000)
    dabei 12 Mails rein und 6 raus...

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